OGH 10ObS54/07z

OGH10ObS54/07z5.6.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Johann Schneller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef A*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Maximilian Schaffgotsch, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Ruhens der Invaliditätspension, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14. Februar 2007, GZ 7 Rs 194/06k-41, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits mehrfach mit der Frage der Verfassungskonformität des § 89 Abs 1 Z 1 ASVG und der gleichlautenden Ruhensbestimmung des § 58 Abs 1 Z 1 GSVG befasst und bereits in seinen Entscheidungen vom 17. 10. 1995, 10 ObS 190/95 (= DRdA 1996/44, 416 mit zust Anm von Birklbauer) und vom 9. 9. 1997, 10 ObS 238/97s (= SSV-NF 11/100) verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Ruhensbestimmung des § 58 Abs 1 Z 1 GSVG verworfen. Der Oberste Gerichtshof sah sich auch in der Folge ungeachtet des zwischenzeitig ergangenen Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 11. 3. 1998, G 363/97 ua (veröffentlicht in JBl 1998, 438 ua), zur Qualifikation des Anspruches auf eine sozialversicherungsrechtliche Leistung als vermögenswertes Recht im Sinn des Art 1 des 1. ZPEMRK zu einem Abgehen von seiner Auffassung nicht veranlasst (SSV-NF 14/96; 14/112; 10 ObS 347/01d; SSV-NF 16/59). Es wurde in diesen Entscheidungen insbesondere darauf hingewiesen, dass der Verfassungsgerichtshof in seinem zitierten Erkenntnis weiter ausgeführt hat, dass es dem Gesetzgeber durch Art 14 EMRK keineswegs verwehrt ist, Voraussetzungen für den Erwerb oder den Umfang der Leistungsansprüche zu normieren und dabei nach sachlichen Kriterien zu differenzieren. Eine unterschiedliche Behandlung wird nach übereinstimmender Ansicht des Verfassungsgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (vgl dazu ÖJZ 1996/37, 955 [MRK]) nur dann als diskriminierend im Sinn des Art 14 EMRK erachtet, wenn für sie „keine objektive und vernünftige Rechtfertigung erkennbar ist", dh, wenn sie kein „berechtigtes Ziel" verfolgt oder wenn keine „vernünftige Verhältnismäßigkeitsbeziehung zwischen den eingesetzten Mitteln und dem verfolgten Ziel" besteht. Außerdem verfügen die Vertragsstaaten über einen bestimmten Ermessensspielraum bei der Beurteilung, ob und in welchem Ausmaß Unterscheidungen in sonst ähnlichen Situationen eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen (vgl SSV-NF 14/96 mwN; 10 ObS 347/01d). Das Ziel der meisten Ruhensbestimmungen besteht darin, Leistungen dann nicht zu gewähren, wenn ein Sicherungsbedürfnis vorübergehend weggefallen ist. Der Grund für diesen Wegfall des Sicherungsbedürfnisses kann auch im Bezug einer anderen funktionsgleichen Leistung liegen, wodurch es zu einer gesamtwirtschaftlich nicht sinnvollen Mehrfachversorgung kommen kann. Der Anspruch auf die Leistung bleibt in diesem Fall bestehen, nur die Leistungspflicht wird für die Dauer des Ruhensgrundes sistiert. Es darf dabei nicht übersehen werden, dass die Finanzierung der Pensionsleistungen nicht ausschließlich über Beiträge, sondern zu einem maßgeblichen Teil aus öffentlichen Steuermitteln erfolgt und für die Dauer einer Strafhaft die Versorgung des Anspruchsberechtigten aus öffentlichen Mitteln in anderer Weise sichergestellt ist. Wenn ein Pensionist, dessen Leistungsanspruch wegen Verbüßung einer Freiheitsstrafe ruht, Angehörige hat, die im Fall des Todes des Versicherten Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen hätten, gebührt diesen Angehörigen gemäß § 89 Abs 5 ASVG - in der Reihenfolge Ehegatte, Kinder, Eltern, Geschwister - eine Pension in der Höhe der halben ruhenden Pension. Unter Berücksichtigung dieser Umstände überschreitet der Gesetzgeber nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes den ihm eingeräumten Gestaltungsspielraum nicht, wenn er für die Dauer der Verbüßung einer Freiheitsstrafe ein Ruhen des Pensionsanspruches vorsieht. Ein der Verfassung widersprechender (unverhältnismäßiger) Eingriff in das Eigentumsrecht ist bei dieser Sachlage nicht erkennbar (SSV-NF 14/96; 10 ObS 347/01d).

Es wird auch vom Kläger nicht in Abrede gestellt, dass es sich bei den von der öffentlichen Hand im Strafvollzug zur Verfügung gestellten Leistungen (wie insbesondere Verpflegung, Bekleidung und Unterbringung) um weitgehend funktionsgleiche Leistungen handelt, die von den Pensionisten üblicherweise aus ihrem - teilweise auch aus öffentlichen Geldern finanzierten - Pensionseinkommen bestritten werden. Dass die Verbüßung einer Freiheitsstrafe sowohl für den im aktiven Erwerbsleben stehenden Versicherten als auch für den Pensionsbezieher durch den Entfall des Erwerbseinkommens bzw der Pension regelmäßig mit finanziellen Nachteilen verbunden ist, liegt auf der Hand, macht aber die Regelung für sich allein noch nicht verfassungswidrig.

Soweit der Kläger eine sachlich nicht begründbare Ungleichbehandlung darin erblickt, dass nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (vgl DRdA 1996/44, 416 [Birklbauer]) während der Untersuchungshaft kein Ruhen von Pensionsansprüchen eintritt, auch wenn diese auf die Strafhaft angerechnet wird, so ist mit den Ausführungen von Birklbauer in der Anmerkung zu dieser Entscheidung zunächst darauf hinzuweisen, dass der Untersuchungshaft im Gegensatz zur Strafhaft der Strafcharakter fehlt, es auf Grund des mangelnden Strafcharakters für Untersuchungshäftlinge im Gegensatz zu Strafgefangenen (§ 44 StVG) keine Verpflichtung (§ 186 Abs 5 StPO) und in der Regel auch keine Möglichkeit zur Arbeitsleistung gibt, sodass zur Vermeidung einer Benachteiligung gegenüber Strafgefangenen ein Weiterbestehen des Pensionsanspruches für die Zeit der Untersuchungshaft auch sozial durchaus gerechtfertigt erscheint. Dem gegenüber erscheint das Ruhen des Pensionsanspruches während einer Strafhaft vertretbar, zumal für den Anspruchsberechtigten aus öffentlichen Mitteln in anderer Weise vorgesorgt wird und auch die Bedürfnisse von Angehörigen in der bereits beschriebenen Weise (§ 89 Abs 5 ASVG) befriedigt werden und selbst ein Strafgefangener, der alters- oder unfallbedingt nicht mehr arbeitsfähig ist, Geld für seine Bedürfnisse zur Verfügung erhält (§ 54 Abs 3 StVG). Die Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Strafhaft ändert auch aus strafrechtlichen Gesichtspunkten nichts am Charakter der Untersuchungshaft (Birklbauer aaO DRdA 1996, 418 f). Wie der Oberste Gerichtshof ebenfalls bereits wiederholt dargelegt hat, gebührt nach dem klaren Wortlaut des § 105 Abs 1 und 3 ASVG eine Sonderzahlung nur dann, wenn und insoweit in den betreffenden Monaten (April bzw September) ein Grundanspruch besteht. Die Sonderzahlungen stellen demnach keinen selbständigen Pensionsanspruch dar, sondern erhöhen die vorhandenen und gewährten Pensionsleistungen in Form dieser Sonderzahlungen und setzen daher den Bezug einer laufenden Leistung in diesen Monaten voraus. Der Gesetzgeber hat sich somit im Bereich des Sozialversicherungsrechtes für das Stichtags- und nicht für das Anwartschaftsprinzip entschieden (SSV-NF 16/42 mwN). Dass auch gegen diese Bestimmung des § 105 ASVG keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, hat der Oberste Gerichtshof ebenfalls bereits mehrfach ausgesprochen (SSV-NF 17/43; 16/42; 7/16 ua).

Da somit gegen die im gegenständlichen Fall maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen im Sinne der bereits vorliegenden ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, war die außerordentliche Revision des Klägers mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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