Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung
Der am 8. 8. 1961 geborene Kläger hat im Jahr 1983 einen Arbeitsunfall (Verkehrsunfall) erlitten und ist seither querschnittsgelähmt. Seit 1. 8. 1984 gewährt ihm die beklagte Partei eine unbefristete Berufsunfähigkeitspension (von 506 EUR brutto monatlich). Im Zeitpunkt der diesbezüglichen Antragstellung war ihm weder die Tätigkeit als Filialleiter noch eine Angestelltentätigkeit oder eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich. Sein Zustand hat sich seit dem Jahr 1984 nicht nennenswert verbessert. Aufgrund der besonderen, nicht allgemein üblichen Rücksichtnahme seiner Dienstgeberin (es handelte sich dabei um einen Einzelfall, dessen nähere Umstände detailliert festgestellt wurden) war er jedoch trotz seiner Behinderungen in der Lage, am 19. 11. 1984 seine Berufstätigkeit wieder aufzunehmen und bis zum 2. 7. 2007 auszuüben.
Am 31. 10. 2007 beantragte er die „Neuberechnung" seiner Berufsunfähigkeitspension, weil ihm nunmehr - aufgrund einer weiteren Verschlechterung seines Gesundheitszustands - die Ausübung einer Erwerbstätigkeit auch an behindertengerechten Arbeitsplätzen und mit Entgegenkommen des Dienstgebers nicht mehr möglich sei.
Mit Bescheid vom 6. 12. 2007 lehnte die beklagte Partei diesen Antrag ab. Der Kläger sei auch in der seit 1. 8. 1984 ausgeübten Tätigkeit als berufsunfähig anzusehen. Daher sei aufgrund dieser Erwerbstätigkeit während des Pensionsbezugs kein neuer Versicherungsfall gemäß § 271 Abs 3 iVm § 254 Abs 4 letzter Satz ASVG eingetreten.
Die dagegen erhobene, auf Gewährung „einer Berufsunfähigkeitspension aufgrund des Antrags vom 31. 10. 2007 im gesetzlichen Ausmaß" gerichtete Klage wiesen die Vorinstanzen ab. Gemäß Art VIII Abs 9 der 37. Nov zum ASVG idF der 41. Nov zum ASVG gelte § 254 ASVG auch für Bezieher der Berufsunfähigkeitspension, ohne dass ihnen Maßnahmen der Rehabilitation gewährt wurden, sofern der Versicherte während des Anspruchs auf diese Pension mindestens 36 Beitragsmonate der Pflichtversicherung durch eine Erwerbstätigkeit erworben habe und seine Arbeitsfähigkeit in dem von ihm nach dem Anfall dieser Pension ausgeübten Beruf infolge seines körperlichen oder geistigen Zustands auf weniger als die Hälfte desjenigen eines körperlich oder geistig gesunden Versicherten herabgesunken sei. Die Anwendung des § 254 Abs 4 ASVG setze aber voraus, dass der Versicherte nach Eintritt der Berufsunfähigkeit eine Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, in der er nicht berufsunfähig sei. Dies treffe auf den Kläger nicht zu: Da er seit 1984 seine Erwerbstätigkeit nur mit besonderem Entgegenkommen des Dienstgebers ausgeübt habe und als berufsunfähig anzusehen sei, komme § 271 Abs 3 ASVG iVm § 254 Abs 4 letzter Satz ASVG nicht zur Anwendung. Der Kläger könne aber die Gewährung einer neuen Berufsunfähigkeitspension (nicht ihrer Neuberechnung) beantragen, wobei die „geleisteten Versicherungszeiten" zu berücksichtigen wären und gemäß „§ 11 Abs 2 ASVG" (gemeint: § 100 Abs 2 ASVG) im Zuerkennungsfall die bisher bezogene Leistung erlöschen würde. Bedenken, die eine Befassung des Verfassungs- bzw des Europäischen Gerichtshofs rechtfertigen würden, oder Rechtsfragen von der in § 2 ASGG, § 502 Abs 1 ZPO genannten Qualität lägen nicht vor.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers die als Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung Folgendes geltend macht:
Der Kläger habe 23 Jahre lang Beiträge in die staatliche Pensionsversicherung eingezahlt, in der Erwartung, aus dieser nach Aufgabe seiner Dienstnehmertätigkeit eine Gegenleistung zu erhalten. Aufgrund der Tatsache, dass die beklagte Partei ihn nie als berufsfähig angesehen habe, seien dies „unnütz investierte Beträge" gewesen. Daher stelle sich die Frage der Verfassungsmäßigkeit. Der Kläger sei in seinem verfassungsmäßig gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung gemäß Art 7 B-VG verletzt, weil allein die Tatsache, dass er gewisse Freiheiten hatte (wie zB den WC-Besuch zu Hause), es nicht rechtfertige, daraus eine sachlich begründbare Differenzierung abzuleiten, wonach er - trotz geleisteter Beiträge - im Gegensatz zu anderen, nicht behinderten Personen, die ebenso Versicherungsbeiträge leisteten, keine Gegenleistung in Form einer höheren Berufsunfähigkeitspension erhalte. Außerdem sei er in seinem verfassungsmäßig gewährleisteten Recht auf Eigentumsschutz gemäß Art 5 StGG und Art 1 1. ZPEMRK verletzt, weil seinem Pensionsanspruch eine Leistung gegenüber stehe, nämlich die von 1984 bis 2007 geleisteten Pensionsbeiträge. Dem Berufungsgericht sei ein weiterer wesentlicher Irrtum unterlaufen, der eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung darstelle, wenn es ausführe, dass der Kläger die Möglichkeit habe, die Gewährung einer neuen Berufsunfähigkeitspension (nicht aber ihrer Neuberechnung) zu beantragen. Da der Kläger mit der vorliegenden Klage genau jene Berufungsunfähigkeitspension begehre, die ihm aufgrund seines Antrags vom 31. 10. 2007 im gesetzlichen Ausmaß zustehe, sei diese Rechtsansicht „sehr verwunderlich und widersprüchlich zum restlichen Urteil", bestätige doch das Berufungsgericht gleichzeitig die Klagsabweisung durch das Erstgericht.
Im vorliegenden Fall zieht der Kläger die Verfassungsmäßigkeit konkreter Bestimmungen des ASVG, nach denen sein Antrag auf „Neuberechnung der Invaliditätspension" abgelehnt wurde, gar nicht in Zweifel. Er beruft sich vielmehr - ganz allgemein - auf den Umstand, dass die an die staatliche Pensionsversicherung - in der Erwartung einer Gegenleistung - eingezahlten Beiträge (für 23 Jahre), „unnütz investierte Beträge" seien, weil ihn die beklagte Partei nie als berufsfähig angesehen habe. Dies verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art 7 B-VG, weil die Differenzierung zu seinen Lasten diskriminierend sei; er werde gemäß Art 5 StGG und Art 1 1. ZPEMRK in seinem - auch für den Pensionsanspruch geltenden - verfassungsmäßig gewährleisteten Recht auf Eigentumsschutz verletzt.
Dem ist Folgendes zu erwidern:
Der Senat hat zum Diskriminierungsverbot des Art 14 EMRK - nach Vorliegen des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs G 363/97 ua (zur Qualifikation des Anspruchs auf eine sozialversicherungsrechtliche Leistung als vermögenswertes Recht im Sinn des Art 1 1. ZPEMRK) - bereits wiederholt darauf hingewiesen (10 ObS 54/07z = SSV-NF 21/35 mwN),
dass der Verfassungsgerichtshof in seinem zitierten Erkenntnis weiter ausgeführt habe, dass es dem Gesetzgeber durch Art 14 EMRK keineswegs verwehrt sei, Voraussetzungen für den Erwerb oder den Umfang der Leistungsansprüche zu normieren und dabei nach sachlichen Kriterien zu differenzieren. Eine unterschiedliche Behandlung werde nach übereinstimmender Ansicht des Verfassungsgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl dazu ÖJZ 1996/37, 955 [MRK]) nur dann als diskriminierend im Sinn des Art 14 EMRK erachtet, wenn für sie „keine objektive und vernünftige Rechtfertigung erkennbar ist", dh, wenn sie kein „berechtigtes Ziel" verfolge oder wenn keine „vernünftige Verhältnismäßigkeitsbeziehung zwischen den eingesetzten Mitteln und dem verfolgten Ziel" bestehe. Außerdem verfügten die Vertragsstaaten über einen bestimmten Ermessensspielraum bei der Beurteilung, ob und in welchem Ausmaß Unterscheidungen in sonst ähnlichen Situationen eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigten (vgl SSV-NF 14/96 mwN; 10 ObS 347/01d; idS auch 10 ObS 34/06g = SSV-NF 20/21).
(Selbst) Art 14 EMRK verbietet somit nicht jegliche, sondern nur die diskriminierend unterschiedliche Behandlung. Eine Diskriminierung liegt vor, wenn Rechtssubjekte, die sich in ähnlicher Situation befinden, ohne objektive vernünftige Rechtfertigung ungleich behandelt werden - wenn also ein „legitimes Ziel" fehlt - und wenn das Mittel im Hinblick auf das angestrebte Ziel unverhältnismäßig ist (Mayer, B-VG4 [2007] Art 14 MRK I.1.; RIS-Justiz RS0124747; vgl auch 10 ObS 21/09z).
Dass diese Voraussetzungen hier erfüllt wären, wird in der außerordentlichen Revision, die sich allein auf das bereits zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs („im Anschluss an den EGMR, Gaygusuz, ÖJZ 1996, 955") beruft, aber nicht behauptet:
Der Kläger erachtet sich dadurch beschwert, dass er trotz geleisteter Beiträge im Gegensatz zu anderen, nicht behinderten Personen, die ebenso Versicherungsbeiträge leisteten, keine Gegenleistung in Form einer höheren Berufsunfähigkeitspension erhalte.
Beim Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit (aus diesem Versicherungsfall ist gemäß § 222 Abs 1 Z 2 lit b ASVG bei Berufsunfähigkeit die Berufsunfähigkeitspension aus der Pensionsversicherung der Angestellten zu gewähren) wird ganz allgemein nur das Risiko einer körperlich oder geistig bedingten Leistungsminderung ausgeglichen, die beim Kläger trotz Wiederaufnahme seiner Tätigkeit gar nicht (mehr) eintreten konnte, weil er weiterhin berufsunfähig war.
Demgemäß kann ein im Wesentlichen unveränderter körperlicher oder geistiger Zustand bei Leistungen aus den Versicherungsfällen geminderter Arbeitsfähigkeit nicht zum Eintritt des Versicherungsfalls führen. Mangels Eintritts eines (neuen) Versicherungsfalls (für dessen Feststellung § 223 Abs 1 Z 2 lit a ASVG entsprechend anzuwenden wäre, wobei der bisherige Anspruch auf Invaliditätspension gemäß § 100 Abs 2 ASVG erlöschen würde [Teschner/Widlar/Pöltner, ASVG, 95. Erg.-Lfg., 1298/33, § 254 Anm 6 aE]) hat der Kläger - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - auch nicht die Möglichkeit, die Gewährung einer „neuen Berufsunfähigkeitspension" zu beantragen. Wird somit eine Person, die - gemessen an den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts - außerstande ist, einer geregelten Beschäftigung nachzugehen, aus Entgegenkommen und mit besonderer Nachsicht des Dienstgebers gegen Entgelt beschäftigt, so wird sie zweifellos in die Pflichtversicherung einbezogen. Neben sonstigen sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen werden bei entsprechend langer Beschäftigung hieraus auch Pensionsansprüche aus dem Versicherungsfall des Alters resultieren. Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit hat jedoch - abgesehen vom Fall einer originären Minderung der Arbeitsfähigkeit iSd § 255 Abs 7 ASVG - zur Voraussetzung, dass eine zuvor bestandene Arbeitsfähigkeit, die zumindest die Hälfte der eines körperlich und geistig gesunden Versicherten erreicht haben muss, durch nachfolgende Entwicklungen beeinträchtigt wurde (vgl 10 ObS 44/87 = SSV-NF 1/33).
Eine unterschiedliche Behandlung des Klägers im Vergleich zu anderen Personen, die Pensionsbeiträge einzahlen, erfolgt dabei jedoch nicht; auch sie können nämlich nur unter der Voraussetzung, dass sich der körperliche oder geistige Zustand in einem für die Arbeitsfähigkeit wesentlichen Ausmaß verschlechtert, Leistungen aus den Versicherungsfällen geminderter Arbeitsfähigkeit beanspruchen. Ein Anspruch auf eine Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension besteht nämlich nur dann, wenn eine Person ursprünglich in der Lage war, eine bestimmte Tätigkeit auszuüben und zufolge einer negativen Veränderung des körperlichen oder geistigen Zustandes außerstande gesetzt wird, nunmehr einer geregelten Beschäftigung, zu der sie früher in der Lage war, nachzugehen (RIS-Justiz RS0084829; RS0085107; 10 ObS 34/06g = SSV-NF 20/21 mwN).
Dem Gesetzgeber ist es aber durch Art 14 EMRK - wie bereits ausgeführt - nicht verwehrt, Voraussetzungen für den Erwerb oder den Umfang der Leistungsansprüche zu normieren und dabei nach sachlichen Kriterien zu differenzieren (VfSlg 15.129), wobei die Entscheidung des Gesetzgebers, beim Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit nur das Risiko einer körperlich oder geistig bedingten Leistungsminderung auszugleichen, jedenfalls sachlich gerechtfertigt erscheint. Daher liegt entgegen der Ansicht des Klägers eine verbotene Diskriminierung nach Art 14 EMRK nicht vor (vgl auch 10 ObS 34/06g = SSV-NF 20/21 [wonach mangelnde Kenntnisse der deutschen Sprache nicht im Risikobereich der Pensionsversicherung liegen]). Gegen dieses Ergebnis bestehen aber auch insofern keine verfassungsrechtlichen Bedenken, als nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (vgl G 392, 398, 399/96 = VfSlg 14.802 ua) in der gesetzlichen Sozialversicherung nicht der Grundsatz der Äquivalenz von Beitragsleistung und Versicherungsleistung gilt, sondern auch in Kauf genommen werden muss, dass es in machen Fällen trotz Leistung von Pflichtbeiträgen (vorerst) zu keiner Versicherungsleistung kommt. Aus dieser Rechtsprechung folgerte der Verfassungsgerichtshof weiters, dass der Gesetzgeber auch nicht von Verfassungs wegen gehalten wäre, in solchen Fällen Beiträge zurückzuerstatten (vgl auch 10 ObS 2427/96a = DRdA 1998/14, 131 [Enzlberger] ua).
Da sich somit die vom Revisionswerber weiterhin vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken als nicht berechtigt erweisen, wird keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.
Die außerordentliche Revision des Klägers ist daher mangels erheblicher Rechtsfragen zurückzuweisen.
Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)