Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die Klägerin begehrt die Übergabe des Bestandobjekts P*****-Straße ***** Wien, das sie der Beklagten als Wohnung auf zehn Jahre befristet vermietet habe. Das Mietverhältnis habe am 14. 7. 2007 geendet, ohne dass es einer Kündigung bedurft hätte. Zwischen den Parteien sei stets klar gewesen, dass ein Mietvertrag über eine Wohnung abgeschlossen werden sollte. Der Beklagten sei über ihre Bitte lediglich die Nebennutzung als Ordination gestattet worden; die Klägerin habe jedoch klar zum Ausdruck gebracht, dass der Wohncharakter durch Belassen einer Badewanne und einer Schlafstätte bestehen bleiben müsse. Zur Vermeidung von Streitigkeiten mit dem Finanzamt habe die Klägerin zunächst 20 % Umsatzsteuer (USt) vorgeschrieben. Die Beklagte habe dies unter Hinweis auf die Wohnungsmiete beeinsprucht, sodass ihr künftig nur noch 10 % USt vorgeschrieben worden seien. Erst nach Erhalt des Schreibens vom 11. 1. 2007 und dem Ersuchen um einen Rückgabetermin habe die Beklagte versucht 20 % USt zu bezahlen. Der Versuch, sich auf eine nachträglich konstruierte Geschäftsraummiete zu berufen, sei sittenwidrig.
Die Beklagte erhob Einwendungen, bestritt das Räumungsbegehren, beantragte Klageabweisung und brachte im Wesentlichen vor, sie habe die Räumlichkeiten als Ordination angemietet. Der Klägerin sei stets bekannt gewesen, dass die Beklagte Ordinationsräumlichkeiten suche und diese nicht zu Wohnzwecken nutzen werde. Bei Abschluss des Mietvertrags sei die befristete Vermietung von Geschäftsräumen nicht zulässig gewesen und daher unwirksam.
Das Erstgericht hob den Übergabeauftrag als rechtsunwirksam auf. Es traf folgende Feststellungen:
Die Beklagte ist Ärztin und betrieb ursprünglich in ihrer Wohnung in der M*****gasse ***** Wien ihre Ordination. Infolge wollte sie Wohnung und Ordination trennen und fand schließlich die fraglichen Räumlichkeiten in der P*****-Straße ***** Wien über eine Annonce in der Zeitung unter der Rubrik „Büros“.
Die Vermittlung erfolgte über eine mit der Klägerin regelmäßig zusammenarbeitende Immobilienmakler GmbH. Deren Mitarbeiterin, Frau F*****, wurde von der Beklagten mitgeteilt, dass sie Ordinationsräumlichkeiten suche. Frau F***** hielt Rücksprache mit R***** P*****, dem Ehegatten der Klägerin, der sich mit dem angebotenen Nettohauptmietzins von 10.000 ATS einverstanden erklärte. Sie informierte ihn auch über die beabsichtigte Verwendung als Ordination und er sprach sich nicht dagegen aus. Ob er der „Maklerin“ sagte, dass jedenfalls eine Schlafgelegenheit vorhanden sein müsse, ist nicht feststellbar.
Bei einem Besichtigungstermin, an dem die Beklagte, Frau F***** und R***** P***** teilnahmen, wurde besprochen, dass die Beklagte eine Ordination betreiben wolle, welcher Renovierungsbedarf bestand, dass im Badezimmer bestimmte Fliesen nicht entfernt werden dürften, Krankenwagen nicht in den Hof einfahren dürften und wie das Ordinationsschild auszusehen habe.
Dass die Beklagte eine Schlafgelegenheit in den Mieträumlichkeiten vorzusehen habe, wurde nicht besprochen.
Das Mietverhältnis war auf 10 Jahre befristet. Mietgegenstand waren laut Mietvertrag vom 26. 3. 1997 „die Räume im 2. Stock des Hauses P*****-Straße *****, Wien ***** als Ordination und Wohnung (...)“. Unter Punkt VII des Mietvertrags wurde festgehalten, dass der Mieterin bekannt sei, dass sie nicht befugt sei, in den Hof einzufahren, insbesondere auch nicht andere Fahrzeuge wie Krankenwagen.
Nach Abschluss der Umbauarbeiten verlegte die Beklagte ihre Ordination im Mai 1997 in die P*****-Straße und nütze diese Räumlichkeiten ausschließlich als Ordination. Die Wohnung in der M*****gasse nützte sie seither zunächst nur zu Wohnzwecken; einen Raum später wieder als Behandlungsraum.
In der Kautionsvereinbarung vom 24. 3. 1997 wurde die Höhe der Kaution für die „Wohnung top ***** im Hause ...“ festgelegt. Im Mietanbot der Immobilienmakler GmbH vom 12. 3. 1997 wird das Objekt als „Büro - Wohnung“ und in der Honorarnote als „Ordination und Wohnung“ bezeichnet. Sowohl die Beklagte als auch R***** P***** maßen diesen Bezeichnungen keine große Bedeutung bei.
Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses wusste die Beklagte nicht, dass eine befristete Vermietung von Geschäftsräumlichkeiten unzulässig war. R***** P***** sagte ihr damals, dass man den Vertrag nach Fristablauf verlängern könne; die Befristung diene dazu, den Mietzins nachbessern zu können. Die Beklagte rechnete mit einer weiteren Einigung.
Mit der ersten Mietzinsvorschreibung (1. 4. 1997) wurden der Beklagten 20 % USt vorgeschrieben. Mit 7. 4. 1997 wurde die Mietzinsvorschreibung geändert und es wurden nur noch 10 % USt vorgeschrieben. Dass die Herabsetzung erfolgte, weil die Beklagte oder ihr Steuerberater darauf hingewiesen hätten, dass bei Wohnungsmiete nur 10 % USt anzusetzen seien, kann nicht festgestellt werden. Die Beklagte hat sich bei der Klägerin nicht nach dem Grund der Herabsetzung erkundigt. Sie bezahlte in der Folge einen monatlichen Bruttomietzins von 11.000 ATS. Die Höhe des Steuersatzes wurde erst mit Beginn der Auseinandersetzungen über die Rückstellung thematisiert. Die Beklagte überwies erstmalig am 5. 2. 2007 einen Betrag von 167,04 EUR mit dem Verwendungszweck „Nachzahlung MwSt 10 % auf 20 % für 1/2 2007“ an die Klägerin, welche diese Nachzahlung jedoch nicht annahm, sondern zurück überwies.
Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass die vorgesehene Befristung für Geschäftsräumlichkeiten nicht zulässig gewesen sei (§ 29 Abs 1 Z 3 lit c MRG idF BGBl I 22/1997), für Wohnungen hingegen schon. Auch unter Anwendung der strengeren Judikatur, die ein deutliches Überwiegen der betrieblichen Nutzung verlange, würde sich (selbst wenn man den Angaben des Zeugen P***** folgen wollte) lediglich ergeben, dass eine Badewanne und eine Schlafgelegenheit vorzusehen waren, um „formell“ und damit jedenfalls untergeordnet den Wohnungscharakter zu erhalten. Eine vereinbarte überwiegende Verwendung zu Wohnzwecken lasse sich daraus keinesfalls ableiten; vielmehr indiziere gerade dies den übereinstimmenden Parteiwillen der Vermietung zum Betrieb einer Arztpraxis. Gemäß § 49c Abs 6 MRG bleibe eine solche rechtsunwirksame Befristung auch weiterhin rechtsunwirksam.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge. Es änderte das Urteil des Erstgerichts dahin ab, dass es den Übergabeauftrag für wirksam erklärte und die Beklagte zur Rückstellung des Bestandobjekts an die Klägerin verpflichtete. Auf die Beweisrüge ging es nicht ein, weil der Übergabeauftrag nach den erstgerichtlichen Feststellungen ohnehin wirksam sei. Es sei „von der schriftlichen Vertragserklärung des Gatten der Klägerin für diese einerseits und der Beklagten andererseits im Mietvertrag [Beilage] ./A auszugehen“. Hier sei die Verwendung „als Ordination und Wohnung“ einvernehmlich festgelegt worden. Wenn, wie festgestellt worden sei, die von der Beklagten beauftragte Immobilienvermittlerin den Zeugen P***** auch über die beabsichtigte Verwendung als Ordination informiert habe, dann habe diese Erklärung beim Erklärungsempfänger nicht die Bedeutung des gewünschten Ausschlusses von Wohnzwecken gehabt. Dass die Beklagte der Vermieterin erklärt habe, dass sie Wohnzwecke nicht anstrebe, sei nicht festgestellt. Dass die Beklagte eine Ordination betreiben wolle, welcher Renovierungsbedarf hiefür bestanden habe und dass im Badezimmer bestimmte Fliesen nicht hätten entfernt werden dürfen, sei keineswegs die Vereinbarung, dass die Wohnzwecke nur in ganz untergeordneter Bedeutung ausgeübt werden dürften.
Da ein übereinstimmender, abweichender Vertragswille zu dem im [schriftlichen] Mietvertrag festgehaltenen Verwendungszweck nicht festgestellt worden sei, sei die dort vertraglich vorgesehene Verwendung des Mietobjekts als Ordination und Wohnung maßgebend. Nach den Abgrenzungskriterien des § 16 Abs 1 Z 1 MRG handle es sich daher um einen Wohnungsmietvertrag. Seine Befristung sei durchsetzbar und der Übergabeauftrag daher wirksam.
Die ordentliche Revision sei nicht zuzulassen, weil Gegenstand des Verfahrens die Auslegung von Vertragserklärungen im Einzelfall gewesen sei.
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, die Berufung der Klägerin zu verwerfen und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen; hilfsweise wird begehrt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Gerichten erster und zweiter Instanz eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufzutragen.
Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, allenfalls ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision ist zulässig und mit ihrem Aufhebungsantrag auch berechtigt.
Wenngleich die Auslegung rechtsgeschäftlicher Parteienerklärungen, von denen nicht anzunehmen ist, dass sie in vergleichbarer Form neuerlich vorkommen, mangels einer über den Anlassfall hinausgehenden Bedeutung die Zulässigkeit der Revision im Allgemeinen nicht begründen, liegt hier eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO vor, weil bei der Vertragsauslegung der zweiten Instanz ein nicht vertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde, das weder im Wortlaut der Vereinbarungen noch in den erstinstanzlichen Feststellungen zur Parteienabsicht eine ausreichende Grundlage hat (3 Ob 145/08g mwN).
Die vom Berufungsgericht bejahte Wirksamkeit des auf Antrag von der klagenden Vermieterin erlassenen Übergabeauftrags richtet sich danach, ob der mit der beklagten Orthopädin abgeschlossene, auf zehn Jahre befristete Hauptmietvertrag vom 26. 3. 1997 eine „Wohnung“ (iSd § 29 Abs 1 Z 3 lit c MRG idF BGBl Nr 222/1997 [iVm § 49c Abs 6 MRG]) betraf oder ob Geschäftsraummiete vorliegt. Was diese Unterscheidung betrifft ist zunächst auf die ständige Rechtsprechung zu verweisen:
Demnach kommt es für die Frage, ob ein Bestandgegenstand als Geschäftsraum zu werten ist, nicht darauf an, in welcher Art er nach Abschluss des Mietvertrags verwendet wird, sondern zu welchem Zweck er bei Abschluss des Bestandvertrags nach der Parteienabsicht in Bestand gegeben beziehungsweise genommen wurde (RIS-Justiz RS0066884; RS0069605; RS0070039).
Maßgebend ist die vom Parteiwillen getragene Widmung (RIS-Justiz RS0070039 [T3]); grundsätzlich ohne Bedeutung ist hingegen, zu welchen Zwecken das Bestandobjekt tatsächlich benützt wird (RIS-Justiz RS0070039 [T1]). Zur Ermittlung der Parteienabsicht (im Rahmen der Auslegung rechtsgeschäftlicher Erklärungen) kommen nicht nur der im Mietvertrag angegebene Benützungszweck, sondern auch die Parteienerklärungen vor Abschluss des Mietvertrags und dessen sonstige Bestimmungen in Betracht (RIS-Justiz RS0069605 [T3]).
Die außerordentliche Revision der Beklagten beruft sich zum einen darauf, der Verwendungszweck eines Bestandobjekts könne nicht nur schriftlich, sondern auch mündlich vereinbart werden, wobei im vorliegenden Fall mündlich Einigkeit darüber bestanden habe, „ausschließlich Ordinationsräumlichkeiten“ zu vermieten und anzumieten. Zum anderen fehle eine einhellige Judikatur zur Frage, wann bei gemischter Verwendung von Bestandobjekten von einer Geschäftsraummiete auszugehen sei: Nach einem Teil der Entscheidungen müsse eine bedeutend überwiegende Verwendung zu betrieblichen Zwecken vorliegen, nach anderen Entscheidungen reiche bloßes Überwiegen des einen Verwendungszwecks.
Dem ist vorerst zu erwidern, dass sich die letztgenannte Frage hier gar nicht stellt, weil (nach den Feststellungen) eine gemischte Verwendung von Seiten der Beklagten gar nie beabsichtigt war. Nach den Ausführungen ihrer Revision ist die Frage, ob bloßes Überwiegen oder nur eine bedeutend überwiegende Verwendung zu geschäftlichen Zwecken ausreicht (vgl RIS-Justiz RS0106084; RS0106318 sowie RS0070693 und RS0078878 [zur Arztordination in einer Wohnung]), somit schon mangels Vorliegens eines gemeinsamen, auf gemischte Nutzung des Bestandobjekts gerichteten Parteiwillens nicht präjudiziell (RIS-Justiz RS0088931).
Der bekämpften Auslegung rechtsgeschäftlicher Erklärungen kommt hingegen erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu, weil das Berufungsgericht - wie die Revisionsbeantwortung verkennt - ein nicht vertretbares Auslegungsergebnis erzielt hat:
Zu Recht macht die Revisionswerberin geltend, dass der Verwendungszweck eines Bestandobjekts nicht nur schriftlich, sondern auch mündlich vereinbart werden kann. Die allein auf den Vertragstext, also die „schriftliche Vertragserklärung“ abstellende Beurteilung des Gerichts zweiter Instanz greift zu kurz; wurde doch (nach den - noch ungeprüften - Feststellungen) zwischen den Parteien ausdrücklich besprochen, dass die Beklagte im Bestandobjekt „eine Ordination betreiben“ wollte, wogegen sich der Zeuge P***** (als Vertreter der Klägerin) nicht aussprach. Dass die Beklagte eine Schlafgelegenheit vorzusehen habe, wurde hingegen gar nicht besprochen; es konnte nicht einmal festgestellt werden, dass der Zeuge P***** der „Maklerin“ eine diesbezügliche Mitteilung gemacht hätte.
Entgegen dem Standpunkt des Berufungsgerichts hat das Erstgericht somit klare Feststellungen getroffen, wonach der Zeuge P***** im Zuge der Vertragsgespräche über die beabsichtige Verwendung des Bestandobjekts (nicht als Wohnung sondern als Ordination) informiert wurde und dagegen nichts einzuwenden hatte.
Gegen diese Tatsachengrundlage für die (nicht zu beanstandende) Beurteilung, es liege ein übereinstimmender Parteiwille vor, das Bestandobjekt zum Betrieb einer Arztpraxis zu vermieten (worauf sich die Klageabweisung infolge rechtsunwirksamer Befristung stützt), hat die Klägerin in ihrer Berufung jedoch eine Beweisrüge erhoben. Die Revisionsbeantwortung hält dazu fest, dass diese „zum Nachteil der Klägerin unrichtigen“ Feststellungen über die Parteienabsicht im Rahmen der Berufung bekämpft wurden, worauf das Berufungsgericht nicht eingegangen sei.
Um diese Frage abschließend beurteilen zu können, bedarf es der Erledigung der Beweisrüge. Eine Wiederherstellung des klageabweisenden Ersturteils kommt daher nicht in Betracht. Das angefochtene Urteil ist vielmehr zur neuerlichen Entscheidung durch das Berufungsgericht aufzuheben.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
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