OGH 10Ob60/09k

OGH10Ob60/09k29.9.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Mario M*****, geboren am 26. Juni 1994, infolge Revisionsrekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 3. Juni 2009, GZ 43 R 346/09i-U-53, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 2. März 2009, GZ 1 P 129/06p-U-43, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Mit rechtskräftigem Beschluss vom 10. 2. 2009 (ON U-42) erhöhte das Erstgericht die Unterhaltsleistung für den Minderjährigen ab 1. 1. 2008 auf 290 EUR monatlich und wies gleichzeitig einen Antrag des Vaters auf Herabsetzung des Unterhalts ab. Es stellte fest, dass sich der einkommens- und vermögenslose Minderjährige in Pflege und Erziehung seiner Mutter befindet. Der Vater, der keine weiteren Sorgepflichten hat, erzielt als Wachorgan ein monatliches Durchschnittseinkommen inklusive anteiliger Sonderzahlungen in Höhe von 1.439 EUR netto. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, die maßgebende Bemessungsgrundlage betrage 1.439 EUR, weil weder die vom Vater geltend gemachten Lohnexekutionen noch die Ausgaben für Miete, Energiekosten, GIS-Gebühren die Unterhaltsbemessungsgrundlage schmälern könnten. Im Hinblick auf ein gegen den Vater beim Erstgericht anhängig gewesenes Schuldenregulierungsverfahren führte es weiters aus, dass der beantragte Unterhaltsbetrag innerhalb der Differenz zwischen den beiden Existenzminima nach § 291a EO und § 291b EO und somit in der Leistungsfähigkeit des Vaters liege.

Mit weiterem Beschluss vom 2. 3. 2009 (ON U-43) erhöhte das Erstgericht von Amts wegen den dem Minderjährigen mit Beschluss vom 21. 12. 2006 für die Zeit vom 1. 12. 2006 bis 30. 11. 2009 gewährten monatlichen Unterhaltsvorschuss in Höhe von 246 EUR ab 1. 1. 2008 auf 290 EUR monatlich. Es verwies in seiner Begründung daraufhin, dass die bisherige Unterhaltsverpflichtung mit rechtskräftigem und vollstreckbarem Beschluss vom 10. 2. 2009 (ON U-42) ab 1. 1. 2008 auf 290 EUR monatlich erhöht worden sei, weshalb gemäß § 19 Abs 2 UVG die Erhöhung mit dem auf das Wirksamwerden der Unterhaltserhöhung folgenden Monatsersten anzuordnen sei.

Gegen diesen Beschluss erhob der Bund, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, Rekurs mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass die Erhöhung der Vorschüsse ab 1. 2. 2009 ersatzlos zu entfallen habe.

Das Rekursgericht gab diesem Rekurs keine Folge. Es verwies insbesondere darauf, dass im Rekurs die Richtigkeit der dem Unterhaltserhöhungsbeschluss (ON U-42) zugrundegelegten Berechnung nach der sogenannten Differenzmethode, wonach der erhöhte Unterhaltsbetrag in der Differenz der Existenzminima nach den §§ 291a und 291b Abs 2 EO Deckung finden müsse, nicht bestritten werde. Demnach stehe dem unterhaltsberechtigten Minderjährigen nach jener Rechtsprechungslinie, welcher das Rekursgericht folge, auf jeden Fall ein monatlicher Unterhalt in der Höhe zu, wie er sich aufgrund einer Berechnung nach der dem letzten Unterhaltstitel zugrundegelegten Differenzmethode ergebe, auch wenn eine Unterhaltsbemessung nach der sogenannten Prozentsatzmethode wegen einer grundsätzlichen Abzugsfähigkeit der Zahlungsplanraten einen - im Rekurs ausdrücklich relevierten - geringeren Unterhaltsbetrag ergebe. Da auch nach dem Inhalt des Rekursvorbringens bei dem nicht weiter in Zweifel gezogenen anrechenbaren Durchschnittsnettoeinkommen des unterhaltspflichtigen Vaters der vom Erstgericht zuerkannte erhöhte monatliche Unterhaltsbetrag in der Differenz der beiden Existenzminima jedenfalls Deckung finde, sei der Rekurs nicht berechtigt.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs im Hinblick auf die zuletzt in der Entscheidung 9 Ob 74/07h näher dargestellte unterschiedliche Rechtsprechung zulässig sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass die Erhöhung der Vorschüsse ab 1. 2. 2009 ersatzlos zu entfallen hat. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Minderjährige, vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger, beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, dem Rechtsmittel keine Folge zu geben. Weitere Revisionsrekursbeantwortungen wurden nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Rechtsmittelwerber macht vor allem geltend, dass die von den Vorinstanzen vorgenommene Differenzberechnung nach Annahme des Zahlungsplans und Aufhebung des Schuldenregulierungsverfahrens nicht mehr von Bedeutung sei. Der im Schuldenregulierungsverfahren über das Vermögen des Vaters am 9. 12. 2008 angenommene Zahlungsplan sei mit der ersten Teilquote ab 10. 1. 2009 bestätigt worden. Ab dem diesem Tag folgenden Monatsersten, somit ab 1. 2. 2009, seien daher die Verbindlichkeiten aus dem Zahlungsplan von der Bemessungsgrundlage abzuziehen. Ausgehend von den sich aus der Insolvenzdatei ergebenden Gesamtverbindlichkeiten von 65.160,20 EUR und einem Zahlungsplan von 40 % bei 98 gleich hohen Raten ergebe sich eine Reduzierung der Bemessungsgrundlage von 1.439 EUR um 265 EUR monatlich auf 1.174 EUR. Unter Berücksichtigung des Altersfortschritts des Minderjährigen rechtfertige diese Bemessungsgrundlage ab 1. 2. 2009 nicht mehr die durch das Erstgericht beschlossene Erhöhung. Es bestünden daher insofern begründete Bedenken gegen die Höhe des Unterhaltstitels gemäß § 7 Abs 1 UVG.

Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:

Wie bereits das Rekursgericht zutreffend dargelegt hat, trägt die Bestimmung des § 19 Abs 2 UVG dem Gericht auf, die Unterhaltsvorschüsse (auch) von Amts wegen zu erhöhen, wenn der Unterhalt erhöht wird, ohne die Anpassung von weiteren Voraussetzungen abhängig zu machen. Daraus folgt aber nicht, dass die Vorschüsse unabhängig davon zu erhöhen wären, ob die Unterhaltspflicht noch besteht. Nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG hat das Gericht die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit in den Fällen der §§ 3 und 4 Z 1 UVG begründete Bedenken bestehen, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist. Diese Bestimmung ist auch im Verfahren nach § 19 UVG entsprechend anzuwenden (4 Ob 277/02t mwN = RIS-Justiz RS0117325; RS0105311).

In diesem Sinne ist nach der Rechtsprechung eine Erhöhung der Unterhaltsvorschüsse gemäß § 19 Abs 2 UVG nur vorzunehmen, wenn nicht begründete Bedenken bestehen, dass die im Titel festgesetzte Unterhaltspflicht zu hoch festgesetzt ist. Der Rechtsmittelwerber macht in diesem Zusammenhang geltend, dass sich die Unterhaltsbemessungsgrundlage aufgrund des im Zuge eines Schuldenregulierungsverfahrens abgeschlossenen Zahlungsplans ändere und die Zahlungsplanraten generell als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig seien. Es bestünden daher insofern begründete Bedenken gegen die Höhe des Unterhaltstitels im Sinn des § 7 Abs 1 UVG. Diese Ansicht wurde in jüngster Zeit auch von einzelnen Senaten des Obersten Gerichtshofs vertreten (vgl 1 Ob 86/04k = SZ 2004/77; 1 Ob 176/04w; 7 Ob 279/05p; 7 Ob 289/05h; 7 Ob 298/05g und 7 Ob 291/05b). Diese Rechtsprechungslinie, nach der Zahlungsplanraten generell als außergewöhnliche Ausgaben von der Unterhaltsbemessungsgrundlage abzugsfähig seien, stieß jedoch auf verbreitete Kritik sowohl im Schrifttum als auch auf Vorbehalte in der Judikatur anderer Senate des Obersten Gerichtshofs (vgl dazu die Literatur- und Judikaturübersicht in der Entscheidung 9 Ob 74/07h). In dieser erst jüngst ergangenen Entscheidung 9 Ob 74/07h (= EvBl 2009/80, 556 [zust Geroldinger] = EF-Z 2009/75, 103 [zust Gitschthaler] ua; vgl auch Simma, Zahlungsplan und Unterhaltsbemessung; Anmerkung zu OGH 9 Ob 74/07h in ZIK 2009/126, 76) wurde mit überzeugenden Argumenten dargelegt, warum an der zitierten Rechtsprechung, die eine generelle Abzugsfähigkeit der Zahlungsplanraten von der Unterhaltsbemessungsgrundlage bejahe, nicht festgehalten werden könne. Es sei insbesondere nicht einzusehen, warum ein Unterhaltsschuldner, der ohne Reduktion seiner Schulden durch ein Insolvenzverfahren Exekutionen ausgesetzt sei, ohne dadurch seine Unterhaltspflichten reduzieren zu können, gegenüber demjenigen ins Hintertreffen geraten solle, der durch eine Schuldenregulierung mit Zahlungsplan einerseits seine früheren, nicht beglichenen Unterhaltsschulden verringere und darüber hinaus noch wegen der Zahlungsplanraten eine weitere Reduktion der laufenden Unterhaltsschulden herbeiführen würde. Es sei insbesondere nicht überzeugend, dass auch diejenigen Schulden abzugsfähig sein sollten, die sonst zur Verminderung der Unterhaltsbemessungsgrundlage nicht geeignet seien. Abzugsfähig sollten daher nur jene Schulden(-teile) bleiben, die schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unterhaltsschuldners abzugsfähig gewesen seien und zwar in jenem Umfang, wie deren Relation zu anderen vom Zahlungsplan erfassten Schulden sei. Den generellen Erwägungen einer wirtschaftlichen Gesundung des Unterhaltsschuldners durch das Schuldenregulierungsverfahren mit Zahlungsplan seien insbesondere die überzeugenden Argumente von G. Kodek (Zak 2006/261, 146 ff) und Neumayr (FamZ 2006/2, 12) entgegenzuhalten, wonach hier ein „Sonderopfer" derjenigen erbracht werden müsste, welche Anspruch auf laufenden Unterhalt haben.

Der erkennende Senat schließt sich dieser in der Entscheidung 9 Ob 74/07h mit überzeugenden Argumenten dargelegten Rechtsansicht an, die auch von der weitaus überwiegenden Lehre geteilt wird (vgl dazu die bereits oben und in der Entscheidung 9 Ob 74/07h angeführten Literaturmeinungen). Der Senat lehnt daher die vom Rechtsmittelwerber angestrebte generelle Abzugsfähigkeit der Zahlungsplanraten von der Unterhaltsbemessungsgrundlage nach Aufhebung des Schuldenregulierungsverfahrens und eine damit verbundene Veränderung der Qualität der Schulden allein aufgrund der Tatsache des Schuldenregulierungsverfahrens ab (vgl auch 2 Ob 228/05a, 6 Ob 282/06y, 8 Ob 148/06g und 3 Ob 122/08z). Da somit die Abzugsfähigkeit der Schulden nicht dadurch verändert werden kann, dass über das Vermögen des Unterhaltsschuldners ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, sind Schulden, die vor Konkurseröffnung oder Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens bei der Unterhaltsbemessung abzugsfähig waren, auch nach Konkursaufhebung oder Aufhebung des Schuldenregulierungsverfahrens in jenem Umfang, wie deren Relation zu anderen vom Zahlungsplan erfassten Schulden ist, zu berücksichtigen. Bei den Zahlungsplanraten hängt die Beurteilung der Abzugsfähigkeit somit davon ab, welche Schulden diesen tatsächlich zugrundeliegen.

Wie der Oberste Gerichtshof aus der öffentlichen und für jedermann abrufbaren Insolvenzdatei erhoben hat, ist das Schuldenregulierungsverfahren über das Vermögen des Vaters bereits am 5. 1. 2009 zufolge des am 9. 12. 2008 angenommenen Zahlungsplans rechtskräftig aufgehoben worden. Mit Rechtskraft dieser Aufhebung fielen die mit diesem Verfahren verbundenen Beschränkungen der Rechtsstellung des Schuldners weg; er wurde wieder voll verfügungsfähig. Nach Aufhebung eines Schuldenregulierungsverfahrens gelten daher auch für die Unterhaltsbemessung die allgemeinen Regelungen grundsätzlich wieder uneingeschränkt (vgl 7 Ob 291/05b). Eine Berücksichtigung der vom Vater nach dem angenommenen Zahlungsplan ab 10. 1. 2009 zu leistenden Raten käme daher nach der vom erkennenden Senat vertretenen Ansicht nur insoweit in Betracht, als die Zahlungsplanraten auf bereits vor der Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens aus berücksichtigungs- würdigen Gründen abzugsfähige Schulden zurückzuführen wären. Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist im vorliegenden Fall die Frage zu beurteilen, ob begründete Bedenken im Sinn des § 7 Abs 1 Z 1 UVG bestehen, dass die im Titel festgesetzte Unterhaltspflicht zu hoch festgesetzt ist. Bei dieser von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung der Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Z 1 UVG ist nach ständiger Rechtsprechung ein strenger Maßstab anzulegen. Die Bedenken müssen insofern eine spezielle Qualität aufweisen, als eine hohe Wahrscheinlichkeit für die materielle Unrichtigkeit der titelmäßigen Unterhaltsfestsetzung bestehen muss. Eine „non liquet"-Situation in Bezug auf die genannten Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Z 1 UVG geht zu Lasten des vorschussgewährenden Bundes, indem eben begründete Bedenken nicht bejaht werden können. Begründete Bedenken müssen überdies offenkundig oder aus der Aktenlage bescheinigt sein. Weitwendige Erhebungen zur Klärung begründeter Bedenken sind nicht zu führen (Neumayr in Schwimann, ABGB3 § 7 UVG Rz 4 ff mwN).

Soweit der Rechtsmittelwerber in diesem Zusammenhang geltend macht, es hätte - ausgehend von der in 9 Ob 74/07h vertretenen Rechtsansicht - im vorliegenden Fall noch geprüft werden müssen, ob und in welchem Umfang vom Zahlungsplan allenfalls abzugsfähige Schulden umfasst seien, ist darauf hinzuweisen, dass vom Vater im Unterhaltsfestsetzungsverfahren solche abzugsfähigen Schulden nicht geltend gemacht wurden und sich auch aus der sonstigen Aktenlage keinerlei Hinweise auf das Bestehen solcher abzugsfähigen Schulden ergeben. Der Abschluss eines Zahlungsplans ist für sich allein aber ebenfalls nicht geeignet, Bedenken am Bestehen der Unterhaltspflicht im Sinn des § 7 Abs 1 UVG hervorzurufen (9 Ob 74/07h). Bloße Zweifel, wie sie der Rechtsmittelwerber gegen die Vorschusserhöhung geltend gemacht hat, sind in keinem Stadium hinreichend Anlass für Erhebungen, ob und wie weit der Unterhaltstitel im Sinn des § 7 Abs 1 Z 1 UVG unbedenklich ist. Es ist daher Sache des Präsidenten des Oberlandesgerichts, unter Anführung entsprechender konkreter Umstände für das Vorliegen abzugsfähiger Schulden gegebenenfalls einen Herabsetzungs- oder Einstellungsantrag im Sinne der §§ 19 f UVG zu stellen.

Der Revisionsrekurs erweist sich somit als nicht berechtigt.

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