OGH 7Ob229/09s

OGH7Ob229/09s16.12.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Grohmann als weitere Richter in der Unterbringungssache des E***** L*****, vertreten durch die Patientenanwältin Mag. Marianne Litzenberger-Kamerhuber, pA Christian-Doppler-Klinik, 5020 Salzburg, Ignaz-Harrer-Straße 79, diese vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Kranken gegen den Beschluss des Landesgerichts Ried im Innkreis als Rekursgericht vom 25. August 2009, GZ 6 R 252/09i-12, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Braunau am Inn vom 10. Juli 2009, GZ 5 Ub 92/09h-5, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Die Revisionsrekursbeantwortung des Leiters der Klinik für Psychische Gesundheit in B***** wird zurückgewiesen.

2. Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

E***** L***** (im Folgenden entsprechend der gesetzlichen Diktion der Kranke genannt) wurde wegen Selbst- und Fremdgefährdung in die Klinik für Psychische Gesundheit in B***** (im Folgenden Klinik) aufgenommen. Die Entscheidung des Erstgerichts, diese Unterbringung vorläufig für zulässig zu erklären, blieb unbekämpft und ist daher in Rechtskraft erwachsen. Nunmehr hält sich der Kranke freiwillig stationär in der Klinik auf. Dem Erstgericht wurde am 21. 7. 2009 gemäß § 32 UbG vom Abteilungsleiter der Klinik mitgeteilt, dass die Unterbringung mit diesem Tag aufgehoben wurde.

Bei der im Rahmen der Erstanhörung am 10. 7. 2009 durchgeführten Verhandlung wurde von der Stationsärztin angegeben, dass der Kranke „ununterbrochen" telefoniere. Es wurde erörtert, dass kurz vor der Erstanhörung ein vom Kranken gewünschtes Telefonat mit einem Anwalt allerdings nicht möglich gewesen sei; dem Wunsch des Kranken, ihm Geld für den Münzautomaten zu wechseln, habe von seinem Betreuer kurzfristig (die Erstanhörung sei in einer halben Stunde angesetzt gewesen) nicht mehr entsprochen werden können.

Daraufhin stellte der Patientenanwalt den Antrag, die Beschränkung des Außenkontakts für unzulässig zu erklären; dem Kranken müsse jederzeit der Kontakt, etwa mit einem Anwalt, ermöglicht werden.

Das Erstgericht wies den Antrag auf Unzulässigerklärung der Beschränkung des Außenkontakts zurück. Es stellte noch fest, dass allen Patienten das Handy bei der Unterbringung abgenommen werde, der Außenkontakt per Telefon durch einen Münzapparat aber möglich sei. Der Kranke telefoniere im geschützten Bereich ununterbrochen. Am Tag der Erstanhörung sei er aufgrund seiner Frage, ob die Beiziehung eines gewählten Vertreters für die Erstanhörung möglich sei, von seinem Betreuer über die Patientenanwaltschaft aufgeklärt worden. Bereits nach 12:00 Uhr habe der Kranke den Betreuer gefragt, ob er ihm Geld für den Münzautomat wechseln könne, ohne dazu zu sagen, wen er anrufen habe wollen. Aufgrund der für 12:30 Uhr anberaumten Erstanhörung sei es dem Betreuer nicht mehr möglich gewesen, dem Kranken Kleingeld zum Telefonieren zu bringen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht dazu aus, die nur kurze Zeitspanne, in der dem Kranken kein telefonischer Außenkontakt möglich gewesen sei, sei mit einem auf gewisse Tageszeiten limitierten Besuchsverkehr vergleichbar, der ebenfalls nicht als unzulässige Beschränkung des Außenkontakts angesehen werde.

Das vom Kranken angerufene Rekursgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung. Da den Kranken ein Münzfernsprecher zur Verfügung stehe, stelle die - so wie bei allen Patienten der Klinik - erfolgte Abnahme des eigenen Mobiltelefons keine unzulässige Beschränkung des fernmündlichen Verkehrs mit der Außenwelt im Sinne des § 34 Abs 2 UbG dar. Der Einwand, die Kranken könnten auf diesem Münzfernsprecher nicht selbst angerufen werden, werde durch die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme durch einen telefonischen Anruf auf der Station entkräftet. Die von keiner Seite prinzipiell in Frage gestellte Freiheit des Verkehrs des Kranken mit anderen Personen und auch mit seinem Vertreter könne an gewissen faktischen Hindernissen ihre Grenze finden. Nach den festgestellten Umständen sei die Beurteilung des Erstgerichts, eine unzulässige Beschränkung des Außenkontakts habe nicht stattgefunden, zutreffend.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil der anhand der konkreten Gegebenheiten vorgenommenen Beurteilung, ob eine Verletzung des Verkehrs mit der Außenwelt gemäß § 34 UbG vorliegen könne, keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Patientenanwalts, der unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, die vorinstanzlichen Entscheidungen dahin abzuändern, dass festgestellt werden möge, dass die Einschränkung des Außenkontakts gemäß § 34 Abs 1 und 2 UbG unzulässig sei. Hilfsweise wird der Antrag gestellt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Rekursgericht die Fortsetzung des Verfahrens und die neuerliche Entscheidung aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Zu 1.: Der Revisionsrekurs und die Freistellung, eine Revisionsrekursbeantwortung zu erstatten, wurden dem ärztlichen Leiter der Klinik am 20. 11. 2009 zugestellt. Er hat seine „Revisionsbeantwortung" (richtig Revisionsrekursbeantwortung) jedoch erst am 14. 12. 2009 und somit nach Ablauf der vierzehntägigen Frist des § 66 Abs 1 AußStrG zur Post gegeben. Die verspätete Revisionsrekursbeantwortung ist zurückzuweisen. Die Einleitung eines Verbesserungsverfahrens im Hinblick darauf, dass die Revisionsrekursbeantwortung entgegen § 6 Abs 2 letzter Satz AußStrG in Verbindung mit § 12 Abs 2 UbG nicht von einem Rechtsanwalt oder Notar unterfertigt wurde (vgl 6 Ob 48/06m), erübrigt sich damit.

Zu 2.: Der außerordentliche Revisionsrekurs ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 71 Abs 1 AußStrG), zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung des in § 34 Abs 2 UbG normierten Rechts des Kranken, mit anderen Personen fernmündlich zu verkehren, fehlt. Das Rechtsmittel ist im Sinn des Aufhebungsantrags (Zurückweisung allerdings nicht an das Rekurs-, sondern an das Erstgericht) auch berechtigt.

Vorweg ist festzuhalten, dass allfällige (durch ein Verbesserungsverfahren zu beseitigende) Zweifel, ob die Patientenanwältin persönlich oder im Namen des Kranken eingeschritten ist, durch ein dem Obersten Gerichtshof am 11. 11. 2009 übermitteltes Fax ausgeräumt sind. Darin wird ausdrücklich klargestellt, dass der außerordentliche Revisionsrekurs der Patientenanwältin im Namen des Patienten erhoben wurde.

Vom Abteilungsleiter der Klinik wurde zwar inzwischen die Unterbringung des Kranken nach § 32 UbG aufgehoben (zur Aufhebung auf Initiative des Abteilungsleiters s. etwa Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts2 Rz 786 ff). Die Aufhebung der Unterbringung ändert aber nichts an der Verpflichtung der Gerichte, freiheitsbeschränkende Maßnahmen auch noch nachträglich zu überprüfen. In Fällen, in welchen der gerichtliche Beschluss - wie hier - das Grundrecht des Menschen auf persönliche Freiheit berührt, billigt die Rechtsprechung dem in diesem Recht Beeinträchtigten auch noch nach Aufhebung der Unterbringung ein rechtliches Interesse an der Feststellung zu, dass die freiheitsbeschränkende Vorkehrung zu Unrecht erfolgt sei (2 Ob 523/95 mwN; 7 Ob 186/06p; 2 Ob 12/05m ua; RIS-Justiz RS0071267). Die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts bleibt nach der Rechtsprechung auch nach Aufhebung der Unterbringung für Vertretungshandlungen bestehen, die sich auf Sachverhalte während der Unterbringung beziehen (6 Ob 238/99i SZ 73/13; Kopetzki aaO Rz 470 mwN).

Der Revisionsrekurs macht im Wesentlichen geltend, die (generelle) Abnahme des Mobiltelefons sei als Einschränkung des Rechts des Kranken auf fernmündlichen Verkehr mit anderen Personen zu qualifizieren. Ein Münzfernsprecher, den - wie hier - 12 Personen teilen müssten und bei dem daher längere Wartezeiten unvermeidbar seien, könne die Verwendung eines Mobiltelefons nicht ersetzen. Im vorliegenden Fall sei zudem die Kontaktaufnahme mit dem Vertreter des Kranken vor dessen Erstanhörung unmöglich gemacht und daher auch gegen § 34 Abs 1 UbG verstoßen worden. Eine die Einschränkung des Rechts des Kranken im Sinn des § 34 UbG alleine rechtfertigende Gesundheitsgefährdung sei nicht vorgelegen.

Der erkennende Senat hat dazu erwogen:

Das Recht des Kranken, mit anderen Personen zu telefonieren („fernmündlich zu verkehren"), darf nach § 34 Abs 2 UbG nur eingeschränkt werden, soweit dies zum Wohl des Kranken unerlässlich ist. Wie Kopetzki aaO, Rz 568 zutreffend ausführt, bedarf die unbestimmte Eingriffsermächtigung der genannten gesetzlichen Bestimmung zum Schutz des „Wohls" des Kranken im Hinblick auf die limitierten Eingriffsziele des Artikels 8 Abs 2 EMRK einer einschränkenden Auslegung: Demnach darf unter dem „Wohl des Kranken" nur das gesundheitliche Wohl verstanden werden, da ein anderes der in Artikel 8 Abs 2 EMRK genannten Rechtsgüter kaum in Frage kommen wird. Doch auch dieses gesundheitliche Wohl ist im Lichte des Artikels 1 Abs 4 PersFrG zusätzlich auf die Abwehr von krankheitsbedingten ernstlichen und erheblichen Gefährdungen der eigenen Gesundheit einzuengen, weil eine darüber hinausgehende Beschränkung des Telefonverkehrs dem Zweck der Anhaltung - das ist gemäß § 3 UbG die Gefahrenabwehr - nicht entspräche. Nicht zulässig sind daher zum Beispiel Einschränkungen aus disziplinären Gründen oder zum Schutz wirtschaftlicher Interessen des Kranken (Kopetzki aaO, Rz 569).

Steht Kranken, die kein eigenes Mobiltelefon besitzen, im geschlossenen Bereich ein Münzfernsprecher zur Verfügung, ist unter der Voraussetzung, dass in zumutbarer Zeit etwa auch für nötiges Kleingeld gesorgt wird, der telefonische Außenkontakt im Sinn des § 34 Abs 2 UbG ausreichend gewährleistet. Dass dabei - wie im vorliegenden Fall - kurzfristige Verzögerungen in Kauf zu nehmen sein müssen, weil die Möglichkeit der Kranken, jederzeit ein Telefonat zu führen, ähnlich wie die Ausübung des Besuchsrechts (wie das Rekursgericht unter Hinweis auf Hopf/Aigner, Unterbringungsgesetz, § 34 Fn 5 ausgeführt hat) „an gewissen faktischen Hindernissen ihre Grenze finden" kann, liegt auf der Hand. Dem Revisionsrekurswerber ist aber darin beizupflichten, dass ein Münzfernsprecher die Möglichkeiten eines Kranken, mit anderen Personen fernmündlich zu verkehren, nicht im gleichen Maße bietet, wie die Verwendung eines eigenen Mobiltelefons. Insofern wird daher das Recht des Kranken, mit anderen Personen zu telefonieren, durch die Abnahme des Mobiltelefons über ein unerlässliches Maß hinaus unnötig eingeschränkt. Diese Einschränkung wäre nur dann als gerechtfertigt anzusehen, wenn die Verwendung des Mobliltelefons nicht bloß aus Gründen der Disziplin und der Klinikordnung unterbunden würde, sondern weil dadurch Leben und Gesundheit des Kranken oder anderer Personen gefährdet wäre.

Eine spezifische Gesundheitsgefährdung des Kranken selbst wurde im vorliegenden Fall bislang von keiner Seite behauptet. Wie der Revisionsrekurswerber anmerkt, rechtfertigt das häufige Telefonieren („ununterbrochen") des Kranken allein eine solche Annahme noch nicht. Ungeklärt ist auch, ob sich die Verwendung von Mobiltelefonen im geschlossenen Klinikbereich nicht aus medizinisch-technischen Gründen verbietet: Bekanntlich ist etwa der Gebrauch von Mobiltelefonen in Intensivstationen etc verboten, weil dadurch lebenswichtige medizinische Geräte und Einrichtungen gestört werden könnten. Hinsichtlich dieser Problematik erweist sich das Verfahren noch als ergänzungsbedürftig: Nur wenn in diesem Sinn ein Gefährdungspotential gegeben wäre und deshalb etwa auch den Ärzten und dem Betreuungspersonal das Verwenden von Mobiltelefonen im geschlossenen Klinikbereich untersagt wäre, könnte dies die (generelle) Abnahme des Mobiltelefons rechtfertigen. Im Sinn des im Unterbringungsverfahren geltenden Untersuchungsgrundsatzes (Kopetzki aaO Rz 314) wird das Erstgericht daher diese Fragen mit den Beteiligten zu erörtern und zu klären haben, ob die Abnahme des Mobiltelefons aus vorrangigen Sicherheitsgründen geboten war oder aber dadurch, wie der Revisionsrekurswerber meint, das Recht des Kranken, mit anderen Personen zu telefonieren und insbesondere seinen Vertreter zu kontaktieren, über ein unerlässliches Maß hinaus und daher nach § 34 UbG unzulässig eingeschränkt wurde.

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