OGH 8ObA76/11a

OGH8ObA76/11a22.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und Mag. Johann Schneller als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** M*****, gegen die beklagte Partei L***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Mag. Alois Pirkner, Rechtsanwalt in Tamsweg, wegen 8.927,56 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. September 2011, GZ 6 Ra 49/11i-13, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Das Erstgericht hat - wenn auch im Rahmen der rechtlichen Beurteilung - auf Tatsachenebene dargelegt, dass die Klage am 29. 10. 2010 bei Gericht eingelangt ist. Die Beklagte machte die angeblichen „Unklarheiten im Bereich der Zustellvorgänge“ in der Berufung als wesentliche Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend. Das Berufungsgericht verneinte mit ausführlicher Begründung das Vorliegen eines solchen Verfahrensmangels. Behauptete Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens, die vom Berufungsgericht verneint wurden, können in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0106371; RS0042963).

2. Der Auslegung einer Kollektivvertragsbestimmung (hier über den Verfall) kommt dann keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu, wenn die relevante Rechtsfrage in der Rechtsprechung des Höchstgerichts geklärt oder die Auslegung klar und eindeutig ist (RIS-Justiz RS0109942; 8 ObA 59/11a).

In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist in dieser Hinsicht geklärt, dass kollektivvertragliche Verfallsklauseln, die zum Nachteil der Arbeitnehmer gegen zwingende gesetzliche Bestimmungen über die Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen, wie etwa § 1162d ABGB oder § 34 AngG, verstoßen, nichtig sind (RIS-Justiz RS0034517). Daraus folgt, dass der Lauf auch der kollektivvertraglichen Verfallsfristen grundsätzlich mit der Fälligkeit des betreffenden Anspruchs zu laufen beginnt (vgl RIS-Justiz RS0064232). Dies gilt auch für noch nicht sofort bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses fällige Ansprüche, insbesondere für die Kündigungsentschädigung bei über dreimonatiger fiktiver Kündigungsfrist (Drs in Neumayr/Reissner, ZellKomm §§ 1162 - 1162d ABGB Rz 11).

Dieses Ergebnis entspricht auch den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen. Nach der Rechtsprechung sind die für die Verjährungsbestimmungen geltenden Vorschriften auf die Ausschlussfristen, die der raschen Bereinigung der offenen Streitfragen dienen sollen, analog anzuwenden (RIS-Justiz RS0029716; RS0116905; RS0116904). Allgemein beginnt die Verjährung erst mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem das Recht erstmals hätte ausgeübt werden können, der Geltendmachung des Anspruchs also keine rechtlichen Hindernisse mehr entgegenstehen (RIS-Justiz RS0034343). Daraus folgt, dass vor Verwirklichung des anspruchsbegründenden Sachverhalts und Eintritt der Fälligkeit die Verjährungs- bzw Präklusivfristen nicht in Gang gesetzt werden können.

Von diesen Grundsätzen sind die Vorinstanzen nicht abgewichen. Durch Wiederholung der schon in der Berufung vorgetragenen Argumente vermag die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.

3. In der Rechtsprechung ist seit langem geklärt, dass der auf Abgeltung des während einer fiktiven Kündigungsfrist entstandenen Urlaubs gerichtete Ersatzanspruch nicht aus § 10 UrlG, sondern aus § 1162b ABGB bzw § 29 AngG abgeleitet wird (jüngst 8 ObS 11/11t mwN).

Der Kläger hat die hier in Rede stehenden Ansprüche ab 1. 5. 2010 folgerichtig als „Urlaubsersatzleistung zum Schadenersatz“ begehrt und damit deutlich einen Schadenersatzanspruch nach § 1162b ABGB geltend gemacht.

4. Mit den sich auf die Zinsen und die Fälligkeit beziehenden Ausführungen in der außerordentlichen Revision ignoriert die Beklagte die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach es den (betragsmäßigen) Verstoß gegen § 405 ZPO durch das Erstgericht mangels Geltendmachung eines entsprechenden Verfahrensmangels in der Berufung nicht aufgreifen und daher nur die Fälligkeitstermine hinsichtlich der nach Ablauf der ersten drei Monate fällig gewordenen Kündigungsentschädigung korrigieren könne. Eine in der Berufung unterlassene Mängelrüge kann nicht in dritter Instanz nachgetragen werden.

5. Die für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Auflösungserklärung nach § 15 BAG maßgebenden Grundsätze hat das Berufungsgericht zutreffend dargestellt. Dabei hat es insbesondere auch auf die in der außerordentlichen Revision herangezogene Entscheidung 9 ObA 190/94 Bezug genommen.

Die Beklagte verweist selbst auf den Umstand, dass die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der schriftlichen Auflösungserklärung bei unverzüglicher (aber unwirksamer) mündlicher Erklärung den Einzelfall betrifft. Die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, dass kein (ausreichender) Grund für die verzögerte Absendung der schriftlichen Auflösungserklärung vorliege und die vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses daher unwirksam sei, erweist sich als nicht korrekturbedürftig. Das Berufungsgericht hat auch keineswegs die schriftliche Entlassungserklärung isoliert betrachtet, sondern in seiner Beurteilung auf die vorherige mündliche Erklärung in angemessener Weise Bedacht genommen (vgl RIS-Justiz RS0031751). Entgegen der Ansicht der Beklagten kann der Rechtsprechung nicht entnommen werden, dass das Klarstellungserfordernis durch Nachreichen der schriftlichen Auflösungserklärung dann nicht mehr gegeben sei, wenn der volljährige Kläger die mündliche Entlassungserklärung als solche aufgefasst habe.

6. Auch zur Frage der Nichtberücksichtigung der Gegenforderung zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf. Ausgehend von den Feststellungen zur Abwicklung der Werkzeugrückgabe ist die Beurteilung des Erstgerichts, wonach dem Kläger kein ersatzpflichtiges Fehlverhalten angelastet werden könne, jedenfalls vertretbar. Das Gleiche gilt für die Überlegung des Berufungsgerichts zu der nur eingeschränkten Zulässigkeit der Aufrechnung nach § 293 Abs 3 EO.

7. Insgesamt vermag die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.

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