OGH 3Ob84/11s

OGH3Ob84/11s24.8.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am 2. Juni 2003 geborenen mj J*****, wohnhaft bei der obsorgeberechtigten Mutter Mag. G*****, vertreten durch Paar & Zwanzger Rechtsanwälte-Partnerschaft (GbR) in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. März 2011, GZ 45 R 761/10k-101, womit infolge Rekurses der Mutter der Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 17. November 2010, GZ 3 Ps 135/09m-92, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Der Mutter gelingt es in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs, der sich zum einen gegen ihre Mitwirkungspflicht an der Besuchsrechtsausübung durch den Vater wendet und zum anderen hinreichende Erhebungen zum Kindeswohl wegen der Flugreisen des Kindes vermisst, nicht, erhebliche Rechtsfragen aufzuzeigen.

1.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass im Hinblick auf den Vorrang des Kindeswohls in Ausnahmefällen ein Besuchsrecht auch in der Form eingeräumt werden kann, dass der obsorgeberechtigte Elternteil das Kind dem Besuchsberechtigten zu bringen hat, wofür nicht nur psychologische Aspekte bestimmend, sondern noch eine Reihe weiterer, vor allem wirtschaftliche und organisatorische Faktoren zu beachten seien, die eine Regelung praktikabel macht; zum Beispiel bei weiten Entfernungen das Transportproblem und der mit den Fahrten verbundene Zeitaufwand und in diesem Zusammenhang auch finanzielle und berufliche Rücksichten (7 Ob 285/04v; zu Pflegeeltern: 3 Ob 529/89). Auch in der Lehre ist anerkannt, dass besondere Umstände Ausnahmen vom Grundsatz, dass der Besuchsberechtigte selbst das Kind von dessen ständigem Aufenthaltsort abzuholen und dorthin zurückzubringen hat (RIS-Justiz RS0048002 [T1]), rechtfertigen können (Weitzenböck in Schwimann ABGB-TaKomm § 148 Rz 13; Thunhart in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 148 Rz 21). Ob solche besonderen Umstände vorliegen, die ausnahmsweise eine davon abweichende Besuchsrechtsausübung gerechtfertigt erscheinen lassen ist eine Frage des Einzelfalls und stellt mangels Vorliegens einer - hier nicht gegebenen - gravierenden Fehlbeurteilung, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte, keine erhebliche Rechtsfrage dar (7 Ob 134/02k).

1.2. Die Mutter bestreitet gar nicht das Vorliegen einer - in der Entfernung der Wohnorte von ca 700 km gelegene - besonderen Ausgangslage; sie erachtet es aber als unzumutbar, ihr ein aktives Tun im Zusammenhang mit der Ausübung des Besuchsrechts durch den Vater abzuverlangen.

Zu betonen ist zunächst, dass die Mutter gar nicht verpflichtet wurde, den Minderjährigen zum Vater (in die Schweiz) zu bringen; vielmehr hat sie ihn (nur) zum ihrem Wohnort nahegelegenen Flughafen zu bringen und von dort wieder abzuholen, und zwar pro Jahr an insgesamt sechs Tagen (Weihnachten, Semesterferien oder Ostern, Sommer), die überwiegend Samstage, den Palmsonntag und den Christtag betreffen; nur der 29. August und der 31. Dezember können auf einen Arbeitstag fallen. Die Einschätzung des Rekursgerichts, dies sei der Mutter zumutbar, sprengt den ihm eingeräumten Ermessensspielraum nicht und erfordert deshalb keine Korrektur durch den Obersten Gerichtshof.

Der in erster Instanz - trotz ausdrücklicher Beantragung dieser Modalität durch den Vater und trotz in der Vergangenheit wiederholter, im Rechtsmittelweg nie beanstandeter, zum Teil sogar einvernehmlicher Regelungen in diesem Sinn - ohnehin unterbliebene Einwand der Mutter, sie müsse dafür eigene Urlaubstage (ganz oder teilweise) in Anspruch nehmen, kommt daher kein entscheidendes Gewicht zu, wurde aber vom Rekursgericht ohnehin bedacht. Gerade angesichts des - nach der Aktenlage - eher angespannten Klimas zwischen den Kindeseltern erscheint die Würdigung des Rekursgerichts, es entspreche dem vorrangigen Wohl des Kindes, ihm dadurch konfliktbereinigend und vertrauensbildend zu zeigen, dass die Mutter mit der Verbringung der Besuchszeiten des Kindes beim Vater einverstanden sei, keinesfalls unvertretbar.

2. Der von der Mutter (erkennbar) gerügte Verfahrensmangel, das Erstgericht habe sich zu wenig mit der Gefährdung des Kindeswohls wegen der sechs Flüge pro Jahr ohne Begleitung auseinandergesetzt und die Einholung eines kinderpsychologischen Gutachtens unterlassen (Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz nach § 16 Abs 1 AußStrG) wurde vom Rekursgericht verneint und kann daher auch nach der zum neuen AußStrG ergangenen Judikatur keinen Revisionsrekursgrund bilden (RIS-Justiz RS0050037 [T7]). Die Voraussetzungen für die Durchbrechung dieses Grundsatzes aus Gründen des Kindeswohls (RIS-Justiz RS0050037 [T4]) liegen schon deshalb nicht vor, weil die Mutter nicht einmal im Rechtsmittelverfahren konkrete Umstände nennt, die (nunmehr) negative Auswirkungen auf den mittlerweile im 9. Lebensjahr befindlichen Buben erkennen ließen.

Auch die Aktenlage bietet keine Hinweise, die amtswegige Erhebungen vor der zuletzt getroffenen Entscheidung zu einer allfälligen Gefährung des Kindeswohls wegen der in Begleitung eines Mitglieds des Flugpersonals absolvierten Flüge erfordert hätten. Die Mutter hat weder nach dem ersten begleiteten Flug des Kindes knapp nach Vollendung des 5. Lebensjahres (im Sommer 2008) noch nach den zahlreichen weiteren Flügen 2009 und 2010 Bedenken in diese Richtung geäußert; ebenso wenig wurden vom Jugendwohlfahrtsträger Einwände dazu erhoben. Auch die Anhörung des Kindes im Oktober 2010 gab keinen Anlass dafür, sein Wohl durch die wenig vertraute Begleitung gefährdet zu sehen.

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