OGH 12Os22/12w

OGH12Os22/12w15.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Mai 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Marvan als Schriftführer in der Strafsache gegen Alparslan Z***** wegen des Vergehens des schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 22. November 2011, GZ 26 Hv 113/11p-4, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, des Angeklagten und seiner Verteidigerin Dr. Vinkovits, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus deren Anlass wird das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch A./ sowie demgemäß im Strafausspruch und im Verfallserkenntnis aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte hierauf verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthaltenden Urteil (dessen Spruch entgegen § 271 Abs 1 Z 7 StPO nicht im Protokoll über die Hauptverhandlung enthalten ist), wurde Alparslan Z***** des Vergehens des schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4 StGB (A./), des Verbrechens des Raubes nach §§ 15 Abs 1, 142 Abs 1 StGB (B./) und des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB (C./) schuldig erkannt.

Danach hat er - zusammengefasst wiedergegeben- in S*****

A./ am 28. Juni 2011 Ayse G***** 9.500 Euro Bargeld sowie Goldschmuck im Wert von ca 5.000 Euro aus deren Wohnung mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen;

B./ am 30. Juni 2011 versucht, Ayse G***** mit Gewalt gegen ihre Person ihre Handtasche samt dem darin befindlichen Schmuck mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz zu entreißen;

C./ am 30. Juni 2011 im Anschluss an die unter Punkt B./ angeführte Handlung Ayse G***** durch einen Stoß aus dem Auto fahrlässig am Körper verletzt, wobei die Tat Blutunterlaufungen im Ellenbogenbereich links und an der rechten Hand zur Folge hatte.

Der Angeklagte bekämpft die Schuldsprüche mit einer auf § 281 Abs 1 Z 4 und 9 (zu ergänzen: lit a) StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

In der Hauptverhandlung wurde der vom Verteidiger vorgelegte, von Rechtsanwalt Mag. Daniel L***** aufgenommene Aktenvermerk vom 2. August 2011 als Beilage ./I zum Akt genommen (ON 13 S 2). Nach dem Inhalt dieser Urkunde erschienen der Angeklagte und die Zeugin Ayse G***** in der Rechtsanwaltskanzlei, wo die Zeugin angab, ihre anlässlich der Anzeigeerstattung gegen den Beschwerdeführer vor der Polizei aus Eifersucht und Enttäuschung gemachten Angaben seien „allesamt falsch“ und dieser sei „jedenfalls unschuldig“.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider konnte der Antrag auf zeugenschaftliche Vernehmung des „Mag. L***** zum Beweis dafür, dass der Aktenvermerk nach den Angaben der Ayse G***** erstellt und nicht vorgefertigt wurde“ (ON 13 S 20), ohne Verletzung von Verteidigungsinteressen abgewiesen werden (ON 13 S 20 f, US 10 f), weil dem Antrag nicht zu entnehmen war, warum die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lasse (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330) und inwieweit dieses für die Schuldfrage und Subsumtionsfrage von Bedeutung ist (RIS-Justiz RS0118444).

Gleiches gilt für die Abweisung (ON 13 S 21) des Antrags auf Vernehmung der Mutter des Angeklagten, Nezika Z*****, „zum Beweis dafür, dass alles ein Missverständnis war, und zwar die Mitnahme des Schmucks, sowie zum Beweis dafür, dass Frau G***** bereits 10.000 Euro des Darlehens zurückerhalten hat“ (ON 13 S 20), weil es sich bei der beantragten Zeugin um keine Tatzeugin handelte, nicht dargelegt wurde, welches Missverständnis vorgelegen sein soll, und die Tatrichter ohnehin die (überdies in keinem Zusammenhang mit hier Gegenständlichem stehende) Darlehensrückzahlung als erwiesen annahmen (US 11 zweiter Absatz).

Ein Eingehen auf die nur zu A./ erhobene Rechtsrüge (Z 9 lit a) erübrigt sich im Hinblick auf das zu diesem Schuldspruch gebotene amtswegige Vorgehen gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO.

Die Nichtigkeitsbeschwerde, deren Antrag, nach § 288a StPO die Hauptverhandlung zu vernichten, bei gegebener Sachlage unverständlich ist, war demnach zu verwerfen.

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch, dass dem Schuldspruch A./ ein nicht geltend gemachter Rechtsfehler mangels Feststellungen anhaftet.

Nach den erstgerichtlichen Konstatierungen bestand zwischen dem Angeklagten und dem Tatopfer „von Februar 2011 bis Anfang Juli 2011“ eine Lebensgemeinschaft (US 4 zweiter Absatz), wobei der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt in der Wohnung der Zeugin Ayse G***** wohnte, zu der er auch einen eigenen Schlüssel hatte (US 5 dritter Absatz). Die Tat wurde am 28. Juni 2011 während eines von diesem Tag bis zum 30. Juni 2011 dauernden Spitalsaufenthalts (US 5) der Zeugin G***** begangen, die im Übrigen vor der Kriminalpolizei keine solch enge Beziehung und in der Hauptverhandlung einen „Streit“ vor dem 28. Juni 2011 geschildert hatte.

Personen, die miteinander in Lebensgemeinschaft leben, werden wie Angehörige behandelt (§ 72 Abs 2 StGB). Hat der Täter einen Diebstahl zum Nachteil eines Angehörigen begangen, mit dem er in Hausgemeinschaft lebt, ist er nach § 166 Abs 1 und 3 StGB nur auf Verlangen des Verletzten zu verfolgen.

Von einer Hausgemeinschaft unter Angehörigen wird dann gesprochen, wenn eine persönliche Nahebeziehung vorliegt, wie sie für das Zusammenleben in einer Familie als einer geschlossenen Einheit typisch ist (RIS-Justiz RS0095012). Besteht an sich Hausgemeinschaft, so schadet eine kürzere, bloß räumliche Trennung nicht (Kirchbacher/Presslauer in WK2 § 166 Rz 15).

Die getroffenen Feststellungen reichen zur Beurteilung, ob zum Tatzeitpunkt (RIS-Justiz RS0094712) der Privilegierungstatbestand nach § 166 Abs 1 StGB vorgelegen und der Täter gemäß § 166 Abs 3 StGB nur auf Verlangen des Verletzten zu verfolgen ist, nicht hin, sodass dem Urteil im bezeichneten Umfang Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 9 lit c StPO anhaftet (vgl Kirchbacher/Presslauer in WK2 § 166 Rz 47 ff).

Demnach war, weil eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in der Sache nicht erfolgen kann, das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch A./ sowie demgemäß im Strafausspruch und im Verfallserkenntnis aufzuheben und die Sache in diesem Umfang an das Landesgericht Innsbruck zu neuer Verhandlung und Entscheidung zu verweisen.

Hierauf war der Angeklagte mit der (auch gegen das Verfallserkenntnis erhobenen, als Beschwerde bezeichneten) Berufung zu verweisen.

Die Kostenersatzpflicht, welche die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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