OGH 5Ob44/11y

OGH5Ob44/11y7.6.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Inna S*****, und 2. Annamaria S*****, geboren am 18. Dezember 2001, vertreten durch Inna und Ilija S*****, ebendort, beide vertreten durch Dr. Charlotte Böhm, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Stadt *****, vertreten durch Emberger Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 2. Dr. Wolfgang S*****, vertreten durch Korn Frauenberger Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen 109.000 EUR sA und Feststellung (8.720 EUR) über die außerordentliche Revision der Erstklägerin (Revisionsinteresse 40.000 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. April 2010, GZ 12 R 185/09b-137, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Mit Beschluss des Berufungsgerichts vom 24. 11. 2010 wurde der Antrag der Zweitklägerin auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs gemäß § 508 Abs 4 ZPO zurückgewiesen. Die zweitinstanzliche Entscheidung ist daher hinsichtlich des Begehrens der Zweitklägerin in Rechtskraft erwachsen.

2. Die außerordentliche Revision der Erstklägerin ist nach der Aktenlage, obwohl Rückscheine über die Zustellung der zweitinstanzlichen Entscheidung fehlen, offenkundig nicht verspätet. Das Rechtsmittel hat daher die Vermutung der Rechtzeitigkeit für sich (RIS-Justiz RS0006965).

3. Die damals 36jährige Erstklägerin erlitt bei der Entbindung ihres dritten Kindes (der Zweitklägerin) durch einen ärztlichen Kunstfehler des Geburtshelfers eine Zerreißung im Bereich der Gebärmuttervorderwand samt Einreißen der die Gebärmutter versorgenden Arterien, weshalb die Gebärmutter samt Anhangsgebilden (Eierstöcke und Eileiter) entfernt werden musste. Die dabei von ihr erlittenen Schmerzen ab Uterusriss bis zur Operation sind als die „höchstmögliche existierende Schmerzbelastung“ einzustufen. In der Folge ergaben sich bei der Erstklägerin ein depressives Zustandsbild und ausgeprägte Beschwerden als Folge der durch die Entfernung von Uterus und Eierstöcken bedingte Dysbalance des Hormonhaushalts. Diese waren durch Hormonbehandlung nur zeitlich begrenzt zu lindern. Eine dieser Folgen ist ein starker, fast vollständiger Libidoverlust und Schmerzbelastung bei Geschlechtsverkehr. Als posttraumatische Belastungsstörung leidet die Erstklägerin unter Stimmungsschwankungen, Depression, Affektlabilität, sexueller Anhädonie und dem Verlust des weiblichen Selbstwertgefühls.

Ausgehend von diesem Zustandsbild gelangte das Berufungsgericht für die Abgeltung der physischen und psychischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustands der Erstklägerin unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu einer Globalbemessung des Schmerzengeldes in Höhe von 60.000 EUR samt 4 % Zinsen ab Klagstag. Ein Schmerzengeldmehrbegehren von 40.000 EUR sA wurde abgewiesen.

Schon das Berufungsgericht ging auf das Argument der Erstklägerin ein, es seien auch die von ihr im Zeitraum 12. 12. 2001 (Aufnahme in der Krankenanstalt der Erstbeklagten) bis 18. 12. 2001 (Entbindung durch Kaiserschnitt) erlittenen Beeinträchtigungen zu berücksichtigen.

Das Berufungsgericht bemaß das Schmerzengeld als Globalsumme „unter ganzheitlicher Betrachtung“ der körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen der Klägerin, also des gesamten Spektrums ihrer Beeinträchtigungen. Dabei berücksichtigte es die bei der Geburt durch den ärztlichen Kunstfehler zusätzlich zu erduldenden, massiven Schmerzen und Ängste ebenso wie die stärkeren psychischen Beeinträchtigungen durch flash backs (im Bezug auf die Erlebnisse während der Geburt) die ersten Monate hindurch und die vorliegende posttraumatische Belastungsstörung, der Krankheitswert zuzumessen ist. In der Frage der Dauer der zu erwartenden psychischen Beeinträchtigungen fand das Berufungsgericht - einem Sachverständigengutachten folgend - eine Begrenzung mit dem zu erwartenden Eintritt der natürlichen Menopause bei der Erstklägerin als Orientierungshilfe für angebracht.

4. Geht das Berufungsgericht bei Prüfung der Berechtigung des begehrten Schmerzengeldes von den nach dem Gesetz zu berücksichtigenden Umständen aus, so handelt es sich bei dessen Ausmessung selbst um einen Einzelfall, auf den - wie allgemein bei Ermessensentscheidungen (vgl RIS-Justiz RS0044088) - die Kriterien des § 502 Abs 1 ZPO nicht zutreffen (RIS-Justiz RS0042887). Nur im Fall einer eklatanten Fehlbemessung, die völlig aus dem Rahmen der Rechtsprechung fällt, wäre zur Vermeidung einer gravierenden Ungleichbehandlung durch die Rechtsprechung und damit letztlich aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit eine Revision dennoch ausnahmsweise zulässig (RIS-Justiz RS0042887 [T5; T6; T8; T9; T10]; RS0031075; Danzl in Danzl/Gutierrez-Lobos/Müller, Schmerzengeld9 310 ff).

Das Berufungsgericht hat seine Gründe für die Neubemessung bzw Minderung des vom Erstgericht zuerkannten Schmerzengeldbetrages ausführlich dargelegt und durch zahlreiche Fundstellen aus der Judikatur belegt (das Aktenzeichen der in Seite 37, letzter Absatz seiner Entscheidung zitierten OLG-Wien-Entscheidung lautet allerdings richtig „16 R 128/06w“). Eine vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende gravierende Fehlbemessung des zuerkannten Schmerzengeldes im Einzelfall ist nicht zu erkennen. Der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen für die Bemessung im Einzelfall darf bei Bemessung des Schmerzengeldes nicht gesprengt werden (vgl RIS-Justiz RS0031075). Die in der Revision zitierten weiteren Entscheidungen sind schon von den Sachverhalten her nicht vergleichbar.

Dass die im Zeitraum zwischen Aufnahme der Erstklägerin in die Krankenanstalt und der tatsächlichen Entbindung erlittenen Beeinträchtigungen nicht auf ein Fehlverhalten des behandelnden (zweitbeklagten) Arztes zurückzuführen sind, weshalb die Kausalität zu verneinen ist, haben die Vorinstanzen schon dargelegt.

Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO werden nicht dargetan.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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