OGH 7Ob254/10v

OGH7Ob254/10v16.2.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Dr. H***** W*****, und 2.) Dr. A***** W*****, beide *****, beide vertreten durch Herbst Vavrovsky Kinsky Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1.) G***** G*****, und 2.) M***** G*****, beide *****, beide vertreten durch Advokatur Dr. Herbert Schöpf, LL.M., Rechtsanwalt-GmbH in Innsbruck, wegen 1.000.000 EUR und Feststellung, über die außerordentliche Revision der Kläger gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 1. Oktober 2010, GZ 4 R 176/10d-24, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Kläger begehren von den Beklagten einen Schaden ersetzt, der ihnen dadurch entstanden sei, dass sie zufolge des von den Beklagten verschuldeten Unterbleibens der Übergabe der Liegenschaft „A*****“ in K***** und der Einverleibung des Eigentumsrechts an dieser Liegenschaft an der Errichtung eines Hotels gehindert worden seien. Dadurch seien ihnen Pachteinnahmen für die Jahre 2007 bis 2010 in Höhe von 1.000.000 EUR entgangen.

Das Berufungsgericht hat die Abweisung des Klagebegehrens durch das Erstgericht hinsichtlich der Pacht für den Zeitraum bis einschließlich August 2009 in Höhe von 666.666,67 EUR (samt Zinsen) mit Teilurteil bestätigt. Ein Schadenersatzanspruch der Kläger sei nur denkbar, wenn sich die Beklagten mit ihrer Verpflichtung zur Übergabe und Einwilligung zur Einverleibung des Eigentumsrechts in Verzug befunden hätten. Aus der im Vorprozess zu 18 Cg 6/07t des Landesgerichts Innsbruck ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 7 Ob 112/09k ergebe sich aber, dass dies (jedenfalls bis 1. 9. 2009) nicht der Fall gewesen sei; die Kläger seien nämlich ihrer Vorleistungspflicht der Bezahlung des Kaufpreises bis zu diesem Zeitpunkt nicht nachgekommen. Die ordentliche Revision gegen das Teilurteil erklärte das Berufungsgericht im Hinblick auf die genannte oberstgerichtliche Entscheidung für nicht zulässig.

Die Revisionswerber sind hingegen der Ansicht, die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO seien gegeben, weil das Berufungsgericht von oberstgerichtlicher Judikatur abgewichen sei:

1. Das Berufungsgericht habe die Entscheidung 7 Ob 112/09k insofern falsch interpretiert, als es von einer Fälligkeit des Kaufpreises zum 22. 4. 2006 ausgegangen sei. Die Beklagten hätten einen Kaufpreiserlag abgelehnt und sich im Annahmeverzug befunden. Dies habe das Berufungsgericht übersehen und zur Fälligkeit des Kaufpreises keine Feststellungen getroffen.

2. Die erstinstanzliche Entscheidung sei so mangelhaft begründet, dass sie nicht überprüft habe werden können. Dies verkennend habe das Berufungsgericht eine Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO verneint und sei auch dadurch von oberstgerichtlicher Judikatur abgewichen.

3. Schließlich habe das Berufungsgericht die Kläger mit seiner Rechtsansicht überrascht. Das Ersturteil enthalte keine entscheidungsrelevanten Feststellungen, insbesondere auch nicht zur Frage der Fälligkeit des Kaufpreises. Dennoch habe das Berufungsgericht dieses Thema aufgegriffen und habe, ohne sich mit dem betreffenden Vorbringen der Kläger auseinanderzusetzen und ohne Beweisaufnahme hinsichtlich des Kaufpreiserlags, Verzug der Kläger angenommen.

Rechtliche Beurteilung

Mit diesen Ausführungen zeigen die Revisionswerber keinen tauglichen Grund für die Zulassung ihres außerordentlichen Rechtsmittels auf:

Ist der in einem Verfahren als Hauptfrage entschiedene Anspruch eine Vorfrage für ein weiteres Verfahren zwischen denselben Parteien, entfaltet die Vorentscheidung Bindungswirkung (7 Ob 198/08f mwN; vgl RIS-Justiz RS0041567; RS0039843). Das Ausmaß dieser Bindungswirkung (als Teil der materiellen Rechtskraft) wird zwar nach ständiger Judikatur durch den Urteilsspruch bestimmt; Entscheidungselemente, wie die Tatsachenfeststellungen, sind für sich allein (isoliert) nicht rechtskraftfähig (RIS-Justiz RS0041285). Für die Auslegung der Tragweite des Spruchs sind allerdings nach ständiger Rechtsprechung auch die Entscheidungsgründe heranzuziehen (RIS-Justiz RS0000300; RS0041357). Auf die Entscheidungsgründe und damit die Tatsachenfeststellungen erstreckt sich die materielle Rechtskraft daher (jedenfalls) so weit, als diese zur Auslegung und zur Individualisierung des Spruchs der Entscheidung notwendig und damit entscheidungswesentlich sind (9 ObA 1/03t mwN ua). Dass die Entscheidungsgründe zur Auslegung und Individualisierung des rechtskräftigen Anspruchs heranzuziehen sind, gilt insbesondere, wenn der Umfang der Rechtskraftwirkung eines abweisenden Urteils festgestellt werden soll (RIS-Justiz RS0043259); bei abweislichen Entscheidungen beschränkt sich die Bindungswirkung auf die maßgeblichen Abweisungsgründe (RIS-Justiz RS0041454).

Diesen Grundsätzen folgend und daher im Einklang mit der einschlägigen oberstgerichtlichen Judikatur hat das Berufungsgericht eine Bindungswirkung der Entscheidung 7 Ob 112/09k angenommen. Die Frage einer Verpflichtung der Beklagten zur Übergabe der Liegenschaft und Einverleibung des Eigentumsrechts der Kläger stellt für den vorliegenden Rechtsstreit insofern eine Vorfrage dar, als eine Verpachtung durch die Kläger deren Verfügungsmacht an der Liegenschaft voraussetzt. Folgerichtig hat das Berufungsgericht daher den für die oberstgerichtliche Entscheidung im Vorverfahren essentiellen Sachverhalt und deren wesentliche Begründung in seiner Entscheidung wiedergegeben. Dagegen wenden die Revisionswerber ein, das Berufungsgericht habe Feststellungen ohne beweismäßige Grundlage getroffen, weshalb das Berufungsverfahren mangelhaft geblieben sei. Dieser Einwand übersieht die Bindung des Gerichts im vorliegenden Rechtsstreit an die im Vorprozess zur Abweisung der Klage führenden wesentlichen Gründe. Die behauptete Mangelhaftigkeit liegt daher nicht vor.

Die Revisionswerber vermissen weiters Feststellungen, dass den Beklagten der Erlag des Kaufpreises am 24. 8. 2006 telefonisch angeboten worden, von diesen aber abgelehnt worden sei und diese sich daher in Annahmeverzug befunden hätten. Sie setzen sich damit darüber hinweg, dass das betreffende Anbot, wie sie selbst ausgeführt haben, im Vorverfahren festgestellt, aber rechtlich nicht als geeignet beurteilt wurde, einen Annahmeverzug der Beklagten anzunehmen; andernfalls hätten die Kläger ja ihre Vorleistungspflicht erfüllt gehabt und wäre daher die Wirksamkeit des Vertragsrücktritts der Beklagten zu prüfen gewesen.

Von den Revisionswerbern vermisste weitere Feststellungen zur Frage der Fälligkeit der (jedenfalls bis 1. 9. 2009 unterbliebenen) Überweisung des Kaufpreises konnten mangels Entscheidungsrelevanz unterbleiben. Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung im Vorverfahren dargelegt hat, kann die Frage, ob die Fälligkeit der Kaufpreiszahlung die Beglaubigung der Unterschriften der Beklagten voraussetzte, bei Beurteilung der Verpflichtung der Beklagten zur Eigentumsübertragung dahingestellt bleiben, weil eine Übergabe der Liegenschaft und Einverleibung des Eigentumsrechts der Kläger jedenfalls die von diesen nicht erbrachte Vorleistung der Kaufpreiszahlung voraussetzte. Eine Verpflichtung der Beklagten zur Übergabe der Liegenschaft und Einwilligung in die Einverleibung des Eigentumsrechts der Kläger vor Kaufpreiszahlung wurde im Vorprozess bindend verneint. Gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, eine Schädigung durch Entgang von Pachteinnahmen setze aber den Verstoß gegen eine solche Verpflichtung voraus, bestehen keine Bedenken. Das behauptete Abweichen von oberstgerichtlicher Judikatur liegt daher nicht vor.

Davon, dass das Berufungsgericht die Entscheidung 7 Ob 112/09k falsch interpretiert hätte und daher, wie die Revisionswerber noch geltend machen, eine Aktenwidrigkeit vorliege, kann keine Rede sein (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO).

Zu 2.: Das Berufungsgericht hat eine von den Klägern in einer unzureichenden Begründung des Ersturteils erblickte Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO verneint und die Berufung wegen Nichtigkeit daher mit in das Berufungsurteil aufgenommenem Beschluss verworfen. Eine solche Entscheidung ist nach ständiger Rechtsprechung nicht bekämpfbar (RIS-Justiz RS0043405). Ist das Berufungsgericht - wie hier - in die Prüfung der Frage einer allfälligen im erstinstanzlichen Verfahren unterlaufenen Nichtigkeit eingegangen und hat eine solche verneint, ist die Wahrnehmung dieser Nichtigkeit im Verfahren dritter Instanz nicht mehr möglich (RIS-Justiz RS0042981).

Zu 3.: Das vorliegende Verfahren wurde auf Antrag beider Parteien bis zur rechtskräftigen Erledigung des Vorprozesses unterbrochen und erst nach Vorliegen der Entscheidung 7 Ob 112/09k wieder fortgesetzt. Dass also auch die Kläger von der Präjudizialität dieser Entscheidung für den vorliegenden Rechtsstreit ausgegangen sind, wurde schon durch den auch von ihnen gestellten Unterbrechungsantrag zum Ausdruck gebracht. Dass das Berufungsgericht die Bindungswirkung des klagsabweisenden Urteils im Vorprozess beachtet und dessen wesentliche Gründe seiner Entscheidung zugrundegelegt hat, konnte die anwaltlich vertretenen Kläger daher nicht überraschen. Auch aus ihrem Vorbringen wird deutlich, dass sie selbst eine Bindungswirkung der Entscheidung des Vorprozesses angenommen haben: Die Kläger haben im Fortsetzungsantrag ausgeführt, den Vorgaben des Obersten Gerichtshofs in der Entscheidung 7 Ob 112/09k unverzüglich dadurch Genüge getan zu haben, dass sie die Umbuchung des von ihnen bereits im März 2008 erlegten Kaufpreises in Höhe von 1.420.000 EUR auf das im Kaufvertrag angegebene Treuhandkonto veranlasst hätten. Dass auch das Berufungsgericht, so wie der Kläger selbst, zufolge der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 7 Ob 112/09k der Kaufpreiszahlung wesentliche Bedeutung beigemessen hat und dabei von den essentiellen und daher bindenden Gründen der Vorentscheidung ausgegangen ist, kann nicht als überraschende Rechtsansicht angesehen werden, die die Kläger zuvor nicht beachtet hätten.

Unrichtig ist, dass das Berufungsgericht einen Verzug der Kläger betreffend die Kaufpreiszahlung angenommen hat. Das Berufungsgericht ist vielmehr - der insofern bindenden oberstgerichtlichen Entscheidung im Vorverfahren folgend - betreffend den Kaufpreiserlag von einer Vorleistungspflicht der Kläger ausgegangen und hat daher einen Verzug der Beklagten hinsichtlich der Übergabe der Liegenschaft und der Einwilligung zur Einverleibung des Eigentums der Kläger verneint.

Der Vorwurf, die Entscheidung des Berufungsgerichts weiche von oberstgerichtlicher Judikatur ab, ist demnach insgesamt nicht berechtigt. Da die Kläger eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO daher nicht aufzeigen, ist ihre außerordentliche Revision als unzulässig zurückzuweisen. Dies bedarf nach § 510 Abs 3 ZPO keiner weiteren Begründung.

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