OGH 10ObS182/08z

OGH10ObS182/08z12.5.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz und Dr. Reinhard Drössler (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Christian V*****, vertreten durch Dr. Bernhard Krause, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Bachmann & Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen 12.773,47 EUR sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. August 2008, GZ 7 Rs 74/08s-23, womit infolge Berufung der beklagten Partei und Kostenrekurses der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 28. März 2008, GZ 5 Cgs 96/07d-17, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie einschließlich des in Rechtskraft erwachsenen Teils insgesamt zu lauten haben:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 15.591,14 EUR samt 4 % Zinsen seit 18. 2. 2007 zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen selbst zu tragen."

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 25. 10. 1959 geborene Kläger leidet an einer Krebserkrankung und wurde deshalb im Juni 2000 erstmals operiert. Anschließend erhielt er eine Strahlentherapie. Im Sommer 2001 traten Metastasen im Bereich der Leber auf, weshalb eine weitere Operation im AKH Wien samt anschließender Chemotherapie notwendig wurde. Im Oktober 2003 stiegen die Tumormarker des Klägers neuerlich an. Anlässlich einer ärztlichen Untersuchung des Klägers in Deutschland wurde bei einer PET-Untersuchung der Krebsherd in der Lunge festgestellt. Der behandelnde Arzt des AKH Wien riet daraufhin dem Kläger, möglichst bald Thermoablationen in Deutschland durchführen zu lassen. Bei dieser Radiofrequenz-Therapie handelt es sich um eine lokale Entfernung (Zerstörung) von pulmonalen Metastasen. Für die ambulante Behandlung des Klägers (Thermoablationen, MR-Kontrolle, Chemotherapie und Medikamente) im Zeitraum von September 2004 bis Juni 2006 wurden ihm Honorare in Höhe von insgesamt 26.515,11 EUR in Rechnung gestellt und von ihm auch bezahlt. Die beklagte Partei hat auf diese ihr vom Kläger vorgelegten Rechnungen Teilbeträge in Höhe von insgesamt 8.463,40 EUR geleistet.

Der Kläger begehrte mit der am 24. 5. 2007 beim Erstgericht eingelangten Säumnisklage die Zahlung eines weiteren Kostenerstattungsbetrags von 15.591,14 EUR samt 4 % Zinsen seit 18. 2. 2007. Er brachte im Wesentlichen vor, bei ihm seien aufgrund seiner langwierigen Krebserkrankung besondere Operationsmethoden, insbesondere eine Radiofrequenzablation der pulmonalen Metastasen, erforderlich. Die Beklagte biete trotz der entsprechenden gesetzlichen Vorsorgepflicht diese Behandlungen in Österreich nicht als Sachleistungen an. Er sei daher gezwungen gewesen, diese medizinisch notwendigen Behandlungen durch Wahlärzte im Ausland durchführen zu lassen. Hätte die Beklagte ausreichend für seine notwendige medizinische Versorgung vorgesorgt, hätte er gemäß § 86 Abs 1 GSVG iVm § 17 Abs 4 der Satzung der Beklagten aufgrund der im Jahr 2006 erforderlichen Chemotherapien auch nicht den 20%igen Kostenanteil für sämtliche Sachleistungen in diesem Jahr bezahlen müssen, sodass für das Jahr 2006 die ihm entstandenen Kosten in voller Höhe ersetzt worden wären. Die Beklagte hafte daher sowohl aufgrund sozialrechtlicher Bestimmungen (GSVG, Satzung) als auch aufgrund schadenersatzrechtlicher Bestimmungen (ABGB) für die von ihm aufgewendeten Kosten. Die durch die Beklagte vorgenommene Kostenerstattung stehe überdies im Widerspruch zur Dienstleistungsfreiheit (Art 49 ff EGV). Bei einer Behandlung im Inland wären die dadurch entstandenen Kosten der ärztlichen Hilfe von der Beklagten zur Gänze bzw teilweise übernommen worden. Durch das geringe Ausmaß der von der Beklagten vorgenommenen Kostenerstattung ergebe sich eine wesentliche Schlechterstellung bzw Diskriminierung des Klägers bei der Inanspruchnahme von ärztlichen Leistungen im EU-Ausland. Außerdem verstießen die Regelungen in der Satzung der Beklagten gegen geltendes Gemeinschaftsrecht, weil die Erstattung von lediglich 60 % bzw 80 % des Vertragstarifs mit der Dienstleistungsfreiheit nicht vereinbar sei. Es müsse daher auch aus diesem Grund eine Erstattung in Höhe der vollen Kosten erfolgen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens im Wesentlichen, soweit dies für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist, mit der Begründung, es bestehe grundsätzlich kein Anspruch auf Ersatz der tatsächlichen Kosten einer medizinisch gleichwertigen, allenfalls aufwendigeren Krankenbehandlung im Ausland, solange der Krankenversicherungsträger eine zweckmäßige und ausreichende Krankenbehandlung zur Verfügung stelle und dadurch seiner Verpflichtung zur Sachleistungsvorsorge entsprochen habe. Für die Inanspruchnahme von Behandlungs- und Untersuchungsmethoden und Leistungen (hier: Radiofrequenzablation), welche als zweckmäßig und das Maß des Notwendigen nicht überschreitend anerkannt werden, welche aber im Gesamtvertrag (Honorarordnung) nicht geregelt seien, habe die Beklagte entsprechend ihrer Satzung pro Behandlung bzw Untersuchung 60 % der aufgewendeten Kosten, höchstens jedoch den Betrag von 275 EUR erstattet. Die Vergütung für MR-Kontrolle und Chemotherapie sei nach dem Einzelleistungstarif der Beklagten und nicht pauschal erfolgt. Von diesen Beträgen sei noch der gesetzlich festgelegte Kostenanteil des Versicherten von 20 % in Abzug gebracht worden. Die Behandlungskosten des Klägers seien daher von der Beklagten im höchstmöglichen Ausmaß ersetzt worden.

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 12.773,47 EUR und wies das Mehrbegehren des Klägers von 2.817,67 EUR sowie das Zinsenbegehren ab. Es traf im Wesentlichen noch genauere Feststellungen über die ambulanten Behandlungen des Klägers in der Klinik der Universität Frankfurt/Main und stellte fest, dass die Beklagte diese zweckmäßigen und notwendigen Behandlungen dem Kläger in den Jahren 2004 und 2006 nicht angeboten hat, weil solche Behandlungen in diesem Zeitraum in Österreich nicht durchgeführt wurden. Der Kläger hat bei der Beklagten vor Beginn der Behandlungen keinen Antrag gemäß § 17 Abs 4 der Satzung der Beklagten auf Befreiung vom 20%igen Kostenanteil nach § 86 GSVG gestellt. Die für den Kläger an der Klinik der Universität Frankfurt/Main erbrachten medizinischen Leistungen werden vom deutschen Sozialversicherungsträger für seine Versicherten nicht in der Höhe des Rechnungsbetrags erstattet. Einem deutschen Versicherten würde für eine Radiofrequenzablation ein Betrag von 151,50 EUR abzüglich 11,35 EUR Verwaltungskosten vergütet.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass im gegenständlichen Fall ärztliche Hilfe und nicht Anstaltspflege vorliege und der Grundsatz der freien Arztwahl nicht auf inländische Ärzte beschränkt sei. Die gegenständlichen Behandlungen des Klägers seien zweckmäßig und notwendig gewesen. In medizinisch besonders gelagerten Einzelfällen könne es gerechtfertigt sein, die Solidargemeinschaft der in der österreichischen Krankenversicherung versicherten Personen für eine im Ausland erbrachte medizinische Leistung allenfalls sogar bis zum Gesamtausmaß der Kosten aufkommen zu lassen. Voraussetzung für einen solchen Kostenersatzanspruch sei, dass der Versicherte dieselbe oder eine qualitativ ähnliche Behandlung in Österreich nicht hätte in Anspruch nehmen können, was hier der Fall sei. In diesen Fällen habe der Versicherte jedoch eine Kostenbeteiligung von 20 % zu tragen. Da der Kläger nicht fristgerecht einen Antrag auf Befreiung von dieser Kostenbeteiligung gestellt habe, habe er Anspruch auf 80 % der ihm insgesamt entstandenen Behandlungskosten. Unter Berücksichtigung der von der Beklagten bisher geleisteten Zahlung von insgesamt 8.463,40 EUR erweise sich daher das Klagebegehren im Umfang eines weiteren Betrags von 12.773,47 EUR als berechtigt. Ein Anspruch auf Verzugszinsen bestehe nicht.

Während der abweisende Teil des Ersturteils unbekämpft blieb und daher in Rechtskraft erwachsen ist, erhob die Beklagte gegen den stattgebenden Teil der Entscheidung rechtzeitig Berufung.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge. Es schloss sich im Wesentlichen der Rechtsansicht des Erstgerichts an. Es verwies insbesondere darauf, dass die notwendige und zweckmäßige Behandlung des Klägers in Österreich nicht durchgeführt hätte werden können, und vertrat dazu die Ansicht, dass dieser Fall weder in § 85 Abs 4 GSVG, weshalb ein Kostenersatz nach Maßgabe der Bestimmungen des § 85 Abs 2 lit c GSVG und in der Folge gemäß dem Vergütungstarif (Anlage 1 der Satzung 2003 der Beklagten) nicht in Betracht komme, noch in § 24 der Satzung der Beklagten geregelt sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision gegen seine Entscheidung zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Fall einer notwendigen und zweckmäßigen ärztlichen Hilfe im Ausland, welche in Österreich nicht möglich sei, insbesondere seit der Geltung der Satzung 2003 der Beklagten nicht vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer vollinhaltlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Rechtslage unrichtig beurteilt hat, und auch berechtigt.

Die Beklagte macht in ihrem Rechtsmittel im Wesentlichen geltend, entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts seien die Regelungen des § 85 Abs 2 lit c und Abs 4 GSVG sowie Anlage 1 der Satzung 2003 der Beklagten auf den gegenständlichen Sachverhalt anzuwenden. Die Höchstgrenze der Kostenerstattung laut Anlage 1 der Satzung 2003 von 60 % der nachgewiesenen Kosten pro Behandlung bzw Untersuchung, höchstens jedoch in der Höhe von 275 EUR, sei unter dem Blickwinkel der Umsetzung des gesetzlichen Auftrags zu sehen, für als zweckmäßig und notwendig anerkannte Untersuchungen und Behandlungen auch eine angemessene Leistung zu erbringen.

Diesen Ausführungen kommt Berechtigung zu.

1.1 Nach § 78 Abs 1 Z 2 GSVG trifft die Krankenversicherung unter anderem Vorsorge für den Versicherungsfall der Krankheit. Aus dem Versicherungsfall der Krankheit wird als Hauptleistung Krankenbehandlung, das ist ärztliche Hilfe, Versorgung mit Heilmitteln und Heilbehelfen sowie Hilfe bei körperlichen Gebrechen (§§ 91 bis 93) gewährt (§ 90 Abs 1 lit a GSVG). Die Krankenbehandlung muss ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§ 90 Abs 2 erster Satz GSVG). Ärztliche Hilfe wird durch niedergelassene Ärzte, durch Ärzte in Gruppenpraxen oder in Einrichtungen des Versicherungsträgers bzw in Vertragseinrichtungen für die Dauer der Krankheit ohne zeitliche Begrenzung als Pflichtleistung gewährt (§ 91 Abs 1 erster Satz GSVG).

1.2 Die Leistungen der Krankenbehandlung - ärztliche Hilfe, Heilmittel, Heilbehelfe - werden dem Versicherten entweder als Sachleistungen oder in Form der Kostenerstattung zur Verfügung gestellt. Dieser öffentlich-rechtlichen Verpflichtung zur Sachleistungsvorsorge kommt der Krankenversicherungsträger nach, wenn er die Erbringung der Gesundheitsgüter organisiert, sei es durch Schaffung eigener Einrichtungen, sei es durch Verpflichtung von Dritten (insbesondere Ärzten) im Vertragsweg. Dadurch verschafft der Krankenversicherungsträger dem Versicherten die Krankenbehandlung über eigene Einrichtungen oder über seine Vertragspartner gegen direkte Verrechnung der Kosten mit dem Vertragspartner. Ist der Krankenversicherungsträger nicht in der Lage, Sachleistungen zur Verfügung zu stellen, so tritt an deren Stelle die Erbringung von Geldleistungen (Kostenerstattung). Bei der Kostenerstattung hat der Versicherte die gewünschte Leistung selbst am Markt zu besorgen; Die Sozialversicherung leistet dabei grundsätzlich keine Hilfestellung. Ihre Aufgabe beschränkt sich darauf, die vom Versicherten für die Inanspruchnahme von Gesundheitsgütern aufgewendeten Kosten im Nachhinein bis zu einem gewissen Höchstbetrag zu erstatten.

1.3 Die nach ASVG Versicherten erhalten die Krankenbehandlung grundsätzlich als Sachleistung. Der Versicherte ist aber nicht verpflichtet, von Vertragsärzten und Vertragseinrichtungen oder von eigenen Einrichtungen der Versicherungsträger Gebrauch zu machen. So räumt § 131 Abs 1 ASVG dem Versicherten die Möglichkeit ein, ärztliche Hilfe auch bei Ärzten und Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, die in keinem Vertragsverhältnis zum leistungspflichtigen Krankenversicherungsträger stehen. In diesem Fall ist der Kostenerstattungsanspruch mit 80 % jener Aufwendungen begrenzt, die dem Krankenversicherungsträger bei Inanspruchnahme eines entsprechenden Vertragspartners erwachsen wären. Fälle des Fehlens vertraglicher Regelungen werden in den §§ 131a und 131b ASVG geregelt. § 131a ASVG betrifft dabei den Fall, dass ehemals eine vertragliche Regelung bestanden hat, diese aber (aus welchen Gründen immer) weggefallen ist, sodass zur Zeit der Leistungserbringung ein „vertragsloser Zustand" besteht. Nimmt der Versicherte außerhalb einer eigenen Einrichtung des Versicherungsträgers eine Leistung in Anspruch, so ist ihm der Versicherungsträger zur Kostenerstattung in der Höhe jenes Betrags verpflichtet, der vor Eintritt des vertragslosen Zustands bei Inanspruchnahme der wahlärztlichen Hilfe zu leisten gewesen wäre. Der Versicherungsträger kann diese Kostenerstattung durch die Satzung unter Bedachtnahme auf seine finanzielle Leistungsfähigkeit und das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten erhöhen (§ 131a ASVG). In Fällen, in denen „andere" Vertragspartner - gemeint sind offenbar die in § 135 Abs 1 zweiter Satz ASVG genannten Berufsgruppen - infolge des Fehlens von Verträgen nicht zur Verfügung stehen, ist nach § 131b ASVG die Regelung des § 131a ASVG anzuwenden, allerdings mit der Maßgabe, dass in jenen Fällen, in denen noch keine Verträge für den Bereich einer Berufsgruppe bestehen, der Versicherungsträger den Versicherten die - unter Bedachtnahme auf die finanzielle Leistungsfähigkeit des Versicherungsträgers und das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten - festgesetzten Kostenzuschüsse zu leisten hat.

1.4 Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 1. 12. 2000, V 70, 71/96 (= ZAS 2001/7, 57 ff [Kletter]) in diesem Zusammenhang dargelegt hat, besteht keine Pflicht des Krankenversicherungsträgers, alle erdenklichen und medizinisch möglichen Leistungen als Sachleistungen ohne Zuzahlungen des Versicherten zu erbringen. Dem entspricht es, dass dem Versicherten auch in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl 10 ObS 136/92 = SSV-NF 6/142) ganz allgemein kein Rechtsanspruch auf die „jeweils weltbeste medizinische Versorgung", sondern bloß auf eine ausreichende und zweckmäßige, das Maß des Notwendigen nicht überschreitende Krankenbehandlung (§ 133 Abs 2 ASVG) zuerkannt wird. Vor diesem Hintergrund trifft den Krankenversicherungsträger nicht die Pflicht, im Falle „außervertraglicher" (= vom Gesamtvertrag nicht umfasster und daher nicht als Sachleistung in Betracht zu ziehender) Leistungen die dem Versicherten entstandenen Behandlungskosten zur Gänze zu tragen. Eine solche Pflicht ließe das - das sozialversicherungsrechtliche Leistungssystem beherrschende - Sachleistungsprinzip nämlich von vornherein als überflüssig erscheinen und leer laufen. Auch der Umstand, dass eine „außervertragliche" Behandlung, der sich der Versicherte unterzogen hat, medizinisch notwendig und zweckmäßig, allenfalls auch mit niedrigeren Kosten als die sonst üblichen Behandlungsmethoden verbunden war, kann an diesem Ergebnis nichts ändern, weil die medizinische Notwendigkeit einer ärztlichen Leistung stets Leistungsvoraussetzung für den Krankenversicherungsträger ist und daher - bei Fehlen einer den Träger treffenden Pflicht, die in Rede stehende Leistung als Sachleistung zu erbringen - über das Ausmaß der zu erbringenden Geldleistung nichts auszusagen vermag. Der Verfassungsgerichtshof gelangte daher in diesem Erkenntnis vom 1. 12. 2000, V 70, 71/96, zu dem Ergebnis, dass aus dem Blickwinkel des Sachlichkeitsgebots § 60a B-KUVG (entspricht inhaltlich § 131b ASVG) betreffend satzungsmäßige Kostenzuschüsse bei Fehlen einer Vertragsregelung mit einer Berufsgruppe analog auf den Fall angewendet werden kann, dass eine neuartige ärztliche Leistung vertraglich noch nicht erfasst ist (in diesem Sinne auch 10 Ob 72/05v = SSV-NF 19/54). Der Versicherungsträger hat daher auch für diese Leistungen unter Bedachtnahme auf seine finanzielle Leistungsfähigkeit einen Kostenersatz in Form von Kostenzuschüssen in seiner Satzung vorzusehen.

2.1 Während somit für die ASVG-Versicherten ein eindeutiger Vorrang der Sachleistungsvorsorge gegeben ist, ist das Sachleistungsprinzip im GSVG deutlich schwächer ausgeprägt. So besteht im GSVG ein gesetzlicher Anspruch auf Sachleistungsgewährung nur ausnahmsweise für die in § 85 Abs 4 GSVG genannte Versichertengruppe. Weiters kann der Versicherungsträger nach § 85 Abs 3 zweiter Satz GSVG in seiner Satzung bestimmen, dass für Versicherte (Pensionisten) ab einer bestimmten Einkommenshöhe anstelle von Sachleistungen nur Geldleistungen gewährt werden. Da das Sachleistungsprinzip im GSVG somit eine wesentlich geringere Bedeutung als nach dem ASVG hat, sieht § 85 Abs 4 GSVG auch den Fall ausdrücklich vor, dass vertragliche Regelungen für einzelne Versichertengruppen oder bestimmte Leistungen nicht bestehen. Das GSVG geht also selbst davon aus, dass die Gesamtverträge „lückenhaft" sein können, indem sie nicht alle Versicherten und nicht alle Leistungen umfassen (vgl Mosler in Strasser, Arzt und gesetzliche Krankenversicherung 193 und 211).

2.2 Gemäß § 85 Abs 4 GSVG sind, soweit vertragliche Regelungen für alle oder einzelne Gruppen von Versicherten oder für bestimmte Leistungen nicht bestehen, anstelle von Sachleistungen Geldleistungen durch Kostenersätze nach Maßgabe der Bestimmungen des Abs 2 lit c zu gewähren. Gemäß § 85 Abs 2 lit c GSVG erhält der Geldleistungsberechtigte Kostenersatz für ärztliche Hilfe nach einem Vergütungstarif, der einen Bestandteil der Satzung darstellt, bis zur Höhe von 80 vH der dem Versicherten für die jeweilige Leistung erwachsenden Kosten. Aus diesen Bestimmungen zeigt sich deutlich, dass der Gesetzgeber dort, wo er einen vertragsfreien Raum vorsieht bzw für möglich hält, Vorsorge durch Kostenerstattung trifft. Bei sogenannten „außervertraglichen" Leistungen sind daher anstelle von Sachleistungen Kostenersätze nach Maßgabe des § 85 Abs 2 lit c GSVG zu gewähren. Das heißt, der Krankenversicherungsträger kann einen Vergütungstarif festlegen, der einen Bestandteil der Satzung bildet. Obergrenze hiefür sind 80 % der den Versicherten erwachsenden Kosten.

2.3 Zutreffend macht die Beklagte in ihrer Revision geltend, dass für einen Teil der vom Kläger im Ausland in Anspruch genommenen ärztlichen Leistungen (Thermoablationen) im verfahrensgegenständlichen Zeitraum keine vertraglichen Regelungen bestanden haben, sodass gemäß § 85 Abs 4 GSVG anstelle von Sachleistungen Geldleistungen durch Kostenersätze nach Maßgabe der Bestimmungen des § 85 Abs 2 lit c GSVG zu gewähren sind. Dieser in § 85 Abs 2 lit c GSVG genannte Vergütungstarif ist in der Anlage 1 der Satzung 2003 der Beklagten näher geregelt. Die Kostenersätze geldleistungsberechtigter Versicherter werden nach Anlage 1 der Satzung 2003 nach Vorlage saldierter Honorarnoten über geleistete ärztliche Hilfe grundsätzlich unter Zugrundelegung der im Rahmen des Gesamtvertrags mit der österreichischen Ärztekammer abgeschlossenen Honorarordnung erbracht. Nach Abs 2 der Anlage 1 der Satzung 2003 erstattet die Anstalt im Falle der Inanspruchnahme von Behandlungs-, Untersuchungsmethoden und Leistungen, die als zweckmäßig und das Maß des Notwendigen nicht überschreitend anerkannt werden, die aber in dem im vorstehenden Absatz genannten Gesamtvertrag (in der Honorarordnung) nicht geregelt sind, je Behandlung bzw Untersuchung 60 vH der nachgewiesenen Kosten, höchstens jedoch den Betrag von 275 EUR. Mit dieser Regelung wurde, wie die Beklagte zutreffend ausführt, die Möglichkeit geschaffen, im Falle der Inanspruchnahme neuer Behandlungs- und Untersuchungsmethoden, die als zweckmäßig und das Maß des Notwendigen nicht überschreitend anerkannt werden, eine angemessene Leistung zu gewähren. Eine derartige Kostenerstattung wird demnach in der Höhe von 60 vH der nachgewiesenen Kosten pro Behandlung bzw Untersuchung, höchstens jedoch in der Höhe von 275 EUR gewährt. Dabei macht es nach ebenfalls zutreffender Rechtsansicht der Beklagten keinen Unterschied in der Anwendung dieser Bestimmung, ob eine bestimmte neue Behandlungs- bzw Untersuchungsmethode in Österreich zwar grundsätzlich erbracht wird, die Beklagte jedoch keine vertragliche Leistungserbringung mit einem potentiellen Leistungserbringer vereinbart hat, oder ob diese bestimmte Behandlungs- bzw Untersuchungsmethode - wie im vorliegenden Fall - in Österreich grundsätzlich nicht erbracht wird und daher auch keine vertraglichen Regelungen bestehen können. In diesem Sinne hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 136/92 (= SSV-NF 6/142) im Falle eines stationären Aufenthalts des Versicherten im Ausland die Auffassung vertreten, dass die Kostenerstattung nach dem damals in Geltung gestandenen § 28 der Satzung der Beklagten iVm §§ 85 Abs 2 und 86 Abs 2 sowie 96 GSVG zu erfolgen habe. Dem Einwand des Klägers in seiner Revisionsbeantwortung, er habe sehr wohl einen Anspruch auf Sachleistung gehabt, den die Beklagte nur dadurch vereitelt habe, dass sie keine Sachleistungen anbiete, ist neben den bereits dargelegten Erwägungen zur einschränkten Geltung des Sachleistungsprinzips im GSVG noch entgegen zu halten, dass sich die Organisation der Krankenversicherung auf das österreichische Staatsgebiet beschränkt und für den Sozialversicherungsträger daher keine Verpflichtung besteht, Verträge mit Einrichtungen der Krankenbehandlung im Ausland abzuschließen (vgl 10 ObS 2296/96m = SSV-NF 10/114 ua).

3.1 Weiters macht der Kläger in seiner Revisionsbeantwortung unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 14. 12. 2004, 10 ObS 67/04g geltend, die Satzungen der Krankenversicherungsträger seien verfassungskonform dahin auszulegen, dass sie in Fällen, in denen die Versicherungsträger ihrer gesetzlichen Pflicht, die medizinisch erforderlichen Behandlungen als Sachleistungen anzubieten, nicht nachkämen, einen angemessenen Kostenersatzanspruch für die vom Versicherten vorerst privat zu beschaffenden Behandlungen vorsähen. Im vorliegenden Fall würden bei Anwendung eines Höchstbetrags von 275 EUR bei tatsächlichen Kosten der als Einheit anzusehenden Behandlung von 26.615,11 EUR lediglich 1,03 % der Kosten ersetzt. Eine verfassungskonforme Interpretation der Satzung könne nur zu dem Ergebnis führen, dass der Kläger zwar einen Selbstbehalt von 20 % zu tragen habe, sein Kostenersatzanspruch im Übrigen jedoch die restlichen 80 % der notwendigen und zweckmäßigen Behandlungskosten umfasse.

3.2 Diesen Ausführungen ist zunächst wiederum entgegen zu halten, dass für die Beklagte keine Verpflichtung bestanden hat, Verträge mit Einrichtungen der Krankenbehandlung im Ausland abzuschließen, um dem Kläger entsprechende Sachleistungen im Ausland anbieten zu können. Schon insoweit unterscheidet sich der gegenständliche Sachverhalt von dem in der Entscheidung 10 ObS 67/04g beurteilten. Dieser Entscheidung lag nämlich ein gesetzlicher Anspruch des damaligen Klägers auf Sachleistungsgewährung (medizinische Hauskrankenpflege) zugrunde, wofür mangels Bestehens vertraglicher Regelungen in der Satzung ein Kostenzuschuss gemäß § 131b ASVG in Höhe eines Pauschalsatzes von 8,72 EUR pro Pflegetag vorgesehen war. Die Bedenken des erkennenden Senats wegen Gesetzwidrigkeit dieser Satzungsregelung gingen dahin, dass dadurch dem damaligen Kläger im Ergebnis nur ein ganz geringfügiger, praktisch nicht ins Gewicht fallender Teil (ca 1 %) seiner Krankenbehandlungskosten ersetzt würde und ihm damit der gesetzliche Anspruch auf Sachleistungsgewährung im Wege des Kostenzuschusses de facto „abgeschnitten" würde. Bei dieser Sachlage vertrat der erkennende Senat in der Entscheidung 10 ObS 67/04g schließlich die Auffassung, dass bei einer verfassungskonformen Auslegung der Satzungsbestimmungen davon auszugehen sei, dass dieser Pauschalsatz für die Bestimmung der Höhe des Kostenersatzes im damals zu beurteilenden Fall nicht heranzuziehen sei.

3.3 Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 18. 3. 2005, V 97/03, eine entsprechende Regelung über Kostenzuschüsse für medizinische Hauskrankenpflege in der Satzung 1999 der Wiener Gebietskrankenkasse wegen Gesetzwidrigkeit aufgehoben. Er hat insbesondere darauf verwiesen, dass dem Krankenversicherungsträger bei Erlassung der entsprechenden Satzungsregelung zwar ein weiter rechtspolitischer Spielraum zukomme. Er habe aber bei Festlegung der Höhe eines Kostenzuschusses für Hauskrankenpflege, der an die Stelle einer mangels geeigneter Vertragspartner nicht gewährten Pflichtleistung trete, mit in Betracht zu ziehen, um welche Art von Pflegeleistungen es sich dabei handeln könne und in welcher Häufigkeit diese Pflegeleistung typischerweise benötigt werden könne. Eine Pauschalierung des Kostenzuschusses wäre zwar nicht von vornherein unzulässig, hätte aber eine Orientierung an einer Durchschnittsbetrachtung vorausgesetzt und hätte daher keinesfalls an der Untergrenze des in Betracht kommenden Aufwands erfolgen dürfen.

3.4 Bei Berücksichtigung dieser Erwägungen bestehen gegen die hier maßgebende Bestimmung der Anlage 1 der Satzung 2003 der Beklagten keine Bedenken wegen Gesetzwidrigkeit. Die Satzung hat zu berücksichtigen, dass die finanziellen Ressourcen der Versichertengemeinschaft beschränkt sind, weil ein angemessenes Beitragsniveau beibehalten werden soll; sie hat bei Festsetzung des Kostenzuschusses aber auch zu berücksichtigen, dass die Versicherten Anspruch auf eine ausreichende Versorgung mit Krankenbehandlungsleistungen haben. Der Krankenversicherungsträger ist nicht verpflichtet, den Versicherten alle denkbaren und medizinisch möglichen Leistungen als Sachleistungen ohne Zuzahlungen zu erbringen; der Krankenversicherungsträger ist dann aber auch bei Fehlen gesamtvertraglicher Regelungen nicht verpflichtet, den Kostenzuschuss so zu bemessen, dass dem Versicherten die tatsächlich entstandenen Behandlungskosten zur Gänze ersetzt werden. So wurde beispielsweise vom erkennenden Senat ein Zuschuss zur Behandlung bei einem Psychotherapeuten in Höhe von 50 % als unbedenklich bewertet (10 ObS 57/03k = ZAS 2004/13, 78 [insoweit zustimmend Rebhahn]).

3.5 Im vorliegenden Fall ist grundsätzlich eine Kostenerstattung von 60 % der nachgewiesenen Kosten pro Behandlung bzw Untersuchung, höchstens jedoch in der Höhe von 275 EUR pro Behandlung bzw Untersuchung vorgesehen. Es erscheint bei der gebotenen Durchschnittsbetrachtung aber nicht unsachlich, dass insbesondere bei sehr teuren außertariflichen Behandlungen im Ausland der Kostenerstattungstarif der Satzung allenfalls auch nur einen geringeren Teil der tatsächlich entstandenen Kosten abdeckt. Im vorliegenden Fall wurden von den Behandlungskosten des Klägers für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum unter Abzug der unstrittigen Kostenbeteiligung des Klägers von 20 % (§ 86 GSVG) von der Beklagten im Ergebnis rund 40 % ersetzt. Ein darüber hinausgehender Kostenersatz kommt aufgrund der maßgebenden Bestimmungen der §§ 85 f GSVG iVm Anlage 1 der Satzung 2003 der Beklagten nicht in Betracht.

4. Das Begehren des Klägers kann aber auch nicht mit Erfolg auf das Gemeinschaftsrecht gestützt werden. So berechtigt zwar Art 49 EGV alle Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten aufgrund der Tatsache, dass sie in der Gemeinschaft niedergelassen sind, die Erstattung der in einem anderen Mitgliedstaat entstandenen Kosten ärztlicher Behandlung nach den Tarifen des Versicherungsstaats zu verlangen, auch wenn sie nicht über eine Genehmigung zur Behandlung im anderen Mitgliedstaat nach Art 22 Abs 1 lit c der VO (EWG) Nr 1408/71 verfügen. Die Ansicht des Klägers, der zuständige Träger habe sämtliche, dem Versicherten entstandenen Kosten zu erstatten, wurde aber in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bereits ausdrücklich abgelehnt. Lässt sich somit ein Versicherter ohne Genehmigung in einem anderen Mitgliedstaat medizinisch behandeln, so tut er dies mit dem Risiko einer finanziellen Eigenbelastung (vgl 10 ObS 137/04a = ZAS 2005/37, 224 [Wolliger] mwN). Der Kläger kommt daher im Revisionsverfahren zu Recht nicht mehr auf sein diesbezügliches Vorbringen in erster Instanz zurück. Soweit der Kläger sein Klagebegehren in erster Instanz auch auf den Titel des Schadenersatzes nach dem ABGB gestützt hat, ist darauf hinzuweisen, dass derartige Ansprüche gegen die Beklagte nicht in die Zuständigkeit der Arbeits- und Sozialgerichte fallen (vgl zuletzt 10 ObS 121/08d mwN ua).

Es waren daher in Stattgebung der Revision der Beklagten die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass auch das noch strittige Klagebegehren abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Für einen Kostenersatz nach Billigkeit sind neben den rechtlichen (oder tatsächlichen) Schwierigkeiten des Verfahrens auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten maßgebend. Berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers, welche einen ausnahmsweisen Kostenersatz nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht bescheinigt und sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich.

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