OGH 15Os102/11f

OGH15Os102/11f16.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. November 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kopinits als Schriftführer in der Strafsache gegen Kurt T***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 6. April 2011, GZ 21 Hv 1/11k-57, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Kurt T***** des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und mehrerer weiterer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (jeweils A./), des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und mehrerer weiterer Verbrechen der Vergewaltigung nach §§ 201 Abs 1, 15 StGB (jeweils B./), mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach §§ 212 Abs 1 Z 1, 15 StGB (C./) sowie mehrerer Vergehen der Blutschande nach §§ 211 Abs 1, 15 StGB (D./) schuldig erkannt.

Danach hat er „in Wien in einer nicht mehr exakt feststellbaren Mehrzahl von Angriffen

A./ im Zeitraum von zumindest Oktober 1998 bis 9. Mai 2004 mit einer unmündigen Person, nämlich Jessica T***** (geboren am 10. Mai 1990), den Beischlaf unternommen, indem er mit ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr unternahm, wodurch Jessica T***** eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit Elementen einer ängstlich vermeidenden und einer passiv abhängigen Persönlichkeitsstörung sowie eine reaktive Depression, sohin eine an sich schwere Körperverletzung, verbunden mit Gesundheitsschädigung von mehr als 24-tägiger Dauer erlitt;

B./ Jessica T***** (geboren am 10. Mai 1990) in der Zeit von 10. Mai 2004 bis 3. November 2010 mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben

a./ zur Duldung des Beischlafs genötigt und zu nötigen versucht sowie

b./ zu dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlungen, nämlich Durchführung des Oralverkehrs genötigt,

indem er ua sie festhielt, ihr Schläge gegen den Körper und das Gesicht sowie Stöße versetzte, äußerte, 'sie solle sich nicht mit dem Leben spielen' und 'er dürfe sich nicht verarscht vorkommen, sonst bringe er sie um oder stampfe sie in den Boden', wobei er zur Bekräftigung teilweise auch ein Messer in der Hand hielt, und einmal versuchte, ihre Unterhose aufzuschneiden, wodurch Jessica T***** eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit Elementen einer ängstlich vermeidenden und einer passiv abhängigen Persönlichkeitsstörung sowie eine reaktive Depression, sohin eine an sich schwere Körperverletzung, verbunden mit Gesundheitsschädigung von mehr als 24-tägiger Dauer erlitt;

C./ von zumindest Oktober 1998 bis 9. Mai 2008 mit einer mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person, nämlich seiner leiblichen Tochter Jessica T***** (geboren am 10. Mai 1990) geschlechtliche Handlungen vorgenommen, vorzunehmen versucht sowie an sich vornehmen lassen, nämlich die unter A./ und B./ genannten strafbaren Handlungen;

D./ von zumindest Oktober 1998 bis 3. November 2010 mit einer Person, die mit ihm in gerader Linie verwandt ist, nämlich seiner leiblichen Tochter Jessica T***** (geboren am 10. Mai 1990), den Beischlaf vollzogen bzw. zu vollziehen versucht, indem er die zu A./ und B./a./ genannten strafbaren Handlungen beging.“

Rechtliche Beurteilung

Die vom Angeklagten dagegen aus den Nichtigkeitsgründen der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.

Dem Einwand der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider blieb die Urteilsannahme, die dem Angeklagten (zu A./ und B./) zur Last gelegten Tathandlungen wären jeweils mitkausal für das bei Jessica T***** diagnostizierte und als krankheitswertig erkannte psychiatrische Störungsbild gewesen (US 9), durch den Verweis der Tatrichter auf das schriftliche Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen DDr. W***** (ON 53) und auf ihre - vom Beschwerdeführer unberücksichtigt gelassene (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 394) - mündliche Expertise in der Hauptverhandlung, in der die (auch von der Verteidigung wiederholt aufgeworfene) Frage der Kausalität eingehend erörtert und beantwortet wurde (insbesondere ON 55a S 1 unten bis S 5 oben und S 9 bis S 11), sowie durch Wiedergabe der insoweit relevanten Passagen des Gutachtens im Urteil (US 15 f) keineswegs offenbar unzureichend begründet.

Soweit die Rüge den gutachterlichen Schlussfolgerungen der Sachverständigen und den darauf fußenden Erwägungen der Tatrichter eigene beweiswürdigende Mutmaßungen entgegenhält und eine - weder vom Gesetz noch von der Rechtsprechung geforderte (RIS-Justiz RS0111358; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 449) - logisch zwingende Begründung für den vom Erstgericht als erwiesen angenommenen Zusammenhang zwischen Ursache (die festgestellten Missbrauchserlebnisse) und Wirkung (die krankheitswertige Persönlichkeitsstörung) vermisst, bekämpft sie nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung bloß die dem erkennenden Schöffensenat vorbehaltene Beweiswürdigung (vgl RIS-Justiz RS0099455 uva).

Ein auf den formalen Nichtigkeitsgrund der Z 5a gestützter Einwand kann nur dann erfolgreich sein, wenn Feststellungen als Folge einer qualifiziert naheliegenden Fehlentscheidung bei der Beweiswürdigung erheblichen Bedenken ausgesetzt sind (zum Anfechtungsrahmen einer Tatsachenrüge siehe va RIS-Justiz RS0119583, RS0118780 und RS0116733). Eine Überschreitung der diesem Nichtigkeitsgrund immanenten Erheblichkeitsschwelle wird durch die bloße - im Übrigen unzutreffende (siehe US 16; ON 53 S 82 ff) und ohne Aktenbezug erfolgte (vgl RIS-Justiz RS0117446) - Behauptung, die Sachverständige sowie das Erstgericht hätten diese oder jene (jeweils die Glaubwürdigkeit des Tatopfers betreffende) „Möglichkeit“ (einer induzierten Erinnerung oder Pseudoerinnerung) außer Acht gelassen, nicht aufgezeigt.

Soweit der Beschwerdeführer im Rahmen dieses Nichtigkeitsgrundes (als Aufklärungsrüge) eine nähere Erörterung der von der Sachverständigen herangezogenen Testmethoden vermisst, legt er nicht dar, warum er an einer entsprechenden Befragung der Sachverständigen (vgl § 249 StPO) in der Hauptverhandlung (siehe ON 55a S 1 bis 11) gehindert gewesen wäre (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480).

Die am 19. August 2011 beim Obersten Gerichtshof eingelangte, vom Angeklagten handschriftlich verfasste Eingabe, die als Ergänzung der vom Verteidiger ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerde anzusehen ist, hat auf sich zu beruhen, weil das Gesetz nur eine einzige Ausführung der Beschwerdegründe zulässt (RIS-Justiz RS0100172; Ratz, WK-StPO § 285 Rz 6).

Zu einer Maßnahme gemäß § 290 Abs 1 StPO im Hinblick auf die jeweils einmalige Annahme sowohl der Qualifikation des § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB als auch jener des § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB sah sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlasst.

Im vorliegenden Fall ungleichartiger Realkonkurrenz wird der Unwertgehalt von real konkurrierendem Beischlaf mit Unmündigen einerseits und Vergewaltigung andererseits, die jeweils mitkausal für ein und dieselbe schwere Körperverletzung waren, jedenfalls erst durch die Unterstellung jeweils einer der strafbaren Handlungen auch unter den entsprechenden Qualifikationstatbestand (§ 206 Abs 3 erster Fall, § 201 Abs 2 erster Fall StGB) in seinem vollen Umfang erfasst, handelt es sich doch um voneinander in tatsächlicher Hinsicht getrennte, jeweils qualifiziert schwere Eingriffe in unterschiedliche Rechtsgüter (14 Os 40/02; Philipp in WK² § 206 Rz 32), der sexuellen Integrität von Unmündigen einerseits (Philipp in WK³ § 206 Rz 1) und der Willens- und Betätigungsfreiheit in Kombination mit der sexuellen Integrität andererseits (Philipp in WK² § 201 Rz 5). Ein Fall von Scheinkonkurrenz aber auch von Exklusivität (s dazu Ratz in WK² Vorbem zu §§ 28-31, Rz 3 ff und 26 ff) ist daher in der hier zu beurteilenden Konstellation nicht auszumachen.

Diese Sicht steht nicht in Widerspruch zur bisherigen Judikatur (zum einen 15 Os 26/06x, 11 Os 82/06b, 14 Os 52/07i, 13 Os 149/08y, 12 Os 23/09p, 13 Os 114/09p, 12 Os 4/11x, 14 Os 24/11b, 15 Os 38/11v, zusammengefasst in RIS-Justiz RS0120828, zum anderen RS0115550), die das Gebot, eine doppelte Anlastung ein- und desselben Taterfolgs so weit wie möglich zu vermeiden (Burgstaller in WK² § 7 Rz 33) - entgegen dem sich bloß auf RIS-Justiz RS0120828 stützende, dabei aber das Wort „gleichartigen“ vernachlässigenden obiter dictum in 13 Os 114/11f - nur auf Fälle gleichartiger Realkonkurrenz und ungleichartiger Idealkonkurrenz bezogen hat.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Kurt T***** war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus gemäß § 285i StPO die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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