OGH 9ObA4/11w

OGH9ObA4/11w28.2.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Prof. Mag. Dr. Thomas Keppert und Mag. Manuela Majeranowski als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dkfm. Dr. H***** S*****, vertreten durch Ploil Krepp Boesch Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Mag. Judith Morgenstern, Rechtsanwältin in Wien, wegen 48.625,49 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. September 2010, GZ 9 Ra 114/10s-28, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 20. April 2010, GZ 11 Cga 198/09f-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass sie nunmehr zu lauten hat:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen

a) den Betrag von 6.392,82 EUR samt 4 % Zinsen aus 588,70 EUR seit 1. 1. 2008, aus 1.423,80 EUR seit 1. 1. 2009 und aus 4.380,32 EUR seit 1. 1. 2010 zu bezahlen sowie

b) in die V***** AG (FN ***** des Handelsgerichts Wien) mit der Widmung 'Nachschuss für P***** S*****, geb ***** für die Jahre 2006 bis 2008' den Betrag von 42.232,67 EUR samt 4 % Zinsen aus 5.268,94 EUR ab 1. 1. 2007, aus 8.265,01 EUR ab 1. 1. 2008 und aus 28.698,72 EUR seit 1. 1. 2009 zu bezahlen.

Hingegen wird das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei

a) weitere Zinsen in der Höhe von jeweils 8 % über dem Basiszinssatz aus 588,70 EUR seit 1. 1. 2008, aus 1.423,80 EUR seit 1. 1. 2009 und aus 4.380,32 EUR seit 1. 1. 2010 zu bezahlen sowie

b) in die V***** AG (FN ***** des Handelsgerichts Wien) mit der Widmung 'Nachschuss für P***** S*****, geb ***** für die Jahre 2006 bis 2008' weitere Zinsen in der Höhe von jeweils 8 % über dem Basiszinssatz aus 5.268,94 EUR ab 1. 1. 2007, aus 8.265,01 EUR ab 1. 1. 2008 und aus 28.698,72 EUR seit 1. 1. 2009 zu bezahlen abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 7.476,34 EUR (darin enthalten 1.036,39 EUR an USt und 1.258 EUR an Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 7.233,02 EUR (darin enthalten 794,17 EUR USt und 2.468 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

P***** S***** war vom 21. 7. 1958 bis 31. 12. 1997 bei der Beklagten als kaufmännischer Angestellter beschäftigt. Sein Pensionsanspruch beruht wie der sämtlicher kaufmännischer Angestellten der Beklagten auf der am 22. 12. 1994 zwischen dem Vorstand der Beklagten und dem zuständigen Betriebsrat abgeschlossenen Betriebsvereinbarung (BV) über eine zusätzliche Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung. Mit dieser wurden die Pensionsansprüche sämtlicher kaufmännischer Angestellten der Beklagten auf eine überbetriebliche Pensionskasse übertragen. P***** S***** bezog seit 1. 1. 1998 eine vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungsdauer, ab 1. 1. 1999 überdies eine Pensionskassenpension der V***** AG aufgrund der BV. Die Beklagte leistete für P***** S***** als Bezieher einer vorzeitigen Alterspension für den Zeitraum bis zum Erreichen des regulären Pensionsalters, daher bis zum 65. Lebensjahr, einen Nachschuss an die V***** AG. Nach dem Tod P***** S*****s am 27. 2. 2010 gingen die ursprünglich von ihm in diesem Verfahren geltend gemachten Ansprüche auf die nunmehrige Klägerin über.

Die Klägerin begehrt die Zahlung von 6.392,82 EUR sA sowie die Zahlung weiterer 42.232,67 EUR sA an die V***** AG. Sie brachte zusammengefasst vor, dass P***** S***** vor dem 31. 12. 1994 über eine Pensionskassenzusage der Beklagten verfügt habe, sodass er gemäß § 2 Abs 2 Z 1 BV anwartschaftsberechtigt sei. Gemäß § 4 Abs 1 letzter Satz BV sei die Beklagte verpflichtet, einen Nachschuss an die Pensionskasse zu zahlen, weil der Veranlagungserfolg unter Berücksichtigung der Auflösung der allenfalls vorhandenen Schwankungsrückstellung geringer war als der vereinbarte Rechnungszins. Diese Nachschusspflicht bestehe auch über den Zeitpunkt des Erreichens des Regelpensionsalters hinaus. Durch die Nichterfüllung der Nachschussverpflichtung der Beklagten habe die Klägerin einen Schaden erlitten, darüber hinaus sei die Beklagte zur Zahlung eines Nachschusses an die V***** AG verpflichtet.

Die Beklagte wandte gegen das Klagebegehren ein, dass § 4 BV nicht Bestandteil der Valorisierungsregeln in Bezug auf die Pensionsleistungen sei. Eine Nachschusspflicht bestehe nur gegenüber Anspruchsberechtigten, die eine Invaliditätspension oder vorzeitige Alterspension beziehen. Im Leistungsrecht der BV selbst sei bei der entsprechenden Valorisierungsbestimmung der laufenden Pensionsleistungen weder eine Nachschusspflicht vorgesehen, noch werde dort auf § 4 Abs 1 letzter Satz BV verwiesen. Soweit eine Nachschusspflicht bis zum 65. Lebensjahr des ehemaligen Klägers bestand, habe diese die Beklagte erfüllt. Die Beklagte bestritt das auf § 49a ASGG gestützte Zinsenbegehren, weil sie dem Begehren der Klägerin eine vertretbare Rechtsansicht entgegenhalte.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es führte rechtlich aus, dass die Bestimmung des § 4 Abs 2 letzter Satz BV für alle Arbeitnehmer relevant sei und nicht nur für die Bezieher einer Invaliditätspension oder vorzeitigen Alterspension. Auch § 10 lit d BV gelte für alle Arbeitnehmergruppen, diese Bestimmung werde in § 4 Abs 2 letzter Satz BV ausdrücklich genannt. Die von der Beklagten angestrebte Interpretation würde eine nicht nachvollziehbare Besserstellung der Bezieher einer Invaliditätspension oder einer vorzeitigen Alterspension gegenüber den übrigen Pensionisten zur Folge haben. Verjährung sei hinsichtlich des Nachschusses für 2006 nicht eingetreten.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil über Berufung der Beklagten im Sinn einer Klageabweisung ab. § 4 Abs 1 letzter Absatz BV beziehe sich unmittelbar auf die Regelung des vorletzten Absatzes, welche die Bezieher einer Invaliditätspension bzw vorzeitigen Alterspension betreffe. Bei diesen sei es schwieriger, ein durch schlechte Performance gemindertes Deckungskapital wieder aufzuholen. Es liege daher auch keine sachfremde Differenzierung iSd § 18 Abs 2 BPG vor.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil eine größere Anzahl von Mitarbeitern der Beklagten betroffen sei und weil es um die Auslegung einer Betriebsvereinbarung gehe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

1. Der erkennende Senat hat zu den hier wesentlichen Rechtsfragen erst jüngst in der Entscheidung 9 ObA 92/10k, die in einem ebenfalls gegen die Beklagte geführten Verfahren erging und auf deren ausführliche Begründung zu verweisen ist, Stellung genommen. Zusammengefasst ist entgegen der Rechtsansicht der Beklagten davon auszugehen, dass § 4 Abs 1 letzter Absatz BV eine selbständige Regelung darstellt, die sich nicht auf den vorhergehenden Absatz bezieht. Bei Zurückbleiben des Veranlagungserfolgs hinter dem Rechnungszins besteht daher die in § 4 Abs 1 letzter Absatz BV normierte Nachschusspflicht des Arbeitgebers generell auf alle Pensionsleistungen iSd § 10 lit a BV.

2.1 Der Revision war daher in der Hauptsache Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichts insofern wiederherzustellen. Die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass eine Verjährung des geltend gemachten Anspruchs nicht eingetreten sei, wurde von der Beklagten bereits in der Berufung nicht bekämpft.

2.2 Berechtigt ist allerdings die von der Beklagten schon im Verfahren erster Instanz erhobene Bestreitung des auf § 49a ASGG gestützten erhöhten Zinsenbegehrens. Nach § 49a Satz 2 ASGG gebühren die erhöhten Zinsen gemäß § 49a Satz 1 ASGG nicht, wenn die Verzögerung der Zahlung auf einer objektiv vertretbaren Rechtsansicht des Schuldners beruht (Neumayr in ZellKomm § 49a ASGG Rz 6). Eine solche liegt hier schon im Hinblick darauf vor, dass eine komplexe Materie zu beurteilen war, zu der im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts Rechtsprechung fehlte (9 ObA 41/06d; 8 ObA 10/09t). Dem Zinsenbegehren war daher gemäß § 1000 Abs 1 ABGB iVm § 49a Satz 2 ASGG nur in Höhe von 4 % der jeweils begehrten Zinsen stattzugeben, während das jeweilige Zinsenmehrbegehren abzuweisen war.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz beruht auf den §§ 41, 43 Abs 2 Fall 1 ZPO. Die Klägerin unterlag nur mit einem geringfügigen Teil des Klagebegehrens, sodass ihr die gesamten Kosten des Verfahrens erster Instanz zuzuerkennen waren. Ebenso waren der Klägerin die Kosten sowohl des Berufungsverfahrens als auch des Revisionsverfahrens gemäß den §§ 41, 43 Abs 2 Fall 1 und 50 ZPO zur Gänze zuzuerkennen.

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