OGH 5Ob174/10i

OGH5Ob174/10i21.10.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Höllwerth und Dr. Roch als weitere Richter in der mietrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin Jutta M*****, vertreten durch Mag. Gunther Gram, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegner 1. T***** KEG, *****, vertreten durch Mag. Franz Podovsovnik, Rechtsanwalt in Wien, 2. Didier F*****, 3. Chantal F*****, ebendort, 4. Alexander F*****, 5. R***** GmbH, *****, 6. U***** OEG, *****, 7. Gernot S*****, 8. DI Mohammad Reza M*****, 9. Susanne K*****, ebendort, 10. Dr. Florian K*****, 11. M*****gmbH, *****, wegen § 37 Abs 1 Z 2 MRG, über den Revisionsrekurs der Erstantragsgegnerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 13. April 2010, GZ 41 R 41/10y‑13, mit dem infolge Rekurses der Erstantragsgegnerin der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 9. November 2009, GZ 35 Msch 4/09b‑6, bestätigt wurde, den

Sachbeschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Erstantragsgegnerin ist schuldig, der Antragstellerin die mit 557,28 EUR bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung (darin 92,88 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Antragstellerin ist seit ca 30 Jahren Mieterin einer Wohnung in der im Wohnungseigentum der Antragsgegner stehenden Liegenschaft *****.

Im Bad der Wohnung ist im Bereich der Badewanne eine Wandleuchte montiert. Es fehlt ein Zusatzschutz, konkret ein Fehlerstromschutzschalter mit einem Auslösestrom von 30 mA. Aufgrund dieses fehlenden Schutzes besteht erhebliche Gesundheitsgefährdung der Mieterin wegen Gefahr eines Stromschlags.

Mit dem verfahrenseinleitenden Antrag begehrte die Antragstellerin neben Instandsetzungsarbeiten an sämtlichen Außenfenstern der Wohnung, die nicht mehr verfahrensgegenständlich sind, die Antragsgegner zu verpflichten, die Wandleuchte aus dem Schutzbereich der Badewanne zu entfernen und die spannungsführenden Elektroleitungen zu adaptieren sowie einen Schutzschalter für die Elektroinstallation ihrer Wohnung herzustellen, weil sie sonst einer erheblichen Gesundheitsgefährdung ausgesetzt sei.

Von den Antragsgegnern beteiligte sich am Verfahren ausschließlich die Erstantragsgegnerin, die Mehrheitseigentümerin der Liegenschaft ist, bestritt das Begehren und beantragte dessen Abweisung. Allfällige Beeinträchtigungen seien durch die Mieterin selbst verschuldet. Jedenfalls treffe die Antragsgegner diesbezüglich keine Instandhaltungsverpflichtung.

Das Erstgericht trug den Antragsgegnern die begehrten Arbeiten sowie die Installation eines Fehlerstromschutzschalters mit einem Auslösestrom von 30 mA (Zusatzschutz) an den Elektroinstallationen der Wohnung der Antragstellerin binnen vier Wochen auf.

Die Arbeiten seien erforderlich, um eine erhebliche Gesundheitsgefährdung der Mieterin hintanzuhalten. Deshalb obliege dem Vermieter die Durchführung dieser Arbeiten. Darauf, ob diese Gefahr mit einem geringen Aufwand von nur 300 EUR beseitigt werden könne, komme es nach der neuen Rechtslage nicht an.

Einem dagegen von der Erstantragsgegnerin erhobenen Rekurs gab das Gericht zweiter Instanz nicht Folge.

Bei den in § 3 MRG näher definierten Erhaltungspflichten des Vermieters, die nach § 37 Abs 1 Z 2 MRG iVm § 6 MRG durchgesetzt werden könnten, seien nach der Rechtsprechung Fragen der Verursachung oder des Verschuldens grundsätzlich nicht zu prüfen. Für schadenersatzrechtliche Auseinandersetzungen zwischen Vermieter und Mieter biete das Verfahren zur Durchsetzung von Erhaltungspflichten keinen Raum (5 Ob 2002/96i; 5 Ob 132/09m). Ein Ausnahmefall, der zu einer anderen Beurteilung zwingen könnte (vgl MietSlg 59.233), sei nach dem Vorbringen nicht zu beurteilen.

Nach § 3 Abs 2 Z 2 MRG idF WRN 2006 habe der Vermieter nun auch eine erhebliche Gesundheitsgefährdung zu beseitigen. Nach dem Wortlaut der Bestimmung müsse die Gefährdung vom Mietgegenstand selbst ausgehen, weshalb auch Elektroleitungen innerhalb des Mietgegenstands in die Erhaltungspflicht des Vermieters fielen. Der eine erhebliche Gesundheitsgefährdung verursachende Mangel im Mietgegenstand stelle ‑ anders als der einen ernsten Schaden des Hauses bewirkende Mangel ‑ nicht auf die erforderlichen Behebungskosten ab. Hier werde nur auf die Erheblichkeitsschwelle im Zusammenhang mit der Gesundheitsgefährdung hingewiesen, womit zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass Bagatellbeeinträchtigungen, die nur bei übergroßer Sensibilität spürbar seien, von der Erhaltungspflicht des Vermieters nicht umfasst seien (EB zur RV 1183 BlgNR 22. GP, 29). Unter diesem Aspekt sei die Gefahr eines Stromschlags keinesfalls eine Bagatellbeeinträchtigung, sondern eine erhebliche Gesundheitsgefährdung. Diese habe der Vermieter nach § 3 Abs 2 Z 2 MRG zu beseitigen, ohne dass es darauf ankäme, ob dafür auch ein erheblicher Aufwand erforderlich wäre.

Die zu § 3 MRG idF BGBl I 2000/36 ergangene Rechtsprechung, die die Erhaltungspflicht des Vermieters in den Mietgegenständen auf die Behebung ernster Schäden des Hauses beschränkte und dafür als erforderlich ansah, dass der Mangel ein außerordentliches Maß erreichte und nicht jederzeit ohne besonderen Aufwand beseitigt werden konnte (vgl etwa MietSlg 56.250), sei auf Fälle erheblicher Gesundheitsgefährdung nicht anzuwenden.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 10.000 EUR nicht übersteigt und der Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur entscheidenden Frage, ob die Erhaltungspflicht des Vermieters bei Gesundheitsgefährdung nur dann greife, wenn damit ein besonderer Aufwand verbunden sei, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Gegen diesen Sachbeschluss richtet sich der Revisionsrekurs der Erstantragsgegnerin mit dem (erkennbaren) Revisionsrekursantrag, den verfahrenseinleitenden Antrag abzuweisen, in eventu die angefochtene Entscheidung aufzuheben und dem Rekursgericht eine neuerliche Entscheidung aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Das im Rechtsmittel primär gestellte Begehren, der Mieterin die Verpflichtung zur Beseitigung der Gesundheitsgefährdung aufzuerlegen, ist nicht Gegenstand des verfahrenseinleitenden Antrags und wäre mangels Aufzählung in § 37 Abs 1 MRG auch nicht im außerstreitigen Verfahren zu verfolgen. Weil insgesamt den Revisionsrekursausführungen jedoch entnommen werden kann, dass sich die Revisionsrekurswerberin gegen die ihr auferlegte Erhaltungspflicht wendet, lässt sich erkennen, dass insoweit die Antragsabweisung angestrebt wird (vgl RIS‑Justiz RS0042142 ua).

Die Antragstellerin beantragte, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs der Erstantragsgegnerin ist aus den vom Rekursgericht bezeichneten Gründen zulässig. Er ist jedoch nicht berechtigt.

Durch die Wohnrechtsnovelle 2006 BGBl I 2006/124, im Folgenden WRN 2006, wurde zunächst der Generalklausel des § 3 Abs 1 MRG hinzugefügt, dass der Vermieter auch dafür zu sorgen hat, dass „erhebliche Gefahren für die Gesundheit der Bewohner beseitigt“ werden. § 3 Abs 2 Z 2 MRG wurde dahin novelliert, dass er nunmehr zu lauten hat:

„die Arbeiten, die zur Erhaltung der Mietgegenstände des Hauses erforderlich sind; diese Arbeiten jedoch nur dann, wenn es sich um die Behebung von ernsten Schäden des Hauses oder um die Beseitigung einer vom Mietgegenstand ausgehenden erheblichen Gesundheitsgefährdung handelt oder wenn sie erforderlich sind, um einen zu vermietenden Mietgegenstand im brauchbaren Zustand zu übergeben.“

Damit erfolgte mit 1. 10. 2006 (§ 49e Abs 1 MRG) eine Ausweitung der Erhaltungspflicht des Vermieters hinsichtlich der Gesundheitsgefährdung des Mieters. In § 3 Abs 2 Z 2 MRG finden sich nunmehr zwei selbständige Tatbestände für die Verpflichtung des Vermieters, Arbeiten im vermieteten Objekt vorzunehmen (vgl Würth/Zingher/Kovanyi, Wohnrecht 2007 Anm 3 zu § 3 MRG).

Vor Inkrafttreten der WRN 2006 war die Gefährdung der persönlichen Sicherheit des Bestandnehmers für die Frage der Zuordnung der Erhaltungspflicht nach dem MRG nicht maßgeblich. Die Erhaltungspflicht eines Vermieters für gesundheitsgefährdende Schäden bestand nur dann, wenn der bestehende Zustand gleichzeitig einen ernsten Schaden des Hauses bewirkte (5 Ob 42/02s = wobl 2002/92: elektrische Anlage; 5 Ob 233/04g = wobl 2005/122 [Rosifka]: Bleileitungen). Die Erhaltungspflicht der elektrischen Anlage oblag davor dem Mieter gemäß § 8 Abs 1 MRG in dem Umfang, dass weder dem Vermieter noch einem anderen Mieter ein Nachteil aus einem bestehenden Mangel entstehen durfte (vgl 5 Ob 17/09z = wobl 2009/79 [Riss]).

Nach alter Rechtslage führte das Vorhandensein mangelhafter, für den Mieter gesundheitsgefährdender Elektroinstallationen zur Verneinung der Brauchbarkeit der Wohnung an sich und damit zur dauernden Einstufung in die Ausstattungskategorie D, wenn dieser Mangel im Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses vorgelegen war (vgl 5 Ob 123/91 = WoBl 1992/107 ua). Diese Rechtsfolge trat jedenfalls dann ein, wenn der Mangel nicht ohne größere Aufwendungen behoben werden konnte (vgl 5 Ob 2364/96z mwN = MietSlg 49.270). Durch die WRN 2006 wurde in § 15a Abs 2 letzter Satz MRG in solchen Fällen eine Rügepflicht des Mieters und eine Verbesserungsmöglichkeit des Vermieters statuiert, was allerdings erst für nach dem 30. 9. 2006 geschlossene Verträge (§ 49e Abs 3 MRG) gilt (Würth/Zingher/Kovanyi aaO Anm 1 zu § 15a MRG).

Damit nunmehr ein gesundheitsgefährlicher Mangel in die Erhaltungspflicht des Vermieters fällt, ist einerseits vorausgesetzt, dass die Gefährdung vom Mietgegenstand ausgeht, also ihre Wurzel im Zustand des Mietobjekts selbst hat. Von außen in den Mietgegenstand eindringender Straßenlärm oder ähnliches soll demnach keine Erhaltungspflicht des Vermieters auslösen (Stabentheiner, Die Änderungen des Mietrechts durch die Wohnrechtsnovelle 2006, ÖJZ 2006/48). Weiters muss es sich um eine „erhebliche“ Gefahr für die Gesundheit der Bewohner handeln, womit nach den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gebracht werden sollte, „dass Bagatellbeeinträchtigungen, die nur bei übergroßer Sensibilität spürbar sind, nicht von der Erhaltungspflicht des Vermieters umfasst sind“ (vgl RV 1183 BlgNR 22. GP, 35; Stabentheiner aaO).

Dass diese Voraussetzung bei der Gefahr eines Stromschlags durch Berührung eine erhebliche Gefährdung in diesem Sinne ist, haben schon die Vorinstanzen zutreffend erkannt und wird auch vom Revisionsrekurs nicht in Zweifel gezogen.

Eine analoge Heranziehung der Voraussetzungen für die Maßgeblichkeit der Ernstlichkeit des Schadens des Hauses, wie in § 3 Abs 2 Z 2 erster Fall MRG weiterhin normiert, also eine Berücksichtigung des Ausmaßes des Aufwands für die Schadensbehebung (vgl RIS‑Justiz RS0102183) lässt sich schon deshalb nicht begründen, weil beide Tatbestände unterschiedliche Voraussetzungen aufweisen und unterschiedliche Teile des Gesamtobjekts zum Gegenstand haben. Während es im einen Fall um die dem Vermieter obliegende Erhaltung der Bausubstanz geht, handelt es sich im anderen Fall um eine Behebung von Schäden im Inneren des Bestandobjekts. Die neue gesetzliche Regelung über die Erhaltungspflicht bei erheblicher Gesundheitsgefährdung hatte vor allem den Zweck, die Unausgewogenheit zu beseitigen, die nach alter Rechtslage zur Ungleichbehandlung des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit der Hausbewohner mit dem Interesse an der Erhaltung der Gebäudesubstanz einherging. Durch die neue gesetzliche Regelung sollte die erhebliche Gesundheitsgefährdung der Bewohner des Hauses der Behebung von ernsten Schäden des Hauses gleichgestellt werden, was sich nicht zuletzt auch aus der Neufassung des § 3 Abs 1 MRG ergibt (vgl Stabentheiner, Die miet‑ und wohnungseigentumsrechtlichen Teile der Wohnrechtsnovelle 2006 [1. Teil] wobl 2006, 241 [249 ff]). „Erheblich“ bezieht sich damit eindeutig auf das Ausmaß der Gesundheitsgefährdung, nicht aber auf das Ausmaß des dafür erforderlichen Aufwands.

Eine weiters in diesem Zusammenhang zu erörternde Voraussetzung ergibt sich aus § 6 Abs 1a MRG idF WRN 2006, wonach dem Vermieter Arbeiten zur Beseitigung einer erheblichen Gesundheitsgefährdung nur aufgetragen werden können, wenn sich diese „nicht durch andere, den Bewohnern des Hauses zumutbare Maßnahmen abwenden lässt“.

Die Intention dieser Bestimmung liegt darin, die Pflicht des Vermieters zur Abwendung von Gesundheitsgefahren in einem gewissen Maß abzumildern. Der Gesetzgeber positivierte damit eine vom erkennenden Senat im Zusammenhang mit einem Begehren auf Ersetzung sämtlicher Bleileitungen eines Hauses getroffene Abwägung. Weil bei einem Wasservorlauf von nur einer Minute bei einer Wasserentnahmestelle der Mangel der Bleikontamination des Trinkwassers zu beseitigen war, wurde das Bestehen eines Baugebrechens iSd § 3 Abs 2 Z 1 MRG idF vor der WRN 2006 verneint (5 Ob 233/04g = wobl 2005/122). Diesen Gedanken der Zumutbarkeit griff der Gesetzgeber in der neu geschaffenen Bestimmung des § 6 Abs 1a MRG auf (vgl Stabentheiner, Die Änderung des Mietrechts durch die Wohnrechtsnovelle 2006, ÖJZ 2006/48; 1183 der BlgNR 22. GP, 35).

Dabei stellt schon der Gesetzeswortlaut klar, dass es nicht um den Aufwand der Maßnahme selbst geht, sondern darum, dass andere Maßnahmen, die den Bewohnern des Hauses zumutbar sind, die Gesundheitsgefährdung abwenden können, also um effektive Alternativmaßnahmen (vgl Stabentheiner aaO). Dass solche bei der Gefahr möglicherweise tödlicher Stromstöße bestünden, ist nicht evident.

Die vorstehenden Ausführungen sind daher dahin zusammenzufassen, dass die Zuordnung einer Erhaltungsmaßnahme nach § 3 Abs 2 Z 2 zweiter Fall MRG in den Pflichtenkreis des Vermieters nicht von der Höhe des dafür erforderlichen Aufwands abhängt.

Dem Revisionsrekurs war somit ein Erfolg zu versagen (so auch 5 Ob 173/10t und 5 Ob 175/10m).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG.

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