OGH 8Ob45/11t

OGH8Ob45/11t25.5.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Dietmar Endmayr, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagten Parteien 1) U***** GmbH & Co KG, *****, und 2) U***** GmbH, ebendort, beide vertreten durch Dr. Christoph Schwab, Rechtsanwalt in Wels, wegen 144.214,82 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 30. März 2011, GZ 1 R 225/10d-14, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

1. Mit den Ausführungen zu den behaupteten Verfahrensmängeln vermögen die Beklagten keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittelgericht darf nicht ein Urteil der Vorinstanz aufheben, nur um den Parteien Gelegenheit zu geben, bisher nicht ausreichend erstattetes Vorbringen nachzuholen bzw zu ergänzen (RIS-Justiz RS0042444). Daran ändert auch die Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung innerstaatlicher Rechtsvorschriften nichts. Überdies können vom Berufungsgericht verneinte Verfahrensmängel in der Revision nicht mehr erfolgreich geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0042963).

Unrichtig ist, dass sich das Erstgericht mit dem von den Beklagten behaupteten Preismissbrauch nach § 5 Abs 1 Z 1 KartG bzw Art 102 lit a AEUV nicht beschäftigt habe. Die Beklagten haben die von ihnen behauptete Unangemessenheit der von der Klägerin verlangten Kanalbenützungsgebühren im Vergleich zu den Entgelten vergleichbarer Kläranlagenbetreiber damit begründet, dass die Klägerin nach der Abwassermenge und nicht nach Einwohnergleichwerten abrechne. Entgegen den Ausführungen in der außerordentlichen Revision hat sich das Erstgericht mit diesem Argument beschäftigt und darauf hingewiesen, dass für die Abrechnung der Kanalgebühren kein einheitliches System bestehe. In diesem Zusammenhang haben die Beklagten in der Berufung auch einen Verfahrensmangel durch Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens geltend gemacht, der vom Berufungsgericht allerdings verneint wurde.

2. Vorweg wird darauf hingewiesen, dass beide Parteien - ungeachtet der Betriebspflicht der Klägerin und deren Bindung an die Kanalbenützungs-Gebührenordnung und das Einvernehmen der Stadt ***** bei der Neufestsetzung der Kanalgebühren - von einer privatwirtschaftlichen Tätigkeit und Leistungsabrechnung der Klägerin ausgehen.

Die Beurteilung von konkludenten Willenserklärungen hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und stellt daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage dar (RIS-Justiz RS0109021).

Die vom Berufungsgericht gebilligte Beurteilung des Erstgerichts, dass die Beklagten die von der Klägerin herangezogenen Tarife und damit die zugrunde liegenden Kanaltarifordnungen durch schlüssiges Verhalten akzeptiert hätten, ist nicht korrekturbedürftig. Aus der dauerhaften Inanspruchnahme der von der Klägerin angebotenen Leistungen und der Nichtbeanstandung der Tarifierung kann bei verständiger Betrachtung vertretbar der Schluss gezogen werden, dass die Beklagten auf Basis der für die Inanspruchnahme der von der Klägerin angebotenen Leistungen geltenden Bedingungen in einer (vertraglichen) Rechtsbeziehung zu dieser stehen wollten.

Entgegen den Ausführungen in der außerordentlichen Revision steht nicht in Frage, ob im Rahmen eines Vertragsabschlusses diese allgemeinen Geschäftsbedingungen des Erbringers der Hauptleistung wirksam in den Vertrag einbezogen werden, sondern ob und mit welchem Inhalt ein Vertragsverhältnis tatsächlich gelebt wurde und ob auf dieser Grundlage das Bestehen eines schlüssigen Vertrags anzunehmen ist. Die Beklagten können auch nicht berechtigt einwenden, die Kanaltarife für die Jahre 2009 und 2010 mangels Zahlung nicht anerkannt zu haben, weil die von der Klägerin im Zusammenwirken mit der Stadt ***** erstellten Tarifordnungen zum Vertragsinhalt wurden. Mit Rücksicht auf ihre Argumentation müssten sich die Beklagten den Vorwurf eines Rechtsmissbrauchs durch Zuwiderhandeln gegen das eigene Vertragsverhalten (venire contra factum proprium, vgl 8 ObS 2/11v mwN) gefallen lassen.

Schließlich können sich die Beklagten auch nicht auf die Entscheidung 6 Ob 310/04p berufen, die eine vollkommen andere Fragestellung betrifft. Für diese Entscheidung war maßgeblich, dass sich die dortige Beklagte mit Rücksicht auf die zugrunde liegenden, als zwingend beurteilten sondergesetzlichen Vorschriften auf ein („umgewandeltes“) unentgeltliches Dauerschuldverhältnis mit unentgeltlichen Leitungsrechten berufen konnte. Inwieweit sich die Beklagten im vorliegenden Verfahren auf eine gesetzliche Unentgeltlichkeit der von der Klägerin erbrachten Entsorgungsleistungen berufen können sollen, ist nicht erkennbar.

3.1 Zu dem von den Beklagten in der Berufung als zentrales Argument herangezogenen kartellrechtlichen Preismissbrauch ist das Berufungsgericht von einem ungenügenden erstinstanzlichen Vorbringen ausgegangen.

Ob im Hinblick auf die Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, stellt eine Frage des Einzelfalls dar, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung im Allgemeinen keine erhebliche Bedeutung zukommt. Auch ob das bisher erstattete Vorbringen so weit spezifiziert ist, dass es als Anspruchsgrundlage hinreicht, bzw wie weit ein bestimmtes Vorbringen einer Konkretisierung zugänglich ist, ist eine Frage des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0042828).

Der Beurteilung des Berufungsgerichts tritt die außerordentliche Revision nicht mit schlüssigen Argumenten entgegen. Vielmehr enthält sie nur das Argument, dass unterschiedliche Einkaufs- oder Verkaufspreise auf (räumlich) verschiedenen (Vergleichs-)Märkten von der Gesellschaft durch objektive Umstände gerechtfertigt werden müssten. Gelangt man mit dem Berufungsgericht zum Ergebnis, dass das Vorbringen der Beklagten zu relevanten Preisunterschieden auf vergleichbaren Märkten nicht genügt, so kann eine Vergleichsprüfung in Bezug auf das Preisverhalten auf allfälligen Vergleichsmärkten aber unterbleiben, sodass sich die Frage der Rechtfertigung gar nicht stellt.

3.2 Zur inhaltlichen Beurteilung des Vorliegens eines Preismissbrauchs iSd § 5 Abs 1 Z 1 KartG bzw Art 102 lit a AEUV ist das Berufungsgericht von den zutreffenden Grundsätzen ausgegangen. Die Orientierung am Preisverhalten anderer Unternehmer in anderen Regionen und damit den Vergleich mit Preisen vergleichbarer Kläranlagenbetreiber hat das Berufungsgericht ausdrücklich bejaht. Die Schlussfolgerung, dass sich aus den pauschalen Behauptungen der Beklagten die nachvollziehbare Darlegung einer dem Tatbestand des Preismissbrauchs erfüllenden Preisgestaltung nicht schlüssig ableiten lasse, stellt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar. Die Beklagten haben weder die Grundlagen für eine repräsentative Vergleichsrechnung nachvollziehbar dargelegt noch aufgezeigt, warum die von der Klägerin (im Zusammenwirken mit der Stadt *****) herangezogenen Preisbestimmungsfaktoren willkürlich oder sonst ungeeignet sein sollen.

Mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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