OGH 10ObS93/10i

OGH10ObS93/10i22.6.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und AR Angelika Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Helga P*****, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. März 2010, GZ 10 Rs 160/09m-31, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 16. Juni 2009, GZ 35 Cgs 292/08z-27, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Die am 16. 12. 1954 geborene Klägerin hat den Beruf der Handelskauffrau erlernt und diese Ausbildung mit einem Lehrabschluss erfolgreich beendet. Sie war in der Folge überwiegend als kaufmännische Angestellte beschäftigt, wobei sie kurzfristig auch im Kosmetik-Einzelhandel bzw als Handelsagentin selbständig tätig war. Im Jänner 2005 wurde der Klägerin ein Karzinom des rechten Zungenrandes mit Halslymphknotenausräumung beidseits operativ entfernt. Eine Chemo- oder Bestrahlungstherapie wurde nicht durchgeführt.

Im Vorverfahren 25 Cgs 229/06h des Erstgerichts fand am 13. 11. 2007 die abschließende Tagsatzung statt, in der die Parteien einen Vergleich über die Gewährung einer befristeten Berufsunfähigkeitspension an die Klägerin für den Zeitraum vom 1. 9. 2006 bis 31. 10. 2008 schlossen. In diesem Verfahren war unter anderem ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Sachverständigen Dr. Wilhelm W***** vom 9. 12. 2006 eingeholt worden, wonach durch eine adäquate antidepressive Therapie eine deutliche Besserung des damals ängstlich gefärbten und unbehandelten depressiven Zustandsbilds der Klägerin eintreten würde und dadurch wieder eine für die Ausübung der in Betracht kommenden kaufmännischen Verweisungstätigkeiten erforderliche durchschnittliche Zeitdruckbelastbarkeit für drittelzeitig besonderen Zeitdruck erreicht werden könnte. Über Anregung des damaligen Beklagtenvertreters wurde die Klägerin in der Tagsatzung am 13. 11. 2007 vom Vorsitzenden des Senats über ihre Mitwirkungspflicht im sozialgerichtlichen Verfahren belehrt. Sie wurde im Rahmen der Vergleichsgespräche über Ersuchen des damaligen Beklagtenvertreters auch aufgefordert, sich einer psychiatrisch-fachärztlichen Behandlung zu unterziehen, andernfalls sie nicht mit einer Weitergewährung der (befristeten) Pensionsleistung rechnen könne. Im Protokoll der Tagsatzung wurde dazu festgehalten: „Über Ersuchen des BV wird der Klägerin die Mitwirkungspflicht auseinandergesetzt“. Tatsächlich begab sich die Klägerin in der Folge jedoch in keine psychiatrisch-fachärztliche Behandlung.

Mit Bescheid vom 22. 9. 2008 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin auf Weitergewährung der Berufsunfähigkeitspension mit der Begründung ab, dass über den 31. 10. 2008 hinaus keine Berufsunfähigkeit vorliege.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin rechtzeitig Klage mit dem Begehren auf Weitergewährung der Berufsunfähigkeitspension über den 31. 10. 2008 hinaus, weil sie weiterhin berufsunfähig sei.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens mit der Begründung, die Klägerin sei nicht berufsunfähig iSd § 273 Abs 1 ASVG. Im Übrigen stehe einer Weitergewährung der Berufsunfähigkeitspension auch die Verletzung der Mitwirkungspflicht durch die Klägerin entgegen, da sie sich trotz ausdrücklicher Belehrung im Vorverfahren der vom neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen Dr. Wilhelm W***** empfohlenen Behandlung nicht unterzogen habe, wodurch eine Besserung ihres Gesundheitszustands nach Ablauf von einem Jahr ab Behandlungsbeginn eingetreten wäre.

Das Erstgericht erkannte den Anspruch der Klägerin auf Berufsunfähigkeitspension für die Zeit über den 31. 10. 2008 hinaus bis 31. 12. 2008 als dem Grunde nach zu Recht bestehend und trug der beklagten Partei eine vorläufige Zahlung von 300 EUR monatlich auf. Das Mehrbegehren auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß über den 31. 12. 2008 hinaus wies es ab. Über den bereits eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus stellte das Erstgericht im Wesentlichen noch fest, dass die Klägerin aufgrund ihrer psychiatrischen Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, eine regelmäßige Erwerbstätigkeit unter den Bedingungen des freien Arbeitsmarkts auszuüben. Bei entsprechender Einstellung mit dem richtigen Medikament (Antidepressivum etc) hätte sich der Gesundheitszustand der Klägerin dergestalt gebessert, dass sie nach einer mindestens sechs Monate dauernden Medikation, einer Entwöhnungsphase von zwei Monaten und einer Beobachtungsphase von weiteren vier Monaten in der Lage wäre, körperlich leichte Arbeiten, fallweise mittelschwere, über den ganzen Tag verteilt unter fallweise besonderem Zeitdruck zu bewältigen. Ausgeschlossen wären weiterhin Tätigkeiten im gefahrenexponierten Bereich bzw Arbeiten mit besonderer psychischer Belastung sowie Nacht- und Schichtarbeit. Mit einer Wartezeit von etwa zwei Wochen erhält man einen Termin beim entsprechenden Psychiater/Neurologen, bei dem man die angeführte Therapie beginnen kann. Die Therapie ist mit keinen besonderen Gefahren verbunden; die Klägerin ist in der Lage, die Bedeutung der Krankenbehandlung einzusehen. Kaufmännische Büroangestelltentätigkeiten (im Bereich der Bestellbearbeitung, der kaufmännischen Lagerhaltung bzw des kaufmännischen Vertriebs) sind mit vorwiegend leichter körperlicher Belastung in grundsätzlich sitzender Arbeitshaltung verbunden. Die Zeitdruckbelastung für fallweise besonderen Zeitdruck ist ausreichend. Überkopfarbeiten (Überschulterarbeiten) werden nicht verlangt. Es handelt sich um Arbeiten im Fabriksmilieu; die Tätigkeiten sind jedoch PC-unterstützt auszuüben, sodass insbesondere im Rahmen einer Halbtagsbeschäftigung das Kalkül drittelzeitig mit Bildschirmarbeiten über den Tag verteilt eingehalten werden kann. Ein mittleres psychisches Anforderungsprofil ist ausreichend. Kollektivvertraglich ist die Angestelltentätigkeit in die Beschäftigungsgruppe 3 des Kollektivvertrags für Handelsangestellte einzuordnen. Arbeitsplätze kommen am allgemeinen Arbeitsmarkt in ausreichender Anzahl vor. Schließlich stellte das Erstgericht noch fest, dass die Klägerin die Rechtsbelehrung durch den Vorsitzenden des Senats im Vorverfahren in der Tagsatzung am 13. 11. 2007 verstanden hat.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung zur Duldungs- und Mitwirkungspflicht eines Versicherten aus, dass bei der Klägerin bei Inanspruchnahme einer fachärztlichen psychiatrisch-neurologischen Behandlung von einer Besserung des Gesundheitszustands nach Ablauf eines Jahres ausgegangen werden könne. Die Klägerin sei in der Tagsatzung vom 13. 11. 2007 durch die beklagte Partei über den Vorsitzenden des Senats ausreichend über ihre Mitwirkungspflicht und deren Konsequenzen aufgeklärt worden. Der Umstand, dass der Vorsitzende des Senats sich nicht auf eine konkrete Therapieform festgelegt habe, ergebe sich bereits aus dem Inhalt des Auftrags an die Sachverständigen, von dem die Auswahl einer entsprechenden Therapieform nicht mitumfasst sein könne. Dies würde auch die Grenzen des sozialgerichtlichen Verfahrens überschreiten. Da sich die Klägerin wider besseren Wissens überhaupt keiner psychiatrischen-fachärztlichen Behandlung unterzogen habe, habe sie ihre Mitwirkungspflicht verletzt. Ausgehend von einer Überlegungs- und Beratungsfrist von vier Wochen nach der erfolgten Belehrung im November 2007 und einer Behandlungsdauer von insgesamt zwölf Monaten habe die Klägerin Anspruch auf eine befristete Berufsunfähigkeitspension lediglich bis 31. 12. 2008.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, dass es die beklagte Partei schuldig erkannte, der Klägerin auch über den 31. 12. 2008 hinaus bis zum 31. 10. 2010 eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren und eine vorläufige Zahlung in Höhe von 461,12 EUR monatlich zu erbringen. Es vertrat in rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen die Auffassung, dem Protokoll über die Tagsatzung am 13. 11. 2007 im Vorverfahren könne nicht entnommen werden, dass die Klägerin zu einer Heilbehandlung aufgefordert und sie auf die Rechtsfolgen einer unterlassenen Heilbehandlung hingewiesen worden sei. Aber auch auf Grundlage der vom Erstgericht getroffenen weiteren Feststellungen, wonach der Vorsitzende des Senats die Klägerin damals über Ersuchen der beklagten Partei aufgefordert habe, sich einer psychiatrisch-fachärztlichen Behandlung zu unterziehen, andernfalls sie nicht mit einer Weitergewährung der (befristeten) Pensionsleistung rechnen könne, könne darin nicht die notwendige Aufforderung der Klägerin durch den Versicherungsträger zu einer bestimmten Heilbehandlung gesehen werden. Die Aufforderung, sich einer bestimmten Behandlung zu unterziehen, sei allein ein Gestaltungsrecht des leistungspflichtigen Versicherungsträgers und sei somit allein von diesem wahrzunehmen. Darüber hinaus könne die nicht näher konkretisierte Aufforderung, sich einer psychiatrisch-fachärztlichen Behandlung zu unterziehen, vor dem Hintergrund der aus verschiedenen medizinischen Fachgebieten stammenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin nicht als das in der Rechtsprechung geforderte „Verlangen“ nach einer konkreten Heilbehandlung angesehen werden. Eine Verpflichtung der Klägerin, sich im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht einer konkreten Heilbehandlung zu unterziehen, sei somit nicht entstanden. Es erübrige sich damit ein inhaltliches Eingehen auf das weitere Berufungsvorbringen der Klägerin, wonach sie aufgrund ihrer schweren Erkrankung Inhalt und Bedeutung der Rechtsbelehrung nicht verstanden habe, sodass ihr eine Verletzung der Mitwirkungspflicht jedenfalls subjektiv nicht vorgeworfen werden könne. Da der Ausnahmefall einer unbefristeten Pensionsgewährung nach § 256 Abs 2 ASVG nicht vorliege, gebühre der Klägerin die Berufsunfähigkeitspension längstens für die Dauer von weiteren 24 Monaten ab dem Stichtag. Das Begehren der Klägerin sei daher für den Zeitraum bis zum 31. 10. 2008 berechtigt.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei, weil die Bedeutung der entscheidungswesentlichen Fragen über Ausspruch und Inhalt der für das Entstehen einer Behandlungsobliegenheit notwendigen Aufforderung über den konkreten Einzelfall hinausgehe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und im Sinne der beschlossenen Aufhebung auch berechtigt.

Die beklagte Partei macht geltend, es sei für sie in keiner Weise nachvollziehbar, einer durch den Vorsitzenden des Senats im Vorprozess erfolgten Belehrung der Klägerin über ihre Mitwirkungspflicht und die Folgen einer Verletzung dieser Verpflichtung jegliche Folgewirkung und jeden verpflichtenden Charakter abzusprechen. Die Belehrung der Klägerin durch den Vorsitzenden des Senats habe eine Obliegenheit der Klägerin jedenfalls insoweit ausgelöst, als sie bei allfälligen Unklarheiten über Art und Umfang der Therapie zumindest hätte nachfragen müssen. Die Klägerin habe dadurch, dass sie sich weder um die Konkretisierung der Anordnung des vorsitzenden Richters bemüht noch irgendeine fachärztliche Untersuchung oder Behandlung in Anspruch genommen habe, gegen ihre Mitwirkungspflicht verstoßen. Das Erstgericht habe daher das über den 31. 12. 2008 hinausgehende Klagebegehren zu Recht abgewiesen.

Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:

1. Eine schuldhafte, also zumindest leicht fahrlässige Verletzung der Mitwirkungspflicht eines Versicherten, sich einer zumutbaren Heilbehandlung zu unterziehen, durch die seine - herabgesunkene - Arbeitsfähigkeit soweit gebessert werden könnte, dass Invalidität oder Berufsunfähigkeit nicht mehr vorliegt, führt nach ständiger Rechtsprechung dazu, dass ein Anspruch auf Gewährung bzw Weitergewährung einer Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit ab dem Zeitpunkt nicht besteht, zu dem die Heilbehandlung, wäre sie durchgeführt worden, zu einer Besserung des Zustands geführt hätte. Die schuldhafte Verletzung der Mitwirkungspflicht des Versicherten ist vom beklagten Sozialversicherungsträger zu behaupten und zu beweisen (10 ObS 88/07z = SSV-NF 21/59 mwN).

1.1 Nach der vom Berufungsgericht zutreffend zitierten jüngeren Rechtsprechung des erkennenden Senats hängt eine Pflicht des Versicherten zur Heilbehandlung generell von einem entsprechenden Verlangen des Versicherungsträgers ab. Stellt sich daher in einem gerichtlichen Verfahren aufgrund eines Sachverständigenbeweises heraus, dass ein Leidenszustand durch eine Heilbehandlung verbessert werden könnte, ist der Versicherte vom Versicherungsträger zur Mitwirkung aufzufordern. Dadurch soll auch für den Versicherten klargestellt werden, welche konkrete Heilbehandlung vom Versicherungsträger verlangt wird (vgl 10 ObS 134/07i = DRdA 2009/37, 392 [Schrammel]). Der Versicherte soll insbesondere nicht genötigt werden, das Prozessverhalten des Versicherungsträgers zu interpretieren oder daraus Schlüsse im Hinblick auf eine mögliche Mitwirkungspflicht zu ziehen. Der Versicherungsträger hat daher auch im Prozess ein ausdrückliches Verlangen zu stellen und darf sich nicht mit dem Hinweis begnügen, die Mitwirkungspflicht des Versicherten ergebe sich ohnehin aus dem Gutachten des Sachverständigen (Schrammel aaO 395).

1.2 Im vorliegenden Fall wurde im Vorprozess in der Tagsatzung am 13. 11. 2007 die Mitwirkungspflicht der Klägerin erörtert. Nach dem Protokoll dieser Tagsatzung wurde der Klägerin über Ersuchen des Beklagtenvertreters vom Vorsitzenden des Senats „die Mitwirkungspflicht auseinandergesetzt“. Nach den Feststellungen des Erstgerichts wurde die Klägerin dabei vom Vorsitzenden des Senats über Ersuchen der beklagten Partei im Rahmen der Vergleichsgespräche aufgefordert, sich einer psychiatrisch-fachärztlichen Behandlung zu unterziehen, andernfalls sie nicht mit einer Weitergewährung der Pensionsleistung nach Ablauf der Befristung rechnen könne. Es trifft zwar zu, dass ein Verhandlungsprotokoll gemäß § 215 Abs 1 ZPO ohne ausdrücklichen Widerspruch einer Partei vollen Beweis über den Verlauf und Inhalt der Verhandlung liefert. Bei den vom Erstgericht ergänzend zu dem Inhalt des Verhandlungsprotokolls getroffenen Feststellungen geht es jedoch entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht um die Frage der Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser die Rechtsbelehrung zusammenfassenden Protokollierung, sondern um den genauen Inhalt dieser Rechtsbelehrung der Klägerin durch den Vorsitzenden des Senats.

1.3 Ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichts über den konkreten Inhalt dieser Belehrung der Klägerin muss entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts vom Entstehen einer konkreten Mitwirkungspflicht der Klägerin in Form einer Verpflichtung zu einer fachärztlichen Behandlung durch einen Psychiater zur Besserung ihres damals ängstlich gefärbten und unbehandelten depressiven Zustandsbilds ausgegangen werden. Die Klägerin war aufgrund der in der Tagsatzung am 13. 11. 2007 vorliegenden Verfahrensergebnisse (schriftliches Gutachten des Sachverständigen Dr. Wilhelm W*****, mündliche Gutachtenserörterung, Erörterung ihrer Mitwirkungspflicht) in der Lage, die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit einer antidepressiven Behandlung zur Besserung ihres Gesundheitszustands zu erkennen. Soweit das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf deutsche Rechtsprechung und Literatur die Auffassung vertritt, das vom Leistungsträger an den Leistungsempfänger zu richtende „Verlangen“ müsse hinreichend bestimmt sein, also Art und Ziel, Ort, Beginn und Dauer der Heilbehandlung genau bezeichnen, ist dem entgegenzuhalten, dass das Verlangen der beklagten Partei, die Klägerin solle sich zur Behandlung ihres depressiven Zustandsbilds in die fachärztliche Behandlung eines Psychiaters begeben, ausreichend bestimmt war. Die konkrete Auswahl des Kassenarztes oblag gemäß dem Grundsatz der freien Arztwahl der Klägerin. Es wurde ebenfalls bereits mehrfach ausgesprochen, dass eine Versicherte ihre Duldungs- und Mitwirkungspflicht so lange nicht verletzen kann, als sie sich einer ärztlichen Behandlung unterzieht, die angeordnete Therapie durchführt und auf deren Zweckmäßigkeit aus ärztlicher Sicht vertraut (10 ObS 90/91 = SSV-NF 5/42 ua; RIS-Justiz RS0085035).

Demgegenüber trifft der deutsche Leistungsträger gemäß § 63 SGB I über das „ob“, „wie“ und „wann“ der Heilbehandlung eine Ermessensentscheidung, welche auch in einem eingeschränkten Umfang gerichtlich überprüfbar ist (vgl Seewald in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht § 63 SGB I Rz 11 f mwN). Die Aufforderung, sich einer Heilbehandlung zu unterziehen, wird in der deutschen Lehre daher teilweise auch als Verwaltungsakt verstanden, welcher die äußeren Umstände der Heilbehandlung festzulegen hat (vgl Hauck, SGB I 16. Lfg II/97 K § 63 Rz 12). Die deutsche Rechtslage ist somit insoweit nicht vergleichbar.

1.4 Auch der weiteren Ansicht des Berufungsgerichts, die Mitwirkungspflicht der Klägerin sei durch die über Ersuchen des Beklagtenvertreters durch den Vorsitzenden des Senats erfolgte Rechtsbelehrung nicht wirksam entstanden, weil die Aufforderung, sich einer bestimmten Behandlung zu unterziehen, allein ein Gestaltungsrecht des leistungspflichtigen Versicherungsträgers und somit allein von diesem wahrzunehmen sei, kann nicht gefolgt werden. Die für den Bereich des Sozialversicherungsrechts bestehenden Duldungs- und Mitwirkungspflichten bezüglich medizinischer Behandlungen werden in der Rechtsprechung auch aus den Bestimmungen über die Schadensminderungspflicht im Bereich des bürgerlichen Rechts abgeleitet, sodass die dazu in Lehre und Judikatur entwickelten Grundsätze als Richtlinien dienen können. Die gesetzliche Basis für die Pflicht des Geschädigten, den Schaden möglichst gering zu halten, ist nach herrschender Lehre und Rechtsprechung im § 1304 ABGB zu finden (10 ObS 213/00x = SSV-NF 14/100 ua; Reischauer in Rummel, ABGB³ § 1304 Rz 37 mwN). So wie die Schadensminderungspflicht nicht von Amts wegen sondern nur über Einrede des Schädigers wahrzunehmen ist und den Schädiger insoweit auch die Behauptungs- und Beweislast trifft (vgl Reischauer aaO § 1304 Rz 44 mwN), so ist auch die schuldhafte Verletzung der Mitwirkungspflicht des Versicherten im Sozialversicherungsrecht vom beklagten Versicherungsträger zu behaupten und zu beweisen (10 ObS 88/07z = SSV-NF 21/59 mwN). Auch eine Schadensminderungspflicht des Versicherten in Form der Duldung einer bestimmten Behandlung entsteht daher erst nach einer entsprechenden „Aufforderung“ durch den Versicherungsträger. Dabei macht es allerdings keinen Unterschied, ob dieses Verlangen vom Sozialversicherungsträger im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens oder eines gerichtlichen Verfahrens unmittelbar oder - wie im vorliegenden Fall - über Ersuchen des beklagten Versicherungsträgers im Wege über den Vorsitzenden des Senats gegenüber dem Versicherten erhoben wird. In beiden Fällen liegt ein entsprechendes Verlangen des Versicherungsträgers vor.

2. Die Nichtgewährung der Leistung wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht setzt nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats allerdings auch voraus, dass sich für den Versicherten aus den Gesamtumständen im Einzelfall eindeutig ergeben muss, dass die Missachtung des Verlangens des zuständigen Versicherungsträgers, die zumutbare Heilbehandlung auch durchzuführen, als Sanktion den Leistungsverlust nach sich zieht (vgl 10 ObS 188/04a = SSV-NF 20/13 ua). Nach den Feststellungen des Erstgerichts wurde die Klägerin in der Tagsatzung am 13. 11. 2007 ausdrücklich auf diese Rechtsfolge hingewiesen, wobei sie diese Rechtsbelehrung auch tatsächlich verstanden habe. Die Klägerin hat in ihrer Berufung, in der sie zwar formell nur den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend machte, inhaltlich auch eine Tatsachen- und Beweisrüge erhoben. Sie hat ausdrücklich die Richtigkeit der Feststellung des Erstgerichts, sie habe die Rechtsbelehrung verstanden, bekämpft und stattdessen unter Hinweis auf ihre Aussage und andere Beweisergebnisse die Feststellung begehrt, sie sei am 13. 11. 2007 aufgrund ihrer schweren Erkrankung nicht in der Lage gewesen, den Inhalt und die Bedeutung der Rechtsbelehrung zu verstehen. Da die Verletzung der Mitwirkungspflicht nach ständiger Rechtsprechung schuldhaft erfolgen muss (vgl zuletzt 10 ObS 210/09v) und das Berufungsgericht ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht die Behandlung dieser Tatsachenrüge unterlassen hat, ist dem Obersten Gerichtshof eine abschließende Entscheidung nicht möglich. Das Berufungsgericht wird daher nach Behandlung der Tatsachenrüge eine neuerliche Entscheidung unter Berücksichtigung der dargelegten Ausführungen zu treffen haben.

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