OGH 6Ob73/12x

OGH6Ob73/12x19.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers A***** F*****, vertreten durch Dr. Peter Klaunzer, Rechtsanwalt in Innsbruck, als Verfahrenshelfer, gegen die Antragsgegnerin R***** S*****, vertreten durch Altenweisl, Wallnöfer, Watschinger, Zimmermann Rechtsanwälte GmbH in Innsbruck, wegen Rückführung des mj M***** F*****, geboren 4. August 2004, nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 15. März 2012, GZ 54 R 32/12w‑38, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Text

Begründung

Der Minderjährige ist Sohn des antragstellenden Vaters und hält sich derzeit mit seiner Mutter in Tirol auf. Nach der Scheidung der Eltern in Portugal wurde im Jahr 2007 das alleinige Obsorgerecht der Kindesmutter zugesprochen; dem Kindesvater wurde ein Besuchsrecht eingeräumt, das dieser nach Möglichkeit auch ausübte. Am 11. 8. 2011 reiste die Mutter mit dem Minderjährigen aus Portugal nach Österreich, weil sie in Portugal keine Arbeit finden konnte. Ein Obsorgeverfahren ist in Portugal bei Gericht anhängig.

Beide Vorinstanzen wiesen den Antrag des Kindesvaters auf Rückführung des Minderjährigen nach Portugal ab.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die Entscheidung des Rekursgerichts erhobene Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

1. Zweck des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung, BGBl 1988/512, ist es, die ursprünglichen tatsächlichen Verhältnisse wiederherzustellen, um zu gewährleisten, „dass das in einem Vertragsstaat bestehende Sorgerecht und Recht auf persönlichen Verkehr in den anderen Vertragsstaaten tatsächlich beachtet wird“ (Art 1 HKÜ). Das Übereinkommen soll verhindern, dass für das Kind im Zufluchtsland eine Aufenthaltszuständigkeit begründet wird, die eine Abänderung der Obsorgeregelung im Herkunftsland ermöglicht (RIS‑Justiz RS0109515). Das Übereinkommen strebt die Wiederherstellung der ursprünglichen Tatsachenverhältnisse nach einem unter Ausblendung von Rechtsfragen durchgeführten Schnellverfahren an (RIS‑Justiz RS0074532).

2.1. Sachliche Anwendungsvoraussetzung für das HKÜ ist die „Entführung“, das ist das „widerrechtliche Verbringen oder Zurückhalten“ des Kindes außerhalb des Herkunftslands (Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht Rz 09.04). Gemäß Art 3 HKÜ gilt das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes als widerrechtlich, wenn

a) dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Herkunftsstaats zusteht, und

b) dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte.

2.2. Die in dieser Bestimmung angeführten Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen (RIS‑Justiz RS0106624). Bei der Beurteilung der Widerrechtlichkeit der Verbringung von Kindern nach dem HKÜ und der Frage des Bestehens eines (Mit‑)Sorgerechts nach dem anzuwendenden Sachrecht knüpft Art 3 HKÜ unmissverständlich an den Zeitpunkt unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten des Kindes an (RIS‑Justiz RS0119948). Schloss das Mitobsorgerecht des Vaters nicht auch die Befugnis ein, den Aufenthaltsort des Kindes mitzubestimmen, dann kann es durch die Wahl eines ihm nicht genehmen Aufenthaltsorts des Kindes durch die Mutter nicht verletzt werden (RIS‑Justiz RS0112167). Voraussetzung für die Anwendung dieser Bestimmung ist die Verletzung eines tatsächlich ausgeübten Obsorgerechts oder Mitobsorgerechts. Bei einer Trennung der Eltern erfüllt diese Voraussetzung in der Regel nur der Elternteil, bei dem das Kind wohnt, die Ausübung eines bloßen Umgangsrechts genügt nicht (vgl RIS‑Justiz RS0106625).

3. Nach dem im Verfahren unstrittigen Sachverhalt stand dem Antragsteller im Zeitpunkt unmittelbar vor dem Verbringen des Kindes nach anzuwendendem portugiesischen Sachrecht das Sorgerecht, insbesondere das Recht den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen (Art 5 lit a HKÜ), nicht zu. Auch in tatsächlicher Hinsicht übte der Kindesvater zum maßgeblichen Zeitpunkt lediglich ein Besuchsrecht im Sinne eines bloßen Umgangsrechts aus. Damit stehen aber die Entscheidungen der Vorinstanzen in Einklang mit dem klaren Wortlaut des Abkommens und der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.

4. Die Ausführungen des außerordentlichen Revisionsrekurses zu Art 21 HKÜ sind nicht stichhaltig, macht doch Art 8 HKÜ den Antrag auf Rückgabe des Kindes von einer Verbringung des Kindes unter Verletzung des Sorgerechts (vgl Art 5 lit a HKÜ) abhängig.

5. Damit bringt der Revisionsrekurs aber keine Rechtsfragen der in § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Qualität zur Darstellung, sodass der Revisionsrekurs spruchgemäß zurückzuweisen war.

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