OGH 14Os3/12s

OGH14Os3/12s24.1.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Jänner 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek in Gegenwart der Richteramtsanwärtin MMag. Linzner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Johann H***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, §§ 15, 12 zweiter und dritter Fall StGB, AZ 35 Hv 150/11z (vormals AZ 35 Hv 50/10t) des Landesgerichts St. Pölten, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 6. Dezember 2011, AZ 19 Bs 380/11p, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Johann H***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Der österreichische Staatsbürger Johann H***** wurde mit Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 22. Dezember 2010, GZ 35 Hv 50/10t-165 (nunmehr ON 53), (richtig:) des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, §§ 15, 12 zweiter und dritter Fall StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer zwölfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er an nicht mehr feststellbaren Orten in Belgien, Holland, Spanien und Österreich

(I) einige Wochen vor dem 12. Juli 2006 den abgesondert verfolgten Andreas G***** durch Anwerben als LKW-Lenker und Mitorganisation des Suchtmitteltransports dazu bestimmt, dass dieser vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge von zumindest 9,6 kg Cannabiskraut Reinsubstanz (Bruttomenge: 192 kg) und 11,98 kg Cannabisharz Reinsubstanz (Bruttomenge: 599 kg) durch heimliche und undeklarierte Beifracht zu den in den Fracht- und Zollpapieren als Gesamtladung ausgewiesenen Tarnladungen des von ihm durchgeführten LKW-Transports aus Belgien aus- und nach England einzuführen versuchte, wobei das geschmuggelte Suchtgift von den englischen Zollbehörden sichergestellt wurde, und

(II) von Winter 2006/2007 bis Mitte März 2007 durch Absprache der Beladung des als Transportfahrzeug verwendeten Lastzugs mit Suchtgift in Holland und dessen Weitertransport mit nicht ausforschbaren Hintermännern und Andreas G***** dazu beigetragen, dass der abgesondert verfolgte - vom hiefür bereits rechtskräftig verurteilten Andreas G***** dazu bestimmte - Walter A***** vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge von zumindest 5,22 kg Cannabisharz Reinsubstanz (Bruttomenge: 104,4 kg) und 5,87 kg Cannabisharz Reinsubstanz (Bruttomenge: 293,5 kg) durch heimliche und undeklarierte Beifracht von Holland nach Belgien einführte und in weiterer Folge von Belgien über die Fährverbindung Zeebrugge-Hull nach England ein- bzw auszuführen versuchte, wobei das geschmuggelte Suchtgift von den englischen Zollbehörden aufgegriffen wurde.

Mit Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs vom 30. August 2011, GZ 14 Os 48/11g-7, wurde das Urteil, das im Übrigen unberührt blieb, in teilweiser Stattgebung der dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten im Schuldspruch I und demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben, im Umfang der Aufhebung eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht St. Pölten verwiesen. Im Übrigen (demnach in Betreff des Schuldspruchs II) wurde die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen und der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft mit ihren Berufungen auf die Kassation des Strafausspruchs verwiesen.

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Wien der Beschwerde des Angeklagten gegen die am 7. November 2011 neuerlich beschlossene (ON 77) Fortsetzung der - nach seiner Festnahme am 9. November 2009 in Valencia/Spanien und Übergabe an die österreichischen Behörden am 27. November 2009 mit Beschluss des Einzelrichters des Landesgerichts St. Pölten vom 28. November 2009 über ihn verhängten (ON 28) und mehrfach fortgesetzten - Untersuchungshaft durch das Landesgericht St. Pölten nicht Folge und ordnete seinerseits die Fortsetzung der Haft aus den schon vom Erstgericht angenommenen Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit a und b StPO an (ON 82).

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen gerichteten Grundrechtsbeschwerde, die eine unrichtige Beurteilung der Haftgründe moniert und Unverhältnismäßigkeit der Haft behauptet, kommt keine Berechtigung zu.

Im Grundrechtsbeschwerdeverfahren kann die rechtliche Annahme einer der von § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren vom Obersten Gerichtshof nur dahin überprüft werden, ob sie aus den in der angefochtenen Entscheidung angeführten bestimmten Tatsachen (vgl § 174 Abs 3 Z 4 StPO; worunter das Gesetz die deutliche Bezeichnung der den Ausspruch über das Vorliegen entscheidender Tatsachen tragenden Gründe versteht) abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich angesehen werden müsste (RIS-Justiz RS0118185, RS0117806). Denn § 173 Abs 2 StPO verlangt nur, dass die angezogenen Haftgründe auf bestimmten Tatsachen beruhen, kennt als Vergleichsbasis des Willkürverbots mithin nur die in Anschlag gebrachten bestimmten Tatsachen, weshalb auch eine bei dieser Prognose unterbliebene Erwägung einzelner aus Sicht eines Beschwerdeführers allenfalls erörterungsbedürftiger Umstände nicht als Grundrechtsverletzung vorgeworfen werden kann (RIS-Justiz RS0117806).

Die vom Oberlandesgericht in seiner (demnach allein den Bezugspunkt der Grundrechtsbeschwerde bildenden) Entscheidung ins Treffen geführten Umstände einer durch mehrere Verurteilungen wegen Vermögensdelikten und eine in den Niederlanden erfolgte Abstrafung wegen mehrmaliger Verstöße gegen das dortige Suchtgiftgesetz (ON 75 und ON 84), sohin einschlägigen Vorstrafenbelastung sowie der ausgeklügelten Ausführung der hier nach der - insoweit unbestrittenen - dringenden Verdachtslage aus reinem Gewinnstreben begangenen massiven Verbrechen nach dem Suchtmittelgesetz in Zusammenhalt mit der "finanziell wenig gesicherten Situation“ des Angeklagten, lassen einen formal einwandfreien Schluss auf die nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO begründete Gefahr zu, er werde auf freiem Fuß eine strafbare Handlung mit schweren Folgen begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die ihm nunmehr angelasteten wiederholten Taten mit schweren Folgen.

Dem setzt der Beschwerdeführer durch den Hinweis auf eine angeblich seit Jahresanfang 2007 bis zu seiner Verhaftung aufrechte Berufstätigkeit in Spanien, die ihm die Bestreitung des eigenen sowie des Lebensunterhalts seiner Ehefrau problemlos ermöglichte, keine substantiellen Argumente entgegen und zeigt solcherart keine Willkür der bekämpften Prognoseentscheidung auf. Indem er die Annahmen des Beschwerdegerichts zu seinen Vermögensverhältnissen als "vage“ und durch keine "nur irgendwie belastenden Beweisergebnisse“ getragen bezeichnet, verkennt er, dass die in der Begründung des Haftbeschlusses zum Ausdruck kommende sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung bloß einzelner von mehreren erheblichen Umständen, die erst in der Gesamtschau mit anderen die Prognoseentscheidung tragen, nach § 10 GRBG iVm § 281 Abs 1 Z 5 StPO nicht in Frage gestellt werden kann, es sei denn, eine als willkürlich kritisierte bestimmte Tatsache bildete - anders als hier - erkennbar eine notwendige Bedingung für die Prognose (RIS-Justiz RS0117806 [T3]).

Eine Erörterung der Einwände gegen die vom Oberlandesgericht ebenso - im Übrigen erneut willkürfrei - als bestehend angesehene Fluchtgefahr erübrigt sich, weil bei gegebenem dringenden Tatverdacht bereits ein Haftgrund die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt (RIS-Justiz RS0061196).

Mit Blick auf den bereits in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, § 15 dritter Fall StGB in Bezug auf die Aus- und (versuchte) Einfuhr von zumindest 5,22 kg Cannabisharz Reinsubstanz (Bruttomenge: 104,4 kg) und 5,87 kg Cannabisharz Reinsubstanz (Bruttomenge: 293,5 kg) und den nach der angenommenen Verdachtslage begangenen weiteren Schmuggel von 192 kg Cannabiskraut und 599 kg Cannabisharz sowie den im Inland gegebenen Strafrahmen von einem bis zu fünfzehn Jahren steht die Haftdauer von etwas über zwei Jahren im Zeitpunkt der bekämpften Entscheidung - dem Beschwerdestandpunkt zuwider trotz noch nicht konkret feststehenden Tatorts und damit der nach den dortigen Gesetzen bestehenden Strafdrohung, deren Erhebung aber bei nicht im Inland gelegenem Tatort erforderlich sein wird (§ 65 Abs 2 StGB) - nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache oder der zu erwartenden Strafe (§ 173 Abs 1 zweiter Satz StPO).

Somit wurde der Angeklagte im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb seine Beschwerde in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ohne Kostenausspruch abzuweisen war (§ 8 GRBG).

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