OGH 3Ob32/12w

OGH3Ob32/12w22.2.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei Verein für Konsumenteninformation, Wien 6, Linke Wienzeile 18, vertreten durch Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die verpflichtete Partei W***** SE, *****, vertreten durch Doralt Seist Csoklich Rechtsanwalts-Partnerschaft in Wien, wegen Unterlassung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 27. Dezember 2011, GZ 47 R 554/11k-9, womit infolge Rekurses der betreibenden Partei der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 13. Oktober 2011, GZ 72 E 3783/11d-4, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs der verpflichteten Partei wird dahin Folge gegeben, dass der antragsabweisende Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die betreibende Partei hat die Kosten ihres Rekurses ON 5 selbst zu tragen.

Die betreibende Partei ist schuldig, der verpflichteten Partei die mit 840,60 EUR (darin 140,10 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses zu ersetzen.

Text

Begründung

Die verpflichtete Partei ist aufgrund des Urteils des Handelsgerichts Wien vom 29. Mai 2007 verpflichtet, „im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie von ihr geschlossenen Verträgen zugrundelegt und/oder in hiebei verwendeten Vertragsformblättern die Verwendung der Klauseln:

1. Wird der Vermögensverwaltungsvertrag vor Ablauf der Vertragslaufzeit (vgl. Pkt. 1.1. erster Satz) ordentlich oder außerordentlich gekündigt, so hat der Auftraggeber der K***** als Abgeltung für die ausstehende weitere monatliche Gebühr für Vermittlungsleistung (vgl. Pkt. 4.1.) einen sich aus folgender Rechnung ergebenden Prozentsatz des Veranlagungsbetrages sofort zu bezahlen: auf die Dauer lt 4.1. fehlende Monate x anzuwendender Faktor (vgl. Pkt. 4.1.) abzüglich [(auf die Dauer lt. 4.1. fehlende Monate x anzuwendender Faktor (vgl. Pkt. 4.4)) x (0,0018 x auf die Dauer lt. 4.1. fehlende Monate)].

2. Übertragung des Vermögensverwaltungs-vertrages auf ein österreichisches Kreditinstitut.

K***** ist berechtigt, das aus dem Abschluss des Vermögensverwaltungsvertrages resultierende Vertragsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten einem österreichischen Kreditinstitut zu übertragen. Eine solche Übertragung setzt voraus, dass diesem Kreditinstitut zugleich auch alle anderen aufrechten Vermögensverwaltungsverhältnisse übertragen werden, die K***** mit anderen Auftraggebern zu den vorliegenden Bedingungen abgeschlossen hat.

oder die Verwendung sinngleicher Klauseln zu unterlassen; weiters es zu unterlassen, sich auf die vorstehend genannten Klauseln zu berufen, soweit diese unzulässigerweise vereinbart worden sind.

In ihrem am 24. August 2011 überreichten Exekutionsantrag brachte die betreibende Partei vor, die verpflichtete Partei habe sich nach Eintritt der Vollstreckbarkeit in ihren Stellungnahmen gegenüber vier Kunden jeweils einerseits auf § 1014 ABGB sowie auf ergänzende Vertragsauslegung berufen. Damit habe sie sich „im Ergebnis“ aber doch verbotenerweise auf die unzulässige Klausel (Punkt 1. des Exekutionstitels) berufen, weil die genannten Anspruchsgrundlagen untauglich seien. Damit übe im Ergebnis „die verpflichtete Partei ihre Rechtsposition somit weiterhin auf der Grundlage der inkriminierten Klausel aus“.

Den mit dem Exekutionsantrag vorgelegten Urkunden ist zu entnehmen, dass die verpflichtete Partei auf die Kündigungen ihrer Kunden mit Bestätigungsschreiben reagierte, in denen „die noch aushaftende, für die Vermittlung Ihres Vermögensverwaltungsvertrags bevorschusste Provision“ in Rechnung gestellt wurde, ohne dabei auf die Rechtsgrundlage oder die Ermittlungsmethode der Höhe nach Bezug zu nehmen. Erst in den ebenfalls vorgelegten Antwortschreiben der verpflichteten Partei auf Reklamationen (ua) der betreibenden Partei wurde auf „eine aus ergänzender Vertragsauslegung und Gesetz gewonnene Neuregelung“ verwiesen.

Das Erstgericht wies den Exekutionsantrag mit der Begründung ab, dass sich die verpflichtete Partei nicht auf die im Spruch genannte Klausel 1 des Urteils berufen habe. Ob die verpflichtete Partei berechtigt sei, nach § 1014 ABGB oder im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ihre Ansprüche geltend zu machen, sei in einem Zivilprozess zu klären.

In Abänderung des erstgerichtlichen Beschlusses bewilligte das Rekursgericht die beantragte Exekution und verhängte über die verpflichtete Partei eine Geldstrafe von 35.000 EUR; die Revisionsrekursbeantwortung der verpflichteten Partei sowie eine Urkundenvorlage wies es zurück.

Die Exekution nach § 355 EO dürfe nur bewilligt werden, wenn das behauptete konkrete Verhalten des Verpflichteten titelwidrig sei. Ein Verstoß gegen eine Unterlassungsverpflichtung werde am Inhalt des Exekutionstitels gemessen. Es kommt also - zumindest im Grundsatz - nicht darauf an, was die verpflichtete Partei nach dem Gesetz, sondern was sie nach dem Exekutionstitel zu unterlassen habe. Die Entscheidung über den Exekutionsantrag habe sich also streng an den Titel zu halten, doch sei zur Sinnermittlung eines Verbots, das sich auf eine bestimmte Rechtsnorm gründe, die Ausübungspraxis zu dieser Norm durchaus heranzuziehen; insoweit sei - ausgehend vom Titel - ein Rückbezug auf das dahinterstehende materielle Recht möglich.

Da es praktisch unmöglich sei, im Titel alle nur denkbaren Eingriffshandlungen zu beschreiben, die den gleichen verpönten Erfolg herbeiführen können, dürfe die Bestimmtheit des Unterlassungsbegehrens nicht allzu streng beurteilt werden.

Nach dem Exekutionstitel sei es der verpflichteten Partei untersagt, bei Kündigung des Vermögensverwaltungsvertrags eine Gebühr auf Basis eines näher beschriebenen Berechnungsvorgangs zu verlangen. Gegen diese Verpflichtung habe die verpflichtete Partei verstoßen, indem sie gegenüber bestimmten Kunden nach Kündigung des Vermögensverwaltungsvertrags eine Provisionsforderung auf Basis dieses Berechnungsvorgangs in Rechnung gestellt habe. In diesem Zusammenhang sei es unbeachtlich, ob der verpflichteten Partei allenfalls nach dem Gesetz oder nach den Punkten 1.1 oder 4.1 Abs 1 der AGB ein derartiger Anspruch zustehe. Der Exekutionstitel untersage die Geltendmachung einer Provisionsforderung, die entgegen der Klausel 1 (Punkt 8.2. der AGB) berechnet worden sei. Auf die Bezeichnung des Rechtsgrundes komme es nicht an; maßgebend sei die inhaltsgleiche Anwendung des im Exekutionstitel näher angeführten Berechnungsvorgangs. Soweit sich die verpflichtete Partei auf ergänzende Vertragsauslegung der AGB stütze, handle es sich zumindest auch um die Verwendung einer sinngleichen Klausel, die ebenfalls nach dem Exekutionstitel verboten sei. Ob im Einzelfall eine zulässigerweise vereinbarte Provisionsforderung der verpflichteten Partei mit den einzelnen Kunden vereinbart worden sei, sei im Rahmen eines (Impugnations-)Prozesses zu klären.

Da das Rekursverfahren in Exekutionssachen grundsätzlich einseitig sei, sei die von der verpflichteten Partei erstattete Rekursbeantwortung unzulässig; die Urkundenvorlage der verpflichteten Partei verstoße überdies gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig sei.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der verpflichteten Partei aus den Rechtsmittelgründen der Nichtigkeit, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch berechtigt.

Die verpflichtete Partei führt in ihrem Rechtsmittel zusammengefasst aus, das Verfahren zweiter Instanz sei wegen mehrfacher Verletzung des rechtlichen Gehörs und wegen Verletzung tragender Verfahrensgrundsätze nichtig bzw mangelhaft. Der zweitinstanzlichen Entscheidung lägen eine Aktenwidrigkeit, eine Verwertung überschießender Feststellungen sowie Denk- und Rechenfehler zugrunde. Jeder dieser Fehler begründe für sich allein eine erhebliche Rechtsfrage. Darüber hinaus habe das Rekursgericht die Einzelfallfrage in unvertretbarer Weise gelöst. Schließlich existiere keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob das Unterlassungsgebot aus einem Verbandsverfahren nach § 28 Abs 1 KSchG nur eine Berufung auf die im Titel angeführten Klauseln untersage oder auch die Berufung auf gesetzliche Ansprüche, die in der von den Klauseln beschriebenen Situation kraft ergänzender Vertragsauslegung bzw dispositivem Recht zustünden.

Rechtliche Beurteilung

Dazu wurde erwogen:

1. Die betreibende Partei muss im Antrag auf Bewilligung einer Exekution gemäß § 355 EO ein konkretes Vorbringen über das Zuwiderhandeln der verpflichteten Partei gegen den Exekutionstitel erstatten (RIS-Justiz RS0000762; Jakusch in Angst 2 § 54 EO Rz 38). Es ist grundsätzlich nicht erforderlich, diese Behauptungen zu bescheinigen oder zu beweisen (RIS-Justiz RS0113988 [T1]). Eine Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit, ob der behauptete Verstoß tatsächlich gesetzt wurde, findet im Exekutionsbewilligungsverfahren nicht statt (vgl RIS-Justiz RS0113988 [T2]). Ergibt sich jedoch aufgrund der angebotenen Bescheinigungsmittel die Unrichtigkeit der Behauptung, so ist der Exekutionsantrag abzuweisen (RIS-Justiz RS0113988 [T4]).

2. In Übereinstimmung mit dem von ihr vorgelegten Schriftverkehr führt die betreibende Partei in ihrem Exekutionsantrag aus, dass die verpflichtete Partei ihren Anspruch auf Verrechnung ihrer Provisionsaufwendungen gegenüber vier Kunden nicht auf die verbotene Klausel (Punkt 1. des Titels), sondern auf § 1014 ABGB und auf ergänzende Vertragsauslegung gestützt habe. Da diese Anspruchsgrundlagen auch nicht als „sinngleiche Klauseln“ zu qualifizieren sind, hat die betreibende Partei keine ausreichende Behauptung aufgestellt, dass die verpflichtete Partei gegen Punkt 1. des Titels verstoßen hat.

In diesem Sinn ist die antragsabweisende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

3. Angesichts ihres Obsiegens in dritter Instanz ist die verpflichtete Partei durch die Zurückweisung ihrer Rekursbeantwortung durch das Rekursgericht nicht mehr beschwert.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO (§ 78 EO). Die verpflichtete Partei hat sich erfolgreich gegen den Antrag der betreibenden Gläubigerin auf Bewilligung der Exekution durchgesetzt.

In Bezug auf die Kosten der Rekursbeantwortung ist festzuhalten, dass das Rechtsmittelverfahren in Exekutionssachen - von hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen - einseitig ausgestaltet ist (RIS-Justiz RS0116198). Dieser Grundsatz, den die ZVN 2009 (BGBl I 2009/30) ausdrücklich in § 65 Abs 3 EO festgeschrieben hat (3 Ob 185/11v), gilt auch bei der Exekution nach § 355 EO (RIS-Justiz RS0118686 [T2]). Eine schematische Anwendung der auf die Feststellung streitiger Ansprüche im Erkenntnisverfahren zugeschnittenen Verfahrensgarantien des „fair trial“ für Zivilrechtssachen nach Art 6 Abs 1 EMRK würde dem Zweck des Exekutionsverfahrens nicht entsprechen (RIS-Justiz RS0116198 [T2]). Da es nicht auf Tatsachenfragen, sondern auf den Inhalt des Titels und die Behauptungen der betreibenden Partei ankam, war es nicht geboten, der verpflichteten Partei im Rekursverfahren rechtliches Gehör einzuräumen. Ihre vor einer Aufforderung durch das Rekursgericht eingebrachten Rekursbeantwortung diente daher nicht der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung, weshalb sie nicht zu honorieren ist.

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