OGH 14Os138/10s

OGH14Os138/10s16.11.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. November 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Mag. Hautz in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Koller als Schriftführer in der Strafvollzugssache des Harun T***** wegen Widerrufs bedingter Entlassung, AZ 42 BE 97/09p des Landesgerichts Salzburg, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Vollzugsgericht vom 25. Februar 2010, GZ 42 BE 97/09p-21, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Seidl, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Vollzugsgericht vom 25. Februar 2010, GZ 42 BE 97/09p-21, verletzt § 53 Abs 2 zweiter Satz StGB iVm § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und der Antrag der Staatsanwaltschaft Salzburg auf Widerruf der Harun T***** mit Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Vollzugsgericht vom 22. April 2009, GZ 42 BE 97/09p-6, gewährten bedingten Entlassung abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit (rechtskräftigem) Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 21. Dezember 2007, GZ 33 Hv 5/07v-35, wurde Harun T***** des Verbrechens des Raubes nach §§ 15 Abs 1, 142 Abs 1 StGB, der Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB sowie des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG sowie unter Bedachtnahme gemäß § 31 StGB auf das Urteil des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 16. Oktober 2007, AZ 6 U 478/06d (Geldstrafe von 100 Tagessätzen, für den Fall der Uneinbringlichkeit 50 Tage Ersatzfreiheitsstrafe), zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von 16 Monaten und 10 Tagen verurteilt. Gemäß § 43a Abs 3 StGB wurde ein Teil dieser Freiheitsstrafe im Ausmaß von 12 Monaten und 10 Tagen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Nach teilweiser Verbüßung des unbedingten (viermonatigen) Teils der Freiheitsstrafe wurde der Verurteilte mit Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Vollzugsgericht vom 22. April 2009, GZ 42 BE 97/09p-6, mit Wirkung vom 17. Juni 2009 bei einem Strafrest von einem Monat und 10 Tagen bedingt entlassen. Die Probezeit wurde mit drei Jahren bestimmt, für deren Dauer gemäß § 50 Abs 2 Z 2 StGB Bewährungshilfe angeordnet und dem Genannten gemäß § 51 StGB überdies die Weisung erteilt, innerhalb von vier Wochen nach der bedingten Entlassung ein Anti-Gewalttraining zu beginnen und dem Gericht dies sowie die Fortsetzung des Trainings (bis zu dessen Abschluss) vierteljährlich unaufgefordert nachzuweisen.

Da Harun T***** in der Folge trotz förmlicher Mahnung und Belehrung über die Folgen einer beharrlichen Entziehung aus der Betreuung der Bewährungshilfe (ON 12) der Weisung mutwillig nicht nachkam und es auch dem bestellten Bewährungshelfer nicht gelang, einen ausreichenden Kontakt zu ihm herzustellen (ON 11), wurde die bedingte Entlassung mit Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Vollzugsgericht vom 25. Februar 2010, GZ 42 BE 97/09p-21, widerrufen. Der Strafvollzug wurde bisher nicht eingeleitet.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer gegen diesen Beschluss gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht der Widerruf der bedingten Entlassung mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Gemäß dem durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2008 BGBl I 2007/109 in den Rechtsbestand eingefügten zweiten Satz des § 53 Abs 1 StGB können die bedingte Nachsicht des Teils einer Freiheitsstrafe und die bedingte Entlassung aus dem nicht bedingt nachgesehenen Strafteil nur gemeinsam widerrufen werden. Gemäß § 53 Abs 2 zweiter Satz StGB gilt diese Regelung entsprechend auch für den Fall des Widerrufs einer bedingten Entlassung aus einer Freiheitsstrafe wegen mutwilliger Nichtbefolgung einer Weisung oder beharrlicher Entziehung aus dem Einfluss des Bewährungshelfers. Der hier ausgesprochene, bloß partielle Widerruf von Rechtswohltaten ein- und derselben Sanktion widerspricht damit dem gesetzlich vorgesehenen Ausschluss der eigenständigen Behandlung von (bedingt nachgesehenem) Strafteil und (nach bedingter Entlassung verbliebenem) Strafrest (Jerabek in WK² § 53 Rz 4a).

Da sich die Gesetzesverletzung zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt hat, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO), den angefochtenen Beschluss aufzuheben und gleichzeitig den Antrag der Staatsanwaltschaft Salzburg auf Widerruf der bedingten Entlassung abzuweisen. Anders als in dem der Entscheidung des Obersten Gerichtshof vom 6. Mai 2010, AZ 12 Os 26/10f (EvBl-LS 2010/146), zugrunde liegenden Fall kommt nämlich hier (nachträglicher) gemeinsamer Widerruf iSd § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB schon deshalb nicht in Frage, weil die vorliegenden Widerrufsgründe (§ 53 Abs 2 erster Satz StGB) ausschließlich die bedingte Entlassung aus dem nicht bedingt nachgesehenen Strafteil betreffen und daher keinesfalls auch den Widerruf der bedingten Nachsicht des anderen Teils der Freiheitsstrafe rechtfertigen können.

Bleibt anzumerken, dass der angesprochene, in § 53 Abs 2 StGB enthaltene Verweis auf Abs 1 zweiter Satz dieser Bestimmung zur - dem Zweck der Widerrufsnorm des ersten Satzes des § 53 Abs 2 StGB entgegenstehenden - Konsequenz führt, dass im Fall bedingter Entlassung aus dem unbedingten Teil einer nach § 43a Abs 3 oder Abs 4 StGB teilweise bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe sowohl der Widerruf der bedingten Strafnachsicht als auch jener der bedingten Entlassung aus den Gründen des ersten Satzes des § 53 Abs 2 StGB schon deshalb generell ausgeschlossen ist, weil für die erstgenannte Entscheidung das Gericht zuständig wäre, das in jenem Verfahren, in dem die bedingte Nachsicht ausgesprochen worden ist, in erster Instanz erkannt hat (Urteilsgericht, § 495 Abs 1 StPO), während der Widerruf der bedingten Entlassung ausschließlich und originär in die Kompetenz des Vollzugsgerichts (§ 16 Abs 1, Abs 2 Z 12 StVG) oder - in den Fällen des § 179 Abs 1 StVG - des Gerichts fiele, in dessen Sprengel der Verurteilte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nimmt, womit ein „gemeinsamer Widerruf“ iSd § 53 Abs 1 zweiter Satz StPO niemals erfolgen kann und demzufolge hinsichtlich beider Rechtswohltaten die mutwillige Nichtbefolgung von Weisungen wie auch die beharrliche Entziehung aus dem Einfluss des Bewährungshelfers für den Rechtsbrecher ohne Folgen bleibt.

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