OGH 7Ob102/10s

OGH7Ob102/10s1.9.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Reinhard Schanda, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 30.454,64 EUR (sA) und Feststellung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 21. April 2010, GZ 3 R 55/10y, 56/10w-25, mit denen die Rekurse der beklagten Partei gegen die Beschlüsse des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz jeweils vom 27. Jänner 2010, GZ 20 Cg 107/09h-14 und 15, zurückgewiesen wurden, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird, soweit er sich gegen die Zurückweisung des Rekurses gegen den Beschluss auf Antragstellung nach Art 89 Abs 2 B-VG (Art 139 Abs 1 B-VG) richtet, mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

2. Soweit er die Zurückweisung des Rekurses gegen den Beschluss auf Unterbrechung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs nach Art 139 B-VG bekämpft, wird dem außerordentlichen Revisionsrekurs nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.680,84 EUR (darin enthalten 280,14 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Das Erstgericht stellte gemäß Art 89 Abs 2, Art 139 Abs 1 B-VG mit Beschluss vom 27. 1. 2010 den Antrag an den Verfassungsgerichtshof, bestimmte Passagen der in § 6 Abs 1 und § 20 der Systemnutzungstarife-Verordnung 2006 als gesetzwidrig aufzuheben. Mit Beschluss vom selben Tag wurde das Verfahren gemäß § 190 Abs 1 ZPO iVm § 57 Abs 3 VfGG bis zur betreffenden Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs unterbrochen.

Das Rekursgericht wies die von der Beklagten gegen diese Entscheidungen erhobenen Rekurse zurück. Es sprach jeweils aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nach § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei.

Die Beklagte ist der Ansicht, es lägen Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung vor. Sie stellt in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs den Antrag, die angefochtenen Entscheidungen des Rekursgerichts dahin abzuändern, dass ihren Anträgen, die erstinstanzlichen Beschlüsse ersatzlos aufzuheben, stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Nach der durch die ZVN 2009 geschaffenen neuen Rechtslage ist das Rekursverfahren gegen verfahrensbeendende und verfahrensgestaltende Beschlüsse wie etwa die Unterbrechung zweiseitig (RIS-Justiz RS0125481). Die Klägerin beantragt in der ihr daher hinsichtlich des Unterbrechungsbeschlusses freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den außerordentlichen Revisionsrekurs der Beklagten entweder als unzulässig zurückzuweisen oder ihm keine Folge zu geben.

1. Betreffend die Zurückweisung des Rekurses gegen den Beschluss auf Antragstellung nach Art 89 Abs 2 B-VG (Art 139 Abs 1 B-VG) vermag die Revisionsrekurswerberin keinen tauglichen Grund für die Zulassung ihres außerordentlichen Rechtsmittels aufzuzeigen:

Die Ansicht des Rekursgerichts, der Rekurs gegen einen Aufhebungsantrag des Erstgerichts nach Art 89 Abs 2 B-VG sei unzulässig, folgt der ständigen oberstgerichtlichen Judikatur, dass das Recht jedes Gerichts bei Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit einer Verordnung den Verfassungsgerichtshof anzurufen, nicht durch ein instanzmäßig übergeordnetes Gericht beseitigt werden darf (RIS-Justiz RS0053792). Dies ergibt sich - neben verfahrensrechtlichen Erwägungen (16 Ok 9/96; 7 Ob 21/97g MietSlg 49.686) - vor allem auch aus verfassungsrechtlichen Gründen. Die Aufhebung eines solchen Beschlusses aufgrund eines dagegen erhobenen Rekurses wäre verfassungswidrig, weil dem antragstellenden Gericht gemäß Art 89 B-VG sowohl das Recht als auch die Pflicht zur unmittelbaren Anrufung des Verfassungsgerichtshofs zukommt (7 Ob 21/97g mwN). Ein Rechtsmittelgericht hat daher auch nicht zu überprüfen, ob die Lösung der Frage der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung für die Entscheidung des betreffenden Rechtsstreits von Bedeutung ist (16 Ok 9/96 mwN). Die gegenteilige, die Zulässigkeit eines solchen Rekurses bejahende Entscheidung 4 Ob 140, 142/59 ist durch die nachfolgende, mit den einhelligen Stellungnahmen der Lehre (Walter, Bundesverfassungsrecht, 737; Klecatsky/Morscher, Bundesverfassungsrecht3 Art 89 B-VG E 15 u. 16; Schragel in Fasching/Konecny 2 § 192 ZPO Rz 3) übereinstimmende Judikatur überholt.

Aus der Entscheidung 5 Ob 176/04z, auf die sich die Revisionsrekurswerberin ebenfalls berufen will, ist für ihren Standpunkt nichts zu gewinnen. Dort wurde ausgesprochen, dass ein Gericht nicht schon dann, wenn eine Partei Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes äußert, die Verpflichtung zur Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof treffe (RIS-Justiz RS0053638). Es habe vielmehr als Vorfrage das Vorliegen relevanter Gründe für eine Normprüfung selbständig zu beurteilen. Lasse sich die Gesetzmäßigkeit einer Verordnung nicht schon durch einen Auslegungsakt beurteilen, sondern sei dazu die vorherige Ermittlung bestimmter, auch strittiger Tatumstände notwendig, so sei jener Partei, die sich auf Tatsachen berufe, die Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit einer Verordnung nahe legen könnten, auch die prozessuale Möglichkeit einzuräumen, diese Tatsachen konkret vorzubringen und unter Beweis zu stellen. Die Möglichkeit der Durchführung eines Beweisverfahrens, um allenfalls beurteilen zu können, ob begründete, ein Vorgehen nach Art 89 Abs 1 B-VG rechtfertigende Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit einer Verordnung bestehen, kann allerdings aus den erwähnten verfassungsrechtlichen Gründen entgegen der Ansicht der Revisionsrekurswerberin nicht bedeuten, dass eine Antragstellung des Erstgerichts nach Art 89 Abs 1 B-VG durch ein Instanzgericht in Richtung der Notwendigkeit ergänzender Beweisaufnahmen überprüft werden könnte.

Das daher mangels einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO unzulässige außerordentliche Rechtsmittel der Beklagten gegen die Zurückweisung des Rekurses gegen den erstgerichtlichen Beschluss auf Antragstellung nach § 89 Abs 1 B-VG ist zurückzuweisen. Dies bedarf nach § 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO keiner weiteren Begründung.

2. Zur Frage der Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Unterbrechungsbeschluss, der im Hinblick auf eine Antragstellung zur Gesetzes- oder Verordnungsprüfung nach Art 89 Abs 2 B-VG gefasst wurde, fehlt oberstgerichtliche Rechtsprechung. Die von Schragel aaO angeführten, vom Autor als einschlägig erachteten Entscheidungen betrafen jeweils die Zulässigkeit von Beschlüssen, mit denen ein Antrag auf Unterbrechung des Verfahrens zur Überprüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung durch den Verfassungsgerichtshof abgewiesen wurde. Soweit damit die Zurückweisung des Rekurses gegen den erstgerichtlichen Unterbrechungsbeschluss bekämpft wird, ist der außerordentliche Revisionsrekurs daher entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 ZPO) Ausspruch des Rekursgerichts zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Die zwingende Notwendigkeit der Verfahrensunterbrechung nach Antragstellung im Sinn der Art 89 Abs 2, 139 Abs 1 B-VG ergibt sich aus § 57 Abs 3 VfGG. Falls demnach das Gericht - wie hier - einen Antrag auf Aufhebung einer Verordnung oder von bestimmten Stellen einer solchen an den Verfassungsgerichtshof gestellt hat, dürfen in dieser Sache bis zur Verkündung bzw Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs nur solche Handlungen vorgenommen oder Entscheidungen und Verfügungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten. Zufolge dieser zu einer Verfahrensunterbrechung zwingenden Bestimmung ist, wie Walter aaO und Schragel aaO zutreffend erkennen, der Rekurs gegen einen wegen einer Verordnungsprüfung nach Art 89 Abs 2 B-VG gefassten Unterbrechungsbeschluss unzulässig. Während der Unterbrechung des gerichtlichen Verfahrens sind Verfahrenshandlungen des Gerichts - von dringenden Handlungen, Entscheidungen und Verfügungen abgesehen - grundsätzlich unzulässig und dürfen keine Erhebungen, insbesondere keine Einvernahmen durchgeführt und in der Regel auch keine Zustellungen vorgenommen werden (vgl 5 Ob 249/07i, RIS-Justiz RS0123120). Wäre die Anfechtung eines solchen Unterbrechungsbeschlusses möglich, würde dies letztlich bedeuten, dass dem Prozessgericht vom Rekursgericht auf diese Weise aufgetragen werden könnte, die Anfechtung einer Verordnung wegen Gesetzwidrigkeit zu unterlassen oder durchzuführen. Dies würde, wie bereits ausgeführt, dem Art 89 Abs 2 B-VG widersprechen, der jedem Gericht die selbständige Beurteilung überlässt, ob es Bedenken gegen die Anwendung einer Verordnung wegen Gesetzwidrigkeit hegt. Ein solcher Unterbrechungsbeschluss ist daher - ebenso wie der Antrag an den Verfassungsgerichtshof, die Gesetzmäßigkeit einer Verordnung zu überprüfen - unanfechtbar.

Die Zurückweisung des demnach unzulässigen Rekurses gegen den Unterbrechungsbeschluss des Erstgerichts durch das Rekursgericht ist daher zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat der im Zwischenstreit über die Verfahrensunterbrechung erfolgreichen Klägerin die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen.

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