OGH 4Ob232/10m

OGH4Ob232/10m18.1.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen D***** A*****, T***** A***** und D***** A*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters K***** A*****, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Amhof & Dr. Damian GmbH in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 19. Oktober 2010, GZ 44 R 497/10d-88, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 21. Juli 2010, GZ 88 Ps 76/09x-80, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Vorinstanzen übertrugen die Obsorge für die drei Kinder des geschiedenen Ehepaares (im Alter von sieben, fünf und zwei Jahren) allein der Mutter bei gleichzeitiger Einräumung eines wöchentlichen Besuchsrechts für den Vater.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurswerber vermag keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufzuzeigen.

Gemäß § 52 AußStrG hat das Rekursgericht eine mündliche Rekursverhandlung durchzuführen, wenn es eine solche für erforderlich hält. Selbst bei Vorliegen eines (ausdrücklichen) Antrags einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Rekursverhandlung ist diese nicht zwingend vorzunehmen; auch in diesem Fall fällt die Beurteilung der Notwendigkeit einer solchen mündlichen Rekursverhandlung allein in das pflichtgemäße Ermessen des Rekursgerichts. Das gilt selbst dann, wenn eine mündliche Verhandlung für das erstinstanzliche Verfahren zwingend vorgeschrieben ist (RIS-Justiz RS0120357). Für die Ausübung dieses Ermessens sind regelmäßig die besonderen Umstände des Einzelfalls maßgeblich (1 Ob 46/06f); dies gilt auch für das Obsorgeverfahren (7 Ob 126/07s). Die Einzelfallbezogenheit steht dem Aufstellen allgemein gültiger Regeln entgegen, weshalb eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nur vorliegt, wenn die konkrete Ermessensübung des Rekursgerichts eine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung wäre.

Die Notwendigkeit einer mündlichen Rekursverhandlung begründet der Revisionsrekurswerber konkret damit, dass eine mündliche Verhandlung ihm die durch das Erstgericht versagte Stellungnahme zu bestimmten Beweisergebnissen (Bericht des Jugendamts) sowie die Befragung der beigezogenen Sachverständigen ermöglicht hätte. Die vom Revisionsrekurswerber aktenwidrig verneinte Stellungnahmemöglichkeit war tatsächlich gegeben (Zustellung zur Äußerung ON 39), überdies fand in erster Instanz eine mündliche Verhandlung unter Beiziehung der Sachverständigen statt, bei welcher das Gutachten erörtert wurde und der anwaltlich vertretene Revisionsrekurswerber die Möglichkeit zur Fragestellung an die Sachverständige hatte. Es bestehen daher keinerlei Anhaltspunkte für eine Gehörverletzung bzw eine Einschränkung der dem Revisionsrekurswerber zustehenden verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte, auf die er sich beruft (Art 6 und 8 EMRK).

Im Übrigen ist darauf zu verweisen, dass vom Rekursgericht verneinte oder im Rekursverfahren nicht gerügte Verfahrensmängel erster Instanz - sofern eine Durchbrechung dieses Grundsatzes im Obsorgeverfahren aus Gründen des Kindeswohls nicht erforderlich ist - nicht mehr anfechtbar sind (RIS-Justiz RS0030748, RS0050037). Die Beweiswürdigung und die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen sind in dritter Instanz nicht mehr bekämpfbar (RIS-Justiz RS0069246, RS0007236, RS0108449).

Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, welchem Elternteil bei Gegenüberstellung der Persönlichkeit, Eigenschaften und Lebensumstände die Obsorge für ein Kind übertragen werden soll, ist immer eine solche des Einzelfalls, der in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, sofern dabei auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wurde (RIS-Justiz RS0007101, RS0115719). Der Grundsatz der Kontinuität der Erziehung ist dem Wohl des Kindes unterzuordnen. Die Forderung nach Kontinuität entspringt dem Gedanken des Kindeswohls, weil nach der Lebenserfahrung die Stetigkeit und Dauer Grundbedingungen für eine erfolgreiche und damit dem Wohl des Kindes dienende Erziehung sind (RIS-Justiz RS0047928). Auch bei der Erstzuteilung der Obsorge sind die Grundsätze der Kontinuität der Erziehungs- und Lebensverhältnisse nicht zu vernachlässigen (9 Ob 13/08i; 3 Ob 122/09a). Die Mitberücksichtigung der Erziehungskontinuität widerspricht daher keineswegs der Rechtsprechung. Mit den gegen die Obsorgezuteilung an die Mutter sprechenden Umständen (Verhalten der Mutter gegenüber den Kindern in der Vergangenheit) hat sich das Rekursgericht entgegen den Revisionsrekursausführungen auseinandergesetzt und nachvollziehbare Gründe für seine Obsorgeentscheidung zu Gunsten der Mutter angeführt. Diese stehen im Einklang mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (Obsorgeentscheidung als zukunftsbezogene Rechtsgestaltung: 8 Ob 116/09f mwN; Zusammenhang mit dem Recht des Kindes auf persönlichen Verkehr mit dem nicht betreuenden Elternteil: 1 Ob 40/08a mwN).

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