OGH 10ObS143/09s

OGH10ObS143/09s8.9.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Christa Brezna (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Gerda Höhrhan-Weiguni (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Barbara H*****, vertreten durch Dr. Walter Riedel, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, 4021 Linz, Gruberstraße 77, wegen Rückforderung (Streitwert 5.657,50 EUR), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. September 2008, GZ 12 Rs 77/08t-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 25. April 2008, GZ 10 Cgs 80/08z-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Das Revisionsverfahren wird von Amts wegen fortgesetzt.

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin bezog von der beklagten Partei für ihre am 8. 9. 2000 geborene Tochter Katharina für den Zeitraum vom 1. 1. 2002 bis 31. 12. 2002 Karenzgeld in Höhe von 5.303,45 EUR sowie einen Zuschlag zum Karenzgeld in Höhe von 354,05 EUR. Sie ist Hauptschullehrerin und hatte für das Schuljahr 2001/02 eine Lehrverpflichtung von 11 Wochenstunden und für das Schuljahr 2002/03 eine von 12 Wochenstunden. Für ihre Tätigkeit als Hauptschullehrerin bezog sie vom Land Oberösterreich im Jahr 2002 insgesamt 12.177,29 EUR an steuerpflichtigen Bezügen. Ihre Werbungskosten für das Jahr 2002 betrugen 473,54 EUR.

Mit Bescheid vom 30. 1. 2008 widerrief die beklagte Partei die Zuerkennung des Karenzgeldes und des Zuschlags zum Karenzgeld für das Jahr 2002 und verpflichtete die Klägerin zum Rückersatz von insgesamt 5.657,50 EUR binnen vier Wochen. Die beklagte Partei begründete die auf § 39 KGG iVm § 31 KBGG gestützte Rückforderung im Wesentlichen damit, dass der maßgebliche Gesamtbetrag der Einkünfte gemäß § 8 KBGG in der Höhe von 15.214,88 EUR den für das Jahr 2002 geltenden Grenzbetrag gemäß § 2 Abs 6 KGG iVm § 2 Abs 1 Z 3 KBGG von 14.600 EUR überschritten habe, sodass die Klägerin zur Rückzahlung der von ihr zu Unrecht empfangenen Leistungen verpflichtet sei.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin rechtzeitig Klage mit dem Begehren, es werde festgestellt, „dass das Karenzgeld für den Zeitraum vom 1. 1. 2002 bis 31. 12. 2002 zu Recht zuerkannt wurde und dass keine Verpflichtung zum Ersatz des in diesem Zeitraum bezogenen Karenzgeldes besteht". Sie brachte im Wesentlichen vor, die herabgesetzte Lehrverpflichtung auf 11 bzw 12 Wochenstunden hätte zu keiner Überschreitung der Zuverdienstgrenze geführt. Nach Weisung des Landesschulrates für Oberösterreich habe sie allerdings im September 2002 für drei Tage eine volle Lehrverpflichtung unterrichten müssen. Weiters seien bei den Pflichtschullehrern die ersten zehn Supplierstunden pro Monat unbezahlt, sodass auch die 13 in den Monaten Jänner, März, Oktober und November 2002 ausbezahlten Überstunden unvorhersehbar gewesen seien. Im Übrigen gelangten solche Mehrdienstleistungen üblicherweise erst 5 bis 6 Monate später zur Auszahlung, sodass eine solche nicht vor Jänner 2003 zu erwarten gewesen sei. Da die Zuverdienstgrenze für das Jahr 2002 von der Klägerin nur um 614,88 EUR überschritten worden sei, liege jedenfalls ein Härtefall im Sinn der KBGG-Härtefälle-Verordnung vor. Weiters machte die Klägerin verfassungsrechtliche Bedenken gegen die maßgebenden Bestimmungen des § 2 Abs 1 Z 3 iVm § 8 KBGG geltend.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, ein Härtefall im Sinn des § 1 lit a der KBGG-Härtefälle-Verordnung liege nicht vor, weil die geringfügige Überschreitung der Zuverdienstgrenze für die Klägerin nicht unvorhersehbar gewesen sei. Eine Entscheidung über Ratengewährung, Stundung oder Verzicht nach § 1 lit b der KBGG-Härtefälle-Verordnung durch die beklagte Partei könne erst dann erfolgen, wenn die Entscheidung über die Rückforderungsverpflichtung in Rechtskraft erwachsen sei. Im Übrigen unterliege diese Ermessensentscheidung des Sozialversicherungsträgers nicht der Überprüfung durch die Arbeits- und Sozialgerichte.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im Wesentlichen noch fest, dass die Klägerin im Jahr 2002 zu ihrer vereinbarten Lehrverpflichtung noch zusätzliche Supplierstunden leisten musste und sie außerdem für insgesamt drei Tage das Gehalt für eine volle Lehrverpflichtung (21 Stunden wöchentlich) erhalten hat. Aus welchem Grund die Klägerin für drei Tage das volle Gehalt bekommen habe, war nicht mehr feststellbar. Es konnte auch nicht festgestellt werden, ob bei der Klägerin 2002 Supplierstunden auf einem üblichen durchschnittlichen Niveau angefallen sind oder ob besonders viele Supplierstunden zu halten waren, mit denen sie nicht gerechnet hat.

In seiner rechtlichen Beurteilung folgte das Erstgericht den Berechnungen der beklagten Partei und gelangte zu einer Überschreitung der Zuverdienstgrenze für das Jahr 2002 um insgesamt 614,88 EUR. Es handle sich dabei zwar um eine bloß geringfügige Überschreitung der Zuverdienstgrenze im Sinn des § 1 lit a der KBGG-Härtefälle-Verordnung, es liege aber kein Härtefall im Sinn dieser Bestimmung vor, weil die Überschreitung für die Klägerin nicht unvorhersehbar gewesen sei. In Hinsicht auf die Supplierstunden könne erst dann von einer unvorhersehbaren Überschreitung gesprochen werden, wenn diese - aus welchen Gründen auch immer - in einem nicht „erworbenen" deutlich überdurchschnittlichen Ausmaß anfielen. Supplierstunden in einem üblichen Ausmaß würden bei einer Lehrertätigkeit immer wieder anfallen und könnten daher nicht als unvorhersehbar angesehen werden. Selbst wenn - wie die Klägerin behaupte - im Jänner und März 2002 je zwei bezahlte Überstunden, im Oktober 2002 vier bezahlte Überstunden und im November 2002 fünf bezahlte Überstunden angefallen seien, könne man selbst unter Berücksichtigung, dass die ersten zehn Supplierstunden pro Monat unbezahlt blieben und lediglich eine 11 bis 12-stündige Lehrverpflichtung der Klägerin bestanden habe, noch nicht davon ausgehen, dass damit die Supplier- bzw Überstunden ein unvorhersehbares Ausmaß erreicht hätten. Da im Schulbetrieb immer wieder Supplierstunden anfielen, könne insbesondere bei dem von der Klägerin behaupteten Ausmaß nicht davon ausgegangen werden, dass diese allgemein oder für die Klägerin konkret unvorhersehbar gewesen wären. Es sei auch zu berücksichtigen, dass die von der Klägerin behaupteten insgesamt 13 Überstunden zur Überschreitung der Zuverdienstgrenze geführt haben müssten, „was bei einer rein zahlenmäßigen Betrachtung unwahrscheinlich erscheine". In Hinsicht der drei bezahlten Tage mit einer vollen Lehrverpflichtung stehe nicht fest, warum diese drei Tage geleistet und/oder bezahlt worden seien, sodass ein Rückschluss auf eine allfällige Unvorhersehbarkeit nicht möglich sei. Angesichts der näher festgestellten Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin sei eine Rückforderung auch nicht unbillig im Sinne der KBGG-Härtefälle-Verordnung.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Die Rückzahlungsverpflichtung sei von der beklagten Partei zu Recht ausgesprochen worden, weil rückwirkend festgestellt worden sei, dass die Klägerin, wenn auch ohne ihr Verschulden, aufgrund ihres nach § 8 KBGG ermittelten unselbständigen Erwerbseinkommens von 15.214,88 EUR die Zuverdienstgrenze des § 2 Abs 1 Z 3 KBGG von damals 14.600 EUR überschritten habe. Die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge sei gemäß § 31 Abs 2 KBGG von subjektiven Momenten unabhängig und allein an die Voraussetzung des Fehlens der Anspruchsvoraussetzungen für den Leistungsbezug geknüpft. Ob ein Härtefall im Sinn des § 31 Abs 4 KBGG iVm der KBGG-Härtefalle-Verordnung vorliege, könne vom Krankenversicherungsträger erst überprüft werden, wenn die der Rückforderung zugrundeliegende Entscheidung in Rechtskraft erwachsen sei. Da das Erstgericht - von der beklagten Partei unbekämpft - keine Verpflichtung der Klägerin zum Rückersatz der zu Unrecht bezogenen Leistung ausgesprochen habe, könne die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Ratengewährung gemäß § 89 Abs 4 ASGG im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Fragen, ob eine Entscheidung im Sinn des § 31 Abs 4 KBGG erst nach Rechtskraft der Entscheidung über die Rückersatzverpflichtung zu erfolgen habe und eine Verletzung der Verpflichtung zur Auferlegung des Rückersatzes nach § 89 Abs 4 ASGG durch das Erstgericht nur über entsprechende Rüge der beklagten Partei vom Berufungsgericht aufgegriffen werden könne, fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom 27. 1. 2009, 10 ObS 170/08k, die Revision der Klägerin schon deshalb, weil Bedenken gegen die Verfassungskonformität präjudizieller Bestimmungen (§ 2 Abs 1 Z 3, § 8 und § 31 Abs 2 zweiter SatzKBGG in der hier anzuwendenden Fassung) bestanden haben, für zulässig angesehen und beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 89 Abs 2 B-VG einen entsprechenden Gesetzesprüfungsantrag gestellt. Mit der Fortführung des Revisionsverfahrens wurde gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innegehalten. Der Verfassungsgerichtshof wies mit seinem Erkenntnis vom 16. 6. 2009, G 34/09-6, unter anderem diesen Gesetzesprüfungsantrag zurück, weil er bereits mit Erkenntnis vom 26. 2. 2009, G 128/08 ua, dieselben Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der oben angeführten Bestimmungen als unbegründet abgewiesen habe, weshalb entschiedene Sache vorliege.

Nach Zustellung dieses Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs ist das Revisionsverfahren von Amts wegen fortzusetzen.

Im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs erweisen sich die von der Revisionswerberin gegen die maßgebende Gesetzeslage vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken als nicht berechtigt.

Gemäß § 31 Abs 2 zweiter Satz KBGG ist der Empfänger einer Leistung nach dem KBGG zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sich ohne dessen Verschulden aufgrund des von der Abgabenbehörde an die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse übermittelten Gesamtbetrags der Einkünfte ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührt hat. Da die Klägerin durch die von ihr im Jahr 2002 erzielten und gemäß § 8 KBGG maßgeblichen Einkünfte in Höhe von 15.214,88 EUR die Zuverdienstgrenze für den Anspruch auf Karenzgeld (14.600 EUR) überschritten hat, ist die grundsätzlich zur Rückzahlung der empfangenen Leistungen an die beklagte Partei verpflichtet.

Die Klägerin macht in ihrem Rechtsmittel dazu unter anderem geltend, dass ein Härtefall im Sinn der KBGG-Härtefälle-Verordnung vorliege. Sie wendet sich insbesondere gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach über die Frage, ob ein Härtefall im Sinn dieser Verordnung vorliege, nicht vom Gericht entschieden werden könne. Vielmehr seien die Gerichte verpflichtet, das Vorliegen eines sogenannten Härtefalls zu überprüfen.

Hierzu wurde erwogen:

Der gemäß § 39 KGG hier anzuwendende § 31 Abs 4 KBGG in der Stammfassung (BGBl I 2001/103) sieht unter anderem vor, dass der Krankenversicherungsträger bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände (Härtefälle) insbesondere in Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Empfängers,

1. die Erstattung des zu Unrecht bezahlten Betrags in Teilbeträgen (Ratenzahlungen) zulassen,

2. die Rückforderung stunden,

3. auf die Rückforderung verzichten kann. Der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen durch Verordnung die Kriterien für Härtefälle sowie Art und Weise der Rückforderung festzulegen.

Nach § 1 der KBGG-Härtefälle-Verordnung (BGBl II 2001/405) gelten in Bezug auf die Einkommensgrenze als Härtefälle:

a) Fälle einer geringfügigen, unvorhersehbaren Überschreitung der Zuverdienstgrenze. Eine geringfügige, unvorhersehbare Überschreitung liegt nur dann vor, wenn die Grenzbeträge gemäß den §§ 2 Abs 1 Z 3 und 9 Abs 3 KBGG um nicht mehr als 10 % überstiegen werden. In solch einem Fall ist auf die Rückforderung zu verzichten.

b) Fälle, in denen die Voraussetzungen für eine Rückforderung dem Grunde nach erfüllt sind, jedoch aufgrund der individuellen Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des/der Verpflichteten eine Rückforderung ganz oder teilweise oder zum gegebenen Zeitpunkt als unbillig erscheint.

Seit der Änderung der KBGG-Härtefälle-Verordnung durch die Verordnung des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen, ausgegeben am 26. 2. 2004 (BGBl II 2004/91), gilt eine geringfügige unvorhersehbare Überschreitung der in § 2 Abs 1 Z 3 KBGG und § 9 Abs 3 KBGG vorgesehenen Zuverdienstgrenzen um nicht mehr als 15 % als Härtefall, bei dem von einer Rückforderung der ausbezahlten Leistungen abzusehen ist. Nach § 4 der KBGG-Härtefälle-Verordnung (BGBl II 2004/91) tritt lit a idF dieser Verordnung mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft und gilt für Geburten nach dem 31. 12. 2001.

Die Bestimmung des § 31 Abs 4 letzter Satz KBGG wurde zwar mit der Novelle BGBl I 2007/76 insofern geändert, als an die Stelle der Verordnungsermächtigung der Veweis auf die §§ 60 bis 62 BHG trat, weshalb die KBGG-Härtefälle-Verordnung mit Ablauf des 31. 12. 2007 außer Kraft getreten ist; sie ist jedoch auf Anspruchsüberprüfungen der Kalenderjahre 2002 bis 2007 weiterhin anzuwenden (§ 49 Abs 15 KBGG).

§ 1 lit a und b KBGG-Härtefälle-Verordnung legt zwei unterschiedliche Härtefalltatbestände fest:

Der Härtefalltatbestand des § 1 lit a der Verordnung richtet sich in erster Linie an den Krankenversicherungsträger, der nach Feststellung der Überschreitung der Zuverdienstgrenze eruieren muss, ob die Überschreitung nicht mehr als 15 % beträgt und ob sie unvorhersehbar war. Liegen diese beiden genannten Voraussetzungen für ein Absehen von der Rückforderung vor, erfolgt keine bescheidmäßige Rückforderung. Liegen diese Voraussetzungen hingegen nicht vor und ist der Rückforderungstatbestand erfüllt, ergeht ein Rückforderungsbescheid. Prüfungen des Tatbestands des § 1 lit a der VO stellen somit ein „vorgeschaltetes" Verwaltungsverfahren dar. In einem nachfolgenden Gerichtsverfahren ist daher auch von den Sozialgerichten gegebenenfalls das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 1 lit a der KBGG-Härtefälle-Verordnung zu überprüfen.

Dem gegenüber handelt es sich in den Fällen des § 1 lit b der KBGG-Härtefälle-Verordnung um ein „nachgeschaltetes" Verwaltungsverfahren (eingehend 10 ObS 63/09a und 10 ObS 91/09v).

Im vorliegenden Fall ist daher von den Gerichten die Frage zu prüfen, ob hinsichtlich der Rückforderung des Kinderbetreuungsgeldes der Härtefalltatbestand des § 1 lit a KBGG-Härtefälle-Verordnung erfüllt ist.

Die maßgebende Zuverdienstgrenze von 14.600 EUR wurde durch die gemäß § 8 KBGG für das Jahr 2002 ermittelten Einkünfte der Klägerin unbestritten um 614,88 EUR (= rund 4,2 %) überschritten, sodass eine bloß geringfügige Überschreitung der Zuverdienstgrenze im Sinn des Härtefalltatbestands des § 1 lit a KBGG-Härtefälle-Verordnung vorliegt. Es ist daher noch zu prüfen, ob diese bloß geringfügige Überschreitung der Zuverdienstgrenze für die Klägerin unvorhersehbar war. Das Kriterium der „Unvorhersehbarkeit" wird dann gegeben sein, wenn die Überschreitung der Zuverdienstgrenze trotz Anlegung eines zumutbaren Sorgfaltsmaßstabs nicht erkannt werden konnte. Den Leistungsbezieher trifft eine Überprüfungspflicht hinsichtlich der Höhe der zu erwartenden Einkünfte. Dies zeigt sich auch darin, dass der Gesetzgeber mit dem Verzicht auf den Bezug von Kinderbetreuungsgeld (§ 5 Abs 6 KBGG) die Möglichkeit geschaffen hat, Einkünfte, die im Verzichtszeitraum erzielt wurden, bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte im Sinn des § 8 KBGG unberücksichtigt zu lassen. Gerade durch diese Verzichtsmöglichkeit hat der Gesetzgeber auch auf Fälle mit unregelmäßigen Einkünften Bedacht genommen.

Die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen reichen zur Beantwortung der Frage, ob im Anlassfall die Überschreitung der Zuverdienstgrenze unvorhersehbar war, nicht aus:

Der Standpunkt, Vorhersehbarkeit sei zu bejahen, weil im Schulbetrieb immer wieder Supplierstunden anfielen, kann nicht geteilt werden, müsste doch ansonsten im Arbeitsleben (etwa im Hinblick auf die aus der Treuepflicht erwachsende Pflicht zur Leistung honorierter Überstunden oder Mehrarbeitsstunden gemäß §§ 7, 8, § 19d Abs 3 und § 20 AZG) praktisch jederzeit mit Mehreinkünften gerechnet werden; damit würde das in § 1 lit a der KBGG-Härtefälle-Verordnung zur Einschränkung der Rückforderbarkeit enthaltene Kriterium der „Unvorhersehbarkeit" der Überschreitung der Zuverdienstgrenze sinnentleert. Den Feststellungen des Erstgerichts zufolge musste die Klägerin die Supplierstunden halten.

Das Erstgericht hat keine Feststellung über die Behauptung der Klägerin getroffen, dass die herabgesetzte Lehrverpflichtung zu keiner Überschreitung der Zuverdienstgrenze geführt hätte. In der rechtlichen Beurteilung ließ das Erstgericht Zweifel an der Richtigkeit der Behauptung anklingen, ohne freilich die tatsächlichen Umstände anzugeben, worauf diese beruhen. Es wird mit den Parteien zu erörtern und im Bestreitungsfall nach Aufnahme geeigneter Beweise festzustellen sein, wie hoch das nach § 8 KBGG berechnete Einkommen im Jahr 2002 unter der Annahme gewesen wäre, dass die Klägerin nur ihrer Lehrverpflichtung entsprechende Bezüge erzielt hätte.

Von Bedeutung ist ferner, ob die Behauptung der Klägerin zutrifft, dass Mehrleistungen üblicherweise 5 bis 6 Monate nach Erbringung honoriert werden. Kam es zur Überschreitung der Zuverdienstgrenze, weil Bezüge für Mehrleistungen der Klägerin früher als üblicherweise zu erwarten zuflossen, so wäre die geringfügige Überschreitung unvorhersehbar gewesen. Auch dieser Umstand wird mit den Parteien zu erörtern und darüber im Bestreitungsfall nach Beweisaufnahme Feststellungen zu treffen sein.

Da es somit einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Sozialrechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte