OGH 4Ob16/11y

OGH4Ob16/11y15.2.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** H*****, vertreten durch Dr. Markus Ch. Weinl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Ing. L***** N*****, vertreten durch Mag. Peter A. Miklautz, Rechtsanwalt in Wien, wegen 20.269,90 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Oktober 2010, GZ 15 R 163/10s-19, womit das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 2. Juni 2010, GZ 4 Cg 213/07z-15, teilweise aufgehoben, das vorangegangene Verfahren nichtig erklärt und die Klage zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.187,28 EUR bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin 197,88 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Beklagte wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 15. Jänner 2009, AZ 12 Hv 48/08z, wegen des Verbrechens des schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4 StGB und des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB schuldig gesprochen, weil er mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten um den gesetzlichen Erbanspruch der Klägerin in Höhe von 20.269,90 EUR unrechtmäßig zu bereichern, Bankangestellte durch Täuschung über Tatsachen, nämlich durch die Vorgabe über bestimmte Sparbücher verfügungsberechtigt zu sein, zur Auszahlung mehrerer Geldbeträge, sohin zu einer Handlung verleitet hat, die den Nachlass nach der Verstorbenen im Ausmaß von insgesamt 20.269,90 EUR an seinem Vermögen schädigte. Der Beklagte wurde mit diesem Urteil gemäß § 369 Abs 1 StPO verpflichtet, der Klägerin 20.269,90 EUR zu zahlen.

Die Klägerin begehrte vom Beklagten 20.269,90 EUR samt 4 % Zinsen seit 20. Mai 2007 mit dem Vorbringen, er habe im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem ehemaligen Lebensgefährten der Verstorbenen sich diesen Betrag widerrechtlich zum Nachteil der Verlassenschaft verschafft, der Beklagte hafte der Klägerin als Erbin.

Der Beklagte wendete ein, ihm sei gegen die Verstorbene eine Gegenforderung zugestanden, zu deren Abgeltung er den Klagebetrag aus dem Vermögen der Verstorbenen erhalten habe.

Am 7. Mai 2008 wurde das Verfahren einverständlich bis zum rechtskräftigen Ausgang des gegen den Beklagten (und den ehemaligen Lebensgefährten der Verstorbenen) geführten Strafverfahrens zu AZ 12 Hv 48/08z des Landesgerichts Eisenstadt unterbrochen.

Nach rechtskräftiger Beendigung des Strafverfahrens (eingangs erwähnte Verurteilung samt Privatbeteiligtenzuspruch) beantragte die Klägerin die Verfahrensfortsetzung.

Der Beklagte wendete nunmehr ein, die Klageforderung sei „durch das Strafurteil bereits tituliert“. Die Klägerin erwiderte, dies gelte nicht in Ansehung der klageweise geltend gemachten Zinsen.

Das Erstgericht gab der Klage in Ansehung der geltend gemachten Verzugszinsen statt. Das Zahlungsbegehren von 20.269,90 EUR wies es ab, weil der Klägerin im Hinblick auf den Privatbeteiligtenzuspruch das Rechtsschutzinteresse fehle.

Das Berufungsgericht hob aus Anlass der Berufung der Klägerin gegen den klageabweisenden Teil das angefochtene Urteil in Ansehung der Abweisung des Kapitalbegehrens und das dieses betreffende Verfahren nach dem 19. April 2010 (Bestätigung des Strafurteils durch das Berufungsgericht) als nichtig auf und wies die Klage in diesem Umfang zurück. Die Klägerin verfüge seit dem Urteil des Berufungsgerichts im Strafverfahren vom 19. April 2010 über einen rechtskräftigen Titel über den Kapitalbetrag. Ob die Klägerin im Exekutionsverfahren gegen den solidarisch mithaftenden Mittäter etwas hereingebracht habe, sei nicht relevant.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Klägerin ist nicht berechtigt.

1. Wenn das Berufungsgericht unter Nichtigerklärung des erstinstanzlichen Verfahrens und des Urteils die Klage zurückweist, ist sein Beschluss stets, also unabhängig vom Streitwert und vom Vorliegen erheblicher Rechtsfragen, anfechtbar (3 Ob 258/07y mwN; RIS-Justiz RS0043861, RS0043886). Das Rekursverfahren ist zweiseitig (3 Ob 45/10d ua; RIS-Justiz RS0098745 [T21]).

2. Die Einmaligkeitswirkung (ne bis in idem) schließt zwischen den gleichen Parteien die neuerliche Anhängigmachung eines gleichen Begehrens aus, das auf den gleichen rechtserzeugenden Sachverhalt gestützt ist und verwehrt die Sachverhandlung und Entscheidung über dieses idente Rechtsschutzbegehren. In diesem Umfang wirkt die materielle Rechtskraft der Vorentscheidung, wie sich aus den §§ 230 Abs 3, 239 Abs 3 Z 1 und 411 Abs 2 ZPO ergibt, als negative Prozessvoraussetzung (als Prozesshindernis; liegt sie vor, dann ist dem Gericht die Sachverhandlung und Sachentscheidung verwehrt), die neue Klage ist wegen rechtskräftig entschiedener Streitsache zurückzuweisen (7 Ob 304/04p mwN; Fasching/Klicka in Fasching/Konecny² § 411 ZPO Rz 15; Rechberger³ § 411 ZPO Rz 5). Die Außerachtlassung dieses Prozesshindernisses bewirkt die Nichtigkeit der trotzdem gefällten Sachentscheidung und des vorangegangenen Verfahrens in der Hauptsache. Auch wenn ein Verstoß gegen die Rechtskraft nicht unter den Nichtigkeitsgründen des § 477 ZPO erwähnt wird, ist er doch kraft positiver gesetzlicher Vorschrift in § 530 Abs 1 Z 6 ZPO sanktionsmäßig den Nichtigkeitsgründen mindestens gleichgestellt, sodass es sich hier inhaltlich jedenfalls um einen Nichtigkeitsgrund handelt (Fasching/Klicka aaO).

3. Der Entscheidung im Adhäsionsprozess kommt insoweit Rechtskraftwirkung zu, als dem geltend gemachten Anspruch stattgegeben wird (1 Ob 678/51 = SZ 24/281; Fasching/Klicka aaO § 411 ZPO Rz 37; Rechberger³ aaO Vor §§ 390 ZPO Rz 33).

Ob die Klägerin aufgrund des rechtskräftigen Privatbeteiligtenzuspruchs der gemäß § 1 Z 8 EO einen Exekutionstitel bildet, bereits Erfüllung ihrer Forderung erlangen konnte, ist für die Zulässigkeit eines neuerlichen Erkenntnisverfahrens über die Berechtigung des Anspruchs ohne Belang. Die Aufhebung des § 268 ZPO über die Bindung des Richters an verurteilende strafgerichtliche Erkenntnisse hinsichtlich des Beweises und der Zurechnung einer Tat ist für die Rechtskraftwirkung des Privatbeteiligtenzuspruchs (ne bis in idem) ohne Bedeutung.

4. Die von der Klägerin geltend gemachten Nichtigkeiten liegen nicht vor. Weder wurde sie durch einen ungesetzlichen Vorgang von der Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, ausgeschlossen (§ 477 Abs 1 Z 4 ZPO), noch sind Begründungsmängel iSd § 477 Abs 1 Z 9 ZPO vorhanden.

5. Mängel des Verfahrens erster Instanz, die vom Berufungsgericht verneint wurden, können in dritter Instanz nicht neuerlich geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0042963). Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

6. Die (angebliche) Unrichtigkeit der berufungsgerichtlichen Kostenentscheidung kann in dritter Instanz grundsätzlich nicht geltend gemacht werden (§ 528 Abs 2 Z 3 ZPO); auch Rekurse gegen Kostenentscheidungen, die das Berufungsgericht funktionell als erste Instanz gefällt hat, sind ausnahmslos unzulässig (RIS-Justiz RS0110033, RS0044233).

7. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf §§ 41 und 50 ZPO.

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