OGH 16Ok5/10

OGH16Ok5/104.10.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Griss als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel und Univ.‑Prof. Dr. Kodek sowie die fachkundigen Laienrichter Kommerzialräte Dr. Mraz und Dr. Ertl als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde, Wien 2, Praterstraße 31, wider die Antragsgegnerinnen (AG) 1. D***** AG, *****, 2. D***** GmbH, *****, 1. AG und 2. AG vertreten durch Dorda Brugger Jordis Rechtsanwälte GmbH in Wien, 3. DC D***** KG, *****, vertreten durch Saxinger Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, 4. B***** GmbH, 5. B***** GmbH, 4. AG und 5. AG *****, beide vertreten durch Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, Rechtsanwälte in Wien, 6. A***** GmbH, *****, 7. A***** GesmbH, *****, 6. AG und 7. AG vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Verhängung einer Geldbuße gemäß § 87 Abs 2 KartG 2005 iVm § 142 Z 1 lit a und lit d KartG 1988 sowie § 29 Z 1 lit a und lit d KartG 2005, über die Rekurse der Erst-, der Zweit- und der Drittantragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom 26. März 2010, GZ 29 Kt 5/09-50, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Beiden Rekursen wird nicht Folge gegeben.

Begründung

Das Erstgericht verhängte mit dem angefochtenen Beschluss ‑ in der Höhe dem verfahrenseinleitenden Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) vom 25. Februar 2009 folgend ‑ Geldbußen über die Antragsgegnerinnen (AG) gemäß § 87 Abs 2 KartG 2005 iVm § 142 Z 1 lit a und d KartG 1988 sowie § 29 Z 1 lit a und d KartG 2005 wegen der Teilnahme an Artikel 101 AEUV verletzenden Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen sowie Verstößen gegen das Kartellverbot und Durchführung eines verbotenen Kartells in Österreich, und zwar hinsichtlich der Erst- bis DrittAG von 1. 7. 2002 bis 14. 11. 2007, hinsichtlich der Viert- und FünftAG von 29. 10. 2004 bis September 2006 sowie hinsichtlich der Sechst- und SiebentAG von 29. 10. 2004 bis April 2006, und zwar:

675.000 EUR über die Erst- und ZweitAG,

397.000 EUR über die DrittAG,

381.000 EUR über die Viert- und FünftAG,

66.000 EUR über die Sechst- und SiebentAG.

Die angefochtene Entscheidung lässt sich wie folgt zusammenfassen:

1. Betroffener Markt

Das Bußgeldverfahren betrifft den Industriezweig „Vertrieb von Druckchemikalien im Lagergeschäft“ im gesamten österreichischen Bundesgebiet. Druckchemikalien sind Spezialchemikalien mit engen technischen Anforderungen; der Vertrieb dieser Produkte erfordert ein spezifisches Fachwissen und erfolgt fast ausschließlich im dezentral organisierten Lagergeschäft, und zwar ausgehend von regionalen Distributionszentren auch über die Landesgrenzen Österreichs hinaus in angrenzende EU‑Mitgliedstaaten. Umgekehrt decken auch österreichische Abnehmer ihren Bedarf an Druckchemikalien teilweise durch Importe; die Voraussetzungen der Zwischenstaatslichkeitklausel sind erfüllt. Von den Zuwiderhandlungen waren ausschließlich die Produktkategorien „Reinigungs- und Pflegemittel“ sowie „Isopropylalkohol“ (IPA) betroffen.

2. Beteiligte Unternehmen

Die betroffenen Unternehmen sind Chemiedistributionsunternehmen, die im Lagergeschäft für Druckchemikalien tätig sind, sowie (mit Ausnahme der DrittAG) deren jeweilige Muttergesellschaft. Die weltweiten Gesamtumsatzerlöse des Konzerns, welchem die Erst- und ZweitAG angehören, betrugen im Geschäftsjahr 2008 271,3 Mio EUR. Mit von der Zuwiderhandlung betroffenen Produkten erzielte die ZweitAG in Österreich 2005 1,667 Mio EUR, 2006 1,62 Mio EUR und 2007 1,398 Mio EUR Umsatz. Die DrittAG erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2008 einen Gesamtumsatz von 74,74 Mio EUR. Die Umsatzerlöse mit von der Zuwiderhandlung betroffenen Produkten betrugen in Österreich 2005 1,042 Mio EUR, 2006 1,11 Mio EUR und 2007 1,126 Mio EUR. Der weltweite Gesamtumsatzerlös des Konzerns, welchem die Viert- und FünftAG angehören, betrug im Wirtschaftsjahr 2008 7,4 Milliarden EUR. Mit von der Zuwiderhandlung betroffenen Produkten erwirtschaftete die FünftAG in Österreich 2007 748.711 EUR. Der Konzern der Sechst- und SiebentAG erzielte 2008 Umsatzerlöse von 221,15 Mio EUR. Mit von der Zuwiderhandlung betroffenen Produkten erwirtschaftete die SiebentAG 2006 123.283 EUR Umsatz.

3. Form der Zuwiderhandlung

Zwischen den Unternehmensgruppen der Erst- und ZweitAG sowie der DrittAG besteht seit vielen Jahren ein intensiver geschäftlicher Kontakt. Bereits einige Jahre vor dem 1. 7. 2002 fanden regelmäßige persönliche Kontakte zwischen den jeweils im Verkauf tätigen Personen statt. Der genaue Zeitpunkt des Beginns dieser Kontakte (der „bilateralen Phase“) steht nicht fest. Die Kontakte auf Verkaufsleiterebene waren von dem gemeinsamen Verständnis geprägt, dass beiden beteiligten Unternehmen bestimmte Kunden als „Stammkunden“ fix zugeordnet sein sollten. Vereinbart wurde, dass ein Kunde, der in der Vergangenheit stets bei einem Unternehmen gekauft hatte, bei diesem Unternehmen verbleiben sollte. Diese Kundenzuordnung sollte durch abgestimmtes Marktverhalten, wie die Abgabe aufeinander abgestimmter Angebote, beibehalten werden. Dabei galt im gegenseitigen Einverständnis, dass Stammkunden des jeweils anderen Unternehmens nicht durch niedrigere Preise abgeworben werden sollten.

Zur Sicherung dieser Vereinbarung wurden durch zumeist telefonische Rücksprachen wechselseitig Preise einzelner (Stamm-)Kunden ausgetauscht, um anfragenden Stammkunden des jeweils anderen Unternehmens ein entsprechend höheres Angebot legen zu können und so eine Veränderung des angestammten Kundenstocks zu verhindern. Kern der Vereinbarungen in der bilateralen Phase war es, einen Kundenschutz zwischen den beiden Unternehmensgruppen und damit auch die Beibehaltung eines hohen Preisniveaus zu gewährleisten. Soweit wie möglich wurde auch versucht, anderen Wettbewerbern (insbesondere der Fünft- und SiebentAG) Kunden durch gemeinsames Vorgehen abzuwerben. Angedacht und diskutiert wurde auch eine kollektive Preiserhöhung von IPA, ohne dass dies in dieser Phase schon konkret vereinbart worden wäre.

Infolge einer Rohstoffverknappung Ende 2004 und den damit verbundenen Preiserhöhungen wurden ab Oktober 2004 in die zunächst bilateralen Absprachen auch die Viert- bis SiebentAG einbezogen (Beginn der „multilateralen Phase“). Die Teilnahme der FünftAG war für Zweit- und DrittAG von großer Bedeutung, weil sie ein gewichtiger Mitbewerber war. Die durch die Vereinbarungen der AG herbeigeführte Erhöhung der Verkaufspreise kam allen AG zugute. Ziel der Absprachen war es - wie schon in der bilateralen Phase -, einen Kundenschutz zwischen den einzelnen Unternehmen zu gewährleisten. Dazu wurden von den einzelnen AG je nach Konstellation Scheinangebote gelegt und Lieferengpässe bei anfragenden Kunden vorgetäuscht sowie in regen bilateralen telefonischen Kontakten zwischen den einzelnen Unternehmen kundenbezogene Preisinformationen ausgetauscht. Zusätzlich wurden in dieser Phase einheitliche Preiserhöhungen zunächst für IPA, später auch für Reinigungs- und Pflegemittel festgelegt. Zu diesem Zweck fanden regelmäßige Treffen statt. Nach dem Ausstieg der SiebentAG aus der Druckchemikalienbranche im April 2006 und mehrfachen Verstößen der FünftAG gegen die Vereinbarung des Kundenschutzes und deren ausdrücklicher Erklärung gegenüber dem Vertreter der ZweitAG, die Zusammenarbeit zu beenden, war die multilaterale Phase im September 2006 beendet. Ein bilateraler Kontakt zwischen Erst- bis DrittAG blieb jedoch noch bis November 2007 zum Austausch von Preisen und Kundeninformationen sowie zur Beibehaltung des Kundenschutzes untereinander aufrecht.

Allen an den Gesprächen zwischen den AG beteiligten Personen war sowohl das der Zuwiderhandlung zugrunde liegende Grundverständnis hinsichtlich der Zuordnung von Stammkunden und der kollektiven Preiserhöhungen, als auch der Zweck der Beeinflussung der Wettbewerbsverhältnisse zum Nachteil der Kunden und der übrigen Mitbewerber erkennbar und auch tatsächlich bewusst. In beiden Phasen der Zuwiderhandlung lehnte bis zur jeweiligen Beendigung der Zusammenarbeit keine der beteiligten Personen das wettbewerbsbeeinträchtigende Verhalten ab oder distanzierte sich davon.

4. Rechtliche Beurteilung

Die beschriebene Zusammenarbeit zwischen den AG habe bezweckt, bestimmte (Stamm-)Kunden bestimmten Unternehmen zuzuordnen, das Preisniveau bestimmter Druckchemikalien durch akkordierte Preiserhöhungen über jenem zu halten, das bei ungestörten Marktverhältnissen zu erzielen gewesen wäre, sowie wirtschaftlich sensible Marktinformationen, die Mitbewerbern üblicherweise nicht zugänglich gemacht werden, auszutauschen. Dieses durch ein einziges Ziel gekennzeichnete kontinuierliche Verhalten der AG sei eine einzige Zuwiderhandlung, die zwar verschiedene Phasen durchlaufen habe, aber nicht in unterschiedliche Zuwiderhandlungen zerlegt werden könne. Es handle sich um eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art 101 AEUV, in deren Rahmen alle daran beteiligten Unternehmen für die ganze Zeit ihrer Beteiligung auch für jenes Verhalten verantwortlich seien, das andere Unternehmen an den Tag gelegt hätten, da sie von dem rechtswidrigen Verhalten der anderen Beteiligten gewusst hätten und bereit gewesen seien, die daraus erwachsene Gefahr auf sich zu nehmen. Die AG hätten auch ein verbotenes Kartell nach § 18 Abs 1 Z 1 KartG 1988 durchgeführt und gegen das Kartellverbot des § 1 KartG 2005 verstoßen. Über die AG seien daher gemäß § 29 KartG 2005 und § 142 KartG 1988 Geldbußen zu verhängen.

5. Zur Bemessung der Geldbußen im Allgemeinen

Nach § 142 Z 1 KartG 1988 seien Geldbußen von 10.000 EUR bis 1 Mio EUR oder über diesen Betrag hinaus bis zu 10 % der von dem einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr erzielten weltweiten Umsatzerlöse aufzuerlegen. Nach § 29 Z 1 KartG 2005 seien Geldbußen bis zu einem Höchstbetrag von 10 % des von dem einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes aufzuerlegen. Die Kappungsgrenze betrage demnach aufgrund der für das Kalenderjahr 2006 festgestellten Gesamtumsatzerlöse für die Erst- und ZweitAG 27,1 Mio EUR, für die DrittAG 7,4 Mio EUR. Die Geldbußen seien jedoch in erster Linie ausgehend vom tatbezogenen Umsatz anhand der Kriterien des § 30 KartG 2005 bzw des § 143 KartG 1988 im Rahmen einer Ermessensentscheidung unter Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände und Berücksichtigung der Abschreckungswirkung festzulegen.

Die Zuwiderhandlung der AG mit der Zielrichtung der teilweisen Festsetzung von Preisen und der Aufteilung des Markts durch Zuordnung von Kunden zur Sicherung eines höheren Preisniveaus unter größtmöglicher Ausschaltung des Wettbewerbs gehöre zu den am schwersten wiegenden Verletzungen des Art 101 AEUV und müsste unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten besonders streng geahndet werden. Der Grad des Verschuldens sei infolge vorsätzlicher Beteiligung an der Zuwiderhandlung mit Auswirkungen auf das gesamte österreichische Bundesgebiet hoch. Alle AG hätten aus der Zuwiderhandlung auch wirtschaftliche Vorteile ziehen können, mögen diese auch der Höhe nach nicht mit hinreichender Sicherheit beziffert werden können; dennoch sei davon auzugehen, dass wesentliche und erhebliche wirtschaftliche Vorteile für die Beteiligten mit der Bildung und Durchführung des Kartells verbunden gewesen seien und somit zumindest ein nicht unerheblicher Teil der verhängten Geldbußen durch die erzielten Mehrerlöse gedeckt sei. Die Leistungsfähigkeit aller AG stehe mit den verhängten Geldbußen nicht in Widerspruch. Infolge der individuellen Strafbemessung bei den einzelnen AG seien keinerlei Vergleiche der Geldbußen in Ansehung der Unternehmensgröße oder der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Kartellmitgliedern möglich, zumal bestimmte AG aufgrund der Kronzeugenregelung nur in geringerem Maß vom verfahrenseinleitenden Geldbußenantrag betroffen gewesen seien.

Die BWB habe sich zur Ermittlung der von ihr beantragten Geldbußen an den europäischen Geldbußenleitlinien 2006 orientiert und sei von einem Grundbetrag in Höhe von 24 % des Umsatzes der AG im Lagergeschäft mit Druckchemikalien des jeweils relevanten Geschäftsjahres ausgegangen. Sie habe diesen mit der Anzahl der der Beurteilung zugrunde zu legenden Jahre der Zuwiderhandlung multipliziert. Dabei sei es durchaus sachgerecht, zur Festsetzung der Höhe der Geldbuße einen Teilbetrag jenes Umsatzes heranzuziehen, den das unmittelbar beteiligte Unternehmen im relevanten Markt erzielt habe. Der Grundbetrag sei auch im europäischen Vergleich nicht überhöht, könne doch nach den Geldbußenleitlinien 2006 (Z 21) ein Betrag von bis zu 30 % des Umsatzes festgesetzt werden und noch um 15 % bis 25 % des Umsatzes erhöht werden, um die Unternehmen von vornherein von der Beteiligung an horizontalen Vereinbarungen zur Festsetzung von Preisen, Aufteilung von Märkten oder Mengeneinschränkungen abzuschrecken (Z 25). Die kontinuierliche Zuwiderhandlung der AG sei eine schwerwiegende Verletzung von Art 101 AEUV, die sich auf das gesamte österreichische Bundesgebiet erstreckt habe und zumindest teilweise umgesetzt worden sei. Der Umstand, dass die vereinten Marktanteile der betroffenen Unternehmen in der bilateralen Phase geringer gewesen seien als in der multilateralen Phase, sei von der BWB gegenüber allen AG als mindernd berücksichtigt worden. Dies sei gerechtfertigt, weil alle AG eine einheitliche Zuwiderhandlung zu verantworten hätten, deren geringere Intensität in der ersten Phase des Kartells daher auch gegenüber allen AG als mindernder Einfluss auf die Schwere des Gesamtverstoßes zu werten sei. Der Grundbetrag sei auch angesichts des Umstands nicht überhöht, dass sämtliche AG Teile von wirtschaftlichen Organisationen seien, in deren Organisationsstruktur es durchaus möglich gewesen wäre, Schwere und Ausmaß der Zuwiderhandlung zu erkennen. Im Übrigen bewegten sich die beantragten (und in beantragter Höhe bestimmten) Geldbußen ohnedies weit unter den gesetzlichen Kappungsgrenzen und ‑ bezogen auf die jeweilige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der betroffenen Unternehmen bzw Unternehmensgruppen ‑ nach absoluten Zahlen in einem sehr niedrigen Bereich.

6. Zur Bemessung der Geldbuße von Erst- und ZweitAG

Die genannten AG hätten die BWB als erste Unternehmen über die Zuwiderhandlung informiert, jedoch deren Beginn erst mit Ende Oktober 2004 angegeben; Angaben zur bilateralen Phase hätten gefehlt. Diese Unvollständigkeit des Aufklärungsbeitrags führe nach Auffassung der BWB dazu, dass diesen AG nur für die multilaterale Phase der Zuwiderhandlung Kronzeugenstatus zuerkannt werden könne. Die BWB habe daher in Anwendung der „Kronzeugenregelung“ des § 11 Abs 3 WettbG nur für die Dauer der multilateralen Phase keine Geldbuße beantragt und im Übrigen wegen der im kartellgerichtlichen Verfahren erfolgten Mitwirkung der genannten AG an der Aufklärung des Sachverhalts (insbesondere die Außerstreitstellung der bilateralen Phase) einen Abzug von 25 % des Grundbetrags vorgenommen. Ob die BWB § 11 Abs 3 WettbG richtig angewendet habe, entziehe sich einer Überprüfung durch das Kartellgericht, weil sich die genannte Bestimmung ausschließlich an die BWB richte. Der Beitrag zur Wahrheitsfindung sei vom Kartellgericht ausschließlich bei Ausmittlung der Strafhöhe nach § 30 KartG zu berücksichtigen. Da von der BWB ohnedies ein Abschlag von 25 % für das Außerstreitstellen der bilateralen Phase gewährt worden sei, sei der Beitrag der Erst- und der ZweitAG an der Wahrheitsfindung in dieser Phase auch bei der Geldbußenbemessung nach dem KartG bereits ausreichend berücksichtigt. Ein erfolgloses Compliance-Programm sei kein Milderungsgrund, sondern ein für die Bemessung neutraler Umstand.

7. Zur Bemessung der Geldbuße der DrittAG

Die BWB habe der DrittAG Bußgeldfreiheit für die von ihr als erste angezeigte bilaterale Phase (insoweit als erste Kronzeugin) sowie einen Abschlag von 50 % für die Zusammenarbeit als zweite Kronzeugin in der multilateralen Phase gewährt. Ein Milderungsgrund aufgrund des erstmaligen Verstoßes der DrittAG liege nicht vor, weil das Fehlen eines Erschwerungsgrundes, namentlich die Wiederholungstäterschaft, nicht automatisch zum Vorliegen eines Milderungsgrundes führe.

Gegen diesen Beschluss richten sich die Rekurse der Erst- und der Zweit- sowie der DrittAG wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung.

Die BWB beantragte, den Rekursen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Beide Rekurse sind nicht berechtigt.

I. Zum Rekurs der Erst- und der ZweitAG

1. Erst- und Zweitantragsgegnerin beantragen die Aufhebung der Geldbuße, hilfsweise deren Herabsetzung auf eine symbolische oder substanziell geminderte Geldbuße. Sie machen eine fehlerhafte Anwendung des § 11 Abs 3 WettbG (Anerkennung des Kronzeugenstatus) durch die BWB geltend. Die BWB hätte ihnen den Status als erste Kronzeugen nicht nur für die multilaterale Phase, sondern für den gesamten Zeitraum des festgestellten Kartells gewähren, zumindest aber die nur zeitliche Unvollständigkeit ihres Kronzeugenantrags als wesentlichen Milderungsgrund anerkennen und eine wesentlich geringere Geldbuße beantragen müssen. Zwar habe der Kronzeugenantrag der Rechtsmittelwerber zunächst die bilaterale Phase nicht umfasst, doch liege ein einheitlicher Kartellverstoß vor. Ginge man von zwei Kartellen aus, sei der Vorwurf betreffend die bilaterale Phase hinsichtlich Erst- und ZweitAG verjährt. Schon der bloße Hinweis auf die Existenz eines Kartells genüge, um die Voraussetzungen des § 11 Abs 3 Z 1 bis 4 WettbG zu erfüllen; eine bestimmte Qualität von Beweismitteln („Beweisschwelle“) oder ein entscheidender Aufklärungsbeitrag werde nicht verlangt. Wegen des im Kronzeugenregime geltenden Prioritätsprinzips könne innerhalb desselben Kartellverfahrens nur ein einziges Unternehmen einen vollständigen Bußgelderlass erhalten; dies seien hier Erst- und ZweitAG, nicht die DrittAG für die bilaterale Phase, wie die BWB unrichtig annehme. Das Kartellgericht sei befugt, im Rahmen der Bemessung der Geldbuße eine fehlerhafte Anwendung des § 11 Abs 3 WettbG durch die BWB zu korrigieren und den Kronzeugenstatus als wesentlichen Milderungsgrund zu berücksichtigen. Dies folge aus Art 6 EMRK; auch müssten strafrechtliche Verurteilungen gerichtlich überprüfbar sein (Art 2 des 7. Protokolls zur EMRK).

1.1. Nach Auffassung des Senats besteht keine unmittelbare Kompetenz des Kartellgerichts zur Überprüfung fehlerhafter Entscheidungen der BWB bei Anwendung des § 11 Abs 3 WettbG.

1.2. Das WettbG beschäftigt sich schon seinem Titel nach („Bundesgesetz über die Einrichtung einer Bundeswettbewerbsbehörde“) mit Verwaltungsagenden. § 11 Abs 3 WettbG dient der Konkretisierung des schon in § 2 Abs 3 WettbG normierten Prinzips des ausschließlich amtswegigen Tätigwerdens der BWB und determiniert deren Ermessen in Bezug auf Kronzeugen näher (vgl Erläuterungen zum KartG 2005, abgedruckt in Hoffer/Barbist , Das neue Kartellrecht 107).

Die Bestimmung richtet sich somit grundsätzlich an die BWB und regelt deren Befugnis als Amtspartei (so auch Neumann, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen für das 'Kronzeugenprogramm' nach WettbG, in Thanner/Soyer/Hölzl , Kronzeugenprogramme 11, 20 ff, und Öhlberger , Ein verlockendes Angebot? Die österreichische Kronzeugenregelung in einer vergleichenden Analyse, ÖBl 2006, 100, 105); sie dient als investigatives Instrument der Aufdeckung wettbewerbswidrigen Verhaltens ( Brugger , Die Geldbußenbemessung nach § 30 KartG 2005, OZK 2009, 172 und 207, 216). Eine unmittelbare Kompetenz für ein gerichtliches Tätigwerden ist ihr nicht zu entnehmen.

In diesem Sinne vertreten auch Matousek (in Petsche/Urlesberger/Vartian , Kartellgesetz, WettbG § 11 Rz 86 ff) und ihm folgend Ginner (Die Kronzeugenregelung und deren Anwendung im kartellgerichtlichen Verfahren, in Thanner/Soyer/Hölzl , Kronzeugenprogramme 67) die Auffassung, über Zuerkennung des Kronzeugenstatus und die hiemit einhergehende Entscheidung, keinen Antrag auf die Verhängung eines Bußgeldes zu stellen, entscheide ausschließlich die BWB; sei der Kronzeugenstatus zu Unrecht gewährt worden, bestehe derzeit keine Möglichkeit, korrigierend einzugreifen, weil das Kartellgericht nur auf Antrag entscheide.

1.3. Auf § 11 Abs 3 WettbG beruhende Entscheidungen der Verwaltungsbehörde BWB setzen demnach zwar zufolge des kartellrechtlichen Antragsprinzips (§ 36 Abs 1 KartG) den rechtlichen Rahmen für die nachfolgende (autonome) Geldbußenentscheidung des Kartellgerichts fest, sie können aber mangels einschlägiger gesetzlicher Bestimmungen nicht per se Gegenstand der richterlichen Kontrolle sein (ähnlich Sharaf , Die neuen Bußgeld-Leitlinien im EG-Kartellrecht, wbl 2007, 1, 4, zur gerichtlichen Kontrolle der Verwaltungspraxis der Kommission).

1.4. Jedoch stellt die der Verfahrenseffizienz dienende, vom Kartellgericht bei Bemessung der Geldbuße zu beachtende Bestimmung des § 30 zweiter Satz KartG sicher, dass ‑ unabhängig von der Richtigkeit des Vorgehens der BWB bei Anwendung der Kronzeugenregelung ‑ die Mitwirkung an der Aufklärung der Rechtsverletzung als Milderungsgrund berücksichtigt wird.

Zu diesem Ergebnis gelangt auch Neumann (in Thanner/Soyer/Hölzl 11), wenn er ausführt, das Kartellgericht habe als „Rechtsschutzeinrichtung“ zu fungieren und einen unzulässigerweise gestellten Geldbußenantrag zurückzuweisen sowie bei im Antrag nicht ausreichend reduzierter Geldbuße eine geringere zu verhängen). Die Mitwirkung an der Aufklärung umfasst dabei das Verhalten der betroffenen Unternehmen in allen Phasen des Verfahrens, also sowohl gegenüber der BWB, als auch gegenüber dem Kartellgericht.

Ähnlich argumentiert auch Gruber (Die neue Kronzeugenregelung im Kartellrecht, RdW 2005, 535, 537), der meint, die Entscheidung über die Geldbuße treffe letztlich das Kartellgericht, das auch zu entscheiden habe, ob der vollständige oder teilweise Erlass der Geldbuße angebracht sei.

1.5. Über Bestehen und Auswirkungen dieses Milderungsgrundes entscheidet das Kartellgericht nach eigenem Ermessen (so schon 16 Ok 5/08: originäre Bemessung der Geldbuße durch das Kartellgericht), ohne an die im BWB-Kronzeugen-Handbuch (§ 11 Abs 4 WettbG) veröffentlichten Abschläge gebunden zu sein, weil ja der BWB-Antrag nur die Obergrenze für die gerichtliche Zumessung bildet (§ 36 Abs 2 Satz 2 KartG; Brugger OZK 2009, 216; in diesem Sinne auch Hoffer/Barbist , Das neue Kartellrecht 56).

1.6. Auf diese Weise fließen die § 11 Abs 3 WettbG zugrunde liegenden Wertungen mittelbar auch in die gerichtliche Entscheidung ein. Nur in diesem indirekten Sinne sind auch die Ausführungen des Senats in der Entscheidung 16 Ok 5/08 zum Rekurs der dortigen ErstAG zu verstehen, das Kartellgericht habe mit zutreffender Begründung abgelehnt, der ErstAG „den Status eines Kronzeugen iSd § 11 Abs 3 WettbG zuzuerkennen“.

1.7. Diese Rechtslage verstößt ‑ entgegen der Auffassung der Rechtsmittelwerberinnen ‑ weder gegen das Gebot des Art 6 EMRK, wonach jedermann Anspruch darauf hat, dass über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage ein Gericht entscheidet, noch gegen Art 2 des 7. Protokolls zur EMRK, wonach strafrechtliche Verurteilungen gerichtlich überprüfbar sein müssen.

Die damit aufgeworfene Grundsatzfrage, ob auch die abstrakte Strafdrohung der Geldbußentatbestände des § 29 KartG 2005 nach ihrer Natur oder der Art und Weise ihrer Vollstreckung einen solchen wesentlichen Nachteil für den Betroffenen bewirkt, der die direkte Anwendbarkeit der auf Kriminalverfahren bezogenen Bestimmung des Art 6 EMRK erzwingen würde, kann auch im Anlassfall dahingestellt bleiben (so schon 16 Ok 4/07), wird doch den Anforderungen eines fairen Verfahrens im Sinne des Art 6 EMRK hier schon dadurch Rechnung getragen, dass die kartellrechtliche Geldbuße von einem Gericht nach eigenem Ermessen verhängt wird, das bei seiner Entscheidung die Mitwirkung an der Aufklärung der Rechtsverletzung als Milderungsgrund zu berücksichtigen hat, und dass diese Entscheidung im Sinne des 7. Protokolls zur EMRK im Instanzenzug überprüfbar ist.

1.8. Zusammenfassend gilt: § 11 Abs 3 WettbG richtet sich an die Bundeswettbewerbsbehörde und bestimmt das ihr offenstehende Ermessen bei der Behandlung von Kronzeugen. Die richtige Anwendung dieser Bestimmung durch die Verwaltungsbehörde unterliegt zwar keiner unmittelbaren Überprüfung durch das Kartellgericht, dieses hat jedoch bei Bemessung der Geldbuße die Mitwirkung eines betroffenen Unternehmens an der Aufklärung der Rechtsverletzung sowohl gegenüber der Bundeswettbewerbsbehörde, als auch gegenüber dem Kartellgericht nach eigenem Ermessen als Milderungsgrund (§ 30 zweiter Satz KartG) zu berücksichtigen.

1.9. Die Mitwirkung an der Aufklärung der Rechtsverletzung als Milderungsgrund (§ 30 zweiter Satz KartG) kommt jenem Unternehmen zugute, das sich gegenüber den Kartellbehörden kooperativ verhält, sie bei ihren Aufgaben unterstützt und damit im Ermittlungsverfahren einen spürbaren Beitrag zur Aufklärung der Zuwiderhandlung leistet. Die vom betreffenden Unternehmen gelieferten Informationen und sein sonstiges Verhalten müssen als Zeichen einer echten Zusammenarbeit angesehen werden können ( Nowak in Loewenheim/Meesen/Riesenkampff , Kartellrecht² Art 23 VerfVO Rz 42 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des EuGH). In Anlehnung an die europäische Praxis von Kommission und Gerichtshof sind Reduktionen je nach Zeitpunkt und Grad der Mitwirkung zwischen 20 % und 50 % von der sonst zu verhängenden Geldbuße zu gewähren ( Nowak aaO Rz 44; ähnlich Brugger , OZK 2009, 216 mwN). Mehrere Verfahrensbeteiligte, die gleichermaßen zur Aufklärung beitrugen, sind gleich zu behandeln, sonst ist nach dem Aufklärungsbeitrag abzustufen ( Brugger aaO 216 mwN). Liegen die Voraussetzungen nach § 11 Abs 3 WettbG vor, ist trotz gegenteiligen Antrags der BWB gegebenenfalls keine (oder eine entsprechend geminderte) Geldbuße zu verhängen.

1.10. Das Kartellgericht hat den Rekurswerberinnen für ihren Beitrag zur Wahrheitsfindung einen Abschlag von 25 % in Bezug auf die bilaterale Phase der Zuwiderhandlung gewährt (für die multilaterale Phase hat die BWB in Anwendung der Kronzeugenregelung keine Geldbuße beantragt).

Berücksichtigt man, dass Erst- und ZweitAG in ihrem Kronzeugenantrag einen Zeitraum des Zuwiderhandelns von mehr als zwei Jahren verschwiegen haben und der Geschäftsführer der ZweitAG seine Teilnahme an einem kartellrechtswidrigen Treffen in diesem Zeitraum gegenüber der BWB nicht offengelegt hat, hat das Kartellgericht den ihm offenstehenden Ermessensspielraum bei Ausmittlung der Höhe der Geldbuße nicht überschritten und die im Mitwirkungsbeitrag der Rekurswerberinnen liegenden mildernden Umstände mit einem ausreichenden Abschlag gegenüber dem Grundbetrag berücksichtigt.

Eine gänzliche Bußgeldfreiheit kommt nicht in Betracht: Die Dauer einer Zuwiderhandlung ist ein wesentliches Beurteilungskriterium, und es kann als mildernder Umstand berücksichtigt werden, wenn ein Unternehmen die Kartellbehörden darauf hinweist, dass ein Kartell länger gedauert hat als bisher angenommen (KOMM COMP/E-2/37533 Rn 218, Cholincholorid ) . Unterbleibt ein solcher Hinweis, kann von einer umfassenden Mitwirkung an der Aufklärung ohne jeden Vorbehalt (die allenfalls den gänzlichen Entfall einer Geldbuße rechtfertigen könnte) keine Rede sein.

Die Voraussetzungen für die - im Rechtsmittel beantragte - Verhängung einer Geldbuße in nur symbolischer Höhe (etwa wegen unklarer Rechtslage infolge Neuartigkeit des Falls oder bei bloß fahrlässigem Verhalten; Nachweise zur einschlägigen europäischen Bußgeldpraxis in Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner , EG-Kartellrecht² VO 1/2003 Art 23 Rz 38 ff) liegen im Anlassfall nicht vor.

2. Die Rekurswerberinnen machen weiters geltend, das Kartellgericht habe den Grundbetrag der Geldbuße mit 24 % des kartellierten Umsatzes weit überhöht angesetzt, zumal ihnen für die multilaterale Phase überhaupt Straffreiheit als Kronzeugen zukomme und daher nur die bilaterale Phase zu berücksichtigen sei, in der ‑ gegenüber der nachfolgenden Phase ‑ eine „geringere Intensität der Absprachen“ gegeben und vom Zuwiderhandeln nur ein geringerer kumulierter Marktanteil betroffen gewesen sei. Nach der Praxis der Kommission seien 15 % - 18 % des kartellierten Umsatzes angemessen. Das Erstgericht habe sein Ermessen nicht angemessen, verhältnismäßig und gleichheitskonform ausgeübt, wenn jenem Unternehmen, das die Zuwiderhandlung als erstes aufgedeckt und zugestanden habe, die bei weitem höchste Geldbuße auferlegt worden sei.

2.1. Die vom Kartellgericht angewendete Bemessungsmethode (Festlegung eines Grundbetrags der Geldbuße nach der Schwere des Verschuldens und der Verstöße, Aufschlag für die Dauer des Verstoßes, Berücksichtigung von Milderungsgründen durch Abschläge) folgt einem im europäischen Kartellrecht entwickelten mehrstufigen Verfahren, das der Senat als grundsätzlich geeignet beurteilt hat, eine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Geldbuße zu ermitteln (16 Ok 5/08).

2.2. Der Senat hat aber auch schon wiederholt betont, dass das Geldbußensystem des Gemeinschaftsrechts mit jenem des nationalen Rechts nicht deckungsgleich ist, weshalb die europäischen Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen (Geldbußenleitlinien 2006) und die darauf beruhende Entscheidungspraxis der europäischen Kartellbehörden im Verfahren über eine vom Kartellgericht nach nationalem Recht zu verhängende Geldbuße nur in jenem Umfang sinngemäß angewendet werden können, in dem die entsprechenden Normen und die ihnen zugrunde liegenden Wertungen vergleichbar sind (RIS-Justiz RS0122747).

2.3. So wird nach den Geldbußenleitlinien 2006 (Z 25) und in der Entscheidungspraxis der Kommission der umsatzorientierte Grundbetrag im Einzelfall durch einen „Abschreckungszuschlag“ erhöht, der bis zu 100 % erreichen kann (Nachweise und Details bei Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner , EG‑Kartellrecht Rz 63 ff). Eine vergleichbare Praxis ist der BWB fremd ( Brugger , OZK 2009, 176).

2.4. Auch sind die Bemessungskriterien der Bereicherung, des Verschuldens und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht in der VO 1/2003 genannt und spielen in den Geldbußenleitlinien 2006 nur eine untergeordete Rolle, während sie in § 30 KartG ausdrücklich genannt werden und daher vom Kartellgericht ohne europarechtliche Vorgaben anzuwenden sind. Eine schematische Anwendung der Leitlinien oder der Entscheidungspraxis der europäischen Kartellbehörden auf nach nationalem Recht zu verhängende Geldbußen ist daher nicht gerechtfertigt (so auch Brugger , OZK 2009, 175).

2.5. Dazu kommt, dass auch nach Auffassung der Kommission die europäischen Bußgeldvorschriften einer mechanischen Anwendung entzogen sind und eine einzelfallbezogene Betrachtung erfordern ( Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner , EG‑Kartellrecht Rz 34). Es ist deshalb schon im Ansatz verfehlt, im jeweiligen Einzelfall nach Unionsrecht bestimmte Grundbeträge von Geldbußen mit dem im Anlassfall im Rahmen der Bemessung nach nationalem Recht herangezogenen Grundbetrag zu vergleichen.

2.6. Die Kontrolle der Höhe einer Geldbuße im Rechtsmittelverfahren richtet sich darauf, inwieweit das Kartellgericht rechtlich korrekt alle gesetzlichen Faktoren berücksichtigt hat, die für die Beurteilung der Schwere eines bestimmten Verhaltens von Bedeutung sind (RIS-Justiz RS0122748).

2.7. Das Kartellgericht hat im Einzelnen nachvollziehbar dargelegt und sorgfältig begründet, aufgrund welcher Umstände es den Grundbetrag der Geldbuße mit 24 % des Umsatzes mit den von der Zuwiderhandlung betroffenen Produkten für angemessen hält (Beschluss S 99 - 101). Dass es dabei den ihm eingeräumten Ermessensspielraum in korrekturbedürftiger Weise überschritten hätte, wird im Rechtsmittel nicht aufgezeigt. Die geringere Intensität der Absprachen und der geringere kumulierte Marktanteil während der bilateralen Phase wurde offensichtlich in der Ausmittlung des Grundbetrags mit nur 24 % berücksichtigt (vgl etwa 30 % Grundbetrag im Fall 16 Ok 5/08, Aufzugskartell), weil darin auch zum Ausdruck kommt, dass die erste Phase des Zuwiderhandelns einen mindernden Einfluss auf die Beurteilung der Schwere des Gesamtverstoßes hatte, was zur Wahrung der Gleichbehandlung in der Folge allen beteiligten Unternehmen zu Gute kommt. Den Beitrag der Rechtsmittelwerberinnen an der Wahrheitsfindung hat das Kartellgericht mit einem Abschlag von 25 % auf den Grundbetrag angemessen berücksichtigt.

2.8. Dass den Unternehmen, die den Kartellbehörden den ersten Hinweis auf das Kartell gegeben und es als erstes in Teilen aufgedeckt und zugestanden haben, die höchste Geldbuße auferlegt worden ist, liegt nicht ‑ wie das Rechtsmittel beanstandet ‑ an einer willkürlichen oder gleichheitswidrigen Ermessensausübung, sondern ist darauf zurückzuführen, dass die Rechtsmittelwerber die größten am Kartell beteiligten Unternehmen waren und ihr Zuwiderhandeln (zusammen mit jenem der DrittAG) am längsten angedauert hat; beide Umstände schlagen sich bei der vom Kartellgericht angewendeten Bemessungsmethode (ein umsatzbezogener Grundbetrag wird um einen Faktor, der von der Dauer des Verstoßes abhängt, erhöht) naturgemäß in der absoluten Höhe der Geldbuße nieder.

2.9. Im Vergleich der über die Kartellanten verhängten Geldbußen lassen die Rekurswerberinnen gegenüber der DrittAG unberücksichtigt, dass letzteres Unternehmen einen umfassenden Aufdeckungsbeitrag zur Aufklärung der bilateralen Phase geleistet hat, den die BWB mit einem Verzicht auf ein Bußgeld für diese Phase honoriert hat. Den in diesem Ausmaß reduzierten Bußgeldantrag durfte das Kartellgericht bei Ausmessung der Geldbuße für die DrittAG jedenfalls nicht überschreiten (§ 36 Abs 2 KartG). Dem Rekurs ist deshalb auch unter diesem Aspekt ein Erfolg zu versagen.

II. Zum Rekurs der DrittAG

Die DrittAG beantragt, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass der Grundbetrag mit maximal 19 % bestimmt, eine weitere Ermäßigung der Geldbuße von zumindest 5 % wegen ihrer Kooperation im Verfahren gewährt und durch Minderung berücksichtigt werde, dass es sich um den ersten Kartellverstoß der DrittAG handle.

3.1. Zur Bemessung des Grundbetrags verweist die Rekurswerberin auf die Entscheidungspraxis der Kommission, wonach in vergleichbaren Fällen nur 15 % bis 19 % angenommen worden seien. Sie ist insoweit zunächst auf die Ausführungen unter den Punkten 2.1. bis 2.7. dieser Entscheidung zu verweisen.

3.2. Richtig ist, dass der räumliche Umfang des betroffenen Markts, die kumulierten Marktanteile der beteiligten Unternehmen, die Art des Verstoßes und der Grad des Verschuldens wichtige Bemessungsfaktoren für die Höhe der Geldbuße sind.

3.3. Nach den Feststellungen erfolgt der Vertrieb von Druckchemikalien auch über die Grenzen Österreichs hinaus in angrenzende Mitgliedstaaten der EU, weshalb das Kartell ‑ entgegen der im Rechtsmittel vertretenen Auffassung ‑ von übernationaler Bedeutung war.

Die kumulierten Marktanteile wurden von der BWB auf 16,5 % und 85 % geschätzt; wenn diese Schätzung auch eine große Bandbreite enthält, blieb im Verfahren doch unwidersprochen, dass es sich bei den an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen um die zentralen Wettbewerber auf dem betroffenen Markt handelt.

Dass die im Anlassfall festgestellten Preisfestsetzungen und Kundenaufteilungen auf horizontaler Ebene schon ihrer Art nach zu den am schwersten wiegenden Verstößen gehören (vgl 16 Ok 4/07 = RIS-Justiz RS0122753; 16 Ok 5/08; idS auch Geldbußenleitlinien 2006 Z 23), gesteht auch die Rekurswerberin zu; sie stellt auch nicht in Abrede, vorsätzlich gehandelt zu haben.

Das Kartellgericht hat zutreffend bei der Bemessung berücksichtigt, dass auch die DrittAG (deren ausländischer Rechtsträger unbestritten weltweit 19 Niederlassungen betreibt) als Teil einer größeren wirtschaftlichen Organisation die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens erkennen konnte, weil der Grad des Verschuldens auch davon abhängt, inwieweit ein Unternehmen (etwa als Teil eines großen internationalen Konzerns) über juristischen und wirtschaftlichen Sachverstand sowie Ressourcen verfügt und sein Fehlverhalten leicht erkennen kann (in diesem Sinne schon 16 Ok 5/08; Sharaf aaO 7).

Unter diesen Umständen liegt in der Ausmittlung des Grundbetrags mit nur 24 % des betroffenen Umsatzes kein Ermessensfehler.

3.4. Soweit die Rekurswerberin auf ihre „vorbildliche und außergewöhnliche“ Kooperation während des Verfahrens verweist, ist ihr entgegenzuhalten, dass ihr dieser Umstand ohnehin mit einem gänzlichen Bußgelderlass für die bilaterale Phase und einem Abschlag von 50 % für die multilaterale Phase in Rechnung gestellt worden ist; auch in diesem Punkt weist die angefochtene Entscheidung keinen Ermessensfehler auf.

3.5. Die Tatsache, dass es sich nach der Angabe der DrittAG um ihre erste Zuwiderhandlung handelte, hat das Kartellgericht zutreffend nicht als Milderungsgrund berücksichtigt, soll doch das Fehlen einer früheren Zuwiderhandlung der Normalfall sein (so auch Nowak in Loewenheim/Meesen/Riesenkampff , Kartellrecht² Art 23 VerfVO Rz 34 mit Nachweis zur Rechtsprechung des EuGH, aA ohne nähere Begründung Brugger , OZK 2009, 214). Es kann deshalb auch diesem Rekurs kein Erfolg beschieden sein.

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