OGH 4Ob34/12x

OGH4Ob34/12x17.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach S***** H*****, geboren am *****, verstorben am *****, zuletzt wohnhaft in *****, infolge Revisionsrekurses des Sohnes und erbantrittserklärten Erben W***** H*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Hackenbuchner, Notar in Salzburg, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 23. Dezember 2011, GZ 21 R 325/11g‑19, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom 8. August 2011, GZ 20 A 28/11d‑13, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der Rekurswerber ist Alleinerbe seiner verstorbenen Mutter. Er gab im Verlassenschaftsverfahren auf Grund des Gesetzes zum gesamten Nachlass eine unbedingte Erbantrittserklärung ab.

Die Verlassenschaft ist Miteigentümerin zu 655/65578tel Anteilen einer Liegenschaft, verbunden mit Wohnungseigentum an einer Wohnung. Mit notariellem Schenkungsvertrag vom 28. Juni 2011 verschenkte die Verlassenschaft, vertreten durch den erbantrittserklärten erblichen Sohn, die Wohnung W 46 an die Ehegattin des erbantrittserklärten Erben. Der Sohn beantragte die abhandlungsbehördliche Genehmigung des Schenkungsvertrags.

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Eine deutliche Verminderung des Nachlasses durch Vertretungshandlungen des Erben vor Einantwortung sei durch § 810 ABGB nicht gedeckt. Eine Schenkung als unentgeltliche Hinweggabe von erheblichem Verlassenschaftsvermögen bringe keinen Vorteil für die Verlassenschaft. Dass sich der Erbe durch Schenkung vor Einantwortung Grunderwerbssteuer erspare sei unbeachtlich, weil die Situation des Erben unabhängig von jener der Verlassenschaft zu beurteilen sei.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage der Genehmigungsfähigkeit eines Schenkungsvertrags zwischen der Verlassenschaft und einem Dritten zulässig sei. Dem Erben, der sein Erbrecht hinreichend ausgewiesen habe, komme schon vor der Einantwortung die Benutzung, Verwaltung und Vertretung des Nachlasses ex lege zu. Die Veräußerung von Nachlassliegenschaften durch den Erben bedürfe stets der gerichtlichen Genehmigung, die dann zu versagen sei, wenn die Handlung für die Verlassenschaft offenbar nachteilig wäre. Der zweite Fall einer Genehmigungspflicht (nach der Aktenlage sei die Errichtung eines Inventars nicht zu erwarten) liege im Anlassfall nicht vor, weil der Sohn als Alleinerbe aufgrund des Gesetzes zum gesamten Nachlass eine unbedingte Erbantrittserklärung abgegeben habe und nach seiner Vermögenserklärung den Aktiven im Wert von 103.499,48 EUR Passiva von 3.870,50 EUR gegenüber stünden und sich Verlassenschaftsgläubiger bislang nicht gemeldet hätten.

Im Anlassfall sei die Genehmigung zu versagen, weil die Schenkung für die Verlassenschaft offenbar nachteilig wäre. Im Schrifttum werde darauf hingewiesen, dass bei gegenteiliger Auffassung der Erbe innerhalb der Grenzen des § 810 Abs 2 ABGB (also im Rahmen des außerordentlichen Wirtschaftsbetriebs mit abhandlungsgerichtlicher Genehmigung) sämtliche Möglichkeiten in der Hand hätte, über das Vermögen nach freiem Belieben zu verfügen und sämtliche Rechtshandlungen vorzunehmen, also beispielsweise auf das gesamte Nachlassvermögen zuzugreifen und dieses etwa zu verschenken. Dieser Möglichkeit sei wegen der Tragweite solcher Verfügungsmöglichkeiten entgegenzutreten. Der Nachlass sei eine nach § 21 Abs 1 ABGB geschützte Vermögensmasse, und es gelte nach wie vor uneingeschränkt das Prinzip des Eigentumserwerbs durch Einantwortung. Nach Einantwortung stehe dem Erben die Veräußerung von Nachlassgegenständen ‑ innerhalb der Grenzen des Anfechtungsrechts ‑ frei. Vor Einantwortung zähle der Nachlass hingegen nicht zum Vermögen des Erben, sondern der Erbe stehe dem Nachlass selbst dann, wenn er ein Recht auf Benützung, Verwaltung und Vertretung habe, als einem ihm fremden Vermögen gegenüber. Auch wenn es nach den Gesetzesmaterialien kein Versagungsgrund sei, dass die Handlung möglicherweise nicht von besonderem Vorteil sei, könne eine Genehmigung nach § 810 Abs 2 ABGB nur dann erteilt werden, wenn das Gesamtkonzept des Rechtsgeschäfts für die Verlassenschaft vorteilhaft, also ohne Nachteil sei. Nur solche Handlungen könnten genehmigt werden, die der Sicherung und Erhaltung des Nachlassvermögens dienten, nicht aber solche, die den Nachlass (wesentlich) verminderten und damit zu einem offenbaren Nachteil für die Verlassenschaft führten. Genehmigungsfähig seien demnach nur solche Vertretungshandlungen, die dazu dienten, Nachteile für das Verlassenschaftsvermögen abzuwehren, nicht aber solche, die in Vorwegnahme der Einantwortung dem Erben Vermögenswerte zukommen ließen, also die Eigentumsverhältnisse zu Lasten der juristischen Person „ruhender Nachlass“ abänderten. Die Genehmigung des Schenkungsvertrags über Liegenschaftsvermögen der Verlassenschaft sei als für die Verlassenschaft offenbar nachteilig zutreffend versagt worden.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Der erbantrittserklärte Erbe und Antragsteller macht geltend, seit Aufhebung der Erbschafts- und Schenkungssteuer erspare sich der Erbe im Fall der Veräußerung von Liegenschaftsvermögen die Grunderwerbssteuer, falls schon die Verlassenschaft die Veräußerung durchführe. Verweigere man dem erbantrittserklärten Erben die gerichtliche Genehmigung der Veräußerung, führe dies zu einer nicht gerechtfertigten Einschränkung der Privatautonomie der Verlassenschaft. Die Veräußerungsmöglichkeit bei Liegenschaften von Minderjährigen stelle auf einen „offenbaren Vorteil“ ab, nach § 810 ABGB dürfe hingegen nur kein „offenbarer Nachteil“ vorliegen. Das Verlassenschaftsgericht sei nicht dazu berufen, den Erben vor sich selbst zu schützen. Interessen Dritter wären im Fall der Veräußerung nicht gefährdet: Vor Einantwortung könnten Gläubiger die Nachlassseperation begehren, danach greife die pro-viribus-Haftung. Es seien zudem noch drei weitere unbelastete Wohnungen Teil der Verlassenschaft. Eine Schenkung gereiche der Verlassenschaft nicht offenbar zum Nachteil, sondern sei Ausdruck der Privatautonomie der Verlassenschaft, Verträge abzuschließen.

1. Der Oberste Gerichtshof erachtet die Begründung des Rekursgerichts für zutreffend und verweist auf dessen Ausführungen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

2. § 810 Abs 2 ABGB idF FamErbRÄG 2004 BGBl I 2004/58 lautet: Verwaltungs- und Vertretungshandlungen vor Abgabe von Erbantrittserklärungen zur gesamten Verlassenschaft sowie alle Veräußerungen von Gegenständen aus dem Verlassenschaftsvermögen bedürfen der Genehmigung des Verlassenschaftsgerichts, wenn sie nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehören. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die Handlung für die Verlassenschaft offenbar nachteilig wäre.

3. Die Materialien (ErläutRV 471 BlgNR 22. GP 31 f) gehen davon aus, dass § 810 ABGB inhaltlich nicht weiter angetastet, aber praktikabler gestaltet werden soll. „Nicht einmal die Veräußerung einzelner Gegenstände muss stets der Kontrolle unterworfen werden, um die Interessen Anderer zu wahren. Die Veräußerung der Nachlassgegenstände nach Einantwortung steht den Erben jedenfalls (in den Grenzen des Anfechtungsrechts) frei, vor Einantwortung haben die Gläubiger immerhin die Nachlassseparation zur Verfügung. Auch bei ungünstigen Veräußerungsgeschäften führt die Haftung pro viribus (nicht cum viribus) ‑ also bis zum Wert der Verlassenschaftsgegenstände, nicht aber nur mit den Verlassenschaftsgegenständen ‑ zu keiner rechtlichen Verschlechterung der Gläubigerstellung. Es gibt daher nur zwei Fälle, in denen die Bedenken gegen ein von den antrittserklärten und dadurch verwaltungsbefugten Erben geplantes Rechtsgeschäft die Interessen an der Privatautonomie deutlich überwiegen: erstens (und primär zum Schutz anderer potentieller Erben) dann und solange, als nur einzelne, sich möglicherweise bloß auf einen geringen Bruchteil der Verlassenschaft beziehende Antrittserklärungen vorliegen, wenn also etwa nur ein Erbe zu einem Zwölftel die Erbschaft angetreten hat und daraufhin die gesamte Verlassenschaft zu verwalten und zu vertreten befugt wäre; zweitens (primär zum Gläubigerschutz) dann und solange, als eine Veräußerung die Inventarserrichtung konterkarieren würde, weil die noch zu beschreibenden und schätzenden Gegenstände mittlerweile veräußert wurden. […] Abs 2 letzter Satz gibt eine Entscheidungsanweisung, wonach die Genehmigung dann zu versagen ist, wenn die Handlung für die Verlassenschaft jedenfalls offenbar nachteilig wäre. Dass sie möglicherweise nicht von besonderem Vorteil ist, ist dagegen kein Versagungsgrund.“

4. Spitzer (Benützung, Verwaltung und Vertretung des Nachlasses [§ 810 ABGB neu], NZ 2006/8) tritt für eine generelle Genehmigungspflicht für Geschäfte des außerordentlichen Wirtschaftsbetriebs ein.

Mondel (Die praktische Handhabung der Benützung, Verwaltung und Vertretung des Nachlasses, NZ 2006, 232 ff; beiden folgend Tschugguel, iFamZ 2008/30) schließt sich dieser Auffassung an und weist darauf hin, dass sämtliche Vertretungshandlungen, seien sie innerhalb oder außerhalb des ordentlichen Wirtschaftsbetriebs, immer nur solche Handlungen sein könnten, die Nachteile für das Verlassenschaftsvermögen abwehren sollten, nicht aber solche, die lediglich darauf gerichtet seien, in Vorwegnahme der Einantwortung dem Erben Vermögenswerte zukommen zu lassen, also die Eigentumsverhältnisse zu Lasten der juristischen Person 'ruhender Nachlass' abzuändern.

4. Auszugehen ist davon, dass der Nachlass vor der Einantwortung nicht Vermögen der Erben ist, vielmehr stehen die Erben dem Nachlass, selbst wenn ihnen dessen Verwaltung und Benützung übertragen wurde, als einem ihnen fremden Vermögen gegenüber (RIS-Justiz RS0008181). Das Gesetz unterscheidet folgerichtig im Verlassenschaftsverfahren auch zwischen dem Stadium nach Einantwortung, in dem dem Erben das Vollrecht zusteht, und jenem davor liegenden Stadium, in dem dem Erben ein Teil der ihm künftig einzuräumenden Rechte, nämlich das Verwaltungsrecht, übertragen werden kann (vgl RIS-Justiz RS0008156).

5. Nach der Rechtsprechung vor Inkrafttreten des FamErbRÄG 2004 durfte das Gericht die Veräußerung von Nachlassvermögen gestatten, wenn die Veräußerung weder dem letzten Willen des Erblassers widersprach noch die Interessen anderer am Nachlass beteiligter Personen verletzte (RIS-Justiz RS0008210). Der Nachlass sollte bis zur Einantwortung ungeschmälert erhalten bleiben (4 Ob 328/97g mwN; RIS-Justiz RS0008210 [T3]). An diesen Grundsätzen ist auch nach neuer Rechtslage festzuhalten.

6.1. Die Besonderheit einer Schenkung durch den Nachlass als Geschenkgeber liegt darin, dass dadurch ‑ anders als bei entgeltlichen Veräußerungsvorgängen ‑ das Nachlassvermögen verringert wird, ohne dass dem Nachlass gleichzeitig eine Gegenleistung zufließt.

6.2. Soll das Konzept des Nachlasserwerbs durch den Erben mittels Einantwortung nicht völlig aufgegeben werden (wofür die aus den Materialien erkennbaren Motive des Gesetzgebers keinerlei Anhaltspunkt liefern), ist kein Grund ersichtlich, dem erbantrittserklärten Erben schon vor diesem Zeitpunkt auch solche Rechtshandlungen zu gestatten, die seine uneingeschränkte Verfügungsgewalt über das erblasserische Vermögen und damit ein erst mit Einantwortung zu erwerbendes Vollrecht voraussetzen.

6.3. Die schenkungsweise Hingabe von Nachlassvermögen ohne dem Nachlass gleichzeitig zufließende Gegenleistung führt regelmäßig zu einer Schmälerung des Nachlassvermögens und ist deshalb grundsätzlich offenbar nachteilig iSd § 810 Abs 2 ABGB.

6.4. Dass eine Schenkung der Verlassenschaft aus besonderen Gründen trotz der damit verbundenen Vermögensverminderung ausnahmsweise nicht offenbar zum Nachteil gereicht, muss der eine Schenkung aus der Verlassenschaft anstrebende erbantrittserklärte Erbe behaupten und beweisen. Die eine Schenkung ausnahmsweise rechtfertigenden Gründe müssen zudem bei der Verlassenschaft vorliegen. Solche Gründe wurden im Anlassfall nicht vorgebracht.

Dass infolge der Schenkung beim erbantrittserklärten Erben keine Grunderwerbssteuer anfällt, beseitigt ebenso wenig die Eigenschaft der Schenkung als für die Verlassenschaft offenbar nachteilig wie der Umstand einer sittlichen Verpflichtung des erbantrittserklärten Erben gegenüber dem Geschenknehmer.

7. Dem Revisionsrekurs ist deshalb ein Erfolg zu versagen.

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