OGH 1Ob239/11w

OGH1Ob239/11w22.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) H***** K*****, und 2.) M***** K*****, beide vertreten durch Dr. Franz Hitzenbichler und Dr. Bernhard Zettl, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei Gemeinde H*****, vertreten durch Dr. Harald Schwendinger und Dr. Brigitte Piber, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 70.927,68 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 7. September 2011, GZ 4 R 103/11m-10, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 18. April 2011, GZ 12 Cg 28/10f-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1.) Zutreffend verweisen die Revisionswerber - in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht - darauf, dass eine Verletzung der „Rettungspflicht“ des § 2 Abs 2 AHG nur dann zum Anspruchsverlust führt, wenn dem Geschädigten die Unterlassung eines „Rechtsmittels“ als Sorglosigkeit im Umgang mit seinen eigenen Rechtsgütern vorzuwerfen ist (RIS-Justiz RS0027565). Dabei kommt es einerseits auf die konkreten Kenntnisse und Fähigkeiten des Geschädigten und andererseits auf die gesamten Begleitumstände seines Verhaltens an (1 Ob 287/03t = RIS-Justiz RS0027565 [T3]). Geht es um das Nichtergreifen eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs in einem behördlichen Verfahren, ist in aller Regel eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten anzunehmen (RIS-Justiz RS0027565 [T1, T2]). Grundsätzlich soll nur für unverbesserliche Akte der Vollziehung Ersatz gewährt werden; der durch einen hoheitlichen Akt potentiell Geschädigte ist gehalten, zunächst die ihm vom Rechtsstaat zur Verfügung gestellten und eine Abwendung seines Schadens noch ermöglichenden Rechtsbehelfe auszunützen (RIS-Justiz RS0053077). In aller Regel ist es dem Betroffenen zumutbar, bei Zustellung eines Bescheids, dessen Rechtskraft ihm Schaden zufügen muss, die in Betracht kommenden Rechtsbehelfe zu ergreifen und sich, wenn ihm die erforderliche Rechtskenntnis fehlt, entsprechend fachlich beraten zu lassen; er darf hingegen grundsätzlich nicht die in Betracht kommenden Fristen tatenlos verstreichen lassen (RIS-Justiz RS0053146).

Das Berufungsgericht hat die dargelegten Grundsätze auf den konkreten Einzelfall angewendet. Eine bedenkliche Fehlbeurteilung, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte, liegt nicht vor, weshalb eine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage nicht zu beantworten ist.

2.) Unzutreffend ist die Beurteilung der Revisionswerber, die im unangefochten gebliebenen Bescheid über die Bewilligung eines Bauvorhabens auf dem Nachbargrundstück enthaltene Formulierung, die gesetzlich erforderlichen Mindestabstände würden „geringfügig unterschritten“, bringe ganz unmissverständlich zum Ausdruck, dass damit nur die zwischen den Grundstücksnachbarn getroffene Vereinbarung über eine Unterschreitung des Mindestabstands „bis etwa 0,5 m“ gemeint sein könne. Davon, dass das Wort „geringfügig“ gerade einen Absolutwert von (rund) 50 cm bezeichnen würde, kann schon nach allgemeinem Begriffsverständnis keineswegs die Rede sein. Umso weniger ist den Revisionswerbern mit ihrer Beurteilung zu folgen, die Behörde hätte nicht klarer und eindeutiger zum Ausdruck bringen können, dass die bewilligte Unterschreitung den ursprünglichen Vereinbarungen nicht widersprechen würde. Vielmehr wurde ein sehr unbestimmter Begriff verwendet, der für sich alleine keine ausreichende Aussagekraft besitzt. Wenn das Berufungsgericht unter diesen Umständen nun die Auffassung vertreten hat, die Kläger hätten ausreichenden Anlass gehabt, zur Wahrung ihrer Interessen in den der Baubewilligung zugrundeliegenden Bauakt Einsicht zu nehmen bzw fachkundige Beratung einzuholen, um den tatsächlich bewilligten Mindestabstand zu erfahren, kann dies nicht als eine unvertretbare Fehlbeurteilung qualifiziert werden.

3.) Die Zweitklägerin, die selbst zugesteht, dass sie die für den Erstkläger bestimmte Bescheidausfertigung gesehen hat und davon ausgegangen ist, dass eine eigene Zustellung an sie selbst nicht mehr erfolgen werde, hatte damit nicht nur denselben Anlass wie der Erstkläger, geeignete Schritte zu setzen, um sich Aufklärung über die unklare Formulierung über den bewilligten Mindestabstand zu verschaffen. Sie bestreitet auch nicht, dass ihr außerdem mit nachträglichen Einwendungen nach § 8a Salzburger BaupolizeiG 1997 ein - dem § 2 Abs 2 AHG zu unterstellender - Rechtsbehelf zu Gebote stand, binnen sechs Monaten ab Beginn der bewilligten Baumaßnahmen gegen eine gesetzwidrige Baubewilligung vorzugehen. Sie erhob derartige Einwendungen allerdings nicht, obwohl sie unmittelbar nach Baubeginn eine erhebliche Unterschreitung des gesetzlichen „Nachbarabstands“ wahrnahm. Vielmehr wandten sich die Kläger nur formlos an die Beklagte, die daraufhin die Baubewilligungswerber zur Einhaltung des gesetzlich erforderlichen Mindestabstands bzw zum Abschluss einer gütlichen Vereinbarung mit den Klägern aufforderte.

Die Zweitklägerin leitet die mangelnde Vorwerfbarkeit der Unterlassung eines Rechtsmittels gegen die Baubewilligung nicht etwa daraus ab, dass die Beklagte es unterlassen habe, sie aus Anlass ihrer formlosen Mitteilung auf die Möglichkeit von Einwendungen gemäß § 8a des Salzburger BaupolizeiG 1997 aufmerksam zu machen, oder dass es ihr aus bestimmten Gründen nicht zumutbar gewesen wäre, fachkundigen Rat über die rechtlichen Möglichkeiten einer (nachträglichen) Bekämpfung der Baubewilligung einzuholen. Sie führt lediglich aus, sie hätte mit einer Berufung nichts anderes als die bereits beschlossene Aufhebung des Baubewilligungsbescheids erreichen können. Was sie daraus für ihren Rechtsstandpunkt ableiten will, bleibt unklar, zumal die nachträgliche Aufhebung des Baubewilligungsbescheids nach den Feststellungen der Vorinstanzen ohne ausreichende Rechtsgrundlage erfolgt ist und daher über Anfechtung der Nachbarn im Rechtsmittelweg kassiert wurde. Hätte die Zweitklägerin die ihr gesetzlich zustehenden Einwendungen erhoben, hätte sich die Baubehörde damit spätestens nach Aufhebung ihres (unrichtigen) amtswegigen Aufhebungsbescheids beschäftigen müssen. Sollten die Revisionsausführungen so zu verstehen sein, dass auch zeitgerechte Einwendungen angesichts des sonstigen Verfahrensverlaufs erfolglos geblieben wären, könnte dem somit nicht beigetreten werden.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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