OGH 7Nc5/11m

OGH7Nc5/11m26.5.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen L***** S***** N*****, geboren am *****, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Fürstenfeld vom 9. März 2011, GZ 2 Ps 289/09i-81, verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Oberpullendorf wird genehmigt.

Text

Begründung

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Fürstenfeld vom 6. 9. 2010 (2 Ps 289/09i-70) wurde die Obsorge der Mutter entzogen und dem Jugendwohlfahrtsträger Land S***** übertragen. In der Begründung wurde ausgeführt, dass eine Rückführung des Kindes an die Mutter unter konkret genannten Bedingungen (wie Absolvierung psychotherapeutischer Behandlungen) frühestens „mit Semester 2011“ möglich sei. Die Minderjährige wohnt seit 10. 8. 2010 in der Wohngemeinschaft in R***** im Sprengel des Bezirksgerichts Oberpullendorf.

Mit Beschluss vom 9. 3. 2011 übertrug das Bezirksgericht Fürstenfeld die Zuständigkeit in dieser Pflegschaftssache gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Oberpullendorf.

Das Bezirksgericht Oberpullendorf lehnte am 18. 3. 2011, AZ 1 Ps 31/11k, die Übernahme der Zuständigkeit gemäß § 111 JN ab. Offenkundig stehe in absehbarer Zeit eine Entscheidung über die Frage einer „allfälligen Rückführung des Kindes zur Mutter“ an und damit, ob die Mutter die vom Bezirksgericht Fürstenfeld aufgestellten Bedingungen hiefür erfüllt habe. Es sei sachgerechter und liege eher im Interesse des Kindes, wenn diese Frage von dem Gericht entschieden werde, das die Bedingungen aufgestellt habe. Trotz des Wohnsitzes des Kindes im Sprengel des Bezirksgerichts Oberpullendorf werde die wirksamere Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes durch dieses Gericht nicht gefördert.

Das Bezirksgericht Fürstenfeld legt den Akt zur Entscheidung „gemäß § 47 JN“ vor. Das Bezirksgericht Fürstenfeld habe die Obsorgeübertragung nicht an „Bedingungen“ geknüpft, deren Einhaltung es nun überprüfen müsste. Weder die Eltern noch das Kind hätten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sprengel des Bezirksgerichts Fürstenfeld. Die Beschlussfassung in dieser Sache könne nicht zu einer „Dauerzuständigkeit“ unabhängig vom gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes führen.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Bezirksgericht Fürstenfeld ausgesprochene Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 JN ist berechtigt.

Wenn es im Interesse eines Minderjährigen gelegen erscheint, kann das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht von Amts wegen oder auf Antrag seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen (§ 111 Abs 1 JN). Die Übertragung wird wirksam, wenn das andere Gericht die Zuständigkeit oder die ihm übertragenen Geschäfte übernimmt. Im Fall der Weigerung des anderen Gerichts bedarf die Übertragung zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung des den beiden Gerichten zunächst übergeordneten gemeinsamen höheren Gerichts (§ 111 Abs 2 JN). Das Erfordernis einer Übertragung der Zuständigkeit ist am Kindeswohl zu orientieren. Deshalb bilden offene Anträge im Allgemeinen kein Übertragungshindernis (RIS-Justiz RS0046895), es sei denn, dem übertragenden Gericht käme zur Entscheidung eine besondere Sachkenntnis zu (RIS-Justiz RS0047032). Nach ständiger Rechtsprechung kann den notwendigen pflegschaftsgerichtlichen Schutz gewöhnlich das Gericht am besten gewährleisten, in dessen Sprengel der Pflegebefohlene wohnt. Anderes gilt, wenn triftige Gründe für die Weiterführung der Pflegschaftssache durch das bisher befasste Gericht sprechen, so etwa dann, wenn sich das übertragende Gericht durch die Vernehmung in Betracht kommender Personen bereits eine durch einen unmittelbaren persönlichen Eindruck geprägte besondere Sachkenntnis verschaffte (RIS-Justiz RS0047032 [T7, T12, T14, T16, T23]).

Im vorliegenden Fall wurde vom Bezirksgericht Fürstenfeld über die Obsorge entschieden. Das Kind hat aber nun seinen Lebensmittelpunkt in einem im Sprengel des Bezirksgerichts Oberpullendorf gelegenen Heim. Damit dient eine Übertragung der Obsorge an dieses Gericht grundsätzlich dem Wohl des Kindes. Dass das Bezirksgericht Fürstenfeld bei einer allfälligen Entscheidung über einen Antrag der Mutter - der noch nicht gestellt wurde - besondere Sachkenntnisse hätte, die gegen eine Übertragung sprächen, ist nicht erkennbar. Auch wenn es beim oben zitierten Beschluss eine Möglichkeit der Rückübertragung der Obsorge an die Mutter andeutete, so müssten - sollte der Antrag von der Mutter gestellt werden - vom Pflegschaftsgericht die Lebensumstände der Mutter und des Kindes neu erhoben werden, und zwar unabhängig davon, was im Beschluss des Bezirksgerichts Fürstenfeld „angedeutet“ wurde. Es wäre (selbständig) zu prüfen, ob eine Rückübertragung der Obsorge an die Mutter dem Wohl des Kindes dient. Es müsste also die Lebenssituationen der Beteiligten zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit einer entsprechenden Zukunftsprognose beurteilt werden. Im Übrigen wohnt auch die Mutter nicht mehr im Sprengel des Bezirksgerichts Fürstenfeld. Es hat daher im vorliegenden Fall bei dem in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsatz zu bleiben, dass das Wohl des Kindes grundsätzlich am besten von jenem Gericht wahrgenommen werden kann, in dessen Sprengel es sich aufhält. Dies ist das Bezirksgericht Oberpullendorf.

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