OGH 1Ob142/10d

OGH1Ob142/10d14.9.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann, Dr. Musger und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ilse M*****, vertreten durch Dr. Amhof & Dr. Damian, Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. P*****gmbH, *****, 2. Vasilios G*****, 3. Ilse K*****, 4. Helmut S*****, 5. Helene S*****, beide *****, erst- und drittbeklagte Partei vertreten durch Proksch & Fritzsche Frank Fletzberger Rechtsanwälte OG in Wien, zweit-, viert- und fünftbeklagte Partei vertreten durch Mag. Dr. Andreas Schuster, Rechtsanwalt in Wien, 6. MMag. Nicolas F***** und 7. Dr. Claudia F*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Norbert Nowak, Rechtsanwalt in Wien und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Parteien Gerda M*****, vertreten durch Dr. Reinhard Armster, Rechtsanwalt in Maria Enzersdorf, wegen Feststellung, Einverleibung, Beseitigung, Wiederherstellung und Unterlassung (Gesamtstreitwert: 58.000 EUR) über die außerordentlichen Revisionen der klagenden Partei sowie der erst- und drittbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 6. Mai 2010, GZ 16 R 172/09w-75, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 25. Mai 2009, GZ 58 Cg 292/06x-55, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Beide Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Klägerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft in Wien und betreibt dort eine Gastwirtschaft. Die Außen-Feuermauer des Gasthauses grenzt direkt an die Außenmauer des auf dem Nachbargrundstück errichteten Wohnhauses mit mehreren (zukünftigen) Wohnungseigentumsobjekten. Die Erstbeklagte hat das Haus errichtet, die übrigen Beklagten sind weitere Miteigentümer der Liegenschaft. Vor Errichtung dieses Hauses ragten Teile des Gebäudes der Klägerin in den Luftraum des Nachbargrundstücks: das seitliche Gesimse sowie ein Dachvorsprung der Feuermauer, an dem eine Saumrinne befestigt war. Die Regen- und Dachwässer wurden von der zum Nachbargrundstück geneigten Dachfläche über ein Regenabfallrohr und eine Rinne auf dem Nachbargrundstück in den öffentlichen Kanal geleitet. Die Abluft eines Gastraums wurde über eine Öffnung in der Feuermauer zum Nachbargrundstück abgeleitet. In der Feuermauer des Gasthauses war eine weitere Öffnung von ca 50 x 50 cm vorhanden, in die ein nach innen zu öffnendes Kippfenster eingebaut war. Nach einem Einbruchsversuch wurde diese Öffnung mit Brettern verschlossen.

Für die Errichtung des Neubaus auf der Nachbarliegenschaft war eine geschlossene Bauweise vorgegeben. Am 5. 7. 2002 fand im Lokal der Klägerin eine Informationsveranstaltung zur geplanten Errichtung des Neubaus statt, bei der auch ein Modell gezeigt wurde. Die Klägerin erklärte damals ihr Einverständnis zu dem Projekt. Auch in dem Ende 2002 gestellten Antrag auf Baubewilligung war festgehalten, dass das Gesimse des Gebäudes der Klägerin teilweise abgebrochen und die Dachrinne verlegt werden müssten. Anlässlich einer Bauverhandlung im Februar 2003 wurden Pläne vorgelegt, die festhielten, dass der über die Grundgrenze ragende Dachvorsprung gekappt und das Dach (der Gastwirtschaft) adaptiert werde. Auch für den Vertreter der Klägerin war unmissverständlich klar, dass das neu errichtete Gebäude unmittelbar an die Mauer der Gastwirtschaft angebaut werden sollte. Im Zuge des Bauverfahrens behauptete die Klägerin erstmals im Oktober 2005 eine Servitut, und zwar nur jene eines „Fensterrechts“. Sie wendete sich dabei auch gegen eine Änderung der Entlüftung des Gastsaals. Mehrere Versuche, zu einer Einigung zu kommen, scheiterten letztlich. Im November 2006 wurde das Bauvorhaben auf der Nachbarliegenschaft abgeschlossen. Die Öffnungen in der Feuermauer des Gasthauses wurden geschlossen, was die frühere Form der Entlüftung ausschloss. Die fehlende Be- und Entlüftung des Gastraums wurde von der Gewerbebehörde im Zuge eines Verfahrens zur Genehmigung des Fortbetriebs der Gastwirtschaft nicht beanstandet. Die Niederschlagswässer werden nach Fertigstellung des Bauprojekts in einer Trogrinne, die durch die Feuermauer des Nachbargebäudes und das Dach des Gebäudes der Gastwirtschaft gebildet wird, gesammelt und nicht mehr über die Nachbarliegenschaft in das öffentliche Kanalsystem geleitet.

Das Berufungsgericht gab den Begehren der Klägerin, die auf Feststellung mehrerer Servituten (Dachtraufe, Ableitung von Regen/Dachwässer und Abluft, Fortführung des Gesimses, Fensterrecht), Wiederherstellung des vorigen Zustands und Unterlassung gerichtet waren, insoweit statt, als es eine bestehende Servitut der Klägerin bejahte, die Regen- und sonstigen Dachwässer von dem zum dienenden Gut geneigten Dachteil des auf dem herrschenden Gut errichteten Gebäudekomplexes Gastwirtschaft auf das dienende Gut abzuleiten.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionen zeigen keine erheblichen Rechtsfragen auf. Die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts ist für sich nicht bekämpfbar.

Bei ersessenen Servituten bestimmt sich ihr Umfang nach der (gleichbleibenden) Nutzung während der Ersitzungszeit (Kiendl-Wendner in Schwimann, ABGB³ II § 484 Rz 4; vgl RIS-Justiz RS0011664). Jahrzehntelang hatten die bestehenden Maueröffnungen der Be- bzw Entlüftung sowie Zufuhr von natürlichem Licht über das (damals in diesem Bereich noch unverbaute) Nachbargrundstück gedient. Ebenfalls über einen mehr als 30-jährigen Zeitraum ragten Teile des Gebäudes auf der herrschenden Liegenschaft in die benachbarte Liegenschaft und erfolgte die Ableitung von Regen/Dachgewässern nicht über das Grundstück der Klägerin. Bereits mit Vorstellung des Projekts im Jahr 2002 und zu Beginn des Bauverfahrens war aber allen Beteiligten unmissverständlich klar, dass durch die (vorgeschriebene) Errichtung des Neubaus „Mauer an Mauer“ bzw „Dach an Dach“ die bisherige Nutzung der beiden Öffnungen und das „Hineinragen“ des Gastwirtschaftsgebäudes in den Nachbargrund faktisch ausgeschlossen waren. Dennoch hat die Klägerin über drei Jahre lang nicht das Bestehen von Servituten behauptet und sich nicht gegen den Anschluss des Neubaus an die Feuermauer ihres Gebäudes gewehrt. Wie aus der Formulierung ihrer Begehren in Verbindung mit den Vorbringen ersichtlich, will die Klägerin im Wesentlichen ausschließlich die frühere Nutzung wieder erreichen, indem sie das teilweise Entfernen bzw das Durchbrechen der Feuermauer sowie die Wiederherstellung des Gesimses und der Dachtraufe verlangt, was eindeutig ihrem früheren, dem Bauprojekt zustimmenden Verhalten widerspricht. Die nachträgliche Änderung ihrer Meinung zu dem Bauprojekt kann an der Wirksamkeit eines bereits konkludent erklärten Verzichts nichts ändern, weil es bei der Beurteilung einer derartigen konkludenten Willenserklärung darauf ankommt, wie die Eigentümer und Bauwerber die (zunächst) uneingeschränkte Zustimmung zum Bauprojekt verstehen durften. Ist die Annahme eines konkludenten Verzichts auf eine Nutzung im Zusammenhang mit der Be- oder Entlüftung bzw „Beleuchtung“ in diesem konkreten Einzelfall (vgl RIS-Justiz RS0044298 [T13]) vertretbar, so ist die Unterscheidung dieser Hausservituten in bejahende (§ 475 ABGB) oder verneinende (§ 476 Z 10 ABGB) - so das Berufungsgericht - nicht relevant. Dasselbe gilt für das Utilitätserfordernis, soweit es die Fortführung des Gesimses betrifft.

Anders verhält sich die Sache mit der behaupteten Dienstbarkeit der Dachtraufe, also dem Recht, das Regenwasser in Rinnen oder Ähnlichem zu sammeln und abzuleiten (RIS-Justiz RS0105769). Entgegen der Auffassung der Erst- und Drittbeklagten geht es hier nicht um eine durch § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB untersagte unmittelbare Zuleitung, sondern um eine ersessene Servitut, Regen/Dachgewässer - wie es der jahrzehntelangen Übung entsprochen hat - nicht über das eigene, sondern mittels Rohren über das Nachbargrundstück abzuleiten. Diese Nutzung musste aber nicht zwingend durch den beabsichtigten direkten Anbau des Nachbarhauses ausgeschlossen werden, weil eine Entwässerung über die Nachbarliegenschaft durch entsprechende Dachkonstruktionen grundsätzlich möglich gewesen wäre. Das zeigt sich schon daran, dass die Bauwerberin angeboten hat, auf ihre Kosten neue Dachrinnen zu errichten und das Wasser über das Grundstück der Beklagten abzuleiten (S 22 und 23 Berufungsurteil). Von der Annahme eines konkludenten Verzichts der Klägerin auf das Recht an sich, Dachwasser über das Nachbargrundstück abzuleiten, kann also keine Rede sein. Genau diese Servitut hat das Berufungsgericht auch als berechtigt angenommen. Da grundsätzlich der aus einer Servitut Verpflichtete nur deren Ausübung zu dulden hat, ihm aber nicht bestimmte Erhaltungs- und/oder Errichtungsmaßnahmen aufgetragen werden können (Kiendl-Wendner aaO § 482 Rz 1; § 483 Rz 4), sowie der Servitutsverpflichtete zu Änderungen der Anlagen berechtigt ist, soweit dies nicht den Zweck der Servitut beeinträchtigt (RIS-Justiz RS0011695), ist die Vorgangsweise des Berufungsgerichts nur konsequent, wenn es die Begehren der Klägerin auf Feststellung eines Nutzungsrechts durch eine bestimmte, dem früheren Zustand (Dachtraufe) entsprechende bauliche Konstruktion abgewiesen hat. Die von der Klägerin in diesem Zusammenhang geltend gemachte Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO ist ebenso wenig zu erkennen wie die behauptete Unbestimmtheit des Spruchs, der eindeutig klarstellt, welche Servitut zugunsten der Klägerin besteht.

Die in der Revision der Klägerin vertretene Konstruktion eines konkludenten Anerkenntnisses einer Servitut auf eine Entlüftung scheitert daran, dass es sich um ein - von der Klägerin ausdrücklich nicht angenommenes - Anbot der Bauwerberin handelt, der Klägerin zur Bereinigung der Angelegenheit auch im Zusammenhang mit dem Verschluss der beiden Maueröffnungen eine Entschädigung zu zahlen. Wieso ein derartiges, ausdrücklich abgelehntes Anbot ein konkludentes Anerkenntnis einer Servitut begründen soll, ist nicht verständlich. Dasselbe gilt für das - ebenfalls nicht angenommene - Anbot der Nebenintervenientin der Beklagten, das außerdem kein wirksames Anerkenntnis im Verhältnis zu den Beklagten schaffen könnte.

Richtig ist, dass ein Verzicht nach der herrschenden Rechtsprechung einen Vertrag darstellt und deshalb der Annahme bedarf. Diese kann allerdings schlüssig erfolgen, auch der Verzicht als solcher ist als Verfügungsgeschäft nicht formpflichtig (Griss in KBB² § 1444 ABGB Rz 2 und 6; RIS-Justiz RS0034030). Die Argumente der Klägerin zur Schenkung als Titel für den Verzicht und zur deshalb erforderlichen Notariatsaktform können daher nicht überzeugen.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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