Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Text
Begründung
Der am 3. 11. 2004 geborene Minderjährige ist das Kind von Justyna B***** und Danilo-Adolfo Mateo C*****. Der Minderjährige und seine Mutter sind deutsche Staatsbürger und leben im gemeinsamen Haushalt in Österreich; der Vater ist spanischer Staatsbürger und lebt in Spanien.
Mit einstweiliger Verfügung vom 27. 6. 2007, 1 P 112/07b-U-2, verpflichtete das Erstgericht den Vater zur Zahlung eines vorläufigen Unterhalts von 105,40 EUR monatlich ab 15. 6. 2007. Mit Beschluss vom 8. 9. 2008, 53 P 1/08p-U-26, verpflichtete das Erstgericht im Hauptverfahren den Vater ab 1. 5. 2007 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 176 EUR. Weiters sprach es aus, dass die einstweilige Verfügung vom 27. 6. 2007, 1 P 112/07b-U-2, mit Rechtskraft dieses Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses aufgehoben werde. Das Erstgericht ging bei seiner Entscheidung davon aus, dass sich der unterhaltspflichtige Vater derzeit in Spanien aufhalte. Ob er einer Beschäftigung nachgehe, sei nicht bekannt. „Laut Auskunft der Mutter" habe der Vater schon als Modedesigner gearbeitet und sei derzeit als Gärtner tätig. Dieser Unterhaltsfestsetzungsbeschluss wurde dem Vater durch Hinterlegung bei Gericht (Beginn der Abholfrist am 11. 9. 2008) und dem Jugendwohlfahrtsträger am 15. 9. 2008 zugestellt. Die Rechtskraft des Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses wurde vom Erstgericht am 10. 11. 2008 bestätigt.
Am 8. 8. 2008 beantragte der Minderjährige die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 4 Z 5 UVG auf die vorläufige Unterhaltsverpflichtung des Vaters.
Mit Beschluss vom 29. 8. 2008 gewährte das Erstgericht Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 5 UVG in der Höhe von 105,40 EUR monatlich für den Zeitraum vom 1. 8. 2008 bis 31. 7. 2011 und verwies in seiner Begründung im Wesentlichen auf die bereits erwähnte einstweilige Verfügung vom 27. 6. 2007.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, Folge und änderte den angefochtenen Beschluss dahin ab, dass der Antrag des Minderjährigen, ihm Unterhaltsvorschüsse in Höhe von 105,40 EUR monatlich für den Zeitraum vom 1. 8. 2008 bis 31. 7. 2011 zu gewähren, abgewiesen wurde. Es schloss sich in seiner Begründung der jüngeren Rechtsprechung einiger Senate des Obersten Gerichtshofs an, wonach ein Kind lediglich in seiner Eigenschaft als Familienangehöriger des geldunterhaltspflichtigen Elternteils in den Geltungsbereich der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 falle. Im vorliegenden Fall habe der Minderjährige als Familienangehöriger eines in Spanien lebenden Vaters daher allenfalls gegen Spanien einen vom Vater abgeleiteten Anspruch auf Gewährung von Familienleistungen im Sinne der VO 1408/71 . Ein Anspruch auf Gewährung österreichischer Unterhaltsvorschüsse bestehe hingegen nicht.
Das Rekursgericht sprach zunächst aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Über Antrag des Minderjährigen änderte es seinen Ausspruch in der Folge dahin ab, dass der ordentliche Revisionsrekurs im Hinblick auf die unterschiedliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs doch zulässig sei. Gegen diese Entscheidung richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs des Minderjährigen mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im Sinne einer Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses abzuändern.
Der Präsident des Oberlandesgerichts Wien als Vertreter des Bundes beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und im Sinne der beschlossenen Aufhebung auch berechtigt. Der Revisionsrekurswerber macht unter Hinweis auf die Entscheidung des erkennenden Senats 10 Ob 76/08m geltend, dass alle in Österreich wohnenden EWR-Bürger unter denselben Voraussetzungen wie Inländer Anspruch auf Unterhaltsvorschuss hätten. Da der Minderjährige und seine Mutter deutsche Staatsbürger seien, habe er Anspruch auf Unterhaltsvorschuss.
1.) Diesen Rechtsmittelausführungen ist mit den zutreffenden Ausführungen in der Revisionsrekursbeantwortung entgegenzuhalten, dass die im Rechtsmittel angezogene Entscheidung 10 Ob 76/08m mit dem vorliegenden Fall nicht unmittelbar vergleichbar ist, da in jener Fallkonstellation der Unterhaltsschuldner österreichischer Staatsbürger mit Wohnsitz im Inland war. In dem der Entscheidung 10 Ob 76/08m zugrundeliegenden Fall kam daher aufgrund des Wohnsitzes des Vaters (bzw seines möglichen Beschäftigungsortes im Inland) - die Mutter lebte mit der Minderjährigen ebenfalls in Österreich - im Rahmen der Sozialrechtskoordinierung nur die Anwendung österreichischer Vorschriften - und nicht auch die Anwendung der Vorschriften eines anderen Mitgliedstaats - in Betracht. Damit war für die Notwendigkeit einer Koordination nach den Regeln der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 (im Folgenden: VO 1408/71 ) kein Platz. Nur in diesem Fall würde der in Österreich wohnhafte Minderjährige im Vergleich zu einem Kind in der gleichen Lage, das die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, bei Versagung des Vorschussanspruchs unmittelbar diskriminiert (vgl RIS-Justiz RS0124262 sowie Neumayr in seiner Anmerkung in iFamZ 2009, 145).
Im vorliegenden Fall bestehen jedoch - allerdings noch nicht näher geprüfte - Anhaltspunkte dafür, dass der Unterhaltsschuldner in Spanien einer Erwerbstätigkeit nachgeht und daher, wie im Folgenden noch näher auszuführen sein wird, auch die Anwendung der Vorschriften eines anderen Mitgliedstaats (Spanien) in Betracht kommt.
2.) Der erkennende Senat, der nach der Geschäftsverteilung des Obersten Gerichtshofs seit 1. 1. 2008 als Fachsenat für Rechtssachen nach dem UVG (ausschließlich) zuständig ist, hat zur Frage des Anspruchs des Minderjährigen auf Unterhaltsvorschuss nach der VO 1408/71 unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Senats in vergleichbaren Fällen und der Besonderheiten des vorliegenden Falls Folgendes erwogen:
2.1 Nach § 2 Abs 1 UVG haben mj Kinder mit gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich Anspruch auf Unterhaltsvorschuss, wenn sie entweder österreichische Staatsbürger oder staatenlos sind.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) ist eine Leistung wie der Unterhaltsvorschuss nach dem österreichischen UVG eine Familienleistung im Sinn des Art 4 Abs 1 lit h der VO 1408/71 (vgl die Judikaturnachweise in 10 Ob 9/09k).
Nach Art 3 Abs 1 der VO 1408/71 haben die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Angehörigen dieses Staats, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen. In den persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung fallen nach Art 2 Abs 1 der VO 1408/71 „Arbeitnehmer und Selbständige sowie Studierende, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedsstaats sind ..., sowie für deren Familienangehörige ...". Der Begriff „Arbeitnehmer" und „Selbständiger" wird in Art 1 lit a der VO 1408/71 definiert. Nach dessen Z i ist „Arbeitnehmer" oder „Selbständiger" jede Person, die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige oder einem Sondersystem für Beamte erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist. Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, wird hiebei schon nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut der Definition nicht auf eine umfassende Vollversicherung, die sämtliche Zweige des Sozialsystems erfasst, abgestellt. Schon die Pflichtversicherung gegen auch nur ein Risiko genügt demnach zur Begründung der Arbeitnehmereigenschaft. Diesem Erfordernis ist beispielsweise im Fall einer geringfügigen Beschäftigung gemäß § 5 Abs 1 Z 2 ASVG demnach schon dadurch Genüge getan, dass geringfügig Beschäftigte im Rahmen der Unfallversicherung gegen das Risiko von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten versichert sind (vgl RIS-Justiz RS0116469 mwN). Nichts anderes kann für Studenten gelten, für die gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit i ASVG ebenfalls eine Teilversicherung in der Unfallversicherung besteht. Danach sind Personen im Sinn des § 3 Abs 1 Z 1 bis 7 und 9 und des § 4 des Studienförderungsgesetzes 1992, die im Rahmen des für die betreffende Studienart vorgeschriebenen normalen Studiengangs inskribiert sind, unfallversichert. Erfasst sind somit gemäß § 3 Abs 1 StudFG österreichische Staatsbürger als ordentliche Studierende an österreichischen Universitäten und an österreichischen Fachhochschul-Studiengängen. Österreichischen Staatsbürgern sind Staatsbürger von EWR- und EU-Vertragsparteien gleichgestellt, soweit sich dies aus den maßgeblichen Übereinkommen ergibt (vgl § 4 Abs 1 StudFG). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Studierende durch die Verordnung (EG) Nr 307/1999 des Rates vom 8. 2. 1999 in den persönlichen Geltungsbereich der VO 1408/71 einbezogen wurden. „Studierender" im Sinn des Art 1 lit ca der VO 1408/71 ist „jede Person ..., die ein Studium oder eine Berufsausbildung absolviert, das/die zu einem von den Behörden eines Mitgliedstaats offiziell anerkannten Abschluss führt, und die im Rahmen eines allgemeinen Systems der sozialen Sicherheit oder eines auf Studierende anwendbaren Sondersystems der sozialen Sicherheit versichert ist". In Österreich stellt die Teilversicherung in der Unfallversicherung nach § 8 Abs 1 Z 3 lit i ASVG eine solche Zugehörigkeit zum allgemeinen System der sozialen Sicherheit dar. Das bereits erwähnte, in Art 3 der VO 1408/71 enthaltene Gleichbehandlungsgebot untersagt jegliche auf die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats (der EU oder des EWR) gestützte Diskriminierung einer in den Geltungsbereich der VO 1408/71 fallenden Person auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit. Daraus ergibt sich, dass Staatsbürger von EWR- und EU-Vertragsstaaten den österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt sind und daher auch der Teilversicherung in der Unfallversicherung nach § 8 Abs 1 Z 3 lit i ASVG unterliegen, wenn sie an einer österreichischen Universität (Hochschule) ordnungsgemäß inskribiert sind.
Der Begriff „Familienangehöriger" wird in Art 1 lit f Z i der VO 1408/71 definiert als jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehörige bestimmt, anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird. Da nach der Rechtsprechung des EuGH die Unterscheidung zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten grundsätzlich nicht für Familienleistungen gilt, kommt es für den unterhaltsberechtigten Antragsteller, um in den persönlichen Anwendungsbereich der VO 1408/71 zu fallen, nur mehr darauf an, ob er seine Stellung von einem Elternteil ableiten kann. Der persönliche Anwendungsbereich nach Art 2 der VO 1408/71 ist daher eröffnet, wenn der Antragsteller als Familienangehöriger eines Arbeitnehmers oder Selbständigen (oder auch einer Studierenden) anzusehen ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH und der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fällt somit eine Person, die einen Elternteil hat, der tätiger oder arbeitsloser Arbeitnehmer oder Selbständiger (oder Studierender) im Sinn des Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 lit f Z i der VO 1408/71 ist, in den persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung (vgl 10 Ob 9/09k mwN ua).
2.2 Eine weitere Voraussetzung für die Anwendung der VO 1408/71 ist das Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts. Diese Voraussetzung ist dahin zu verstehen, dass eine Anwendung der Vorschriften über die Koordination von Leistungen der sozialen Sicherheit nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte in Betracht kommt. Der danach als Grundvoraussetzung für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu fordernde gemeinschaftliche, grenzüberschreitende Bezug setzt also voraus, dass Personen, Sachverhalte oder Begehren eine rechtliche Beziehung zu einem anderen Mitgliedstaat aufweisen. Diese Umstände können in der Staatsangehörigkeit, dem Wohn- oder Beschäftigungsort, dem Ort eines die Leistungspflicht auslösenden Ereignisses, vormaliger Arbeitstätigkeit unter dem Recht eines anderen Mitgliedstaats oder ähnlichen Merkmalen gesehen werden (10 Ob 9/09k mwN ua). Dieser Gemeinschaftsbezug muss nicht in der Person des Leistungsberechtigten vorliegen; für Ansprüche auf abgeleitete Sicherung genügt es, wenn der Gemeinschaftsbezug in der Person eines Familienangehörigen erfüllt ist (vgl Eichenhofer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht4 Art 2 Rz 14 mwN). Es ist für die Anwendung der VO 1408/71 auch nicht notwendig, dass ein Wechsel von einem Mitgliedstaat zu einem anderen aus beruflichen Gründen stattgefunden hat. Selbst eine Person, die ihr Heimatland überhaupt nicht verlassen hat, kann sich auf die Verordnung berufen. Allerdings kann eine von der Verordnung geschützte Person die Verordnung nicht für rein innerstaatliche Sachverhalte heranziehen (vgl Langer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht4 Art 42 EG Rz 13 ff mwN).
2.3 Im vorliegenden Fall sind daher eindeutige und zweifelsfreie Feststellungen darüber erforderlich, ob der Vater seit dem Zeitpunkt der gegenständlichen Antragstellung auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen (8. 8. 2008) - entsprechend den Behauptungen der Mutter - in Spanien als Arbeitnehmer unselbständig oder selbständig erwerbstätig oder als arbeitsloser Arbeitnehmer sozialversichert ist. Weiters sind Feststellungen darüber erforderlich, ob die Mutter - entsprechend ihren Behauptungen in der Rekursbeantwortung - Studentin an einer österreichischen Universität und damit in Österreich sozialversichert ist. Als tätiger oder arbeitsloser EWR-Arbeitnehmer oder Selbständiger sowie als Studierende, die einem Zweig der sozialen Sicherheit im Sinn des Art 1 der VO 1408/71 untersteht, würden sie und damit auch der Antragsteller als ihr Familienangehöriger in den persönlichen Anwendungsbereich der VO 1408/71 fallen. Der grenzüberschreitende Gesichtspunkt würde nach den vorliegenden Behauptungen darin bestehen, dass die Mutter und der mj Antragsteller, die beide deutsche Staatsangehörige sind, nach Österreich verzogen sind, wo die Mutter auch ein Studium absolviert.
2.4 Das in Art 3 Abs 1 der VO 1408/71 normierte Gleichbehandlungsgebot steht unter dem Vorbehalt „soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen". Es führt daher nicht zu einem Verbot einer unterschiedlichen Behandlung, die sich gegebenenfalls aus Unterschieden der aufgrund von Kollisionsnormen wie Art 13 Abs 2 der VO 1408/71 anzuwendenden nationalen Rechtsvorschriften über Familienleistungen ergibt (10 Ob 9/09k mwN ua).
Die Zuständigkeit eines Mitgliedstaats für Familienleistungen und damit auch für den österreichischen Unterhaltsvorschuss richtet sich grundsätzlich nach den Kollisionsnormen der Art 13 ff der VO 1408/71 . Ziel dieser Bestimmungen ist es, dass jede Person einer einzigen bestimmten Sozialrechtsordnung unterliegt; es sollen daher durch die Verordnung weder Versicherungslücken noch Doppelversicherungen oder Doppelleistungen entstehen (10 Ob 9/09k mwN ua).
Gemäß Art 13 Abs 1 der VO 1408/71 unterliegen Personen, für die die Verordnung gilt, abgesehen von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats; dieser ist nach Titel II der Verordnung zu bestimmen. Gemäß Art 13 Abs 2 lit a der VO 1408/71 unterliegt eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staats, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt. Nach Art 13 Abs 2 lit b der VO 1408/71 unterliegt eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats eine selbständige Tätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Staats, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt. Eine nicht erwerbstätige Person unterliegt gemäß Art 13 Abs 2 lit f der VO 1408/71 den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie wohnt.
Daraus würde sich für den vorliegenden Fall ergeben, dass bei einer - noch festzustellenden - unselbständigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit des Vaters in Spanien dieser den spanischen Rechtsvorschriften unterliegen würde, während die Mutter bei einer - ebenfalls noch festzustellenden - Absolvierung eines Studiums in Österreich den österreichischen Rechtsvorschriften unterliegen würde. Gemäß Art 73 der VO 1408/71 hat ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staats (Beschäftigungsstaat), als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staats wohnten. Dabei werden Familienleistungen gemäß Art 75 Abs 1 der VO 1408/71 in dem in Art 73 dieser Verordnung genannten Fall vom zuständigen Träger des Staats gewährt, dessen Rechtsvorschriften für den Arbeitnehmer oder den Selbständigen gelten. Art 73 der VO 1408/71 garantiert somit die Gewährung der nach den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaats vorgesehenen Familienleistungen, als ob die Familienangehörigen des Arbeitnehmers in seinem Gebiet wohnten.
Der erkennende Senat hat ebenfalls bereits wiederholt dargelegt, dass die in der jüngeren Rechtsprechung einiger Senate des Obersten Gerichtshofs (vgl 4 Ob 4/07b, 6 Ob 121/07y, 1 Ob 267/07g) vertretene Einschränkung der Anknüpfung des Anspruchs auf Unterhaltsvorschüsse als Familienleistungen im Sinne VO 1408/71 ausschließlich an die Stellung des Vaters als Geldunterhaltsschuldner den Koordinierungsregelungen der VO 1408/71 nicht zu entnehmen ist und mit den oben dargelegten Ausführungen, wonach sowohl die Rechtsstellung des Vaters als auch jene der Mutter als Arbeitnehmer oder Selbständiger oder Studierender im Sinn der VO 1408/71 die Anwendung dieser Verordnung zu begründen vermag, im Widerspruch stehen würde. Familienleistungen werden daher in der Regel nach den Vorschriften des Mitgliedstaats gewährt, in dem der Arbeitnehmer bzw Selbständige beschäftigt ist (oder der Studierende wohnhaft ist), durch den der Anspruch auf Familienleistungen vermittelt wird (vgl 10 Ob 9/09k mwN ua).
2.5 Für den Fall, dass dem Vater aufgrund einer - noch festzustellenden - Erwerbstätigkeit in Spanien die Arbeitnehmereigenschaft im Sinn der VO 1408/71 zukommt und die Mutter, was ebenfalls noch zu klären ist, der Gruppe der Studierenden im Sinn der VO 1408/71 angehört, kommt für den antragstellenden Minderjährigen grundsätzlich sowohl in Spanien als auch in Österreich ein Anspruch auf Familienleistungen in Betracht. Hat ein Kind zwei Elternteile, so vermittelt es beiden jeweils einen Anspruch auf Familienleistungen. Sind die Eltern in verschiedenen Mitgliedstaaten erwerbstätig und/oder ansässig, so erhält (oder könnte) jeder Elternteil einen Anspruch auf Familienleistungen gegenüber unterschiedlichen Trägern (erhalten). Das Recht des Familienlastenausgleichs beruht jedoch durchwegs auf dem Grundsatz, dass für ein Kind nur eine Familienleistung gezahlt werden soll. Daraus ergibt sich, dass Doppelleistungen zu vermeiden sind (vgl Runggaldier, Grundzüge des europäischen Arbeitsrechts und des europäischen Sozialrechts 122). Die Prioritätsregeln des Art 76 der VO 1408/71 sowie des Art 10 der VO (EWG) Nr 574/72 (im Folgenden: VO 574/72 ) vermeiden solche Doppelleistungen. Da der Anspruch auf Unterhaltsvorschuss nach dem österreichischen Recht unabhängig von einer Erwerbstätigkeit gebührt, wäre im vorliegenden Fall die Prioritätsregelung des Art 10 der VO 574/72 heranzuziehen. Diese Prioritätsregelung findet nämlich Anwendung, wenn ein Anspruch nach Art 73 der VO 1408/71 mit einem Leistungsanspruch zusammentrifft, der nach dem Recht des Wohnstaats besteht und der nicht auf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit abstellt. Nach Art 10 Abs 1 lit a der VO 574/72 ruht der Anspruch auf Familienleistungen, die im Wohnstaat des Kindes unabhängig von Versicherungs- oder Beschäftigungsvoraussetzungen geschuldet werden, bis zur Höhe dieser geschuldeten Leistungen, wenn gleichzeitig ein Anspruch gemäß Art 73 der VO 1408/71 besteht. Es wäre daher in diesem Fall für die Familienleistungen vorrangig jener Staat zuständig, dessen Rechtsvorschriften der erwerbstätige Elternteil entsprechend Art 13 ff der VO unterliegt (hier: Spanien). Im Wohnortstaat (Österreich), als nachrangig zuständigem Staat, würden die Familienleistungen in Höhe der Leistungen des vorrangig zuständigen Staats ruhen. Der Wohnortstaat (Österreich) hätte daher in diesem Fall Ausgleichszahlungen zu erbringen, sofern dessen Leistungen höher sind. Unter dem Begriff der „Ausgleichszahlung" wäre im Bereich des Unterhaltsvorschusses der Differenzbetrag zwischen der Höhe der dem Unterhaltsvorschuss nach Sinn und Zweck vergleichbaren ausländischen Leistungen und dem österreichischen Unterhaltsvorschuss zu verstehen (vgl Holzmann-Windhofer, Kinderbetreuungsgeld für EG-Wanderarbeitnehmer, SozSi 2008, 16 ff [25 f]). Es wären daher in diesem Fall für die Ermittlung einer allfälligen Ausgleichszahlung auch Feststellungen über die Höhe einer vergleichbaren spanischen Familienleistung zu treffen.
3.) Schließlich wird das Erstgericht im fortzusetzenden Verfahren auch darauf Bedacht zu nehmen haben, dass die der beantragten Unterhaltsvorschussgewährung zugrundeliegende einstweilige Verfügung nach § 382a EO gemäß § 399a Abs 2 Z 2 EO mit Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses über die Unterhaltsfestsetzung im Hauptverfahren aufgehoben wurde. Nach der herrschenden Rechtsprechung (vgl RIS-Justiz RS0122897) können in diesem Fall dennoch Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 5 UVG für den Zeitraum bis zur rechtskräftigen Aufhebung des Unterhaltstitels gewährt werden. Das Verfahren erweist sich somit im aufgezeigten Umfang als ergänzungsbedürftig. Dem Revisionsrekurs des Minderjährigen war daher Folge zu geben, die Entscheidungen der Vorinstanzen waren aufzuheben und dem Erstgericht war die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)