OGH 6Ob88/11a

OGH6Ob88/11a21.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** KEG, *****, vertreten durch Dr. Siegfried Leitner, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch Dr. Hans Böck, Rechtsanwalt in Wien, wegen 89.443,46 EUR, über die Rekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 24. Februar 2011, GZ 1 R 264/10s-57, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 8. Oktober 2010, GZ 12 Cg 173/07x-49, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Den Rekursen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die klagende Kommanditgesellschaft (vormals Kommanditerwerbsgesellschaft) schloss als Versicherungsagent iSd § 43 VersVG im August 2004 mit dem beklagten Versicherer einen schriftlichen Generalagenturvertrag zum Zweck der Vermittlung von Versicherungsverträgen bzw der Betreuung der Versicherungsnehmer.

Dessen Punkt 13. („Ansprüche bei Beendigung des Vertrages“) lautet auszugsweise folgendermaßen (die Klägerin ist als „GeneralAgentur“ bezeichnet):

Mit Beendigung des GeneralAgenturvertrages erlöschen die Ansprüche hinsichtlich aller Provisionen aus den von der GeneralAgentur vermittelten Verträgen, soferne sie nicht bereits vor Beendigung des Vertragsverhältnisses fällig geworden sind.

In nachfolgenden Fällen gebührt der GeneralAgentur eine Ausgleichszahlung (Ausgleichsanspruch):

1. Kündigung oder vorzeitige Lösung durch [Beklagte], ohne dass die GeneralAgentur oder deren Mitarbeiter oder PartnerAgenten einen durch schuldhaftes Verhalten begründeten Anlass dazu gegeben haben.

2. Vorzeitige Lösung durch die GeneralAgentur, wenn [Beklagte] durch schuldhaftes Verhalten einen begründeten Anlass dazu gegeben hat.

Im Falle der einvernehmlichen Vertragsauflösung besteht ein Ausgleichsanspruch nur dann, wenn dies einvernehmlich festgelegt wurde.

...

Eine bereits ausbezahlte Ausgleichszahlung kann rückgefordert werden, wenn der Anspruchsberechtigte eine Handlung begeht, die eine Beeinträchtigung oder Schmälerung des Geschäftsbestandes, oder der geschäftlichen Interessen von [Beklagter] nach sich zieht.

Die Klägerin hat einen nicht unwesentlichen Kundenstock aufgebaut, doch kam sie aufgrund des gesundheitlich bedingten Ausfalls der Komplementärin A***** F***** (in der Folge: Komplementärin) in berufliche und auch finanzielle Schwierigkeiten. Die Komplementärin wollte im Sommer 2007 in ein direktes Dienstverhältnis zur Beklagten im Bereich des Innendienstes wechseln und die klagende Gesellschaft stilllegen oder überhaupt in Frühpension gehen. In der Folge kam es zu Gesprächen zwischen der Komplementärin und einem Vertreter der Beklagten über allfällig in Frage kommende Modalitäten, insbesondere einer Vertragsbeendigung. Eine einvernehmliche Vertragsauflösung mit einem Zugeständnis einer Ausgleichszahlung der Beklagten für den Fall der vollständigen Geschäftseinstellung, der ordnungsgemäßen Übergabe des Kundenstocks an einen anderen Agenten, sowie allfällige Unterstützung desselben in Betreuung dieses Kundenstocks wurde angedacht. Es gab auch eine Art Vorberechnung dieses Ausgleichsanspruchs, der jedoch der Komplementärin zu gering erschien, sodass sie dies mit E-Mail vom 30. 7. 2007 monierte. Mit Antwortmail vom 1. 8. 2007 wurde die Richtigkeit der bereits vorgenommenen Berechnung bestätigt.

Aufgrund der aus diesem Schreiben zu entnehmenden Zusage der Zustimmung zu einer einvernehmlichen Auflösung unter Gewährung eines Ausgleichsanspruchs erklärte die Komplementärin mit E-Mail vom 30. 8. 2007 die „Kündigung des Dienstverhältnisses“ im beiderseitigen Einvernehmen per 1. 9. 2007. Mit E-Mail vom gleichen Tag bestätigte die Beklagte der Komplementärin, dass eine Abwicklung in Form einer einvernehmlichen Auflösung des Generalagenturvertrags über die Landesdirektion Steiermark durchgeführt werde.

Mit Schreiben vom 3. 9. 2007 bestätigte die Beklagte, sie werde eine Ausgleichszahlung in der von ihr errechneten - und letztlich im vorliegenden Verfahren geltend gemachten - Höhe (exklusive des Ausgleichsanspruchs für einen Subagenten der Klägerin) bezahlen, verlangte darin jedoch die Verpflichtung der Klägerin, keine Aktivitäten zur Abwerbung des abgelösten Kundenstocks zu setzen, den neuen Betreuer durch Information über diesen Kundenstock zu unterstützen und allfällige Kundenanfragen an diesen weiterzuleiten. Es wurde darauf hingewiesen, dass dieser errechnete Ablösebetrag innerhalb von drei Jahren zurückgefordert werden würde, wenn ein Verstoß gegen diese Punkte vorliegen sollte. Abschließend wurde ersucht, eine beiliegende Kopie des Schreibens unterfertigt zu retournieren.

Dieses Schreiben kam der Komplementärin jedoch erst Mitte September 2007 tatsächlich zu.

Die einzige Mitarbeiterin der Klägerin war bereits mit 1. 9. 2007 in ein Dienstverhältnis zu einem von der Beklagten verschiedenen Versicherer getreten, der gleichzeitig die Büroräumlichkeiten, die bisher von der Klägerin gemietet waren, anmietete und dort quasi eine Außenstelle errichtete. Diese Mitarbeiterin war in der Folge sowohl im Innendienst als auch im Außendienst für den neuen Versicherer tätig.

Nach Erhalt des Schreibens vom 3. 9. 2007 versuchte die Komplementärin bei der beklagten Partei nachzufragen, ob die geforderte Unterfertigung dieses Schreibens benötigt werde, wozu sie grundsätzlich bereit war. Die Mitarbeiterin der Beklagten erklärte, sie werde nachfragen, ausdrücklich forderte die Beklagte die Unterfertigung jedoch nicht mehr.

Mit einem weiteren Schreiben vom 5. 9. 2007 teilte ein Betreuer der Beklagten der Komplementärin mit, die Beklagte entspreche ausdrücklich dem Ansuchen auf einvernehmliche Vertragsauflösung, das Vertragsverhältnis sei daher rückwirkend per 1. 9. 2007 gelöst worden, eine Vertragsabrechnung werde vorgenommen.

Die Komplementärin übergab den Kundenstock der Klägerin an den Generalagenten der Beklagten, der die diversen Versicherungsnehmer davon verständigte, dass nunmehr er für alle Belange zuständig sei. Von dieser Kundenübernahme wurde auch in zwei (lokalen) Zeitschriften berichtet.

Ein ehemaliger Subagent der Klägerin wechselte ebenfalls bereits per 1. 9. 2007 zum selben Versicherer wie die seinerzeitige Mitarbeiterin der Klägerin und benachrichtigte schriftlich die von ihm bislang betreuten Versicherungsnehmer der Beklagten von seinem Wechsel und seinem Wunsch, auch weiterhin, wenn auch nunmehr im Wege des neuen Versicherers, für den jeweiligen Kunden dienlich zu sein. Die Komplementärin trat in der Folge ebenfalls in ein direktes Dienstverhältnis zu diesem Versicherer, wobei sie vorerst im Innendienst tätig war. Auch sie informierte die bisher von ihr betreuten Versicherungsnehmer in gleicher Weise wie der Subagent und wies auch auf das bisher von der Klägerin betreute Büro, das ja der neue Versicherer übernommen hatte, als Kontaktstelle hin.

Aufgrund dieser Schreiben des Subagenten wechselten etwa fünf Versicherungsnehmer zum neuen Versicherer, aufgrund der Schreiben der Komplementärin zumindest zwölf. Viele andere Versicherungsnehmer ließen ihre Verträge bei der Beklagten auslaufen und schlossen bei anderen Versicherern Verträge ab oder kündigten aufgrund der Beendigung der Tätigkeit der Komplementärin Versicherungsverträge mit der Beklagten.

Aufgrund der (teilweise von der Komplementärin hergestellten) Kontakte zwischen diversen früher von der Komplementärin betreuten Versicherungsnehmern der Beklagten und der Komplementärin nach deren Wechsel kam es in einigen Fällen zu Kündigungen der Versicherungsverträge zur Beklagten und zum Abschluss neuer Verträge mit dem neuen Versicherer.

Die Klägerin begehrt, der Höhe nach außer Streit gestellt, 89.443,46 EUR sA mit dem Vorbringen, sie habe mit der Beklagten im August 2004 einen Generalagenturvertrag zur Vermittlung von Versicherungsverträgen abgeschlossen. Seither sei sie als Vermittlungsagentin nach § 43 VersVG tätig gewesen. Der Vertrag sei einvernehmlich mit Wirkung vom 1. 9. 2007 aufgelöst worden. Der Klägerin gebühre für die Bestandsübernahme der vermittelten Verträge ein Ausgleichsanspruch in der begehrten Höhe. Darin sei auch ein Anspruch enthalten, der durch die Vertragsauflösung zwischen der Klägerin und einem Subagenten entstanden sei. Der Subagent sei auch für die Beklagte verdienstlich tätig geworden.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und wendete ein, nach dem Vertrag gebühre eine Ausgleichszahlung nur dann, wenn es zur Kündigung oder vorzeitigen Auflösung durch die Beklagte gekommen wäre, ohne dass ein schuldhaftes Verhalten der Klägerin gegeben gewesen wäre. Bei vorzeitiger Auflösung durch die Klägerin würde eine Ausgleichszahlung nur gebühren, wenn die Beklagte dafür einen schuldhaften Anlass geboten hätte. Bei einvernehmlicher Vertragsauflösung bestehe ein Ausgleichsanspruch nur, wenn er vereinbart oder einvernehmlich festgelegt worden wäre. Die Beklagte habe der Klägerin mit Schreiben vom 3. 9. 2007 ausdrücklich mitgeteilt, unter welchen Voraussetzungen sie eine Ausgleichszahlung leisten würde, nämlich nur dann, wenn die Klägerin keine Aktivitäten zur Abwerbung des abgelösten Kundenbestandes setze und den neuen Agenten durch ausreichende Information über den Kundenstock unterstützen würde. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, weil die Klägerin nach Auflösung des Vertrags für ein anderes Versicherungsunternehmen tätig geworden sei und Aktivitäten gesetzt habe, um den übertragenen Kundenstock wieder zurückzugewinnen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte rechtlich aus, das Vertragsverhältnis zwischen den Streitteilen sei einvernehmlich mit 1. 9. 2007 aufgelöst worden. Die Komplementärin der Klägerin habe dadurch, dass sie den von ihr betreuten Versicherungsnehmern der Beklagten nicht nur die Beendigung ihrer Tätigkeit, sondern auch ihre nachfolgende Tätigkeit für einen anderen Versicherer mitgeteilt habe, ihre Treuepflicht aus dem Agenturvertrag verletzt. Der Ausgleichsanspruch stehe ihr daher nicht zu.

Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es vertrat die Ansicht, gemäß § 29 Abs 4 HVertrG seien die §§ 26a bis 26d sowie die § 27 Abs 1 und § 28 Abs 1 HVertrG mit 1.7.2006 in Kraft getreten und (mit Ausnahme von § 26c HVertrG) auf bestehende Vertragsverhältnisse anzuwenden, somit auch auf das vorliegende Vertragsverhältnis. Nach § 27 Abs 1 HVertrG könne § 24 HVertrG im Voraus durch Vertrag zum Nachteil des Handelsvertreters oder Versicherungsvertreters weder aufgehoben noch beschränkt werden. § 24 HVertrG regle den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, beschreibe die dafür nötigen Voraussetzungen und umschreibe auch die Tatbestände, bei deren Vorliegen der Anspruch nicht bestehe. § 24 Abs 1 HVertrG enthalte materielle Voraussetzungen für den Anspruch. § 24 Abs 3 HVertrG zähle die Möglichkeiten auf, unter denen der Anspruch grundsätzlich nicht bestehe. Nach Z 1 leg cit bestehe der Anspruch nicht, wenn der Handelsvertreter (die Klägerin) das Vertragsverhältnis gekündigt oder vorzeitig aufgelöst habe, es sei denn, dass Umstände hierzu begründeten Anlass gegeben hätten, die dem Unternehmer (der Beklagten) zuzurechnen seien, oder der Klägerin eine Fortsetzung der Tätigkeit wegen des Alters oder wegen Krankheit oder Gebrechen nicht zugemutet werden könne. Z 2 leg cit schließe den Anspruch aus, wenn der Unternehmer (die Beklagte) das Vertragsverhältnis wegen eines schuldhaften und einen wichtigen Grund darstellenden Verhaltens des Handelsvertreters (der Klägerin) gekündigt oder vorzeitig aufgelöst habe. Z 3 leg cit regle den hier ebenfalls nicht relevanten Fall, dass der Handelsvertreter die Rechte und Pflichten, die er nach dem Vertrag habe, einem Dritten überbinde.

Der Fall der einvernehmlichen Auflösung sei nicht als Tatbestand für den Entfall des Ausgleichsanspruchs vorgesehen. Wenn sich somit die Beklagte auf eine Vereinbarung berufe, nach der im Fall der einvernehmlichen Lösung ein Ausgleichsanspruch nur bestehe, wenn dieser einvernehmlich festgelegt worden sei, beschränke das die Voraussetzungen des Ausgleichsanspruchs nach § 24 HVertrG, weil ein Tatbestand geschaffen werde, der dort als Voraussetzung für den Entfall des Anspruchs nicht genannt sei. Eine solche Vereinbarung sei somit im Zeitpunkt der einvernehmlichen Vertragsauflösung (1. 9. 2007) gemäß § 27 Abs 1 HVertrG unwirksam gewesen. Die Vereinbarung zwischen den Streitteilen, die aus Anlass der einvernehmlichen Auflösung des Vertrags geschlossen worden sei, habe somit die Position der Klägerin, die ihr § 24 HVertrG einräume, nicht wirksam schmälern können. Aus den Feststellungen des Erstgerichts ergebe sich, dass die Klägerin (ihre Komplementärin) gegen das Gebot verstoßen habe, keine Aktivitäten zur Abwerbung des abgelösten Kundenbestandes zu setzen, indem sie die bisher von ihr betreuten Versicherungsnehmer brieflich von ihrem Wechsel zum neuen Versicherer informiert und den Wunsch geäußert habe, in Zukunft für die Versicherungsnehmer tätig zu sein, allerdings nicht mehr für die Beklagte, sondern für den neuen Versicherer. Die Beklagte habe ihren Rechtsstandpunkt, keinen Ausgleichsanspruch der Klägerin erfüllen zu müssen, damit begründet, diese habe gegen die Vereinbarung verstoßen, nach Beendigung des Vertragsverhältnisses keine Aktivitäten zur Abwerbung des abgelösten Kundenbestandes zu setzen und den neuen Betreuer durch Informationen über die Kunden zu unterstützen und Kundenanfragen sowie Serviceunterlagen an den neuen Betreuer weiterzuleiten. Der Ausgleichsanspruch sei nach den Tatsachen zum Zeitpunkt der Vertragsauflösung zu beurteilen. Allfälliges künftiges Verhalten des Handelsvertreters spiele dabei keine Rolle. Auch die in § 24 Abs 1 Z 3 HVertrG enthaltene Billigkeitsklausel stelle nicht auf künftiges Verhalten des Handelsvertreters ab. Diese Grundüberlegung sei auch durch § 25 HVertrG besonders abgesichert, wonach eine Vereinbarung, die den Handelsvertreter für die Zeit nach Beendigung des Vertrags in seiner Erwerbstätigkeit beschränken würde, unwirksam sei. Wenn somit der gemäß § 27 Abs 1 HVertrG nicht wirksam beschränkbare Ausgleichsanspruch nach § 24 HVertrG davon abhängig gemacht würde, dass der Handelsvertreter (Klägerin) für die Zeit nach Beendigung des Vertragsverhältnisses keine Aktivitäten „zur Abwerbung des abgelösten Kundenbestandes“ setze, wäre damit die Erwerbstätigkeit der Klägerin nach Beendigung des Vertragsverhältnisses beschränkt. Da eine solche Vereinbarung unwirksam wäre, könne der Ausgleichsanspruch nicht von einem erwerbseinschränkenden Verhalten der Klägerin abhängig gemacht werden. Die Beklagte könne sich somit nicht auf diese behauptete Klausel stützen, von der die Zahlung des Ausgleichsanspruchs abhängig gemacht worden sei oder die sie zur Rückforderung einer Ausgleichszahlung berechtigen würde (vgl dazu Nocker, Kommentar zum HVertrG, § 25 Rz 8; auch zu § 89b des deutschen HGB, der im Wesentlichen § 24 HVertrG entspreche, werde vertreten, dass der Anspruch auf Ausgleichszahlung nicht wirksam mit einem Wettbewerbsverbot verknüpft werden könne: Emde in Staub, HGB5 § 89b Rz 274). Nur wenn sich der Handelsvertreter unlauterer Geschäftspraktiken bedienen würde, wäre ein Verlust des Ausgleichsanspruchs denkbar. Allerdings habe das Erstgericht solche unlauteren Praktiken der Klägerin oder ihrer Komplementärin nicht festgestellt. Brieflich mit früheren Kunden in Kontakt zu treten, verstieße für sich genommen angesichts der dargestellten Rechtslage nicht gegen das Lauterkeitsrecht.

Eine nachvertragliche Konkurrenzierung beeinträchtige den Ausgleichsanspruch zwar nicht dem Grunde nach, könne sich aber auf die Höhe auswirken (vgl Nocker aaO § 24 Rz 558, § 25 Rz 4; Petsche/Petsche-Demmel, HVertrG § 24 Rz 82, § 25 Rz 2). Es erscheine durchaus sachgerecht, den Ausgleich (der ja für die Überlassung der Kunden gezahlt werde) entsprechend zu reduzieren, wenn nachträglich tatsächlich Kunden abgeworben worden seien.

Obwohl die Beklagte die Höhe des Ausgleichsanspruchs außer Streit gestellt habe, könne das Berufungsgericht das Urteil nicht abändern und dem Zahlungsbegehren stattgeben, weil die Beklagte die Höhe des Anspruchs offenkundig nur auf der Basis ihres Rechtsstandpunkts außer Streit gestellt habe, dass das nach-vertragliche Agieren der Klägerin den Anspruch zur Gänze beseitige. Die Möglichkeit, dass dadurch nur die Höhe des Anspruchs berührt werde, sei im Verfahren erster Instanz nicht erörtert worden. Zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung sei das Urteil aufzuheben.

Das Berufungsgericht ließ den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss mit der Begründung zu, dass - soweit überblickbar - keine Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob und wie weit eine Verpflichtung des Handelsvertreters, für die Zeit nach der Beendigung des Vertrags in einer bestimmten Weise die Interessen des früheren Vertragspartners zu schonen, mit der Berechtigung und der Höhe eines Ausgleichsanspruchs verknüpft werden könne.

Die Rekurse beider Parteien sind zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Die Klägerin bringt in ihrem Rekurs vor, die Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses hätte im zweiten Rechtsgang den (offenbar von der Klägerin geplanten) Verjährungseinwand betreffend das Begehren der Beklagten auf nachträgliche Reduzierung zur Folge. Die Überlegung, ein Handelsvertreter könne Kunden „mitnehmen“, möge auf Zielschuldverhältnisse zutreffen. Bestehende Versicherungsverträge könnten aber als Dauerschuldverhältnisse nicht „mitgenommen“ werden. Der Beklagten sei der Beweis, die Klägerin habe rechtswidrig Kunden abgeworben, nicht gelungen. Die Sache sei im Sinne der Klagsstattgebung spruchreif.

Die Beklagte bringt in ihrem Rekurs vor, diejenigen Vertragsbestimmungen bzw Vereinbarungen, auf die sich die Beklagte berufe, bezweckten, ein später eingetretenes Ungleichgewicht wiederum ins Lot zu bringen. Mit der nicht vom Unternehmer veranlassten Eigenkündigung sei der potenzielle Ausgleichsanspruch erloschen und lebe durch eine nachfolgende einvernehmliche Auflösung nicht wieder auf. Bei der Billigkeitsprüfung (§ 24 Abs 1 Z 3 HVertrG) sei auch das Abwerben von Kunden zu berücksichtigen. Die Bestimmung über die Unwirksamkeit einer Konkurrenzklausel (§ 25 HVertrG) sei mangels Erwähnung in § 27 Abs 1 HVertrG nicht zwingend. Selbst wenn man § 25 HVertrG als zwingend ansehen sollte, seien nach Art 20 der Richtlinie 86/653/EWG (Handelsvertreterrichtlinie) nachvertragliche Wettbewerbsver-bote unter bestimmten, hier vorliegenden Voraussetzungen zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der erkennende Senat hat erwogen:

Der Oberste Gerichtshof erachtet die Begründung des Berufungsgerichts grundsätzlich für zutreffend, sodass es insoweit ausreicht, auf deren Richtigkeit hinzuweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO iVm § 528a ZPO).

Die Begründung des Berufungsgerichts ergänzend und in Erwiderung auf die in den Rekursen vorgetragenen Argumente wird Folgendes ausgeführt:

Gemäß § 26d HVertrG gebührt dem Versicherungsvertreter, wenn und soweit keine Ansprüche nach § 26c Abs 1 HVertrG (der hier gemäß § 29 Abs 4 HVertrG nicht anwendbar ist) bestehen, der Ausgleichsanspruch gemäß § 24 HVertrG mit der Maßgabe, dass an die Stelle der Zuführung neuer Kunden oder der wesentlichen Erweiterung bestehender Geschäftsverbindungen die Vermittlung neuer Versicherungsverträge oder die wesentliche Erweiterung bestehender Verträge tritt.

Dass mit der nicht vom Unternehmer veranlassten Eigenkündigung der potenzielle Ausgleichsanspruch erloschen ist und durch eine nachfolgende einvernehmliche Auflösung nicht wieder auflebt, gilt nach Petsche/Petsche-Demmel, HVertrG [2008] § 24 Rz 11, dann nicht, wenn diese Auflösungsvereinbarung die Kündigung ersetzen soll (dies offenlassend 8 ObA 42/06v). Wenn man aus den Feststellungen überhaupt eine Eigenkündigung der Klägerin in rechtlicher Hinsicht ableiten wollte, so hätte hier das nachträgliche Einvernehmen die Kündigung ersetzt. Zum selben Ergebnis kommt man auch, wenn man mit Nocker, Kommentar zum HVertrG [2009] § 24 Rz 263 darauf abstellt, wie oder wodurch das Vertragsverhältnis tatsächlich endet, weil die Beendigung des Vertragsverhältnisses nach den Feststellungen tatsächlich einvernehmlich erfolgte.

Dass die Verbote, die in den Vereinbarungen zwischen den Streitteilen der Klägerin nach Beendigung des Vertrags auferlegt wurden (vgl die zitierten Bestimmungen des Generalagenturvertrags in Punkt 13.2.; Schreiben der Beklagten vom 3. 9. 2007), gegen § 25 HVertrG verstoßen, entspricht dem weiten Verständnis einer Konkurrenzklausel in Rechtsprechung und Lehre (vgl 9 ObA 185/05d, RIS-Justiz RS0118907 jeweils zu § 36 AngG; Nocker aaO § 25 Rz 8, 11).

Dass § 25 HVertrG in § 27 Abs 1 HVertrG nicht erwähnt wird, hat seinen Grund darin, dass § 25 HVertrG schon nach seinem Wortlaut („ist unwirksam“) zwingend ist und daher einer Erwähnung in § 27 Abs 1 HVertrG nicht bedarf (Petsche/Petsche-Demmel, HVertrG § 25 Rz 3; anders Nocker aaO § 25 Rz 21). Würde man § 25 HVertrG (entgegen seinem eindeutigen Wortlaut) als dispositiv verstehen, hätte die Bestimmung keinen Anwendungsbereich und wäre sinnlos (so schon Jabornegg, Handelsvertreterrecht und Maklerrecht [1987] 517 zu § 26 HVG; vgl auch Nocker aaO § 25 Rz 21). Auch dieser Umstand verbietet die von der Beklagten vertretene Auslegung (RIS-Justiz RS0010053).

Es ist zwar richtig, dass im Hinblick auf Art 20 der Richtlinie 86/653/EWG (Handelsvertreterrichtlinie) von einem Teil der Lehre bezweifelt wird, ob das in § 25 HVertrG geregelte kategorische Verbot einer nachvertraglichen Konkurrenzklausel gemeinschaftsrechtskonform ist (Petsche/Petsche-Demmel, HVertrG § 25 Rz 4; Liebscher/Heinrich, Vertriebsverträge [1996], 23 f; keine Zweifel hegend Nocker aaO § 25 Rz 2). Dies kann hier aber dahingestellt bleiben: Nach Art 1 Abs 1 der Richtlinie gilt diese für Vorschriften der Mitgliedstaaten, die die Rechtsbeziehungen zwischen Handelsvertretern und ihren Unternehmern regeln. Nach Abs 2 leg cit ist ein Handelsvertreter im Sinn der Richtlinie, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für eine andere Person (Unternehmer) den Verkauf oder den Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen. Versicherungsvertreter vermitteln keine Waren. Sie werden in der Richtlinie auch nicht erwähnt. Die Handelsvertreterrichtlinie erfasst somit Versicherungsvertreter nicht, weshalb es nicht nötig ist, die Gemeinschaftsrechtskonformität von § 25 HVertrG zu prüfen.

Darauf, ob die Abwerbungen von Klagsseite rechtswidrig waren oder nicht, kommt es aber für die vorzunehmende Minderung nicht an. Auch rechtmäßige Abwerbungen führen dazu, dass die „erheblichen Vorteile“ aus der Tätigkeit des Handelsvertreters für den Unternehmer (§ 24 Abs 1 Z 2 HVertrG) eben geringer werden, was eine entsprechende Minderung des Ausgleichsanspruchs rechtfertigt. Auch der in § 24 Abs 1 Z 3 HVertrG normierte Billigkeitsgesichtspunkt stellt nicht darauf ab, ob eine nach Ablauf des Vertrags gesetzte Handlung des Handelsvertreters rechtswidrig ist. „Insbesondere“ sollen bei der Billigkeitsprüfung die dem Handelsvertreter entgehenden Provisionen maßgeblich sein. Im vorliegenden Fall kann die Komplementärin zwar mutmaßlich aus den von ihr an den neuen Versicherer abgeworbenen Kunden ohnehin keine Provisionen lukrieren, weil sie dort Dienstnehmerin und nicht Versicherungsvertreterin ist. Dennoch ist die Zuführung neuer Versicherungsnehmer zweifellos geeignet, sich für die Komplementärin günstig auf ihr Dienstverhältnis auszuwirken und so den Nachteil des Provisionsentgangs zu mindern. Auch dieser Aspekt lässt eine Minderung des Ausgleichsanspruchs billig im Sinn von § 24 Abs 1 Z 3 HVertrG erscheinen.

Wie schon vom Berufungsgericht ausgeführt, führt das Abwerben von Versicherungsnehmern hier nicht zu einem Rückforderungsanspruch hinsichtlich der noch nicht geleisteten Ausgleichszahlung, sondern zu einer Minderung des Ausgleichsanspruchs. Die Klägerin kann daher keinem Rückforderungsanspruch der Beklagten (quasi als Gegenforderung) einen Verjährungseinwand entgegensetzen. Selbst wenn man aber den Betrag, um den sich der Ausgleichsanspruch durch die Abwerbungen mindert, als aufrechenbare Gegenforderung der Beklagten gegen die Klägerin ansähe, könnte ein Verjährungseinwand der Beklagten keinen Erfolg haben: Nach ständiger Rechtsprechung kann nämlich die Aufrechnung auch noch nach Ablauf der Verjährungsfrist erklärt werden, wenn die Forderungen im Zeitpunkt, in dem sie einander erstmals aufrechenbar gegenüberstanden (Aufrechnungslage), noch nicht verjährt waren (RIS-Justiz RS0034016 [T4, T5, T6]). Dies wäre hier der Fall.

Das Argument, bestehende Versicherungsverträge könnten als Dauerschuldverhältnisse nicht „mitgenommen“ werden, überzeugt nicht. Die Klägerin verweist in ihrem Rekurs selbst auf die im VersVG für den Versicherungsnehmer geregelten Kündigungsrechte. Im Übrigen zeigen ja auch die Feststellungen, dass Versicherungsnehmer auf die Abwerbung durch die Komplementärin der Klägerin und ihres Subagenten von der Beklagten zum Versicherer, bei dem die Komplemetärin der Klägerin beschäftigt ist, gewechselt haben.

Im vorliegenden Fall ist für die Frage der Höhe des Ausgleichsanspruchs - wie ausgeführt - nicht nur auf die in § 24 Abs 1 Z 3 HVertrG genannte Billigkeit abzustellen, sondern ebenso auf die in Z 2 leg cit erwähnten „erheblichen Vorteile“, die der Unternehmer aus den vom Handelsvertreter geschaffenen Geschäftsverbindungen ziehen kann. Darunter ist der weiterhin gegebene gewinnbringende Nutzen für den Unternehmer zu verstehen (Tschuk, Der Ausgleichsanspruch bei Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses [1994], 43; vgl auch Nocker aaO § 24 Rz 514), hier also die lukrierten Versicherungsprämien. In der Lehre wird zutreffend darauf verwiesen, dass § 24 Abs 1 Z 1 und 2 HVertrG die Umstände in der Sphäre des Unternehmers, Z 3 der Bestimmung diejenigen in der Sphäre des Handelsvertreters, die für den Grund, aber auch für die Höhe (arg „ein angemessener Ausgleichsanspruch, wenn und soweit“ in § 24 HVertrG) des Ausgleichsanspruchs maßgebend sind, nennt (Viehböck, ecolex 1993, 221 [223, 225]; Tschuk aaO 55, 57; Nocker aaO § 24 Rz 431, 560). Wenn der Handelsvertreter nach Vertragsbeendigung mit dem Unternehmer Kunden abwirbt, so hat dies auf die „erheblichen Vorteile“ in Z 2 leg cit durchaus einen Einfluss (Nocker aaO § 24 Rz 527, 558; im Ergebnis auch Petsche/Petsche-Demmel, HVertrG § 24 Rz 82, 111, § 25 Rz 2). Nach Tschuk aaO 45 f ist ein Ausgleichsfall dann überhaupt nicht gegeben, wenn der Handelsvertreter für ein Konkurrenzunternehmen tätig wird und bald nach Vertragsbeendigung feststeht, dass er die von ihm geworbenen Kunden nahezu vollständig seinem neuen Unternehmer zuführt (ähnlich Nocker aaO § 24 Rz 527, 558).

Um den Einfluss der Abwerbungen der Komplementärin der Klägerin und ihres Subagenten, den sie sich zurechnen lassen muss (Tschuk aaO 69, 81, vgl auch Nocker aaO § 24 Rz 680), für die sich dadurch mindernden Vorteile des Unternehmers und somit für die Höhe des Ausgleichsanspruchs zu gewichten, ist zu fragen, wie sich das Prämienvolumen der von der Klägerin gebrachten Versicherungsnehmer nach Beendigung des Vertretervertrags zwischen den Streitteilen ohne Abwerbung entwickelt hätte und um wieviel weniger sich dieses Prämienvolumen durch das Abwerben tatsächlich entwickelt hat. Dieses Zahlenverhältnis ist dann wie im Rahmen der im Gewährleistungsrecht vertretenen relativen Berechnungsmethode (RIS-Justiz RS0018764) auf den Ausgleichsanspruch umzulegen: Um den Prozentsatz, um den das angesprochene Prämienvolumen durch das Abwerben geringer wurde, ist auch die zwischen den Parteien vereinbarte und als solche der Höhe nach außer Streit stehende Ausgleichszahlung zu mindern.

Zur Ermittlung dieser Vergleichsgrößen wird wohl einerseits die ergänzende Befragung der Parteien nötig sein, andererseits unter Umständen die Beiziehung eines (Buch-)Sachverständigen. Da sich auf diesem Weg exakte Zahlen wohl kaum ermitteln lassen werden, wird § 273 Abs 1 ZPO anzuwenden sein (vgl 4 Ob 54/02y; 4 Ob 65/06x).

Die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass die der Beklagten durch die Klägerin geschaffenen Verdienstchancen über die Beendigung des Vertragsverhältnisses hinaus keinen Bestand haben oder haben werden, trifft die Beklagte (RIS-Justiz RS0106003 [T3, T6]).

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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