OGH 8ObS5/10h

OGH8ObS5/10h23.11.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras und die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Georg Eberl als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei W***** G*****, vertreten durch Puttinger, Vogl & Partner Rechtsanwälte GmbH in Ried im Innkreis, wider die beklagte Partei IEF Service GmbH, 4910 Ried im Innkreis, Bahnhofstraße 35a, vertreten durch die Finanzprokuratur, wegen 4.425 EUR sA (Insolvenz-Entgelt), über die außerordentlichen Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. März 2010, GZ 12 Rs 22/10g-10, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionen beider Parteien werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 ASGG).

Text

Begründung

Der Kläger war vom 1. 11. 1994 bis 31. 12. 2008 bei der späteren Gemeinschuldnerin, über deren Vermögen am 10. 2. 2009 der Konkurs eröffnet wurde, als kaufmännischer Angestellter im Vertrieb von Fertighäusern beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete durch einvernehmliche Auflösung. Das vereinbarte monatliche Gehalt des Klägers setzte sich aus einem Fixum und einer Provision vom Nettoauftragswert der im betreffenden Monat von ihm verkauften Häuser zusammen, außerdem stand ihm eine prozentuell gestaffelte Mehrverkaufsprämie zu, deren Höhe von seinem Jahresverkaufsergebnis abhängig war. Diese Mehrverkaufsprämie wurde einmal jährlich abgerechnet und bezahlt.

Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch des Klägers auf Insolvenz-Entgelt für

- Fixum und monatliche Verkaufsprovision für Dezember 2008 sowie

- die im Dezember 2008 abzurechnende Mehrverkaufsprämie 2008.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Für einmal jährlich abzurechnende Provisionen sei als Grenzbetrag nach § 1 Abs 4 der Jahresgrenzbetrag heranzuziehen. Zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse sei dieser Jahresbetrag aber auch auf die übrigen klagsgegenständlichen Ansprüche anzuwenden; angesichts des ihm im Kalenderjahr 2008 insgesamt bezahlten Entgelts und des zuerkannten Insolvenz-Entgelts werde der Jahresgrenzbetrag überschritten.

Mit dem angefochtenen Urteil bestätigte das Berufungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung im Umfang der Abweisung des Insolvenz-Entgelts für die Mehrverkaufsprämie, änderte sie aber bezüglich des Fixums und der laufenden monatlichen Provision für Dezember 2008 im stattgebenden Sinn ab.

Für laufendes Entgelt seien nach § 1 Abs 4 IESG grundsätzlich der Monats- bzw Vierteljahresgrenzbetrag maßgeblich, die mit den geltend gemachten Beträgen auch jeweils nicht überschritten würden. Die jährliche Mehrverkaufsprämie unterliege hingegen nach der Rechtsprechung einer Begrenzung mit dem Jahresgrenzbetrag und sei wegen dessen rechnerisch unstrittiger Überschreitung nicht gesichert. Diese Prämie könne auch nicht als Sonderzahlung iSd § 49 Abs 2 ASVG qualifiziert werden.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig, weil sein Ergebnis der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs und des Obersten Gerichtshofs entspreche.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung von beiden Parteien erhobenen außerordentlichen Revisionen werfen keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Ihren jeweiligen Ausführungen ist die zutreffende rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts entgegenzuhalten, auf die gemäß § 510 Abs 3 ZPO verwiesen werden kann.

1. Revision des Klägers

Der Kläger macht geltend, es fehle Judikatur des Obersten Gerichtshofs zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Umsatzprovision als Sonderzahlung iSd § 49 Abs 2 ASVG zu werten ist. Dieser Frage komme erhebliche Bedeutung über den Einzelfall hinaus zu, weil Sonderzahlungen nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in die Grenzbeträge nach § 1 Abs 4 IESG nicht einzurechnen seien. Das Berufungsgericht sei bei seiner rechtlichen Beurteilung von der Definition der Sonderzahlungen in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen.

Entgegen diesen Ausführungen hat der Oberste Gerichtshof allerdings bereits wiederholt ausgesprochen, dass ein auf Umsatzdaten basierender Provisionsanspruch einen nicht nach Zeiträumen bemessenen Teil des Arbeitsentgelts darstellt, der nur bis zum Grenzbetrag gemäß § 1 Abs 3 Z 4 iVm § 1 Abs 4 IESG gesichert ist (RIS-Justiz RS0028121), so wie auch Erfolgsbeteiligungen (RIS-Justiz RS0076908) oder die Abgeltung einer Diensterfindung (8 ObS 7/09a; 8 ObS 16/94).

Auch eine im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtseinheit aufzugreifende erhebliche Fehlbeurteilung im Einzelfall kann dem Berufungsgericht hier nicht vorgeworfen werden. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war mit dem Kläger eine von der Anzahl der verkauften Fertigteilhäuser abhängige Umsatzbeteiligung vereinbart, wobei für jeden Verkauf eine Grundprovision zustand und sich der Provisionsprozentsatz bei Überschreiten bestimmter Stückzahlen erhöhte. Dass die sogenannte Mehrverkaufsprämie jährlich abgerechnet wurde, folgt naheliegend aus den jeweils auf das Kalenderjahr bezogenen Stückzahlvorgaben. Nichtsdestoweniger erwarb der Kläger aber auch seinen Anspruch auf die Mehrverkaufsprämie bereits während des laufenden Jahres sukzessive mit jedem über der nächsthöheren Schwelle liegenden Verkaufsabschluss. In der Qualifikation der hier zu beurteilenden Mehrkaufsprämie als nicht nach Zeiträumen bemessener Entgeltanspruch nach § 1 Abs 4 Z 2 IESG kann daher kein Rechtsirrtum erkannt werden.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung zum Beitragsrecht hinsichtlich der Qualifikation von Umsatzprovisionen als Sonderzahlungen iSd § 49 Abs 2 ASVG die Auffassung, dass es nicht allein auf den Abrechnungszeitraum, sondern auf die Art des Anspruchs ankommt. Entsteht der Anspruch auf Umsatzprovision nach der vertraglichen Zusicherung mit der Tätigung von Umsätzen, ist sie nicht erst mit ihrer Flüssigmachung als „gewährt“ iSd § 49Abs 2 ASVG anzusehen. Anderes gilt nach dieser Rechtsprechung nur, wenn das Entstehen des Anspruchs auf Umsatzprovision nicht allein von der Tätigung laufender Umsätze, sondern darüber hinaus noch von weiteren Bedingungen abhängig ist, etwa der Erzielung eines bestimmten Jahresumsatzes oder eines bestimmten Zuwachses desselben (VwGH 91/08/0104; 2000/08/0092 ua).

Abgesehen davon, dass die Auslegung des § 1 Abs 4 IESG dem Obersten Gerichtshof im Rahmen seiner höchstgerichtlichen Kompetenz grundsätzlich autonom obliegt, ist der vom Revisionsrekurs im vorliegenden Fall erblickte Widerspruch zu der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht zu erkennen; der Umstand, dass sich der Provisionssatz des Klägers mit der Stückzahl der verkauften Fertigteilhäuser erhöhte, stellte keine zusätzliche Bedingung für das Entstehen des Anspruchs als solchem dar.

Dem Kläger ist zwar zuzubilligen, dass die in der Judikatur des Obersten Gerichtshofs entwickelte Anwendung eines Jahresgrenzbetrags für einmal jährlich abzurechnende, nicht nach Zeiträumen bemessene Entgeltansprüche (8 ObS 8/94 = SZ 67/14) im Einzelfall für den Arbeitnehmer nachteilig sein kann, wenn der Anspruch zwar im Grenzbetrag des Abrechnungsquartals, aber nicht im Jahresgrenzbetrag Deckung findet. Die von ihm daraus abgeleitete Gleichheitswidrigkeit lässt sich aus der bloßen Möglichkeit einzelner Härtefälle aber nicht ableiten, vielmehr ist gerade im Sozial(-versicherungs-)recht eine durchschnittliche Betrachtungsweise erforderlich, die auf den Regelfall abstellt (RIS-Justiz RS0053889).

Die Anwendung eines auf das Jahr bezogenen Grenzbetrags für jährlich fällige Entgeltformen führt im Regelfall zu einem sachgerechteren Ergebnis und zur Gleichbehandlung mit Arbeitnehmern, die nur ein zeitabhängiges Fixentgelt beziehen. Der im Gesetz vorgesehene Grenzbetragszeitraum nach § 1 Abs 4 Z 2 IESG ist nämlich in Bezug auf die dispositive Regelung des § 10 Abs 4 AngG auszulegen, wonach Provisionen im Zweifelsfall am Ende des Kalendervierteljahrs abzurechnen sind (8 ObS 8/94). Dadurch wird erreicht, dass auch Arbeitnehmern mit unregelmäßigen Provisionsbezügen im Durchschnitt ein monatlicher Entgeltanspruch bis zum Grenzbetrag der doppelten Höchstbeitragsgrundlage gesichert ist. Die Quartalsregelung verhindert eine unbillige Kürzung der Leistung in jenen Fällen, in denen es im Provisionsabrechnungsmonat zu einer Überschreitung des Monatsgrenzbetrags käme, das Engelt im Dreimonatsdurchschnitt aber unter dem Grenzbetrag bleibt.

Das Heranziehen der Quartalsgrenzbeträge für nur einmal jährlich abzurechnende Provisionen würde aber wiederum zu einer unsachlichen, weil von der zufälligen Wahl einer bestimmten Abrechnungsperiode abhängenden Ungleichbehandlung der betroffenen Arbeitnehmer führen (RIS-Justiz RS0076847; 8 ObS 7/09a). Der Zweck der Regelung des § 1 Abs 4 Z 2 IESG, im Abrechnungszeitraum nicht mehr und nicht weniger als ein durchschnittliches Einkommen bis zur Grenze des § 1 Abs 4 Z 1 IESG zu sichern, wird durch Umrechnung des Grenzbetrags auf die längere Abrechnungsperiode gewährleistet. Damit wird sowohl den Intentionen des Gesetzes entsprochen, Arbeitnehmer vor dem Verlust von Ansprüchen zu schützen, auf die sie zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts angewiesen sind, als auch den Fonds vor übermäßiger Inanspruchnahme zu bewahren.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht im Einklang mit dieser Rechtsprechung, sodass die Revision keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt.

2. Revision der Beklagten

Die Revisionswerberin vertritt den Standpunkt, dass im Fall der Geltendmachung eines einmal jährlich abzurechnenden Entgeltanspruchs auch für sämtliche anderen, auch die nach Zeiträumen bemessenen, Entgeltansprüche nur ein gemeinsamer Jahresgrenzbetrag heranzuziehen sei.

Diese Auffassung der Beklagten widerspricht aber schon dem Wortlaut des § 1 Abs 4 Z 2 IESG und in weiterer Folge dem Zweck des Gesetzes, jene laufenden Entgeltansprüche zu sichern, auf die der Arbeitnehmer zur Bestreitung seines Lebensunterhalts angewiesen ist.

Zwar steht einem Arbeitnehmer, der neben zeitabhängigen auch leistungsabhängige Entgeltbestandteile bezieht, der Grenzbetrag für beide Entgeltarten nur einmal zu (RIS-Justiz RS0065401, RS0076847), dieser Grundsatz wird durch die Anwendung unterschiedlicher Durchschnittszeiträume zur Bedachtnahme auf unterschiedliche Fälligkeitszeitpunkte aber nicht verletzt.

Die Auslegung der Beklagten würde zu dem unhaltbaren Ergebnis führen, dass die bloße Geltendmachung einer zusätzlichen (noch dazu ohnehin ungesicherten) Forderung andere, nach dem Gesetz gesicherte Ansprüche vernichten könnte. Auch die Beklagte zweifelt nämlich nicht, dass dem Kläger für das Fixgehalt und die laufende Provision mangels Überschreitens der Grenzbeträge nach § 1 Abs 4 IESG Insolvenz-Entgelt zustehen würde, wenn er nicht auch noch die Mehrverkaufsprämie geltend gemacht hätte.

Ist eine Rechtsfrage im Gesetz so eindeutig gelöst, dass nur eine Auslegungsmöglichkeit ernstlich in Betracht zu ziehen ist und Zweifel nicht entstehen können, liegt selbst bei Fehlen einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO vor (RIS-Justiz RS0042656).

Beide außerordentlichen Revisionen waren daher mangels der gesetzlichen Voraussetzungen zurückzuweisen.

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