OGH 4Ob174/09f

OGH4Ob174/09f19.1.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Österreichischer Rechtsanwaltsverein, Wirtschaftliche Organisation der Rechtsanwälte Österreichs, *****, vertreten durch Dr. Heinz-Peter Wachter, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W***** N*****, vertreten durch Dr. Reinhard Kohlhofer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 30.000 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 5.000 EUR), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 3. Juni 2009, GZ 6 R 223/08y-16, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 29. September 2008, GZ 10 Cg 47/07h-12, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird

teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden teilweise abgeändert, sodass die Entscheidung - unter Einschluss des bestätigten Ausspruchs - insgesamt zu lauten hat:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, es im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs zu unterlassen, Opfer/Beteiligte von Unfällen mit Personenschaden unaufgefordert, insbesondere in der Rekonvaleszenzphase, gezielt anzuschreiben und ihre Dienste als Berater in Versicherungsangelegenheiten ‑ Schadensregulierung anzubieten, wenn in diesem Zusammenhang sinngemäß auch die Vertretung durch versierte Rechtsanwälte für Gerichtsverhandlungen erwähnt wird, die (gleichgültig ob der Angeschriebene rechtsschutzversichert ist oder nicht) zur Verfügung stünden.

2. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, es im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs zu unterlassen, Opfer/Beteiligte von Unfällen mit Personenschaden unaufgefordert, insbesondere in der Rekonvaleszenzphase, gezielt anzuschreiben und ihre Dienste als Berater in Versicherungsangelegenheiten- Schadensregulierung anzubieten, wenn a) die Daten des Angeschriebenen (Vorname, Nachname, Adresse) auf unlautere Weise, beispielsweise durch Bruch des Datenschutzgesetzes oder einer staatlich anerkannten Verschwiegenheitspflicht und/oder b) durch das gezielte Aufspüren der Adresse beschafft wurden, wird abgewiesen.

3. Die klagende Partei wird ermächtigt, den stattgebenden Teil dieses Urteils innerhalb von drei Monaten auf Kosten der beklagten Partei je in einer Wochentagsausgabe der Tageszeitung „Kurier“ und „Kronen Zeitung“ sowie in einer Ausgabe des „Österreichischen Anwaltsblatts“ unter Angabe der Parteien (im gesperrten und fetten Druck) sowie der Parteienvertreter zu veröffentlichen, wobei der Text zu umranden ist und auch der Kopf der Entscheidung und die Angabe des Gerichts, die Aktenzahl, das Datum der Entscheidung sowie der Name des Richters anzugeben ist.

4. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 186,50 EUR Barauslagen binnen 14 Tagen zu ersetzen; im Übrigen werden die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist eine Unternehmensvereinigung von Rechtsanwälten iSd § 14 UWG, zu deren satzungsmäßigen Aufgabenbereich unter anderem die Verfolgung von Unterlassungsansprüchen nach dem UWG fällt.

Der Beklagte übt selbstständig das Gewerbe der Beratung in Versicherungsangelegenheiten nach § 94 Z 77 GewO aus und verfügt über eine langjährige Berufserfahrung. Zum Berufsbild des Beraters in Versicherungsangelegenheiten gehört die Optimierung des Versicherungsschutzes des Auftraggebers und dessen Vertretung bei der Geltendmachung der Versicherungsleistung bzw des Schadenersatzanspruchs gegenüber dem Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer. Scheitert eine außergerichtliche Schadensregulierung, belehrt der Beklagte seine Klienten über die Möglichkeit der Einleitung gerichtlicher Schritte und die dafür notwendigen Voraussetzungen. Bei Bedarf empfiehlt er verschiedene, ihm bekannte und aus seiner Sicht auf Schadenersatzansprüche aus Verkehrsunfällen spezialisierte Rechtsanwälte, ohne aber mit einem Rechtsanwalt eine Vereinbarung über das Zuführen von Klienten geschlossen zu haben; auch bekommt er keine Zahlungen oder sonstigen Vorteile für solche Empfehlungen. Abgesehen von der Namensnennung gegenüber dem Klienten und der telefonischen Vorankündigung der Vorsprache des Klienten gegenüber dem Rechtsanwalt unternimmt der Beklagte keine weiteren Vermittlungshandlungen; ein allfälliger Bevollmächtigungsvertrag kommt direkt zwischen seinem Klienten und dem Rechtsanwalt zustande.

Seit vielen Jahren bewirbt der Beklagte gegenüber ihm unbekannten potentiellen Neukunden, insbesondere gegenüber Personen, von denen er erfahren hat, dass sie vor kurzem einen Unfall hatten, seine berufliche Tätigkeit durch einen Musterbrief mit gleichlautendem Inhalt, der jeweils nur durch den Namen des Adressaten und das Datum des Unfalls individualisiert ist und dem eine Antwortkarte beiliegt. Die angeschriebenen Personen sucht er nur dann auf, wenn diese ihm gegenüber ausdrücklich erklären, mit ihm in geschäftliche Beziehung treten zu wollen. Name und Adresse der Adressaten erlangt der Beklagte entweder durch seinen Bekannten- und Klientenkreis oder durch gezielte Recherche. Seine Ehefrau sammelt und liest in seinem Auftrag Unfallsberichte in verschiedenen Medien (vor allem in Lokal- und Tageszeitungen), in denen Personen mit Vornamen und Anfangsbuchstaben des Nachnamens, Herkunft und Ort des Geschehens genannt sind. Stehen einem Unfallopfer offensichtlich Schadenersatzansprüche zu und scheint dies wegen der Begrenztheit des in Frage kommenden Personenkreises (etwa weil der Name selten oder der Ort klein ist) aussichtsreich, versucht die Ehefrau des Beklagten mit dessen Wissen den vollen Namen und die Adresse der betroffenen Person zu ermitteln. Sie bedient sich dazu veröffentlichter Informationen in Telefonbüchern und Telefonverzeichnissen und zieht telefonische Erkundigungen bei ortsansässigen Personen ein. Bei entsprechendem Erfolg verfasst und versendet der Beklagte sodann - zumeist zwei bis drei Wochen nach Erscheinen des entsprechenden Zeitungsartikels - das Werbeschreiben. Weder der Beklagte noch seine Ehefrau erfragen die Daten von Unfallopfern bei Sicherheitsbehörden, Krankenhäusern, Versicherungen oder sonstigen Institutionen, die Zugang zu derartigen Daten haben könnten.

Am 14. 5. 2007 berichtete eine Zeitung sowohl in ihrer Print- als auch in der Online-Ausgabe vom unverschuldeten Motorradunfall eines „Johannes P. (37) aus Eisenerz“. Aufgrund dieses Artikels versuchte die Ehefrau des Beklagten am 4. 6. 2007, den Namen und die Anschrift des Unfallopfers zu ermitteln. Ihre Abfrage im Herold-Telefonbuch blieb erfolglos, weil im genannten Ort keine Person mit passenden Namensdaten eingetragen war. Die Ehefrau des Beklagten stieß aber auf einen Johann P*****, unter dessen Telefonnummer sie daraufhin telefonische Erkundigungen anstellte. Von ihrer Gesprächspartnerin, zufällig einer Nachbarin des gesuchten Unfallopfers, erfuhr sie den gewünschten Namen samt Adresse und versandte noch am selben Tag auf Geschäftspapier des Beklagten den Musterbrief mit folgendem Inhalt (Fettdruck im Original):

„Betrifft: Schmerzensgeld/Ihr Unfall vom 12. 05. 2007/ Sehr geehrter Herr P*****! Ihr persönliches Recht auf Information veranlasst mich, Ihnen zu schreiben. Ich bin darauf spezialisiert, Unfälle mit Personenschaden (gemäß § 94, Z. 76, GeWO., als Berater in Versicherungsangelegenheiten-Schadensregulierung) außergerichtlich zu bearbeiten, was den Vorteil einer raschen Erledigung ohne Prozessrisiko bringt. Das Honorar beträgt 15 % vom erreichten Betrag, ohne Erfolg ist die Bearbeitung kostenlos. Für alle Gerichtsverhandlungen stehen Ihnen versierte Rechtsanwälte zur Verfügung, ob Sie rechtsschutzversichert sind oder nicht. Es ist Ihr gutes Recht nicht nur ein Mindestschmerzengeld zu bekommen, sondern ein Höchstmaß an Schadenersatz, wobei es eine ganze Liste an verschiedenen berechtigten Ansprüchen gibt. Auch Sie haben das Recht auf eine gute spezialisierte Bearbeitung Ihres Unfalles. Wir vertreten Sie daher gerne in dieser Rechtsangelegenheit. mit den besten Wünschen einer guten Genesung [Unterschrift] P.S.: Gerne besuche ich Sie in den nächsten Tagen - die Beratung ist kostenlos.“ Der Beklagte versandte 2005 20 gleichartige Schreiben, 2006 11 Stück, 2007 9 Stück. Seit Abmahnung durch den klagenden Verein mit Schreiben vom 10. 12. 2007 versandte der Beklagte vorläufig kein derartiges Schreiben mehr.

Der klagende Verein erhob zuletzt folgendes Unterlassungsbegehren: „Der Beklagte ist schuldig, es im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs zu unterlassen,

a) Opfer/Beteiligte von Unfällen mit Personenschaden unaufgefordert, insbesondere in der Rekonvaleszenzphase, gezielt anzuschreiben und ihre Dienste als Berater in Versicherungsangelegenheiten- Schadensregulierung anzubieten,

aa) wenn die Daten des Angeschriebenen (Vorname, Nachname, Adresse) auf unlautere Weise (beispielsweise durch Bruch des Datenschutzgesetzes oder einer staatlich anerkannten Verschwiegenheitspflicht) oder

ab) durch das gezielte Aufspüren der Adresse beschafft wurden,

b) und/oder wenn in diesem Zusammenhang sinngemäß auch die Vertretung durch versierte Rechtsanwälte (gleichgültig, ob der Angeschriebene rechtsschutzversichert ist oder nicht) für Gerichtsverhandlungen, die zur Verfügung stehen würden, erwähnt wird.

Der Beklagte müsse sich aus nicht öffentlich zugänglichen Datenquellen Namen und Adresse des Adressaten beschafft haben, dies offensichtlich widerrechtlich unter Missbrauch des Datenschutzgesetzes oder Verletzung einer staatlich anerkannten Verschwiegenheitspflicht. Die Weitergabe von personenbezogenen Daten von Unfallopfern zu dem Zweck, sie mit der Werbung insbesondere für die Übernahme einer Vertretung zu belästigen, sei rechtswidrig. Das aktive Aufsuchen von Unfallopfern, also die Mandatakquisition unter Ausnützung einer Notlage, sei sittenwidrig; rekonvaleszente Personen bedürften der Ruhe. Das Anbieten von Vertretungstätigkeiten, ohne dass die angesprochenen Personen dies wollten, sei belästigend und unzumutbar. Zudem verschaffe sich der Beklagte dadurch einen Vorteil vor gesetzestreuen Mitbewerbern, indem er Unfallopfer anschreibe, bevor sich diese an den Rechtsanwalt ihres Vertrauens wenden könnten. Der Hinweis im Schreiben des Beklagten, wonach für alle Gerichtsverhandlungen versierte Rechtsanwälte zur Verfügung stünden, unabhängig davon, ob die angeschriebene Person rechtsschutzversichert sei oder nicht, sei irreführend, weil der Eindruck entstehe, dass der Beklagte für den Fall eines Gerichtsverfahrens entweder einen Rechtsanwalt zur Verfügung stelle oder aber den Kontakt zu einem Rechtsanwalt herstelle und diesem damit ein Mandat zuführe, sodass der Inhalt des Schreibens nicht der Wahrheit entspreche. Nach den RL-BA 1977 sei nicht nur dem Rechtsanwalt selbst, sondern auch einem Dritten für den Rechtsanwalt die Mandatakquisition unter Ausnützung einer Notlage verboten. Der Beklagte verhalte sich unlauter iSd § 1 UWG idF vor der Nov 2007 und wende eine aggressive Geschäftspraktik nach Z 26 Anhang UWG bzw § 1a UWG an; er verstoße auch gegen § 2 UWG.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Jeder Marktteilnehmer dürfe seine Leistungen anbieten und dafür auch Werbung machen. Weder verschaffe sich der Beklagte Namen und Adressen der Adressaten auf rechtswidrige Weise, noch belästige er Unfallopfer oder führe sie durch unrichtige Angaben in die Irre; auch beteilige er sich nicht an der Mandatsakquisition für Rechtsanwälte. Das beanstandete Verhalten sei weder sittenwidrig iSd UWG idF vor der Nov 2007, noch unlauter nach geltendem Recht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Dass der Beklagte auf unlautere Weise unter Bruch des Datenschutzgesetzes oder einer staatlich anerkannten Verschwiegenheitspflicht Daten über angeschriebene Personen erlangt habe, sei nicht erwiesen. Die Adressaten der Werbeschreiben seien in einem gewissen Maße (insbesondere in der Rekonvaleszenzphase) schutzbedürftige Opfer, jedoch seien die Schreiben nach ihrem Inhalt und dem zeitlichen Abstand zum Unfallsgeschehen nicht als grobe Belästigung oder unzumutbare Missachtung des Privatbereichs zu beurteilen. Der Beklagte ermittle die Adressen zwar gezielt, aber nicht durch den Bruch von Verschwiegenheitspflichten, weshalb sein Verhalten nicht unzulässig und - mangels hartnäckigen Werbens - auch nicht als aggressive Geschäftspraktik gem Z 26 Anhang UWG zu beurteilen sei. Dass das Schreiben versierte Rechtsanwälte erwähne, die für den Fall einer Gerichtsverhandlung unabhängig von einer Rechtsschutzversicherung zur Verfügung stünden, sei nicht unlauter, weil damit nur Anwälte empfohlen würden, ohne dass der Beklagte eine Gegenleistung erhalte. Auf eine Irreführung der Adressaten nehme das Unterlassungsbegehren nicht Bezug.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass es den Beklagten verpflichtete, es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, Opfer/Beteiligte von Unfällen mit Personenschaden unaufgefordert, insbesondere in der Rekonvaleszenzphase gezielt anzuschreiben und ihre Dienste als Berater in Versicherungsangelegenheiten-Schadensregulierung anzubieten, wenn die Daten des Angeschriebenen durch das gezielte Aufspüren der Adresse beschafft wurden und/oder wenn in diesem Zusammenhang sinngemäß auch die Vertretung durch versierte Rechtsanwälte, die zur Verfügung stehen würden (gleichgültig ob der Angeschriebene rechtsschutzversichert ist oder nicht) für Gerichtsverhandlungen, erwähnt wird; es ermächtigte weiters den klagenden Verein zur Urteilsveröffentlichung und wies das Unterlassungsmehrbegehren ab. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Dass der Beklagte Daten unter Verstoß gegen gesetzliche Verschwiegenheitspflichten und das Datenschutzgesetz ausgeforscht habe, stehe nicht fest; insoweit erweise sich das Klagebegehren als nicht berechtigt. Sittenwidrig im Sinne der Rechtslage vor der UWG‑Nov 2007 und unlauter nach § 1 UWG sei aber das gezielte Ausforschen der persönlichen Daten von Unfallopfern. Es sei dem Beklagten als gewerblicher Berater in Angelegenheiten der Schadensregulierung nicht schrankenlos erlaubt, auf Unfallopfer zuzugehen. Auch einmalige Werbeschreiben seien als Belästigung zu beurteilen, wenn besondere Umstände hinzuträten. Solches sei hier der Fall, weil der Beklagte durch seine Ehefrau mittels einer Telefonrecherche bei völlig unbeteiligten Personen die entsprechenden Personendaten erfragt habe. Damit habe er in detektivischer Weise persönliche, nicht öffentlich zugängliche Daten für Werbezwecke bei völlig unbeteiligten Personen in Erfahrung gebracht und unzulässig in die Privatsphäre der Adressaten eingegriffen. Dieses Verhalten müsse beim Empfänger zwangsläufig die Frage aufwerfen, auf welche Weise der Beklagte die ihm nicht zugänglichen Daten erlangt habe, was nicht selten Ärger und Unmut hervorrufen werde. Zwar sei nie zu vermeiden, dass gerade in kleineren Orten Unfälle Gesprächsstoff böten, jedoch sei es sittenwidrig und unlauter, solche Gespräche und Informationen dafür auszunützen, um an persönliche Daten von Unfallopfern zu gelangen. Auch ein einmaliges Werbeschreiben könne hartnäckig iS Z 26 Anhang UWG sein, weil dieses Schreiben besonders durch die Art und die Vorgangsweise bei der Erhebung der persönlichen Daten belästigend gewesen sei. Das Nachforschen bei Nachbarn und sonstigen dritten Personen mit dem Zweck, an Daten von Unfallopfern für Werbezwecke heranzukommen, sei als Hartnäckigkeit zu beurteilen. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Beklagte die Daten von Unfallopfern in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Unfall auszuforschen trachte und durch diese zeitliche Nähe einen Vorteil etwa vor Rechtsanwälten, denen die aktive Akquisition in dieser Situation verboten sei, oder vor anderen Schadensregulierungsberatern gewinne, die nicht auf solche Methoden zurückgriffen. Das vom Beklagten versendete Werbeschreiben sei auch irreführend, soweit es auf vom Beklagten zur Verfügung gestellte Rechtsanwälte hinweise. Das Schreiben erwecke nämlich den unrichtigen Eindruck, der Beklagte könne im Rahmen seiner Tätigkeit kostengünstig Rechtsanwälte zur Verfügung stellen, und diese Rechtsanwälte würden - ebenso wie der Beklagte - zu einem Erfolgshonorar tätig (was Rechtsanwälten nach § 879 ZPO verboten sei).

Rechtliche Beurteilung

Die

Revision ist zulässig und teilweise berechtigt.

1. Wurde das beanstandete Verhalten - wie hier - vor dem Inkrafttreten der UWG-Novelle 2007 gesetzt, so ist nach der Rechtsprechung des Senats für die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs sowohl die alte als auch die neue Rechtslage maßgebend. Ein Unterlassungsanspruch ist nur dann begründet, wenn das beanstandete Verhalten sowohl gegen das alte als auch gegen das neue Recht verstieß bzw verstößt (RIS-Justiz RS0123158).

2. Zum Vorwurf der Datenbeschaffung „auf unlautere Weise“ und/oder durch gezieltes Aufspüren

2.1.1. Die Anwerbung von Kunden durch hartnäckiges und unerwünschtes Ansprechen über Telefon, Fax, E-Mail oder sonstige für den Fernabsatz geeignete Medien, außer in Fällen und in den Grenzen, in denen ein solches Verhalten gesetzlich gerechtfertigt ist, um eine vertragliche Verpflichtung durchzusetzen, gilt gem § 1a Abs 3 UWG iVm Z 26 Anhang UWG jedenfalls als aggressive Geschäftspraktik.

2.1.2. Auch Briefe - obwohl in dieser Bestimmung nicht ausdrücklich genannt - sind geeignete Medien des Fernabsatzes nach Z 26 Anhang UWG (so auch Burgstaller in Wiebe/Kodek , UWG § 1a Anhang Rz 60; Duursma/Duursma-Kepplinger in Gumpoldsberger/Baumann , Ergänzungsband zum UWG-Kommentar Rz 89).

2.1.3. Uneinigkeit besteht im Schrifttum darüber, ob schon ein einmaliges Werbeschreiben hartnäckig sein könne. Während Handig (Sind unerbetene Werbeanrufe und E‑Mails noch unlauter? ÖBl 2008, 65, 67) den Tatbestand des „hartnäckigen Ansprechens“ nach Z 26 Anhang UWG nur in besonders gelagerten Einzelfällen schon beim erstmaligen Anrufen oder beim ersten E-Mail erfüllt sieht, wird weitaus überwiegend für eine hartnäckige Briefwerbung deren Wiederholung, also zumindest zwei Briefe, verlangt (so etwa Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm , UWG 27 § 7 Rz 115, der zur Erfüllung des Tatbestands weiters einen dem Werbenden erkennbaren Widerspruch des Adressaten verlangt; für das Erfordernis einer Wiederholung auch Burgstaller aaO § 1a Anhang Rz 51; Stuby , Unlautere Praktiken 78; Ubber in Harte/Henning UWG² § 7 Rz 68; Wiebe , JBl 2007, 69, 77).

2.1.4. Der Senat hält die undifferenzierte Beurteilung, schon ein einmaliges Werbeschreiben könne hartnäckig sein, für unzutreffend. Die vom Berufungsgericht in diesem Zusammenhang zitierte Rechtsprechung zum Eindringen mit getarnter Werbung in die Privatsphäre (4 Ob 59/00f) ist nicht einschlägig, weil sie sich auf eine (im Anlassfall nicht gegebene) Verletzung des § 16 ABGB stützt, und weil hier kein als Privatpost getarntes Werbeschreiben vorliegt. Hartnäckigkeit nach der hier auszulegenden Bestimmung verlangt nach zutreffender herrschender Auffassung vielmehr eine zumindest wiederholte Anwerbung. Dieses Erfordernis wird in der französischen Fassung der Richtlinie 2005/29/EG vom 11. 5. 2005 des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (RL-UGP) besonders deutlich, wo in Z 26 des Anhangs von „sollicitations répétées [wiederholt] et non souhaitées“ die Rede ist (engl: „persistent and unwanted solicitations“, abgedruckt bei Duursma/Duursma-Kepplinger aaO Rz 91).

2.1.5. Das hartnäckige Verhalten iSd Z 26 Anhang UWG muss im Übrigen gegenüber dem Adressaten des verwendeten Fernabsatz-Mediums gesetzt worden sein, der als Kunde Schutzobjekt der auszulegenden Bestimmung ist. Es ist daher methodisch verfehlt, wenn das Berufungsgericht die Hartnäckigkeit aus einem Verhalten des Beklagten gegenüber Dritten (hier: Anrufe bei Nachbarn oder sonstigen Informationsträgern) abzuleiten versucht, die nicht Adressaten der Werbung sind. Soweit sich der Kläger in diesem Zusammenhang darauf beruft, dass der Beklagte mit seinen Anrufen gegen § 107 TKG verstoße, übersieht er, dass diese Bestimmung nur Anrufe zu Werbezwecken ohne vorherige Einwilligung des Teilnehmers für unzulässig erklärt.

2.1.6. Der Tatbestand der Z 26 Anhang UWG erfordert im Übrigen kumulativ, dass das Ansprechen hartnäckig und unerwünscht erfolgt; von Letzterem kann hier keine Rede sein, weil der Adressat dem Beklagten weder vorbeugend („Robinson-Liste“) noch aus gegebenem Anlass eine weitere Kontaktaufnahme untersagt hat.

2.1.7. Zusammenfassend gilt daher: Der Tatbestand der Z 26 Anhang UWG kann auch durch Briefwerbung erfüllt werden. Er setzt zumindest zwei Briefe im selben Zusammenhang an denselben Adressaten und (kumulativ) einen dem Werbenden erkennbaren (vorbeugend oder aus gegebenem Anlass erklärten) Widerspruch des Adressaten voraus. Diese Voraussetzungen liegen im Anlassfall nicht vor.

2.2.1. Eine Geschäftspraktik gilt gem § 1a Abs 1 UWG als aggressiv, wenn sie geeignet ist, die Entscheidungs- oder Verhaltensfreiheit des Marktteilnehmers in Bezug auf das Produkt durch Belästigung, Nötigung oder durch unzulässige Beeinflussung wesentlich zu beeinträchtigen und ihn dazu zu veranlassen, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Mit dieser Bestimmung werden Art 8 und 9 RL-UGP umgesetzt. Als Unlauterkeitselemente kommen ua die Ausnutzung von Unglückssituationen oder anderen Umständen von solcher Schwere in Betracht, die das Urteilsvermögen des Verbrauchers beeinträchtigen, wobei dies dem Handelnden bewusst sein muss (Art 9 lit c RL-UGP).

2.2.2. Der nicht als Privatpost getarnte Brief enthält eine objektive Darstellung des (legalen) Tätigkeitsbereichs des Beklagten, für den er grundsätzlich werben darf. Darüber hinaus besteht für ein Unfallopfer grundsätzlich auch ein Informationsbedürfnis über die im Schreiben angebotenen Dienstleistungen des Beklagten (wie selbst die Revisionsbeantwortung zugesteht). Auch war der zeitliche Abstand zwischen dem Unfallgeschehen und dem Zugang des Briefes ausreichend groß, dass der Beklagte davon ausgehen durfte, der Adressat werde eine allenfalls gegebene unfallbedingte Ausnahmesituation bereits überstanden haben. Dass der Adressat durch den Unfall in seinem Urteilsvermögen beeinträchtigt worden wäre, diese Beeinträchtigung im Zeitpunkt des Zugangs des Werbeschreibens noch angedauert und der Beklagte hievon Kenntnis gehabt habe, hat der Kläger nicht behauptet; solches ist aus den Umständen auch nicht ersichtlich. Damit kann aber von einem „Überrumpeln“ des Adressaten durch den Werbebrief im Sinne eines lauterkeitswidrigen Angriffs auf die Entscheidungsfreiheit des Umworbenen in einer Notlage keine Rede sein.

2.2.3. Das vom klagenden Verein beanstandete Schreiben des Beklagten ist somit keine aggressive Geschäftspraktik iSd § 1a UWG, weil es nicht geeignet ist, die Entscheidungs- oder Verhaltensfreiheit des Adressaten, sich für oder gegen eine Kontaktaufnahme mit dem Beklagten zu entscheiden, wesentlich zu beeinträchtigen.

2.2.4. Inwieweit die Richtlinie für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs (RL-BA 1977) eine Mandatsakquisition unter Ausnutzung einer Notlage verbietet, muss hier nicht geprüft werden, weil der Beklagte weder Rechtsanwalt ist, noch an einer Mandatsakquisition für Rechtsanwälte beteiligt war.

2.3. Die vom Beklagten angewendete Methode der Datenbeschaffung bewirkt auch keine Unlauterkeit nach der Generalklausel des § 1 Abs 1 Z 2 UWG. Soweit der klagende Verein in diesem Zusammenhang (allein) einen Verstoß gegen § 107 TKG geltend macht, gilt auch hier - wie schon zuvor aufgezeigt -, dass diese Bestimmung nur Anrufe zu Werbezwecken ohne vorherige Einwilligung des Teilnehmers für unzulässig erklärt. Ein solches Verhalten ist dem Beklagten aber nicht vorzuwerfen. Das Unterlassungsbegehren ist daher unbegründet, soweit es sich auf den Vorwurf der Datenbeschaffung „auf unlautere Weise“ und/oder durch gezieltes Aufspüren stützt.

3. Zum Vorwurf der Irreführung

3.1. Sowohl nach der Rechtslage vor als auch nach der UWG-Nov 2007 ist beim Irreführungstatbestand zu prüfen, wie ein durchschnittlich informierter und verständiger Interessent für das Produkt, der eine dem Erwerb solcher Produkte angemessene Aufmerksamkeit aufwendet, die strittige Ankündigung versteht, ob dieses Verständnis den Tatsachen entspricht, und ob eine nach diesem Kriterium unrichtige Angabe geeignet ist, den Kaufinteressenten zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte (RIS-Justiz RS0123292).

3.2. Das Werbeschreiben des Beklagten enthält folgende Textpassage: „Für alle Gerichtsverhandlungen stehen Ihnen versierte Rechtsanwälte zur Verfügung, ob Sie rechtsschutzversichert sind oder nicht.“ Ein durchschnittlich informierter und verständiger Empfänger wird dies als Zusage auffassen, dass der Beklagte - unabhängig vom Bestehen einer Rechtsschutzversicherung - für die anwaltliche Vertretung seiner Klienten in Gerichtsverfahren sorgt, und dass dies Teil der vom Beklagten angebotenen Dienstleistungen ist; erwartet wird demnach eine umfassende Vertretung „aus einer Hand“.

3.3. Dieses Verständnis entspricht nicht den Tatsachen. Der Beklagte empfiehlt zwar im Falle des Bedarfs verschiedene, ihm bekannte und aus seiner Sicht auf Schadenersatzansprüche aus Verkehrsunfällen spezialisierte Rechtsanwälte, er hat aber mit keinem Rechtsanwalt eine Vereinbarung über das Zuführen von Klienten (und bekommt auch keine Zahlungen oder sonstigen Vorteile für solche Empfehlungen). Abgesehen von der Namensnennung gegenüber dem Klienten und der telefonischen Vorankündigung der Vorsprache des Klienten gegenüber dem Rechtsanwalt unternimmt der Beklagte auch keine weiteren Vermittlungshandlungen; ein allfälliger Bevollmächtigungsvertrag kommt direkt zwischen seinem Klienten und dem Rechtsanwalt zustande. Unter diesen Umständen sorgt der Beklagte - entgegen seiner Ankündigung - nicht im Rahmen seines eigenen Auftragsverhältnisses dafür, dass im Bedarfsfall ein Rechtsanwalt zur Verfügung steht, sondern er gibt lediglich eine mit Namensnennung verbundene Empfehlung gegenüber dem Klienten ab. Dies hat aber zur Folge, dass der Klient des Beklagten (entgegen der im Schreiben erweckten Erwartung) selbst den ihm empfohlenen Rechtsanwalt aufsuchen und mit diesem erst die rechtliche Grundlage einer Vertretung vereinbaren muss.

3.4. Die unrichtige Angabe ist auch geeignet, die Entscheidung von Unfallopfern für einen bestimmten Schadensregulierer zu Gunsten des Beklagten zu beeinflussen, weil dessen Dienstleistungsangebot dadurch vermeintlich attraktiver ist, dass es den unrichtigen Eindruck erweckt, auch die Beistellung eines Rechtsanwalts (zusätzlich zum nichtanwaltlichen Schadensberater) zu umfassen. Das Berufungsgericht hat dem auf Irreführung gestützten Unterlassungsbegehren daher im Ergebnis zu Recht stattgegeben.

4. Zur Ermächtigung auf Urteilsveröffentlichung enthält die Revision keine Ausführungen.

5. Die Kostenentscheidung ist in § 43 ZPO iVm § 50 Abs 1 ZPO begründet. Der Verfahrenserfolg war in seinem Ausmaß im Zweifel gleichteilig auszumessen, weshalb die Kosten gegeneinander aufzuheben waren. Die Pauschalgebühren hat jede der Parteien zur Hälfte zu tragen.

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