OGH 9ObA81/10t

OGH9ObA81/10t29.9.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil und Hon.-Prof. Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Rolf Gleißner und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Wolfgang C*****, vertreten durch Mag. Matthias Prückler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Stadt Wien Magistratsabteilung 2, 1082 Wien, Rathausstraße 2, vertreten durch Dr. Harald Hauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 124.370,65 EUR brutto abzüglich 29.897,47 EUR netto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Mai 2010, GZ 9 Ra 42/10b-33, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 13. Jänner 2010, GZ 10 Cga 90/08i-29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der seit 1994 bei der Beklagten als Prosekturgehilfe beschäftigte Vertragsbedienstete wurde aufgrund bestimmter Vorfälle von der Beklagten zum 30. 4. 2004 gekündigt. Mit Urteil des Erstgerichts vom 19. 11. 2006, zugestellt am 29. 3. 2007, gab das Erstgericht dem Begehren des Klägers auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses im zweiten Rechtsgang statt. Das Oberlandesgericht gab der Berufung der Beklagten mit Urteil vom 7. 1. 2008 nicht Folge. Der Oberste Gerichtshof wies die außerordentliche Revision der Beklagten zurück. Der Kläger hatte an seinem Arbeitsplatz Hausverbot. Er erklärte sich aber nach dem Urteil des Berufungsgerichts arbeitsbereit und hatte sich auch während der gesamten Zeit zugunsten der Beklagten arbeitsbereit gehalten. Die Beklagte forderte ihn schließlich zum Dienstantritt mit 1. 7. 2008 auf. Die Beklagte hatte den Kläger deshalb nicht früher zum Dienstantritt aufgefordert, weil sie die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs abwarten wollte.

Aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hatte der Kläger eine Urlaubsersatzleistung von 3.646,06 EUR für die davor entstandenen Urlaubsansprüche ausbezahlt erhalten.

Für diesen Zeitraum vom 1. 5. 2004 bis 30. 6. 2008 hat der Kläger unstrittig Anspruch auf Bezüge inklusive aller Zulagen in Höhe von insgesamt 138.294,18 EUR brutto, allerdings einschließlich der Urlaubsentschädigung für die Jahre 2005 und 2006 (AS 87). Unstrittig anzurechnen sind darauf die vom Kläger bei anderen Arbeitgebern in der Zeit bis 31. 3. 2007 (Zustellung des Ersturteils im Feststellungsprozess am 29. 3. 2007) verdienten Entgelte von zusammen 13.923,53 EUR brutto sowie das Arbeitslosen- und Krankengeld von 13.809 EUR netto und die von der Beklagten bereits aufgrund ihrer Abrechnung der Zeit vom 1. 5. 2004 bis 30. 6. 2008 unter Anrechnung weiterer Entgelte und dem Abzug ua der Lohnsteuer und Sozialversicherung geleisteten 16.088,47 EUR netto. Ferner ist die Zahlung von aliquoten Sonderzahlungen von 1.029,96 EUR brutto sowie der Urlaubsentschädigung von 3.646,06 EUR brutto aus Anlass der - unwirksamen - Beendigung des Arbeitsverhältnisses und die Leistung des Grundgehalts für den Juni 2008 in Höhe von 1.755 EUR brutto unstrittig (AS 81).

Der Kläger war in der Zeit ab 1. 4. 2007 bis 30. 6. 2008 in anderen Dienstverhältnissen beschäftigt. Er bezog dabei unter anderem die hinsichtlich der Anrechnung strittigen Entgelte vom 2.776,66 EUR brutto (= netto) sowie 10.207,54 EUR brutto (8.725,92 EUR netto). Er forderte mit Schreiben vom 14. 6. 2007 die Beklagte zur Zahlung der ausstehenden laufenden Entgelte auf, die ihm auch dem Grunde nach zugesichert wurden, jedoch mit der Aufforderung, seine Versicherungsdaten sowie Einkommensnachweise vorzulegen. In weiterer Folge legte der Kläger der Beklagten die Versicherungsdaten sowie die Bestätigungen über das Krankengeld und die anderen geforderten Unterlagen vor.

Der Kläger begehrt mit seiner Klage 124.370,65 EUR brutto abzüglich 29.897,47 EUR netto samt gestaffelten Zinsenbegehren in Höhe von 4 % bzw 11,19 % ab 1. 5. 2007. Er sei immer arbeitsbereit gewesen. Die Beklagte habe auch nach dem erstinstanzlichen Feststellungsurteil (29. 3. 2007) auf seine Arbeitsleistung verzichtet und dürfe keine Anrechnung des danach verdienten anderweitigen Entgelts vornehmen. Die Urlaubsentschädigung sei nicht anzurechnen, weil die Urlaubstage dem Kläger nach Dienstantritt nicht wieder gutgeschrieben worden seien. Zur Abrechnung der Beklagten, die bei der Auszahlung des Nettobetrags von 16.088,47 EUR unter anderem die Lohnsteuer, die Sozialversicherung, Wohnbeihilfe und die Personalvertretungsumlage abzog, gestand der Kläger schließlich zu, dass die Abzüge berechtigt erfolgt seien (AS 128 f vorweg aber AS 89).

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete zusammengefasst ein, dass sich der Kläger all das anrechnen lassen müsse, was er anderweitig verdient habe. Auch die 3.646,06 EUR an Urlaubsentschädigung seien anzurechnen, da die Gutschrift nur deshalb unterblieben sei, weil die Urlaubstage in der Zwischenzeit verfallen seien. Weiters sei sie berechtigt, die dargestellten Abzüge (Lohnsteuer, Sozialversicherung etc) zu berücksichtigen, woraus sich dann der ausbezahlte Nettobetrag errechne. Der Klagsbetrag sei auch noch nicht fällig, weil es der Kläger unterlassen habe, Rechnung zu legen. Im Übrigen sei der Kläger gar nicht arbeitsbereit gewesen, da er für andere Arbeitgeber gearbeitet habe. Jedenfalls treffe die Beklagte an der verspäteten Auszahlung kein grobes Verschulden, sodass auch der erhöhte Zinssatz des § 49a ASGG nicht anzuwenden sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Wesentlichen zur Gänze statt. Es folgerte dabei rechtlich, dass es der Beklagten verwehrt sei, ab der vorläufigen Feststellung des aufrechten Arbeitsverhältnisses eine Anrechnung vorzunehmen, da sie dem Kläger kein Entgelt bezahlt habe. Darin sei ein Missbrauch zu sehen. Ein Abzug der Urlaubsentschädigung sei nicht vorzunehmen, da die Urlaubstage unstrittig noch nicht konsumiert worden seien. Es könne dem Kläger nicht entgegengehalten werden, diese Urlaubstage seien zwar wieder aufgelebt, aber auch verfallen. Der erhöhte Zinssatz nach § 49a ASGG sei deshalb gerechtfertigt, da die Beklagte den Kläger aufgrund der vorläufigen Vollstreckbarkeit des erstinstanzlichen Urteils wie einen im aufrechten Dienstverhältnis befindlichen Arbeitnehmer zu behandeln und zu entlohnen gehabt hätte. Dem könne sie auch nicht entgegenhalten, dass sie sonst bei einer abändernden Entscheidung das Risiko der Rückforderbarkeit der ausbezahltenEntgelte getragen hätte.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Das Berufungsgericht ging zusammengefasst davon aus, dass bereits das Urteil des Erstgerichts im zweiten Rechtsgang nach § 61 Abs 1 Z 1 ASGG vorläufig wirksam gewesen sei. Eine endgültige Verweigerung der Zulassung des Klägers zur Arbeitsleistung sei nicht vorgelegen; die Beklagte habe den Kläger bloß nicht zum Arbeitsantritt aufgefordert. Es sei für den Kläger nicht absehbar gewesen, wann die Beklagte ihn zum Arbeitsantritt auffordern würde. Insoweit sei es für den Kläger auch unzumutbar gewesen, ein „Zwischenarbeitsverhältnis“ einzugehen. Dazu komme, dass dem Kläger Nebenbeschäftigungen verboten gewesen seien. Die Nichtinanspruchnahme der Arbeitsleistung des Klägers durch die Beklagte sei ab Zustellung des stattgebenden erstinstanzlichen Urteils im zweiten Rechtsgang als rechtsmissbräuchlich einzustufen. Durch die rechtswidrige Nichtauszahlung des laufenden Entgelts sei der Kläger zur Bestreitung seines Lebensunterhalts auf das Eingehen des festgestellten Zwischendienstverhältnisses angewiesen gewesen. Wäre er dieses Zwischenverhältnis nicht eingegangen, hätte sich die Beklagte auch nicht auf die Anrechnung des versäumten Erwerbs berufen können. Der Kläger dürfe nicht schlechter gestellt werden, wenn er zur Existenzsicherung doch ein Dienstverhältnis eingegangen sei. Daher habe das Erstgericht berechtigt die Anrechnung des verdienten Entgelts ab 1. 4. 2007 unterlassen.

Auch ein Abzug der ausbezahlten Urlaubsersatzleistung sei nicht berechtigt. Könne doch in dem Vorbringen zur „Rückverrechnung“ keine Aufrechnungseinrede gesehen werden. Berechtigt habe das Erstgericht auch die gesetzlichen Abzüge sowie die freiwilligen Abzüge nicht abgezogen, weil der Kläger nach ständiger Rechtsprechung berechtigt sei, Bruttobezüge einzuklagen.

Das erhöhte Zinsenbegehren sei berechtigt, da der Beklagten für den Zeitraum ab Zustellung des erstgerichtlichen klagsstattgebenden Urteils im zweiten Rechtsgang ein grobes Verschulden zuzurechnen sei.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht als zulässig, da eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshof nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Beklagten ist im Wesentlichen aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und auch berechtigt.

Berechtigt wendet sich die Beklagte gegen die mangelnde Anrechnung des vom Kläger tatsächlich erzielten Entgelts vom 1. 4. 2007 bis 30. 6. 2008.

Nach § 1155 ABGB hat der Arbeitnehmer grundsätzlich auch Anspruch auf das Entgelt für Dienstleistungen, die nicht zustande gekommen sind, wenn er zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf Seiten des Dienstgebers liegen, daran gehindert wurde. Daran ist hier nicht zu zweifeln. Nach dem letzten Halbsatz des § 1155 Abs 1 ABGB hat sich der Arbeitnehmer jedoch das anrechnen zu lassen, was er sich infolge des Unterbleibens der Arbeitsleistung erspart oder durch anderweitigen Erwerb erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat.

Hier geht es nun darum, dass der Kläger auch in der Zeit, in der vom Erstgericht im ersten Rechtsgang, wenngleich nicht rechtskräftig, so doch nach § 61 Abs 1 Z 1 ASGG vorläufig bindend (vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit bei Leistungsurteilen RIS-Justiz RS0122904), die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung festgestellt wurde, bis zum tatsächlichen Wiederaufnehmen seiner Tätigkeit bei anderen Dienstgebern gearbeitet und dafür Entgelt erzielt hat.

In der Entscheidung 4 Ob 18/81 (= ZAS 1983/5 [Schrammel]; ähnlich 4 Ob 40/83 = Arb 10.311) hatte der Oberste Gerichtshof einen Fall zu beurteilen, bei dem es nach einem Streit über die Frage des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses um die Berechnung der Entgeltansprüche für den Zeitraum des Streits ging. Der Arbeitnehmer hatte die Anbote anderer Arbeitgeber ausgeschlagen. Der Oberste Gerichtshof hat sich mit den verschiedenen Lehrmeinungen zur Frage der Anwendbarkeit der Anrechnungsverpflichtung von § 1155 ABGB auf Fälle des „Annahmeverzugs“ des Arbeitgebers auseinandergesetzt und die Anrechnungsverpflichtung grundsätzlich bejaht, und zwar unter bestimmten Voraussetzungen auch für die bloße Möglichkeit des anderweitigen Verdienstes („verdient hätte“).

Schrammel (aaO) hat in seiner Besprechung dieser Entscheidung diesen Ansatz unter Bezugnahme auf Vorarbeiten von Schnorr (Entgeltansprüche bei Nichtleistung der Arbeit in Tomandl, Entgeltprobleme aus arbeitsrechtlicher Sicht, 21) und Tomandl (Der Lohnanspruch Arbeitswilliger im Arbeitskampf, AcP 164, 183) auch durch den historischen Befund gestützt. Dem Gesetzgeber ging es bei der Änderung des § 1155 ABGB durch die 3. Teilnovelle darum, dass nicht - wie bis dahin - „Verschulden“ und „Zufall, der sich in der Person des Arbeitgebers ereignet hat“, sondern allgemein auch darüber hinaus Hinderungsgründe aus der „Sphäre“ des Arbeitgebers erfasst sein sollten. Für die „Obliegenheit“ des Arbeitnehmers, andere Arbeiten zu suchen und anzunehmen wies Schrammel auf die Schwierigkeit hin, die sich aus dem aufrechten Bestand des „strittigen“ Arbeitsverhältnisses ergeben („Leistungsbereitschaft“).

Holzer (Verschuldeter Annahmeverzug des Arbeitgebers und Anrechnung anderweitig absichtlich versäumten Verdienstes, DRdA 1983, 7) hebt in seiner Besprechung der Entscheidung hervor, dass es nicht einsichtig sei, warum auch bei verschuldetem Arbeitgeber-Annahmeverzug der Arbeitgeber durch die Vorteilsanrechnung ohne Risiko entlastet werden solle. Die Zumutbarkeit der Annahme anderer Beschäftigungen und damit die Anrechenbarkeit von „versäumtem“ Verdienst hänge nach Treu und Glauben auch davon ab, welches Verschulden den Arbeitgeber an dem Annahmeverzug treffe.

In seiner Entscheidung 9 ObS 34/93 hat der Oberste Gerichtshof auch für den Fall der Dienstfreistellung durch den Arbeitgeber die Anwendbarkeit der Einrechnungsverpflichtung nach § 1155 ABGB bejaht und dabei auf die Unmissverständlichkeit der Dienstfreistellung hingewiesen, sodass wegen der Sicherheit des Umstands, dass der Arbeitgeber seine Dienste nicht mehr in Anspruch nehmen will, dem Arbeitnehmer die Annahme anderer Beschäftigungen nach „Treu und Glauben“, zumutbar gewesen sei.

In der Entscheidung 8 Ob 2046/96g (= ZAS 1997/19 [Risak]) wurde die Anrechnungsverpflichtung für den Fall verneint, dass der Einwand des Arbeitgebers als „mutwillig“ oder rechtsmissbräuchlich zu beurteilen ist (in diesem Sinne auch Löschnigg, Arbeitsrecht10, 393; Spenling in KBB § 1155 Rz 8; Pfeil in Schwimann ABGB3 § 1155 Rz 22). Konkret ging es um die Einrechnung der Provisionen in den Entgeltfortzahlungsanspruch bei einer Dienstfreistellung in einem aufrechten Arbeitsverhältnis.

Riska hat in seiner Besprechung dieser Entscheidung (aaO) im Wesentlichen unter Berufung auf die frühere Judikatur ebenso wie Holzer (Annahmeverzug des Arbeitgebers - Verdienstanrechnung, DRdA 1983, 7) darauf hingewiesen, dass es bei der Beurteilung des Entgeltfortzahlungsanspruchs nach § 1155 ABGB auch darum gehe, ob es dem Arbeitnehmer zumutbar ist, einer Ersatzbeschäftigung nachzugehen.

In der Entscheidung zu 9 ObA 24/01x ging es ähnlich wie zu 4 Ob 18/81 um die Einrechnungsverpflichtung während einer Entlassungsanfechtung bis zum klagsstattgebenden Urteil erster Instanz im Vorprozess. Der Oberste Gerichtshof bejahte die Einrechnungsverpflichtung. Nach dieser Entscheidung hat die Einrechnung nur dort zu unterbleiben, wo die Berufung des Arbeitgebers darauf rechtsmissbräuchlich ist, also wenn unlautere Motive der Rechtsausübung augenscheinlich im Vordergrund stehen und andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten bzw zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interesse und dem berechtigtem Interessen des anderen Teils ein krasses Missverhältnis besteht (dazu allgemein auch RIS-Justiz RS0026271). Nicht wesentlich sind nach dieser Entscheidung die Motive bei der Beendigung. Entscheidend war der unsichere Schwebezustand zwischen Entlassung und Ergebnis des Anfechtungsprozesses.

Ebenfalls um die Abrechnung nach einem vom Arbeitgeber verlorenen Prozess über den aufrechten Bestand des Arbeitsverhältnisses ging es in der Entscheidung zu 9 ObA 115/03g (= DRdA 2005/9 [Eypeltauer]). Der Oberste Gerichtshof bejahte auch unter dem Aspekt einer allfälligen Verletzung des Konkurrenzverbots die Obliegenheit des Arbeitnehmers, eine andere Arbeit anzunehmen, nachdem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer unmissverständlich nicht mehr zur Arbeit zugelassen hatte. Die Entscheidung hält fest, dass sich der Arbeitnehmer ein tatsächlich bezogenes Entgelt selbst dann anrechnen lassen muss, wenn eine vorsätzliche Verhinderung der Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber vorliegt. Ausgenommen von der Anrechnungsverpflichtung ist nur ein missbräuchliches Vorgehen des Arbeitgebers, das aber nicht alleine durch die vorsätzliche Verhinderung der Arbeitsleistung nachgewiesen werden kann.

Eypeltauer (aaO) hat in seiner die bis dahin ergangene Rechtsprechung und Lehre umfassend behandelnden Entscheidungsbesprechung vor allem auf die Risikoverlagerung durch die Entgeltanrechnung verwiesen und sich für den Fall des vom Arbeitgeber verschuldeten Annahmeverzugs gegen eine Anrechnungsverpflichtung ausgesprochen.

Allgemein hat die Lehre über die bereits dargestellten Lehrmeinungen hinaus die Beurteilung der Einrechnungsverpflichtung nach § 1155 ABGB besonders unter dem Aspekt behandelt, inwieweit es dem Arbeitnehmer zumutbar ist, einer Ersatzbeschäftigung nachzugehen (Krejci in Rummel ABGB3 § 1155 Rz 25; Schrammel Arbeitsrecht II6, 157, der auch auf § 29 AngG und § 1162b ABGB - keine Anrechnung in den ersten drei Monaten bei einer Kündigungsentschädigung - Bezug nimmt und zwischen der Verpflichtung zur Suche eines anderen Arbeitsplatzes und jener der Anrechnung eines tatsächlich in einem anderen Arbeitsverhältnis verdienten Entgelts differenziert).

Binder (Vorteilsanrechnung im Arbeitsverhältnis in FS Schwarz, 35 ff) befürwortet die Anwendung der Anrechnungsverpflichtung nach § 1155 ABGB auch für den Fall des verschuldeten Annahmeverzugs des Arbeitgebers. Er verweist darauf, dass sich § 1155 ABGB vergleichbare Anrechnungsverpflichtungen etwa auch in den §§ 921, 1107, 1168, 1312 und 1447 ABGB finden.

Spielbüchler (Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht I4, 68 ff) behandelt § 1155 ABGB überhaupt gesondert von den Entgeltfortzahlungsansprüchen, weil der Arbeitnehmer seine Leistung - dem Arbeitgeber zur Verfügung zu stehen - grundsätzlich erbracht habe. Er weist aber auch als Unterschied zum Annahmeverzug etwa bei Werkverträgen darauf hin, dass ein Nachholen der Leistung faktisch nicht mehr möglich ist.

Zuletzt hat sich Rebhahn (im ZellKomm § 1155 ABGB Rz 49 ff) umfassend mit § 1155 ABGB auseinander gesetzt. Er stellt unter Berufung auf F. Bydlinski, (Arbeitsrechtskodifikation, 138; vgl im Übrigen dazu auch Tomandl, Arbeitsrecht 23, 148 ff unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien) als zentrale These voran, dass die Anrechnungsbestimmung auch eine Bereicherung des Arbeitnehmers verhindern soll. Rebhahn spricht sich für eine Einschränkung der Anrechnungsverpflichtung jedenfalls bei „versäumten Verdiensten“ und eine analoge Anwendung der anrechnungsfreien ersten drei Monate nach § 1162b ABGB aus. Gegen die Anrechnung von tatsächlich erzielten Entgelten hat er aber keine Bedenken (Rz 58).

Es ist zwischen der Obliegenheit zur Annahme einer anderen Erwerbsmöglichkeit und dem tatsächlich verdienten Entgelt in einem anderen Erwerb zu differenzieren. Nur zu letzterem Fall ist hier Stellung zu nehmen. Die Einrechnung des aus der Verwertung der Arbeitskraft tatsächlich erzielten anderen Einkommens entspricht nicht nur dem klaren Wortlaut des § 1155 ABGB, sondern - wie von Binder bereits aufgezeigt - auch anderen Anrechnungsregeln im ABGB (zu § 1168 ABGB M. Bydlinksi in KBB § 1168 Rz 5; zu § 1419 ABGB Reischauer in Rummel ABGB3 § 1419 Rz 7 uva).

Eine davon gesondert zu behandelnde Frage ist aber, inwieweit sich die Erhebung dieses Einwands, also die Geltendmachung dieses Einrechnungsrechts durch den Arbeitgeber, im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände als rechtsmissbräuchlich im Sinne der Vorentscheidungen (9 ObA 24/01x; 9 ObA 115/03g) erweist. Ein Rechtsmissbrauch wird im Wesentlichen dann angenommen, wenn die unlauteren Motive der Rechtsausübung augenscheinlich im Vordergrund stehen und diese die lauteren Motive eindeutig überwiegen (allgemein dazu etwa Reischauer in Rummel ABGB3 § 1295 Rz 62 f; Karner in KBB2 § 1295 Rz 22). Dass selbst ein vorsätzliches Nichtzulassen zur Arbeit allein noch keinen Missbrauch, der eine Anrechnung ausschließt, nachweist, wurde bereits ausgesprochen. Konkrete andere - unlautere - Motive wurden weder behauptet noch nachgewiesen. Wenn der Arbeitnehmer aus der Verwertung seiner Arbeitskraft in einem anderen Arbeitsverhältnis tatsächlich ein Einkommen erwirbt, so trägt er insoweit auch kein Risiko. Es wird vielmehr faktisch der Schaden, der aus der mangelnden Beschäftigung des Arbeitnehmers während des Streits über den aufrechten Bestand des Arbeitsverhältnisses sonst entsteht und dessen Tragung bis zur Rechtskraft der Entscheidung noch nicht gewiss ist (zur Rückforderung nach einer abändernden rechtskräftigen Entscheidung etwa RIS-Justiz RS0113095) gemindert. Hinzu kommt hier, dass der Arbeitnehmer ohnehin bereits Entgelt im Rahmen eines anderen Rechtsverhältnisses erzielte und die Beklagte, nachdem der Kläger diese zur Zahlung aufforderte, ihre Zahlungsverpflichtung gar nicht in Abrede stellte, sondern bloß die Unterlagen für die Abrechnung verlangte, aus denen sich dann offensichtlich ein regelmäßiges Einkommen des Klägers ergab.

Im Ergebnis ist somit hier eine Anrechnungsverpflichtung zu Grunde zu legen. Ausgehend von der vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht der mangelnden Anrechenbarkeit haben die Vorinstanzen jedoch eine klare Aufschlüsselung und Zuordnung der ins Verdienen gebrachten Beträge und der auf diesen Zeitraum entfallenden Entgeltansprüche gegenüber der Beklagten unterlassen (vgl dazu, dass auf die jeweilige Periode abzustellen ist RIS-Justiz RS0021532). Schon deshalb erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig.

Dies gilt auch hinsichtlich der eingewendeten Urlaubsentschädigung von 3.646,06 EUR netto. Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf verwiesen, dass mit der Feststellung der Unwirksamkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Rechtsgrundlage für die Auszahlung der Urlaubsentschädigung weggefallen ist. Dementsprechend konnte die Beklagte diese mangels Rechtsgrundlage für die Zahlung auch kondizieren. Dies konnte entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts jedoch nicht nur im Sinne einer mit dem aufrechten Bestand der Klagsforderung bedingten Aufrechnungseinrede entsprechend § 391 Abs 3 ZPO erfolgen, sondern auch im Sinne einer unbedingten - außergerichtlichen - Aufrechnung (allgemein dazu etwa Rechberger in Rechberger ZPO3 §§ 391-392 Rz 10). Ausgehend davon, dass die Beklagte die Ansprüche des Klägers dem Grunde nach nicht bestritten und konkret vorgebracht hat, dass sie die Urlaubsersatzleistung „rückverrechne“ spricht einiges für eine unbedingte - außergerichtliche - Aufrechnung. Einer ausdrücklichen gerichtlichen Aufrechnungseinrede bedurfte es daher gar nicht. Auch dies wird im fortgesetzten Verfahren vom Erstgericht zu berücksichtigen und dabei auch die Bezugnahme auf die Urlaubsentschädigungen für die Jahre 2005 und 2006 zu erörtern sein.

Grundsätzlich zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass nach ständiger Rechtsprechung der Arbeitnehmer berechtigt ist, den „Bruttolohn“ einzuklagen und dass auch ein auf den Bruttolohn gerichtetes Klagebegehren grundsätzlich als bestimmt und exequierbar angesehen wird (RIS-Justiz RS0000636 mzwN; zuletzt etwa Graf-Schimek, Arbeitsgerichtliche Verfahren II - Klagearten, Brutto-Netto-Klagen, Aufrechnung, ÖJZ 2010/41). Warum die Beklagte nicht berechtigt sein sollte, die nunmehr relevierten, vom Kläger zugestandenen Abzüge wie Arbeiterkammerumlage, Wohnbauförderung etc nicht gegebenenfalls im Rahmen des Exekutionsverfahrens geltend zu machen, hat sie im erstgerichtlichen Verfahren nicht konkret eingewendet.

Insgesamt erweist sich aber das Verfahren als ergänzungsbedürftig und war die Rechtssache zur ergänzenden Erörterung und Feststellungen an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 2 ASGG iVm § 52 Abs 2 ZPO.

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