OGH 3Ob122/09a

OGH3Ob122/09a23.6.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache 1. der ***** mj Elisabeth H*****, 2. des ***** mj Andreas H*****, und 3. des ***** mj Alexander H*****, alle wohnhaft bei der Mutter, Krassimira H*****, diese vertreten durch Dr. Christine Kolbitsch, Rechtsanwältin in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Nikolaus H*****, vertreten durch Hornek, Hubacek, Lichtenstrasser Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 23. April 2009, GZ 45 R 10/09t-66, womit über Rekurs des Vaters der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 25. November 2008, GZ 8 P 14/07h-S 53, im Umfang der Obsorgeentscheidung bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, welchem Elternteil bei Gegenüberstellung der Persönlichkeiten, Eigenschaften und Lebensumstände die Obsorge für das Kind übertragen werden soll, ist immer eine solche des Einzelfalls, der keine grundsätzliche Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zukommt, wenn die Entscheidung das Kindeswohl als oberstes Prinzip des Pflegschaftsverfahrens wahrt (RIS-Justiz RS0007101; RS0115719; zuletzt 6 Ob 124/08s). Im hier zu beurteilenden Fall sind sowohl die Mutter als auch der Vater generell erziehungsfähig. Entgegen den Ausführungen im außerordentlichen Revisionsrekurs haben sich die Vorinstanzen nach umfangreichen Erhebungen durch das Erstgericht und nach Einholung eines kinderpsychologischen Gutachtens, das in der nichtöffentlichen Verhandlung am 17. September 2008 (ON S 48) eingehend erörtert wurde, mit den für die Obsorgeentscheidung maßgeblichen Kriterien auseinandergesetzt. So traf das Erstgericht ausführliche Feststellungen über die aktuelle Lebenssituation der Kinder und darüber, wie sich diese Lebenssituation bei einer Obsorgezuteilung an den Vater gestalten würde. Die in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwürfe, das Erstgericht habe die Wohn- und Betreuungssituation der Kinder bei der Mutter nicht ausreichend erhoben, sind unbegründet:

Dass die Mutter in relativ beengten Wohnverhältnissen lebt, ist aktenkundig. Über die Betreuungssituation traf das Erstgericht Feststellungen. Ferner stellte das Erstgericht fest, dass die Förderung der Kinder durch beide Elternteile gewährleistet werden kann. Sämtliche Ausführungen im Revisionsrekurs, die diese Feststellungen als unrichtig bezeichnen, stellen sich als unzulässiger Versuch der Bekämpfung der Beweiswürdigung der Vorinstanzen dar. Auch die im Revisionsrekurs vermisste Auseinandersetzung mit den Bindungen der Kinder gegenüber Dritten fand statt: Das Erstgericht stellte ausdrücklich fest, dass die mütterliche Großmutter die Mutter im Alltag unterstützt und der Kindesvater eine neue Beziehung eingegangen ist. Die Kinder haben eine gute Beziehung zur mütterlichen Großmutter. Es gibt keine Probleme zwischen den Kindern und der neuen Partnerin des Vaters. Aber auch die im Revisionsrekurs aufgestellte Behauptung der fehlenden „Bindungstoleranz" der Mutter, die sich aus der Verweigerung von Besuchskontakten mit den Kindern ergeben soll, ist durch die Aktenlage nicht gedeckt: Bereits unmittelbar nachdem die Mutter mit den Kindern, die damals zwischen 8 und 6 Jahre alt waren, in ein Frauenhaus übersiedelt war, konnte der Vater - wie er in erster Instanz (ON S 5) selbst zugestand -, die Kinder alle zwei Wochen von Samstag bis Montag früh zu sich nehmen. Die Mutter erklärte sich in ihrer erstinstanzlichen Stellungnahme (ON S 9) zum Besuchsrechtsantrag des Vaters, der ein weitergehendes Besuchsrecht beanspruchte, ausdrücklich mit der Ausübung eines Besuchsrechts durch den Vater in 14-tägigem Abstand jeweils von Freitag Schulschluss bis Montag Früh ebenso wie mit der Ausübung eines Ferienbesuchsrechts im ganzen Monat August 2007 einverstanden. Die nunmehr durch das Erstgericht getroffene Besuchsrechtsregelung (in geraden Kalenderwochen von Freitag ab Schulschluss bis Montag früh, in ungeraden Kalenderwochen von Donnerstag nach der Schule bis Freitag früh) erwuchs in Rechtskraft. Den am 16. Oktober 2007 gestellten Besuchsentziehungsantrag (ON S 17) zog die Mutter bereits am 26. November 2007 (ON S 22) zurück.

Die nun im Revisionsrekurs behaupteten Unzukömmlichkeiten bei der Besuchsrechtsausübung stellen iSd § 66 Abs 2 AußStrG unzulässige Neuerungen dar (RIS-Justiz RS0119918) und beziehen sich im Übrigen zum größten Teil auf Vorfälle vor Beschlussfassung erster Instanz, ohne dass der Vater ein Vorbringen erstattete, dass es sich bei der Verspätung (Unterlassung) eines entsprechenden erstinstanzlichen Vorbringens um eine entschuldbare Fehlleistung handelt (1 Ob 98/08f; s auch RIS-Justiz RS0110773). Eine ausnahmsweise Durchbrechung des Neuerungsverbots aus Gründen des Kindeswohls ist nicht geboten: Die behaupteten Probleme in der Besuchsrechtsausübung resultieren nach dem Vorbringen im Revisionsrekurs überwiegend daraus, dass der Vater aus beruflichen Gründen nicht immer in der Lage war, die Besuchszeiten genau einzuhalten und die Mutter darauf nicht verständnisvoll reagierte. Daraus kann aber, selbst wenn man die diesbezüglichen Behauptungen des Vaters im Revisionsrekurs ungeprüft zugrunde legt, keine Erziehungsunfähigkeit der Mutter (im Sinne der behaupteten „Bindungsintoleranz") abgeleitet werden. Die Auffassung des Rekursgerichts, bei bei der hier vorliegenden gleichen Eignung der Eltern, die Obsorge für die Minderjährigen zu übernehmen, komme dem Grundsatz der Kontinuität der Erziehung entscheidende Bedeutung zu, entspricht der herrschenden Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0047928), wonach die Forderung nach Kontinuität dem Gedanken des Kindeswohls entspringt, weil nach der Lebenserfahrung Stetigkeit und Dauer Grundbedingungen für eine erfolgreiche und damit dem Wohl des Kindes dienende Erziehung sind. Der vom Vater gerügte Verfahrensmangel, der in einer Unterlassung der von ihm geforderten Einholung eines weiteren Gutachtens liegen soll, wurde vom Rekursgericht verneint und kann daher auch nach der zum neuen AußStrG ergangenen Judikatur keinen Revisionsrekursgrund bilden (RIS-Justiz RS0050037; 5 Ob 256/07v ua). Die Voraussetzungen für die Durchbrechung dieses Grundsatzes aus Gründen des Kindeswohls (1 Ob 124/07b ua) liegen nicht vor.

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