OGH 2Ob156/10w

OGH2Ob156/10w7.10.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Petra H*****, vertreten durch Dr. Karl-Heinz Götz, Dr. Rudolf Tobler jun., Rechtsanwälte in Neusiedl am See, gegen die beklagte Partei D*****gesellschaft mbH *****, vertreten durch Mag. Andreas Fritz, Rechtsanwalt in Wien, und der Nebenintervenientin auf Beklagtenseite N***** AG, *****, vertreten durch Dr. Gottfried Zandl, Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwälte in Wien, wegen 88.042,01 EUR sA, Rente und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teilzwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Juni 2010, GZ 11 R 105/10g-27, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a

Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Die Beklagte betreibt eine Fahrraddraisinenstrecke auf der ÖBB-Bahnstrecke von E***** bis A*****. Diese Veranstaltung dient der Vergnügung und der Belustigung der Teilnehmer. Sie ist nicht als Eisenbahn iSd § 1 Eisenbahngesetz zu qualifizieren. Am Unfallstag bestand keine rechtskräftige Bewilligung der Veranstaltungsbetriebsstätte, eine solche wurde später erteilt.

Auf dem Zugang zu den Fahrraddraisinen war am Unfallstag eine Tafel mit Sicherheitshinweisen angebracht, die unter anderem den Hinweis enthielt, dass die Teilnehmer vorausschauend fahren, rechtzeitig bremsen und einen Sicherheitsabstand von 20 m einhalten sollen.

Die Klägerin nahm am 12. Oktober 2007 im Rahmen eines Betriebsausflugs einer Versicherungsanstalt an einer Draisinenfahrt teil. Der Geschäftsführer der Beklagten erteilte den Teilnehmern eine mündliche Belehrung, die aufgrund der großen Unruhe und Aufbruchsstimmung nicht von allen Teilnehmern der Ausflugsgruppe wahrgenommen wurde. Er führte den Teilnehmern insbesondere die Notwendigkeit eines Sicherheitsabstands von 15 m vor Augen, auf die Gefahr einer möglichen Entgleisung wies er sie nicht hin. Drei Fahrraddraisinen waren bereits losgefahren, bevor diese mündliche Belehrung erteilt wurde.

In der weiteren Folge fuhren die Teilnehmer der Ausflugsgruppe los. An der geografisch höchsten Stelle wurde eine Pause eingelegt, bei der die Möglichkeit bestand, Getränke zu konsumieren. In weiterer Folge wies die Strecke ein leichtes Gefälle auf, sodass der Einsatz von Muskelkraft zur Fortbewegung nicht notwendig war.

Die Teilnehmer hielten keinen entsprechenden Sicherheitsabstand ein, sodass die Fahrzeuge teilweise mit einem Abstand von unter 1 m hintereinander fuhren. Auf dieser Bergabstrecke bremste die Klägerin ihre Draisine. Das unmittelbar nachfolgende Fahrzeug folgte minutenlang in einem Abstand von unter 1 m. Auf diese Draisine fuhr das dahinter fahrende Fahrzeug auf, sodass das unmittelbar hinter der Klägerin fahrende Fahrzeug auf jenes der Klägerin gestoßen wurde, wodurch dieses entgleiste. Sie wurde aus der Draisine geschleudert, stürzte auf den Gleiskörper, wurde von mindestens einer nachfolgenden Draisine überrollt und dadurch schwer verletzt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Unfall durch eine alkoholbedingte Reaktionsverzögerung verursacht wurde oder die Klägerin selbst durch Alkohol beeinträchtigt gewesen wäre.

Als Unfallsursache kann die Konstruktion der Draisinen, die dem Stand der Technik entspricht, deren Bremssystem, die Gleisanlage oder der Oberbau ausgeschlossen werden. Die Draisinen sind grundsätzlich entgleisungssicher. Sie können eine maximale Geschwindigkeit von 26 bis 30 km/h erreichen, die auch durch das dort vorhandene Gefälle oder durch den Einsatz von Muskelkraft nicht überschritten werden kann. Bei einer Geschwindigkeit von 25 km/h beträgt der Bremsweg 22 m. Aus technischer Sicht ist ein Sicherheitsabstand von 15 m ausreichend, um eine Fahrraddraisine vor einer dieser vorausfahrenden anhaltenden Draisine zum Stillstand bringen zu können. Für Laien ist nicht erkennbar, dass auch ein Anstoß mit geringer Geschwindigkeit eine Draisine zum Entgleisen bringen kann.

Üblicherweise schließt die Beklagte mit Teilnehmern von Draisinenfahrten einen schriftlichen Vertrag, in dem die Sicherheitsbestimmungen zur Kenntnis gebracht werden. Im gegenständlichen Fall unterließ die Beklagte dies in Anbetracht der ausgelassenen Stimmung und des Drängens der Teilnehmer, endlich loszufahren. Dem Regionalleiter der Versicherungsanstalt, der bereits früher die Draisinenanlage besichtigt hatte, war ein solcher schriftlicher Mietvertrag mit den Sicherheitshinweisen übergeben worden, wobei in diesem Mietvertrag der Sicherheitsabstand mit mindestens 10 m angegeben war.

Die Klägerin bringt im Wesentlichen vor, die Beklagte habe im Unfallszeitpunkt über keine Bewilligung für den Draisinenbetrieb verfügt. Weiters habe die Beklagte entgegen den Einreichungsunterlagen keinen individuellen Mietvertrag mit der Klägerin abgeschlossen. Außerdem habe es die Beklagte verabsäumt, die Fahrtteilnehmer über den gebotenen Sicherheitsabstand von 30 m und über die aus einem Auffahrunfall resultierende Entgleisungsgefahr zu belehren. Die Beklagte treffe deshalb das Alleinverschulden am Unfall.

Die Klägerin begehrt daher an Schadenersatz 88.042,01 EUR sA (50.000 EUR Schmerzengeld; 750 EUR Sachschäden; 17.750 EUR Haushaltshilfekosten; 1.500 EUR Verdienstentgang; 10.000 EUR Verunstaltungsentschädigung; 8.042,01 EUR näher aufgeschlüsselte Heilungs- und Pflegekosten einschließlich der damit in Zusammenhang stehenden Fahrtkosten). Weiters fordert sie unter Berufung auf ihre Behinderung von 50 % und ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 % eine monatliche Hausfrauenrente von 500 EUR samt 4 % Zinsen ab 1. 11. 2009. Da der Unfall schwere Spät- und Dauerfolgen ausgelöst habe, aus denen mit hoher Wahrscheinlichkeit künftige Schadenersatzansprüche resultierten, erhebt die Klägerin schließlich auch ein mit 5.000 EUR bewertetes Feststellungsbegehren.

Die Beklagte und ihre Nebenintervenientin beantragen die Abweisung dieser Begehren. Der Umstand, dass die Veranstaltungsbewilligung im Unfallszeitpunkt noch nicht existiert habe, sondern erst nachträglich erteilt worden sei, sei für den Unfall nicht kausal gewesen, weil er sich auch bei früherer Erteilung der Bewilligung ereignet hätte. Bei Einhaltung eines erforderlichen Sicherheitsabstands von mindestens 15 m, über den die Fahrtteilnehmer belehrt worden seien, wäre der Unfall unterblieben. Der Beklagten falle deshalb kein Verschulden zur Last. In eventu treffe die Klägerin ein Mitverschulden, weil sie es verabsäumt habe, auf eine Vergrößerung des Abstands zur nachfolgenden Draisine hinzuwirken, sei es durch eine Erhöhung der Geschwindigkeit des von ihr gelenkten Fahrzeugs, sei es durch Zurufe an den Lenker der nachfolgenden Draisine.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichts dahingehend ab, dass es mit Teilzwischenurteil im Umfang des Teilbegehrens von 68.500 EUR sA (betreffend Schmerzengeld, Sachschäden und Haushaltshilfekosten) das Klagebegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend aussprach und im Umfang der Abweisung des weiteren Teilbegehrens von 19.542,01 EUR sA, des Rentenbegehrens und des Feststellungsbegehrens das Urteil des Erstgerichts zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwies. Es ließ gegen den abändernden Teil seiner Entscheidung die ordentliche Revision nicht zu.

In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht unter anderem Folgendes aus:

Bei § 10 NÖ VeranstaltungsG, wonach die Veranstaltungsbetriebsstätte der Beklagten einer Genehmigung bedürfe, handle es sich um ein Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB, das die Draisinenbenützer vor Schäden bewahren solle. Gemäß der am 20. 3. 2008 erteilten unstrittigen Genehmigung habe der Betrieb entsprechend den Einreichunterlagen der Beklagten zu erfolgen. Danach habe jeder Draisinenbenützer vor Fahrtantritt eine als „Mietvertrag“ bezeichnete Urkunde zu unterfertigen, die folgenden Hinweis enthalten müsse:

„Sicherheitsabstand zur vorderen Draisine: mindestens 30 m während der Fahrt - Auffahren auf die vordere Draisine ist gefährlich (Entgleisungsgefahr) und daher verboten!“

Die Beklagte habe den Fahrtteilnehmern weder ein derartiges Schriftstück vorgelegt noch eine mündliche Belehrung über die aus einem Auffahren resultierende Entgleisungsgefahr erteilt. Der bloße Hinweis auf das Erfordernis eines Sicherheitsabstands von 15 m sei nicht nur nach dem klaren Wortlaut der Urkunde (und damit auch des Genehmigungsbescheids) ungenügend, sondern auch deshalb unzureichend, weil für einen Laien nicht erkennbar sei, dass auch ein Anstoß mit geringer Geschwindigkeit eine Draisine zum Entgleisen bringen könne. Diese Information sei daher nicht geeignet gewesen, die Teilnehmer vor einem gefährlichen Entgleisungsszenario zu warnen. Der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem Betrieb der Draisinenanlage, den die Beklagte genehmigungslos und ohne vollständige Erfüllung der im späteren Bewilligungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen begonnen habe, und den Schäden der Klägerin sei daher zu bejahen.

Die Klägerin habe aufgrund der ihr erteilten Belehrung bloß darauf achten müssen, zu den vor ihr fahrenden Draisinen einen Sicherheitsabstand von mindestens 15 m einzuhalten. Hingegen habe die Klägerin keine Obliegenheit getroffen, den Abstand zu der unmittelbar hinter ihr fahrenden Draisine im Auge zu behalten. Die Klägerin treffe daher kein Mitverschulden, vielmehr die Beklagte das Alleinverschulden.

Dem Grunde nach bestehe daher das Schmerzengeld-, Sachschaden- und Haushaltshilfekostenbegehren zu Recht, im Übrigen erweise sich aber mangels hinreichender Feststellungen eine Aufhebung des Urteils des Erstgerichts als erforderlich.

Rechtliche Beurteilung

Gegen das Teilzwischenurteil des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag, im angefochtenen Umfang das Klagebegehren abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Revision ist unzulässig.

1. Dass das EKHG auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar ist, ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig.

2. Die Revisionswerberin releviert als erhebliche Rechtsfrage, es gebe keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob § 10 NÖ VeranstaltungsG (auf den sich das Berufungsgericht gestützt hat) ein Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB sei.

§ 10 NÖ VeranstaltungsG (LGBl 7070-0) ist mit „Eignung der Veranstaltungsbetriebsstätte“ überschrieben. Nach Abs 1 der Bestimmung dürfen Veranstaltungen nur in geeigneten, von der Behörde bewilligten Veranstaltungsbetriebsstätten durchgeführt werden. Nach Abs 2 bedürfen Veranstaltungsbetriebsstätten unter bestimmten Voraussetzungen keiner Bewilligung, nämlich, wenn bereits eine baubehördliche Bewilligung vorliegt (Z 1), innerhalb der letzten fünf Jahre gleichartige Veranstaltungen bewilligt wurden (Z 2) oder wenn die Benützung technischer Geräte durch den Besucher vorgesehen ist und die Bescheinigung über die Zertifizierung des technischen Geräts durch eine akkreditierte Organisation zur Zertifizierung von Produkten (zB TÜV, Österreichisches Normungsinstitut) vorgelegt wird (Z 3).

Dass diese Vorschriften den Schutz von Teilnehmern an einer Veranstaltung bezwecken, kann nicht zweifelhaft sein, soll dadurch doch die technische Sicherheit gewährleistet werden. Dies erhellt schon daraus, dass eine Bewilligung unter anderem dann entfallen kann, wenn bereits eine baubehördliche Bewilligung vorliegt. Dass Bauvorschriften in Bauordnungen, baubehördliche Auflagen, technische Richtlinien oder technische Bauschriften Schutzgesetze iSd § 1311 ABGB sind, ist in der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt (RIS-Justiz RS0119032; RS0118358; RS0114407; RS0106341; RS0027415 [T5, T9]; RS0027517 [T4]).

Es liegt daher hinreichend oberstgerichtliche Judikatur vor, aus der auch der Schutzgesetzcharakter von § 10 leg cit abgeleitet werden kann. Im Übrigen hat sich das von einem technischen Fehler ausgehende Risiko hier nicht verwirklicht.

3. Die Revisionswerberin führt weiters aus, es gebe keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob die Durchführung einer Veranstaltung im Rahmen eines Betriebsausflugs als öffentliche Veranstaltung iSd § 1 des Niederösterreichischen Veranstaltungsgesetzes zu qualifizieren sei.

Dass Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu Bestimmungen des Verwaltungsrechts (wozu § 1 leg cit gehört) fehlt, begründet für sich allein noch keine erhebliche Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0123321 [T7]).

Davon abgesehen überzeugen die Argumente der Revisionswerberin nicht: Nach § 1 leg cit gilt dieses für öffentliche Veranstaltungen. Nach § 1 Abs 2 leg cit sind öffentlich im Sinne dieses Gesetzes Veranstaltungen, die allgemein zugänglich sind.

Mag es sich bei dem Betriebsausflug auch um eine „geschlossene Veranstaltung“ gehandelt haben, so war die Veranstaltung „Draisinenfahren“ insofern auch im vorliegenden Fall öffentlich, weil es auch jedem anderen frei gestanden wäre, für eine bestimmte Anzahl von Teilnehmern eine „geschlossene Veranstaltung“ bei der Beklagten zu buchen. Die Veranstaltung ist nämlich das (grundsätzlich jedermann zugängliche) „Draisinenfahren“, nicht hingegen der „Betriebsausflug“.

4. Weiters releviert die Revisionswerberin als erhebliche Rechtsfrage, ob der Schutzzweck von § 10 leg cit Veranstaltungsteilnehmer umfasst, die durch ein die Sicherheitsbestimmungen des Veranstalters gröblich missachtendes Verhalten anderer Veranstaltungsteilnehmer geschädigt werden.

Wie weit der Normzweck (Rechtswidrigkeitszusammenhang) reicht, ist Auslegungsfrage im Einzelfall (RIS-Justiz RS0082346; RS0022813 [T15]), weshalb nur eine auffallende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts vom Obersten Gerichtshof aufzugreifen wäre. Die Rechtsausführungen des Berufungsgerichts zum Rechtswidrigkeitszusammenhang sind durchaus vertretbar.

Auf allfällige (teilweise) Regressansprüche der Beklagten gegen die Fahrer der nachfolgenden Draisinen, die trotz Belehrung einen ausreichenden Sicherheitsabstand nicht eingehalten haben, ist hier nicht einzugehen.

5. Entgegen den Revisionsbehauptungen ist das Berufungsgericht nicht von der Äquivalenztheorie abgewichen, wobei es gleichgültig ist, ob man von einer Schädigung durch Tun (Abhalten von Draisinenfahrten ohne entsprechende Bewilligung) oder Unterlassung (einer ausreichenden Belehrung) ausgeht.

6. Die Behauptung der Revisionswerberin, das Berufungsgericht habe bei Prüfung des Mitverschuldenseinwands der Klägerin eine Rechtswidrigkeit des Handelns der Klägerin im technischen Sinn vorausgesetzt, hat keine Grundlage in den diesbezüglichen Rechtsausführungen des Berufungsgerichts.

7. Da die Revisionswerberin somit keine erhebliche Rechtsfrage aufgeworfen hat, war ihre Revision zurückzuweisen.

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