OGH 12Os10/12f

OGH12Os10/12f13.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. März 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Brandstetter als Schriftführer in der Strafsache gegen Heinz L***** wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall, 15 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wr. Neustadt als Schöffengericht vom 8. November 2011, GZ 37 Hv 30/11k-29, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Freispruch unberührt bleibt, im Schuldspruch und demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.

Mit der Berufung wird der Angeklagte hierauf verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch des Angeklagten enthaltenden Urteil wurde Heinz L***** des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall, 15 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er (in P*****; US 3) „mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Getäuschten sich unrechtmäßig zu bereichern, Verfügungsberechtigte des Amts der Niederösterreichischen Landesregierung durch Täuschung über Tatsachen zur Auszahlung von tatsächlich nicht zustehenden Zulagen, sohin zu Handlungen, die das Land Niederösterreich am Vermögen schädigten bzw schädigen sollten,

I./ verleitet, und zwar im Zeitraum vom 1. April 2009 bis 30. November 2009 durch die Vorgabe der Verrichtung einer den Anforderungen eines Schülerberaters entsprechenden Tätigkeit in Gesamthöhe von 1.385,26 Euro,

II./ zu verleiten versucht, und zwar durch die Vorspiegelung, die in den Janos-Monatsmeldungen verzeichneten Mehrdienstleistungen tatsächlich erbracht zu haben,

1./ im Zeitraum vom 7. September 2009 bis 30. September 2009 in Höhe von 1.430 Euro,

2./ im Zeitraum vom 1. Oktober 2009 bis 31. Oktober 2009 in Höhe von 1.430 Euro,

3./ im Zeitraum vom 1. November 2009 bis 30. November 2009 in Höhe von 1.001 Euro, wobei er den Betrug mit einem 3.000 Euro übersteigenden Schaden und überdies gewerbsmäßig beging bzw zu begehen suchte“.

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs 1 Z 3 und 5 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Dem Beschwerdevorbringen (Z 3) zuwider bedurfte es keiner Entbindung der in der Hauptverhandlung vernommenen, im Schuldienst tätigen Zeugen von der Amtsverschwiegenheit. Es fällt nämlich nicht alles, worüber ein Beamter als Zeuge gehört werden soll, unter das Amtsgeheimnis im Sinn der ein Vernehmungsverbot statuierenden Vorschrift des § 155 Abs 1 Z 2 StPO. Dieses umfasst vielmehr nur Umstände und Angelegenheiten, die dem Beamten dienstlich bekannt wurden und die wegen der möglichen Gefährdung von Dienstinteressen nicht öffentlich werden dürfen, an deren Geheimhaltung sohin der Staat ein solches Interesse hat, dass die Strafrechtspflege dagegen zurückzutreten hat. Hinsichtlich dienstlicher Wahrnehmungen zu einem Vorgang, der - wie hier durch den Bezirksschulrat N***** - den Strafverfolgungsbehörden aufgrund der gemäß § 78 StPO für Behörden und öffentliche Dienststellen bestehenden Anzeigepflicht zur Kenntnis gebracht wurde, besteht hingegen gemäß § 155 Abs 2 StPO keine Verpflichtung zur Verschwiegenheit, weil ein bereits mitgeteilter Umstand aufhört, ein Geheimnis zu sein (RIS-Justiz RS0097877, RS0054660).

Zutreffend macht der Beschwerdeführer aber dem Urteil anhaftende Begründungsmängel (Z 5) geltend:

Zum Schuldspruchspunkt I./ fehlt eine ausreichende Begründung (Z 5 vierter Fall) der Urteilsannahmen zur vorsätzlichen Täuschung Bediensteter des Amts der Niederösterreichischen Landesregierung über seine Berechtigung zum Bezug der Schülerberaterzulage durch die entsprechenden Eintragungen des Angeklagten in den „Janos“-Monatsmeldungen (US 3).

Dass der Angeklagte - seiner Verantwortung zuwider - ab 1. April 2009 davon „ausgehen musste“, dass nunmehr nicht ihm, sondern Andrea K***** diese Zulage zustand, weil sie ihm Ende März mitgeteilt hatte, den erforderlichen (Grund-)Kurs absolviert und somit die Voraussetzungen für den Bezug der dem Schülerberater zustehenden Zulage erfüllt zu haben (US 9), reicht dazu nicht hin.

Abgesehen von der mangelnden Eindeutigkeit dieser Aussage zum Wissenstand des Angeklagten geht daraus allein nämlich nicht hervor, inwiefern dieser im Weg der ihm vorgesetzten Schulbehörden (Bezirksschulrat N***** und Landesschulrat für Niederösterreich) gegenüber den beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung für die Anweisung seiner Bezüge zuständigen Beamten betrugsrelevante falsche Tatsachen behauptet hätte. Dies vor dem Hintergrund, dass nach dem die „Schülerberatung an Hauptschulen“ regelnden Grundsatzerlass des Bundesministerium für Unterricht und Kunst vom 27. April 1993, Zl 33.523/1-V/8/93 Punkt 6.3. (ON 18), die Auswahl des Schülerberaters in die Kompetenz des Schulleiters fällt und nach der Änderung dieses Grundsatzerlasses mit Erlass vom 3. April 1995, GZ 33.545/4-V/8/95 (ON 18), die Entlohnung der Tätigkeit nach den einschlägigen besoldungsrechtlichen Vorschriften sofort nach Betrauung mit den Agenden des Schülerberaters zu erfolgen hat. Demnach stand grundsätzlich also demjenigen, den der Angeklagte in seiner Funktion als Schulleiter mit den Agenden der Schülerberatung betraut hatte, die Schülerberaterzulage zu.

Dass der Angeklagte dem im Grundsatzerlass (unter anderem) genannten Kriterium, Lehrer als Schülerberater auszuwählen, die nicht mit den umfassenden Aufgaben der Schulleitung betraut sind (6.2.), nicht Rechnung getragen, sondern sich selbst als solchen eingesetzt hat, vermag an der offenbar unzureichenden Begründung der Urteilsannahme vorsätzlicher Täuschung der Schulbehörden bzw des Amts der Niederösterreichischen Landesregierung nichts zu ändern, weil dieser Umstand ja offenkundig war.

Zu den Schuldspruchspunkten II./1./ bis 3./ ist die Begründung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite insofern unvollständig (Z 5 zweiter Fall), als sie eine erhebliche Aussage der Zeugin H***** mit Stillschweigen übergeht, nämlich dass sich der Angeklagte in einem Telefongespräch Ende November 2009 bei ihr dafür bedankt habe, dass die „Mehrdienstleistungen“ nicht ausbezahlt worden seien (ON 24 S 108).

Ausgehend davon, dass die „Janos“-Monatsmeldung, aus der sich auch die jeweilige Lehrfächerverteilung und allfällige Mehrdienstleistungen der Lehrer ergeben, jeweils „um den Dritten“ des Folgemonats erstattet wird (vgl die Angaben der Zeugin H***** vor der Polizei, ON 18), ist diese Bekundung des Angeklagten aber ein erhebliches Indiz dafür, dass ihm (jedenfalls) unmittelbar vor der inkriminierten, Anfang Dezember vorgenommenen Erstellung dieser Meldung für November (II./3./) schon bekannt war, dass die Unrichtigkeit seiner Eintragungen betreffend die von ihm angeblich in den Monaten September und Oktober 2009 gehaltenen Unterrichtsstunden an maßgeblicher Stelle, nämlich der zuständigen Beamtin beim Landesschulrat für Niederösterreich, bereits aufgefallen war und es nicht zu einer dementsprechenden Auszahlung an ihn kam bzw kommen würde.

Der Umstand, dass er dennoch die inkriminierte Monatsmeldung für November 2009 und - wie die Zeugin H***** ferner deponierte (ON 24 S 116) - auch die folgenden Monatsmeldungen in gleicher Weise falsch ausfüllte - und zwar bis zu seiner, im Mai 2010 schriftlich durch den Landesschulrat für Niederösterreich erfolgten Unterweisung betreffend die richtige Vorgangsweise -, wäre nicht nur in Ansehung der Monatsmeldung für November 2009, sondern auch betreffend die Monatsmeldungen für September und Oktober 2009 bei der Beurteilung der Frage, ob der Angeklagte dabei mit Täuschungs- und Bereicherungsvorsatz gehandelt hat, von erheblicher Bedeutung. Er hat dies nämlich stets bestritten und sich von Anfang an (auch) darauf berufen, dass die - aus seiner Sicht aber erforderliche - Eintragung einer „Bundeslehrerin“, die seit der Umstellung der Hauptschule P***** auf eine Neue Mittelschule im September 2009 an dieser Schule unterrichtete, im „Janos“-System „nicht möglich“ gewesen sei, weshalb er die von dieser Lehrkraft gehaltenen Stunden - zur vollständigen Erfassung aller Unterrichtsstunden - für sich eingetragen habe (ON 15 S 71 f, ON 24 S 25 ff).

Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die Tatrichter bei entsprechender Berücksichtigung der oben angeführten Zeugenaussage zu einer günstigeren Lösung bei der Beurteilung der Schuldfrage gelangt wären. Eine Neudurchführung des Verfahrens erweist sich somit als unvermeidlich.

Ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen erübrigt sich demnach.

Das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, war daher in seinem schuldigsprechenden Teil (I./ und II./1./ bis 3./) sowie demzufolge im Strafausspruch aufzuheben und dem Erstgericht die neue Verhandlung und Entscheidung aufzutragen.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Anzumerken bleibt, dass im zweiten Rechtsgang auch zu prüfen sein wird, ob das Verhalten des Angeklagten - wenn überhaupt, nämlich vor allem in subjektiver Hinsicht - dem Tatbestand des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB zu subsumieren ist.

Eine allgemein strafbare Handlung, wie etwa Betrug, wird nämlich vom Tatbestand des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 StGB als einem echten (Missbrauchs-)Sonderdelikt unter der Voraussetzung, dass sie nicht mit strengerer Strafe bedroht ist als dieser, komsumiert (RIS-Justiz RS0096344, RS0091432).

Nach § 302 Abs 1 StGB ist ein Beamter zu bestrafen, der mit dem Vorsatz, dadurch einen anderen in seinen Rechten zu schädigen, seine Befugnis im Namen des Bundes, eines Landes, eines Gemeindeverbandes, einer Gemeinde oder einer anderen Person des öffentlichen Rechts als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht.

Amtsgeschäfte sind Rechtshandlungen und alle anderen gleichwertigen Verrichtungen, die zur unmittelbaren Erfüllung der Vollzugsaufgaben eines Rechtsträgers dienen, also zum eigentlichen Gegenstand des Amtsbetriebs gehören und für die Erreichung der amtsspezifischen Vollzugsziele relevant sind (RIS-Justiz RS0096016, RS0096903). In Vollziehung der Gesetze werden sie vorgenommen, wenn sie in den Bereich der Hoheitsverwaltung fallen. Hoheitsverwaltung ist jener Bereich der Verwaltung, in dem der Rechtsträger den Normunterworfenen im Verhältnis der Überordnung entgegentritt und sich zur Durchsetzung seiner Verwaltungsziele hoheitlicher Rechtsformen bedient (vgl Marek/Jerabek, Korruption und Amtsmissbrauch4 § 302 Rz 25).

Die Schulverwaltung fällt im Kern in den Bereich der Hoheitsverwaltung. Gleiches gilt grundsätzlich für besoldungsrechtliche Angelegenheiten und damit im Zusammenhang stehende Verfügungen, die im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehende Beamte betreffen.

Nur wenn ein Beamter bei Geltendmachung seiner Gebühren als Partei in einem (eigenen) Verwaltungsverfahren auftritt, wird er nicht als Organ einer der in § 302 StGB genannten Gebietskörperschaften oder einer anderen Person des öffentlichen Rechts in Vollziehung der Gesetze amtlich tätig (vgl RIS-Justiz RS0096420). Solcherart unterfällt etwa die Legung falscher Reiserechnungen durch Beamte nicht dem Tatbestand des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 StGB, sondern wäre unter Umständen (nur) als Betrug zu beurteilen (vgl 12 Os 100/73 = JBl 1974/213).

Fallbezogen fällt die Erstellung der jährlich im September zu erstattenden Grundmeldung, die die gesamte Lehrfächerverteilung, die Berechnungsdaten der Lehrer, die Klassen- und die Schülerzahl, die Dauermehrdienstleistungen, die Klassenvorstandsvergütungen und sonstige Zulagen umfasst, ebenso wie die der darauf basierenden monatlichen Folgemeldungen des jeweiligen Schulleiters im Verrechnungssystem Janos in mehrfacher Hinsicht in den Bereich der Hoheitsverwaltung. Diese Meldungen liefern nämlich nicht nur Daten für die Besoldung (auch) der in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehenden Lehrer, sie sind zudem ein Instrument der Planstellenbewirtschaftung (vgl die Aussagen der Zeugen A***** ON 28 S 71 und H***** ON 18).

Unbeschadet dessen, dass der Schulleiter unter Umständen damit auch eigene Zulagen anspricht, wird er bei der Erstellung dieser Meldungen als Organ des jeweiligen Rechtsträgers in Vollziehung der Gesetze tätig.

Gleiches gilt für die in die Kompetenz des Schulleiters fallende Auswahl eines Lehrers als Schülerberater.

Mit Blick auch hierauf wird das Landesgericht Wr. Neustadt im zweiten Rechtsgang die entsprechenden Feststellungen zu treffen und tragfähig zu begründen haben.

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