OGH 7Ob276/01s

OGH7Ob276/01s17.4.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Thomas W*****, vertreten durch Dr. Karl-Heinz Götz und Dr. Rudolf Tobler jun, Rechtsanwälte in Neusiedl am See, gegen die beklagte Partei W***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr. Michael Mathes und Mag. Laurenz Strebl, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 180.500,-- samt Anhang, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 18. Mai 2001, GZ 5 R 82/01t-30, womit das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 1. Februar 2001, GZ 28 Cg 157/98w-26, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 812,47 = S 11.179,80 (darin enthalten EUR 135,41 = S 1.863,30 an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Dem Vollkaskoversicherungsvertrag zwischen den Parteien liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Vollkasko-Versicherung 1995 (in der Folge VK 1995) zu Grunde. Nach deren Art 7.3.2 wird als Obliegenheit, deren Verletzung nach Eintritt des Versicherungsfalles die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung bewirkt, bestimmt, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen.

Am Abend des 27. 9. 1997 (Samstag) besuchte der Kläger ab ca 21 bis 22 Uhr ein Fest am Sportplatz in H*****, das er erst am Folgetag gegen 3 Uhr morgens verließ. Er fuhr dann mit seinem Fahrzeug auf der L 2004 aus Richtung H***** kommend mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h in Richtung R*****. Unmittelbar vor einer Rechtskurve sah er neben sich einen Schatten, verriss sein Fahrzeug, kam ins Schleudern und stieß gegen einen am linken Fahrbahnrand befindlichen Baum, ehe er nach Streifen eines weiteren Baums frontal an einen dritten Baum prallte. Dadurch wurde die Rinde der Bäume beschädigt und ein Leitpflock herausgerissen. Der Kläger erlitt eine anterograde Amnesie und eine Gehirnerschütterung. Nach demUnfall ging er 8 km zu Fuß nach Z*****. Er rief um 7 Uhr Früh seine Freundin an, die ihn zu seinen Eltern brachte. Danach fuhr ihn seine Freundin in das Landeskrankenhaus M*****. Der Kläger zeigte dort keine Übelkeit, keinen Schwindel, keinen Kopfschmerz und keine Erbrechenssymptome. Die Mutter des Klägers verständigte über Ersuchen des Klägers den Gendarmerieposten S***** noch am 28. 9. 1997 um 8 Uhr in der Früh und teilte telefonisch mit, dass ihr Sohn einen Verkehrsunfall gehabt habe und er zu seiner Untersuchung in das Krankenhaus M***** gefahren sei. Die Gendarmerie war bereits von einem unbeteiligten nachkommenden Fahrzeuglenker um etwa 4 Uhr morgens vom Unfall verständigt worden. Der Kläger selbst erschien auf der Dienststelle des Gendarmeriepostens S***** erst am Montag, dem 29. 9. 1997, nachmittags. Das gegen den Kläger wegen dieses Vorfalles geführte Verwaltungsstrafverfahren wurde eingestellt.

Das Fahrzeug des Klägers erlitt einen Totalschaden. Der Kläger begehrt nun Deckung aus dem Vollkaskoversicherungsvertrag. Seine Erinnerung an den Unfall höre mit dem Verreißen des Fahrzeuges auf und setze erst wieder ein, als er sich in Z***** befunden habe. Das Verlassen des Fahrzeugs und der Verzug der Unfallmeldung sei auf Grund der schweren neurologischen Störung erfolgt. Er sei zum Unfallszeitpunkt nicht alkoholisiert gewesen, es liege ihm keine Obliegenheitsverletzung zur Last.

Die Beklagte beantragt Klagsabweisung unter Hinweis auf die Verletzung der vereinbarten Obliegenheit nach Art 7.3.2 VK 1995 durch Unterlassung der rechtzeitigen Anzeige beim nächstgelegenen Gendarmerieposten. Es bestehe nach wie vor der Verdacht einer Alkoholisierung, der nicht habe ausgeräumt werden können. Der Kläger sei durch den Unfall nur leicht verletzt worden, die Beklagte sei durch die Obliegenheitsverletzung leistungsfrei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren vollinhaltlich ab. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, dass dem Kläger die Verletzung der Obliegenheit, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen, vorzuwerfen sei, weil er eine sofortige Schadensmeldung unterlassen habe. Die verspätete Anzeige habe bewirkt, dass im Nachhinein eine Alkoholisierung im Unfallszeitpunkt weder bejaht noch verneint werden könne. Die Beklagte sei daher leistungsfrei. Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers Folge und änderte das Urteil im Sinn einer Klagsstattgebung ab. In rechtlicher Hinsicht gelangte es zu dem Ergebnis, dass die Beschädigung der Rinde von drei Bäumen und das Ausreißen eines Leitpflocks geringfügig sei. Die Folgen könnten offensichtlich ohne Kostenaufwand beseitigt werden und wurden vom Kläger gar nicht als Beschädigungen aufgefasst. Es habe daher keine Verpflichtung zur unverzüglichen Anzeige im Sinne des § 4 Abs 5 StVO bestanden. Wegen des geringen Sachschadens sei auch keine Obliegenheitsverletzung des Klägers anzunehmen. Dem Kläger, der nach dem Unfall an einer Gehirnerschütterung mit Amnesie und an einer Halswirbelverletzung gelitten habe, müsse zugebilligt werden, dass er sich zur Untersuchung und ärztlichen Hilfe in die Unfallabteilung eines Spitales habe bringen lassen. Erst nach der Spitalsentlassung, also um etwa 11 Uhr des Unfalltages, ca 8 bis 9 Stunden nach dem Unfall, wäre ihm eine Fahrt zum Gendarmeriepostenkommando S***** zumutbar gewesen. Dass zu diesem Zeitpunkt noch eine persönliche Anzeige zur Aufklärung des Sachverhaltes beitragen hätte können, sei nicht ersichtlich.

Das Berufungsgericht änderte seinen Ausspruch, nach dem die Revision nicht zulässig sei, über Antrag der beklagten Partei dahingehend ab, dass die Revision deshalb zulässig sei, weil der Auslegung der Bestimmung über die Obliegenheitsverletzung über den Anlassfall hinaus Bedeutung zukomme.

Die Revision ist zur Klarstellung der Ausführungen des Berufungsgerichtes zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung zu Art 6 Abs 2 Z 2 AKIB und zum gleichlautenden Art 5.3.1 AFIB ("Als Obliegenheiten ... werden bestimmt: Nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen"), die auch mit dem Art 7.3.2 VK 1995 wortgleich sind, verpflichtet diese Obliegenheit den Versicherten, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen und alles Zweckdienliche zur Aufklärung des Unfallereignisses selbst dann vorzunehmen, wenn es seinen eigenen Interessen zum Nachteil gereichen sollte. Die Aufklärungspflicht soll nicht nur die nötigen Feststellungen über den Unfallsablauf, die Verantwortlichkeit der Beteiligten und den Umfang des entstandenen Schadens ermöglichen, sondern auch die Klarstellung all jener Umstände gewährleisten, die für allfällige Regressansprüche des Versicherers von Bedeutung sein können. Darunter fällt auch die objektive Prüfung der körperlichen Beschaffenheit des an einem Unfall beteiligten Versicherungsnehmers hinsichtlich einer allfälligen Alkoholisierung (7 Ob 170/99x, 7 Ob 23/95; RIS-Justiz RS0080972, RS0081010, RS 0081054). Eine Verletzung der Aufklärungspflicht liegt vor, wenn dadurch im konkreten Fall etwas versäumt wurde, das der Aufklärung des Schadenereignisses im Sinne dieser Ausführungen dienlich gewesen wäre, so wenn ein konkreter Verdacht in bestimmter Richtung durch objektives Unbenützbarwerden oder objektive Beseitigung eines Beweismittels infolge der Verletzung im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann (7 Ob 170/99x, RIS-Justiz RS0043520). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist zwar vom Versicherungsnehmer in Verbindung dieser Bestimmung mit § 4 Abs 5 StVO nach einem Unfall bei Verletzung weiterer Personen oder bei Schädigung von fremden Sachgütern eine Gendarmerie- oder Polizeianzeige zu erstatten. Eine solche Unfallsmeldung kann jedoch unterbleiben, wenn ausschließlich der den Unfall verursachende Lenker und Versicherungsnehmer verletzt bzw nur dessen eigenes Fahrzeug beschädigt wurde. Wenn keine Anzeigepflicht nach § 4 StVO besteht, besteht auch keine Verpflichtung des Versicherungsnehmers gegenüber dem Kaskoversicherer, die Gendarmerie oder Polizei vom Unfallshergang zu verständigen (7 Ob 23/95 mwN). In jedem Fall einer wahrgenommenen Beschädigung von fremden Sachgütern ist ohne Rücksicht auf die anscheinende Geringfügigkeit dieses Schadens eine Gendarmerie- oder Polizeianzeige zu erstatten (7 Ob 33/91, SZ 53/55 uva). An der Pflicht zur Anzeigenerstattung durch den Kläger kann im Hinblick auf die Beschädigung dreier Bäume und das Ausreißen eines Leitpflockes - im Gegensatz zur Rechtsansicht des Berufungsgerichtes - kein Zweifel bestehen. Das Unterlassen der sofortigen Anzeige nach dem Unfall stellt aber im konkreten Einzelfall keine Verletzung der Obliegenheitspflicht dar, da der Kläger unmittelbar nach dem Unfall bis zu seinem Eintreffen in Z***** nach den erstgerichtlichen Feststellungen an einer Amnesie litt und daher nicht voll geschäfts- und handlungsfähig war. Der Kläger realisierte erst nach 7 Uhr die Unfallsfolgen. Über sein Ersuchen verständigte seine Mutter den nächstgelegenen Gendarmerieposten um 8 Uhr vom Unfall und dem Umstand, dass der Kläger sich im Krankenhaus befinde. Diese Verständigung ist nach den Umständen des Einzelfalls noch als ohne unnötigen Aufschub erfolgt zu betrachten. Ein sofortiges persönliches Aufsuchen des Gendarmeriepostens war dem Versicherungsnehmer im Hinblick auf die erlittenen Verletzungen nicht zumutbar. Es ist dem Versicherungsnehmer zuzubilligen, erlittene unklare Kopfverletzungen, die immerhin nach den Feststellungen eine vierstündige Amnesie verursachten, noch vor dem persönlichen Aufsuchen der Sicherheitsbehörden im Krankenhaus abklären zu lassen, zumal er die Anzeigeerstattung und die Bekanntgabe seines momentanen Aufenthaltes im Krankenhaus veranlasste, sodass seine sofortige Verfügbarkeit für Rückfragen gewährleistet war. Das Berufungsgericht ist daher im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger keine Verletzung der Obliegenheitspflicht nach Art 7.3.2 VK 1995 vorzuwerfen ist. Damit der Versicherre nach Art 7.2.2 VK 1995 leistungsfrei sein könnte, muss er das Vorliegen einer Alkoholisierung als anspruchsbegründende Tatsache beweisen (objektiver Nachweis der normierten Obliegenheitsverletzung; vgl RIS-Justiz RS0073440, RS0081884). Diesen Beweis konnte die Beklagte nicht erbringen. Das non liquet geht zu ihren Lasten. Der unberechtigten Revision war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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