OGH 3Ob529/89

OGH3Ob529/8926.4.1989

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Dr. Angst als weitere Richter in der Vormundschaftssache des mj. Othmar P***, geb. am 19.Mai 1985, infolge Revisionsrekurses der Mutter Karin G*** und des Vaters Othmar H***, beide Wien 16., Liebknechtgasse 36/36/1 gegen den Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien als Rekursgericht vom 16. Februar 1989, GZ 22 R 44/88-141, womit der Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 27.Juli 1988, GZ 26 P 119/84-129, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Othmar P*** wurde am 19.Mai 1985 von Karin G*** außer der Ehe geboren; Othmar H*** hat die Vaterschaft zu dem Kind anerkannt. Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 26.Juni 1985 wurde gemäß § 26 Abs. 2 JWG gerichtliche Erziehungshilfe durch Unterbringung des Kindes in einem Heim angeordnet. Seit 11.September 1986 befindet sich der mj. Othmar, der sich bis dahin im Säuglingsheim Lainzerstraße befunden hatte, bei den vom Bezirksjugendamt für den 16. Bezirk in Wien (als dem Vormund des Kindes) ausgewählten Pflegeeltern Kurt und Gertraud S***, die bei der Übergabe des Kindes in Wien 10. wohnten, seit März 1988 jedoch in Steinberg nahe Oberpullendorf, Burgenland, leben. Der Beschluß des Erstgerichtes vom 16.Oktober 1986, mit dem die Einweisung des Kindes zu einer magistratischen Pflegepartei genehmigt wurde, wurde über Rekurs der Eltern von der zweiten Instanz zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgehoben. Eine neue Entscheidung ist bisher nicht ergangen. Das Besuchsrecht wurde zunächst einvernehmlich in der Weise ausgeübt, daß die Eltern den mj. Othmar alle zwei Wochen für jeweils eineinhalb Stunden bei der Pflegefamilie besuchten, wobei sie die Hälfte dieser Zeit mit dem Kind spazierengingen. Seit Übersiedlung der Pflegeeltern in das Burgenland fährt die Pflegemutter einmal monatlich mit dem Kind nach Wien (Dauer der Fahrt mit dem Autobus, die mitunter schon am Vorabend unternommen wird, zweieinhalb Stunden) und bringt es in das Julius Tandler-Familienzentrum in Wien 9, wo es die Eltern erwarten.

Die Eltern haben dann den mj. Othmar für zwei Stunden, die sie im wesentlichen bei den väterlichen Großeltern verbringen. Die väterlichen Großeltern haben wegen der Übersiedlung der Pflegeeltern des Kindes in das Burgenland den Antrag gestellt, ihnen das Recht für Pflege und Erziehung ihres Enkelkindes "nach § 145 ABGB" zuzuteilen, um den Eltern bessere Besuchskontakte zu ermöglichen. Anläßlich eines Berichtes über die seit der Übersiedlung der Pflegeeltern bestehenden Verhältnisse schlug die Wiener Jugendgerichtshilfe zur Abklärung der Entwicklung der Kontakte zwischen dem Kind und seinen Großeltern vor, zunächst eine günstigere Besuchsrechtsregelung zu treffen, derart, daß die Pflegemutter das Kind an jedem ersten und dritten Dienstag eines Monats nach Wien bringe und den Eltern übergebe, die es zu den väterlichen Großeltern und dann jeweils am Donnerstag derselben Woche zur Pflegefamilie zurückbringen.

Mit Beschluß vom 27.Juli 1988 traf das Erstgericht eine Besuchsrechtsregelung im Sinne dieses Vorschlages, die "spätestens im November 1988" einer Überprüfung unterzogen werden sollte. Die bestehende Regelung sei unbefriedigend. Dem mj. Othmar müsse daher Gelegenheit gegeben werden, sich bei seinen Eltern, mehr aber noch bei seinen Großeltern einzugewöhnen, um verläßlich beurteilen zu können, ob eine Überstellung zu den Großeltern seinem Wohl diene. Auch wenn es nicht zu einer Überstellung kommen sollte, seien die Kontakte des Kindes zu seinen Eltern und Großeltern wichtig und müßten ausgeweitet werden.

Die zweite Instanz gab den Rekursen des Bezirksjugendamtes für den

16. Bezirk (das beantragte, das Besuchsrecht der väterlichen Großeltern während eines den Eltern einzuräumenden Besuchsrechtes festzulegen, und zwar einmal monatlich in Wien für die Dauer von drei Stunden und einmal monatlich am Wohnort der Pflegeeltern in der Dauer von einem halben Tag) und der Pflegemutter Folge und hob diesen Beschluß zur neuen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Der angefochtene Beschluß regle das Besuchsrecht der Eltern, indem es die Pflegemutter verpflichte, das Kind zweimal monatlich nach Wien zu bringen. Infolge der relativ großen Entfernung würden damit der Pflegemutter erhebliche zeitliche und finanzielle Belastungen auferlegt, denen sie gegenüber dem Vormundschaftsgericht nicht zugestimmt habe. Die Entscheidung sei daher unhaltbar. Das Erstgericht werde vor allem hinsichtlich der nicht in Steinberg auszuübenden Besuche das Einvernehmen mit der Pflegemutter herzustellen haben; auch seien die Erfahrungen der Beteiligten bei den bisherigen Besuchen des Minderjährigen zu erheben und mitzuberücksichtigen.

Die Eltern des mj. Othmar bekämpfen den Aufhebungsbeschluß mit Revisionsrekurs und streben offensichtlich (ohne ausdrückliche Antragstellung) die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses an. Sie behaupten Mängel des Pflegeplatzes und ein Nichtfunktionieren von Besuchskontakten, und weisen darauf hin, daß sie den Antrag auf Überstellung des Kindes an einen anderen Pflegeplatz gestellt und daß auch die (väterlichen) Großeltern die Zuteilung der Pflege und Erziehung beantragt hätten. Das Bezirksjugendamt für den 16. Bezirk habe selbst den Standpunkt vertreten, die Pflegefamilie des mj. Othmar solle in Wien beheimatet sein, um den leiblichen Eltern Besuchskontakte ohne zu große räumliche Distanz zu ermöglichen.

Rechtliche Beurteilung

Das Erstgericht strebt eine Änderung der bestehenden Besuchsrechtsregelung, wie es in der Begründung seines Beschlusses ausführt, als mögliche Vorbereitung des Kindes auf einen anderen Pflegeplatz, allenfalls bei den väterlichen Großeltern an, weil die Lebensbedingungen des Kindes bei der Pflegefamilie S*** nach dem Bericht der Wiener Jugendgerichtshilfe ON 128 nicht optimal seien, das Ausmaß der Förderung des Kindes sehr zu wünschen übrig lasse und durch die Übersiedlung der Pflegefamilie in das Burgenland die Pflege des Kontakts zwischen Othmar und seinen Eltern erschwert und für das Kind sehr strapaziös gestaltet wird. In diesem gerechtfertigten Bemühen, durch eine Intensivierung der Besuchskontakte die Beziehungen des Kindes zu seinen Eltern und Großeltern zu fördern, um allenfalls einen Wechsel des Pflegeplatzes vornehmen zu können, hat das Erstgericht aber den Pflegeeltern zusätzliche Verpflichtungen auferlegt. Ein Elternteil, dem die Pflege und Erziehung des Kindes zusteht, kann im allgemeinen, besonders bei großer Entfernung (Ausland) nicht dazu verpflichtet werden, das Kind dem anderen Teil zur Ausübung dessen Besuchsrechtes zuzuführen; der Besuchsberechtigte hat vielmehr selbst das Kind von seinem ständigen Aufenthaltsort abzuholen und es dorthin zurückzubringen (AnwBl. 1983, 719; 1 Ob 664/85; 8 Ob 620/85). Für den nicht näher geregelten Pflegevertrag kann grundsätzlich dasselbe gelten. Auch Pflegeeltern sind, wenn nicht anderes vertraglich vereinbart wurde, nicht ohne weiteres verpflichtet, den besuchsberechtigten leiblichen Eltern das Kind zur Ausübung ihres Besuchsrechtes zuzuführen.

Im vorliegenden Fall wurde der mj. Othmar den Pflegeeltern allerdings offensichtlich in der Annahme übergeben, daß sie ihren Wohnsitz in Wien aufrecht erhalten. Wohl auch unter Berücksichtigung dieses Umstandes haben sich die Pflegeeltern nach ihrer Übersiedlung in das Burgenland aus eigenem bereit gefunden, das Kind einmal monatlich nach Wien zu bringen, um den Eltern ein - zweistündiges - Besuchsrecht zu ermöglichen.

Es ist keine Frage, daß ein derart geringer Kontakt der leiblichen Eltern mit ihrem Kind überaus unbefriedigend ist, zumal nach der Aktenlage Bedenken gegen eine Ausweitung dieses Besuchsrechtes nicht bestehen und auch nicht geltend gemacht werden.

Da aber den Pflegeeltern, wie dargelegt wurde, nicht ohne weiteres aufgetragen werden kann, das Kind den Eltern zur Ausübung ihres Besuchsrechtes öfter als bisher zuzuführen, erweisen sich die vom Rekursgericht aufgetragenen Erhebungen als notwendig. Sollten sich die Pflegeeltern nicht bereit finden, das Kind im Sinne des Vorschlages der Wiener Jugendgerichtshilfe und des Beschlusses des Erstgerichtes zweimal monatlich nach Wien zu bringen, wird den Eltern ein zweites monatliches Besuchtsrecht in der Form, daß die Pflegeeltern das Kind nach Wien bringen müssen, nur unter besonderen Umständen eingeräumt werden können, etwa wenn es den Pflegeeltern (aus näher zu untersuchenden Gründen) doch und leichter als den Eltern zumutbar wäre, auch noch diese Fahrt mit dem Kind auf sich zu nehmen. Im umgekehrten Fall wird allerdings bei der noch ausstehenden Entscheidung über den Wechsel des Pflegeplatzes auch zu erwägen sein, ob nicht die Weiterbelassung des Kindes bei den jetzigen Pflegeeltern dem Wohl des Kindes wegen der weitgehenden Unterbindung des Aufbaues eines besseren Kontaktes mit den leiblichen Eltern in einem solchen Maß nachteilig ist, daß dieser Pflegeplatz ungeeignet erscheint. Es werden auch iS des Hinweises der zweiten Instanz auf das Rekursvorbringen des Bezirksjugendamtes Erhebungen darüber durchzuführen sein, ob eine so weite Ausdehnung des Besuchsrechtes wie vorgeschlagen unter Bedachtnahme auf das Wohl des Kindes zweckmäßig und erforderlich ist. Die Frage, ob dem Kind Übernachtungen bei den Großeltern zugemutet werden können, kann allerdings entgegen der Ansicht des Jugendamtes nicht in allgemeiner Form verneint werden; abzustellen ist vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles.

Das Rechtsschutzinteresse an der Behandlung des vorliegenden Rechtsmittels ist durch die im Beschluß des Erstgerichtes enthaltene Ankündigung, die Besuchsrechtsregelung sollte bis spätestens November 1988 einer Überprüfung unterzogen werden, nicht fortgefallen; das Erstgericht hat mit diesen Worten lediglich auf seine Absicht, eine bloß vorläufige Regelung zu treffen, hingewiesen.

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