OGH 1Ob157/09h

OGH1Ob157/09h8.9.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Mj 1. Lara Emine Z*****, geboren am *****, 2. Jakob Ali Stefan Z*****, geboren am *****, 3. David Benjamin Z*****, geboren am *****, 4. Noah Johannes Z*****, geboren am *****, und 5. Samuel Z*****, geboren am *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Minderjährigen, vertreten durch deren Mutter Maria Z*****, diese vertreten durch Dr. Thomas Marschall und Mag. Christian Puck, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 25. Mai 2009, GZ 16 R 171/09z, 16 R 172/09x-S59, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern ist geschieden. Die Obsorge für die fünf Kinder kommt allein der Mutter zu. Die älteren Kinder (die 14-jährige Lara, der 12-jährige Jakob und der 10-jährige David) lehnten ein Besuchsrecht zum Vater ab, weshalb der Vater seinen Besuchsrechtsantrag zu diesen Kindern nicht mehr aufrecht hielt. Verfahrensgegenständlich ist der Antrag des Vaters auf Einräumung eines Besuchsrechts zum 8-jährigen Noah und zum 2-jährigen Samuel; weiters der Antrag der Mutter, dem Vater aufzutragen, ab sofort jegliche nicht rechtskräftig bewilligte Kontaktaufnahme und jedes Zusammentreffen mit allen fünf Kindern, insbesondere an näher bezeichneten Orten (ua am Sportplatz und vor der Schule), zu unterlassen.

Das Erstgericht räumte dem Vater ein vorläufiges Besuchsrecht zu Noah und Samuel ein (vorerst in Form dreier begleiteter Besuchskontakte im Besuchscafe, späterhin alle 14 Tage unbegleitet in näher festgesetztem Ausmaß) und erklärte diesen Beschluss gemäß § 44 AußStrG für vorläufig wirksam und vollstreckbar. Den Antrag der Mutter auf Unterlassung der Kontaktaufnahme wies es ab (ON S 39). Gegen diesen Beschluss erhob die Mutter Rekurs und verband damit die Anregung, die in Ansehung des Besuchsrechts zuerkannte vorläufige Wirksamkeit abzuändern. Das Erstgericht wies diesen Antrag ab (ON S 47).

Das Rekursgericht gab dem von der Mutter erhobenen Rekurs gegen den Beschluss ON S 39 nicht Folge; den Rekurs der Mutter gegen den Beschluss ON S 47, wies das Erstgericht zurück; es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

I) Zur Einräumung eines vorläufigen Besuchsrechts zu den Mj Noah und Samuel:

1.1. Die Frage, ob ein Sachverständigengutachten eingeholt hätte werden müssen, ist eine Frage der Beweiswürdigung und unterliegt - auch im Außerstreitverfahren - nicht der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof (RIS-Justiz RS0043320, RS0043414).

1.2. Eine mündliche Verhandlung ist im Verfahren über das Recht auf persönlichen Verkehr nicht zwingend vorgeschrieben (§§ 18 AußStrG, 107 AußStrG; Deixler-Hübner in Rechberger, AußStrG § 107 Rz 1). Wenn der Erstrichter von einer neuerlichen Einvernahme im Hinblick auf die von ihm persönlich vorgenommenen Vernehmungen der Kinder, der Mutter und des Vaters sowie zweier Zeugen im Rahmen eines Provisorialverfahrens abgesehen hat, erscheint dies zur Erhebung des Sachverhalts ausreichend. Im Übrigen dürfen bei einer vorläufigen Entscheidung sogar notwendige Verfahrensschritte unterbleiben, weil andernfalls bereits mit einer endgültigen Entscheidung vorgegangen werden könnte (RIS-Justiz RS0006999).

1.3. Im Verfahren über das Recht auf persönlichen Verkehr hat das Gericht den Minderjährigen grundsätzlich persönlich zu hören, es sei denn es liegt einer der in § 105 Abs 1 AußStrG aufgezählten Ausnahmefälle vor (Deixler-Hübner in Rechberger, AußStrG § 105 Rz 2). Dass ein derartiger Ausnahmefall gegeben gewesen wäre, wurde im Revisionrekurs nicht nachvollziehbar begründet. Das Gericht traf keine Verpflichtung, einen Sachverständigen zur Befragung heran- oder dieser beizuziehen (5 Ob 272/03s). Außerdem wird nicht dargelegt, aus welchen Gründen ein Familienrichter nicht ausreichend in der Lage sein sollte, die Meinung eines Achtjährigen zu erfragen. Dass der Erstrichter diese Befragung im Rahmen des Verfahrens über den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung vorgenommen hat, bleibt auf deren Ergebnis ohne jegliche Auswirkung. Ein Verfahrensmangel infolge Verletzung des § 105 Abs 1 AußStrG ist zu verneinen.

1.4. Art 6 EMRK und der daraus abgeleitete Grundsatz des rechtlichen Gehörs gilt im Provisorialverfahren nicht, weil dieses grundsätzlich einseitig ausgestaltet ist (RIS-Justiz RS0074799; RS0028350; 6 Ob 160/06g). Auch im Verfahren über die einstweilige Entscheidung über den persönlichen Verkehr nach § 107 Abs 2 AußStrG findet dieser Grundsatz keine Anwendung (6 Ob 160/06g).

2. Die Zulässigkeit, die Art und der Umfang von Provisorialentscheidungen im außerstreitigen Verfahren ergeben sich aus der Verpflichtung des Pflegschaftsrichters, den Unterhalt, die Pflege und Erziehung der Kinder in deren Interesse zu sichern (RIS-Justiz RS0007009). Liegt eine konkrete und schwere Gefährdung des Kindeswohls vor, die sofortige und rasche Maßnahmen erfordert, ist eine einstweilige Anordnung nach § 107 Abs 2 AußStrG zu treffen (3 Ob 70/08b; Hopf in KBB2 § 176 ABGB Rz 7).

2.1. Bei einstweiligen Anordnungen nach § 107 Abs 2 AußStrG im Besuchsrechtsverfahren ist der Grundsatz zu beachten, dass die Aufrechterhaltung ausreichender persönlicher Kontakte zwischen dem Kind und dem Elternteil, bei dem es nicht lebt, für die weitere Entwicklung von besonderer Bedeutung ist (RIS-Justiz RS0048072). Provisorialmaßnahmen nach § 107 Abs 2 AußStrG sind daher bereits dann zulässig, wenn eine Entfremdungsgefahr droht (ErläutRV abgedruckt in Fucik/Kloiber, AußStrG § 107; Nademleinsky in Schwimann, ABGB³ § 148 Rz 13).

Im vorliegenden Fall steht dazu fest, dass der 8-jährige Noah den Vater - abgesehen von dessen Anwesenheiten bei Fussballtrainings und -matches, bei denen es kaum zu Gesprächen kam - seit September 2008 nicht gesehen hat, noch weniger sein Bruder Samuel. Eine Besuchsrechtsanbahnung (vorerst über begleitete Kontakte) würde seinem sowie dem Wohl seines 2-jährigen Bruders Samuel dienen. Aus den Feststellungen des Erstgerichts ergibt sich ferner, dass infolge der starken Solidarisierung der Kinder mit der Mutter bei fortgesetzter Verzögerung der Besuchskontakte eine weitere Entfremdung droht. Wenn die Vorinstanzen bei dieser Sachlage eine einstweilige Regelung des Besuchsrechts nach § 107 Abs 2 AußStrG für erforderlich erachteten, hält sich dies im Rahmen der Rechtsprechung. Ein dringendes Regelungsbedürfnis besteht gerade in Fällen, in denen bereits eine gewisse Entfremdung eingetreten ist, ist es doch Zweck des Besuchsrechts, einer (weiteren) Entfremdung möglichst entgegenzuwirken (RIS-Justiz RS0049070; Jausovec, Das Besuchsrecht zwischen Eltern und Kindern, 169 f mwN).

2.2. Einem Elternteil steht das Besuchsrecht insoweit nicht zu, als das Wohl des Kindes durch dessen Ausübung massiv gefährdet würde (RIS-Justiz RS0047754); in solchen Fällen hat das Recht auf persönlichen Verkehr gegenüber dem Wohl des Kindes zurückzutreten (RIS-Justiz RS0048068). Eine massive Gefährdung des Wohls des 8-jährigen Noah oder des 2-jährigen Samuel steht - entgegen der Ansicht der Revisionsrekurswerber - jedoch nicht fest. Insbesondere existiert keine Feststellung, wonach die Kinder unter einer massiven Belastungsstörung litten; ebenso wenig sind tatsächlich als solche zu beurteilende Gewalttätigkeiten oder eine latente Gewaltbereitschaft gegenüber Noah und Samuel festgestellt. Dem Revisionsrekursvorbringen zur Situation der drei älteren Geschwister kommt für das (vorläufige) Besuchsrecht zu Noah und Samuel keine Relevanz zu.

2.3. Der Wille des Kindes stellt ein wichtiges, jedoch nicht allein maßgebliches Kriterium dar, da dieser nicht selten von außen beeinflusst ist und Schwankungen unterliegen kann. Im Hinblick darauf gibt die Stellungnahme des 8-jährigen Noah, er wolle keinen Kontakt zum Vater - weil dies von der Mutter so gewünscht wird - keinen triftigen Grund ab, eine vorläufige Besuchsrechtsregelung zu unterlassen.

2.4. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist das gemäß § 66 Abs 2 AußStrG im Revisionsrekursverfahren an sich herrschende Neuerungsverbot im Obsorge- oder Besuchsrechtsverfahren aus Gründen des Kindeswohls nur insofern durchbrochen, als der Oberste Gerichtshof (nur) aktenkundige Entwicklungen, die die bisherige Tatsachengrundlage wesentlich verändern, auch dann berücksichtigen muss, wenn sie erst nach der Beschlussfassung der Vorinstanzen eingetreten sind; es besteht jedoch keine Pflicht zur ständigen amtswegigen Erhebung der jeweiligen aktuellen Umstände (1 Ob 176/07z; 2 Ob 130/08v).

Die im Revisionsrekurs erstmals behaupteten, nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Rekursgerichts vom 25. Mai 2009 liegenden angeblichen Vorfälle beim begleiteten Besuchskontakt am 12. Juni 2009 sind nicht aktenkundig. Sie wären erst durch ein Beweisverfahren zu klären und können daher im Revisionsrekursverfahren nicht berücksichtigt werden. Dies trifft auch auf die dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung vom 30. Juni 2009 und der Stellungnahme vom selben Tag zugrundeliegenden Vorfälle zu.

3. Dass nur ein vorläufiges Besuchsrecht gewährt wurde, ergibt sich ausdrücklich aus dem erstgerichtlichen Beschluss. Bereits aus dem Begriff „vorläufig" ist ableitbar, dass das Besuchsrecht im Sinne des § 107 Abs 2 AußStrG nur bis zur endgültigen Entscheidung geregelt wurde.

Geht man von den getroffenen - und nicht von den von den Revisionsrekurswerbern gewünschten - Feststellungen aus, wurde auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen. Leitende Grundsätze der Rechtsprechung wurden nicht verletzt (RIS-Justiz RS0097114). II) Zur Abweisung des Antrags, dem Vater hinsichtlich aller fünf Kinder ab sofort jegliche Kontaktaufnahme und das Zusammentreffen an bestimmten näher bezeichneten Orten und deren unmittelbaren Umgebung zu untersagen:

Nach § 176 Abs 1 ABGB setzen die zur Sicherung des Wohls eines Kindes zu treffenden Verfügungen eine durch das Verhalten der Eltern gegebene Gefährdung des Wohls des Kindes voraus. Die Behauptung, diese Gefährdung sei schon durch das „eigenmächtige Auftauchen" des Vaters - insbesondere am Sportplatz - gegeben, ist durch nichts gedeckt. Dass Jakob und David das Erscheinen des Vaters am Fußballplatz als „störend" empfinden, reicht für die Annahme einer massiven Gefährdung deren Wohls im Sinne des § 176 Abs 1 ABGB keinesfalls aus. Dass die Tochter Lara durch die familiäre Gesamtsituation in besonderer Weise psychisch belastet sein mag, bedeutet nicht, dass ihr Wohl schon durch ein Ansichtigwerden des Vaters beeinträchtigt sein könnte.Auch in diesem Zusammenhang wird keine Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG aufgezeigt.

III) Zum Beschluss auf Zuerkennung der vorläufigen Vollstreckbarkeit:

Gemäß § 44 Abs 2 AußStrG ist gegen Entscheidungen über die vorläufige Verbindlichkeit oder Vollstreckbarkeit ein Rechtsmittel nicht zulässig. Das Rekursgericht ist deshalb zutreffend mit einer Zurückweisung des Rekurses vorgegangen.

Mit seiner direkt an den Obersten Gerichtshof gerichteten „Anregung gemäß § 44 Abs 1 AußStrG" vom 19. August 2009 hat die Rechtsmittelwerberin neuerlich die Abänderung der vorläufigen Wirksamkeit angeregt. Auch im Hinblick auf diese Anregung sieht sich der Senat nicht zur Aberkennung der vorläufigen Vollstreckbarkeit veranlasst, wird im Wesentlichen doch nur das bereits im Revisionsrekurs erstattete Vorbringen wiederholt.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 Satz 3 AußStrG).

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