OGH 3Ob218/08t

OGH3Ob218/08t25.2.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Melad S*****, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger, Dr. Peter Mardetschläger und Mag. August Schulz, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Fatiha K*****, vertreten durch Mag. Ursula Hubacek, Rechtsanwältin in Wien, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 1. Juli 2008, GZ 43 R 410/08z-59, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Favoriten vom 26. März 2007, GZ 6 C 881/05v-54, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung der Vorinstanzen wird im Ausspruch über das Verschulden dahin abgeändert, dass es insgesamt zu lauten hat:

„Die zwischen den Parteien am 15. April 2003 vor dem Standesamt Wien-Brigittenau (Nr 268/2003) geschlossene Ehe wird aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers mit der Wirkung geschieden, dass sie mit Rechtskraft dieses Urteils aufgelöst ist."

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 904,80 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin 150,80 EUR USt und 9 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die anteilige Pauschalgebühr erster Instanz von 47,75 EUR binnen 14 Tagen zu ersetzen. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrt die Scheidung der am 15. 4. 2003 mit der Beklagten geschlossenen Ehe, der keine Kinder entstammen, aus dem Alleinverschulden der Beklagten. Diese verhalte sich ihm gegenüber schon seit längerer Zeit lieblos, beschimpfe ihn auf ordinärste Weise, sei sehr aggressiv und habe ihn lautstark angeschrien und ihm auch Ohrfeigen versetzt. Die Beklagte habe ihn öfter ausgesperrt, sodass er bei seiner Schwester habe nächtigen müssen. Die Beklagte beantragte, dass Klagebegehren abzuweisen. Für den Fall der Scheidung beantragte sie den Ausspruch, dass das überwiegende Verschulden daran den Kläger treffe. Der Kläger sei ihr gegenüber bereits im April 2004 gewalttätig gewesen und weggewiesen worden. Sie habe ihn finanziell während seines Studiums und danach unterstützt, ihm seien Beträge in der Größenordnung von 30.000 EUR zugekommen. Ihr gesundheitlicher Zustand habe sich seit Juli 2004 verschlechtert, sie müsse seither einen Rollstuhl verwenden. Der Kläger habe offenbar nur abgewartet, dass ihm die österreichische Staatsbürgerschaft zuerkannt werde. Er habe die Beklagte böswillig verlassen und sei grundlos aus der ehelichen Wohnung ausgezogen. Wiederholt habe er während aufrechter ehelicher Lebensgemeinschaft auswärts genächtigt, ohne Auskunft über seinen Aufenthalt zu geben. Er habe überdies die Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Beklagten verletzt. Das Erstgericht sprach die Scheidung der Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden beider Teile aus. Es traf folgende wesentliche Feststellungen:

Der Kläger ist in seiner Heimat Ägypten ausgebildeter Mediziner, er kam 1999 nach Österreich, wo er sich um die Nostrifizierung seiner Ausbildung bemühte. Die erste Teilprüfung legte er am 7. 11. 2001 ab, in der Folge absolvierte er etwa ein bis zwei Teilprüfungen pro Jahr. Die Nostrifizierung ist noch nicht zur Gänze abgeschlossen. Der Kläger ist seit 26. 5. 2003 bei der C***** beschäftigt und war zunächst sechs Monate lang vollzeitbeschäftigt als Pflegehelfer. Danach reduzierte er im Einvernehmen mit der Beklagten nach etwa acht Monaten seine Arbeitszeit auf 30 Wochenstunden, um sich seinem Studium besser widmen zu können. Vom 26. 5. 2003 bis 31. 12. 2003 bezog er ein Einkommen von 9.364,26 EUR, im Jahr 2004 ein Einkommen von 13.910,24 EUR. Im Jahr 2005 bis zur Auflösung des gemeinsamen Haushalts durch Auszug des Klägers aus der ehelichen Wohnung verdiente er monatlich 1.418,16 EUR.

Die Beklagte ist nach einem Unfall im Jahr 1993 gesundheitlich stark beeinträchtigt und seit 2004 auf die Benützung eines Rollstuhls angewiesen. Sie bezieht seit Jänner 2006 eine Pension in der Höhe von 522,67 EUR, eine Versehrtenrente von 123,62 EUR und seit April 2006 zusätzlich eine Ausgleichszulage von 116,03 EUR, dies jeweils monatlich, insgesamt vierzehn Mal im Jahr. In den Jahren zuvor hatte sie ein ähnliches, lediglich geringfügig geringeres Einkommen. Allgemeine Lebenskosten wurden während des Zusammenlebens von beiden Parteien getragen. Die Beklagte finanzierte einen gemeinsame Reise nach Ägypten im Mai 2004 und einen Urlaub in Paris im April 2004. Der Kläger überwies einmal 1.500 EUR und ein weiteres Mal 800 EUR an die Beklagte. Er kaufte für die gemeinsame Wohnung unter anderem einen Küchenblock, eine Couch, eine Tiefkühltruhe und eine Waschmaschine, wofür er insgesamt 2.365 EUR bezahlte.

Die Beziehung zwischen den Parteien verlief am Anfang noch sehr harmonisch, seit 2004 verschlechterte sich die Situation jedoch, zuletzt wurde vier- bis fünfmal pro Woche gestritten. Zu Beginn der Beziehung unterstützte die Beklagte den Kläger massiv, sie zahlte für sein Visum und die Nostrifizierung seines Studiums zwischen April 2001 und März 2003 rund 22.000 EUR, sie trug auch die Einrichtungs- und Bezugskosten der Ehewohnung. Hinsichtlich der Rückzahlung dieses Betrags wurde keine ausdrückliche Vereinbarung getroffen, Ende 2003/Anfang 2004 forderte die Beklagte den Kläger erstmals auf, ihr dieses Geld zurückzuzahlen. Der Kläger verweigerte dies, weil er zu wenig Geld hatte. Die Beklagte forderte ihn öfter zur Rückzahlung auf, der Kläger vertröstete sie manchmal, manchmal meinte er auch, dass er das Geld nie zurückzahlen werde.

Vor diesem Hintergrund verschlechterte sich die Beziehung zwischen den Parteien zusehends. Der Kläger verließ, manchmal wegen eines Streits, manchmal ohne Anlass, immer wieder die eheliche Wohnung, teilweise auch über Nacht, ohne der Beklagten mitzuteilen, wohin er ging oder wo er nächtigen würde. Meist übernachtete er bei seiner Schwester. Auch über seine finanziellen Belange ließ er die Beklagte im Ungewissen, er gab weder Auskünfte über sein Einkommen, noch stellte er die Beklagte seinen Familienmitgliedern vor. Im Rahmen von Streitigkeiten beschimpfte der Kläger die Beklagte mit Worten wie „Krüppel", während die Beklagte ihn unter anderem als „schwarzes Schwein" und „schwul" bezeichnete. Die Beklagte spuckte dem Kläger auch ins Gesicht. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen forderte die Beklagte den Kläger öfters auf, die Wohnung zu verlassen. Zumindest einmal versperrte sie Abends die Wohnung und ließ den Schlüssel innen im Schloss stecken, sodass der gegen 19:30 Uhr von der Arbeit heimkehrende Kläger die Wohnungstür nicht öffnen konnte. Die Beklagte ignorierte sein Klopfen, wobei nicht fest steht, ob sie schlief. Der Kläger musste die Wohnungstür mit Hilfe von Polizei und Feuerwehr öffnen lassen.

Mehrmals kam es auch zu Handgreiflichkeiten beider Parteien. Am 8. 4. 2004 würgte der Kläger die Beklagte, bedrohte sie mit einem Messer und warf sie zu Boden. Die Beklagte erlitt dabei eine Schnittwunde an der linken Hand und eine Schädelprellung, sie verlor mehrere Zähne. Aufgrund dieses Vorfalls wurde gegen den Kläger ein Betretungsverbot gemäß § 38a SPG erlassen. Als die Beklagte wenige Tage später mit dem Zug nach Paris reisen wollte, traf sie am Bahnhof auf den Kläger, verzieh diesem nach einem mehrstündigen Gespräch und nahm ihn mit nach Paris. Ein Monat später überwies der Kläger der Beklagten 1.500 EUR für eine zahnärztliche Behandlung. Die Strafanzeige gegen den Kläger wurde gemäß § 90 Abs 1 StPO zurückgelegt.

Die Beklagte wiederum packte und riss den Kläger bei mehreren Gelegenheiten an seiner Kleidung, sie gab ihm im Dezember 2004 auch eine Ohrfeige.

Kurz vor dem Auszug des Klägers aus der Ehewohnung im April 2005 wurde ihm die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Es kann nicht festgestellt werden, ob und inwieweit dies seinen Entschluss, die Ehe zu beenden, beeinflusst hat. Zu diesem Zeitpunkt war für ihn die Ehe bereits unheilbar zerrüttet. Es kann auch nicht festgestellt werden, ob die Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft bei der Eheschließung eine Rolle für ihn gespielt hat.

Im Mai 2005 zog der Kläger aus der Ehewohnung aus, als er diese nicht betreten konnte, weil sie versperrt war. Er kehrte kurz darauf noch einmal für etwa zwei Wochen zurück und verließ die Beklagte dann endgültig. Seither leben die Streitteile voneinander getrennt. Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass beide Teile schwere Eheverfehlungen begangen hätten. Ihre Ehe sei nach den Feststellungen zerrüttet. Eine Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft könne nicht erwartet werden. Da nicht einen der Streitteile ein erheblich schwereres Verschulden an den Eheverfehlungen treffe als den anderen, sei auszusprechen gewesen, dass das Verschulden beide Teile treffe. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Scheidungsbegehren des Klägers im Sinn des § 49 EheG sittlich nicht gerechtfertigt gewesen wäre. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es übernahm die Feststellungen des angefochtenen Urteils und führte rechtlich aus:

Zwar sei die der Beklagten vom Kläger zugefügte Verletzung wesentlich schwerer zu werten als ihre Tätlichkeiten ihm gegenüber, man müsse jedoch das Verhalten der Parteien in seiner Gesamtheit beurteilen. Sie seien sich vor allem verbal nichts schuldig geblieben. Darüber hinaus habe die Beklagte dem Kläger die Verletzung sehr schnell verziehen. Weder könne von einem Alleinverschulden noch von einem diesem grundsätzlich gleichstehenden überwiegenden Verschulden des Klägers ausgegangen werden. Insbesondere sei auch eine Verletzung der Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber der Beklagten nicht erwiesen. Die Beklagte sei darüber hinaus mit einer Reduzierung der Arbeitszeit durch den Kläger einverstanden gewesen, daher habe sie auch mit einer Einkommenseinbuße rechnen müssen. Der Auszug des Klägers sei unbestritten zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem zumindest aus seiner Sicht die Ehe unheilbar zerrüttet gewesen sei, sodass durch den Auszug eine weitere Zerrüttung nicht möglich sei.

Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu beurteilen sei.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Ersturteil im klageabweisenden Sinn abzuändern und das alleinige Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe festzustellen; hilfsweise möge das überwiegende Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe festgestellt werden.

Der Kläger beantragt, die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise abzuweisen.

Die Verschuldensbemessung bei der Scheidung erfolgt nach den Umständen des Einzelfalls und kann in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage begründen (RIS-Justiz RS0119414). Die Revision ist dennoch zulässig, weil die Gewichtung der beiderseitigen Eheverfehlungen durch das Berufungsgericht mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht im Einklang steht. Die Revision ist im Sinne des Eventualantrags auch berechtigt.

Nach der Rechtsprechung kann sich die Gewichtung einzelner Eheverfehlungen nicht in einer zahlenmäßigen Gegenüberstellung beiderseitiger Eheverfehlungen erschöpfen. Das Verhalten der Ehegatten muss vielmehr in seinem Zusammenhang gesehen werden. Maßgeblich ist das Gesamtverhalten, der Grad der Vorwerfbarkeit und der Schuldgehalt der Eheverfehlungen. Vor allem ist zu berücksichtigen, welche Partei mit der schuldhaften Zerstörung der Ehe begonnen und wer den entscheidenden Beitrag zur Zerrüttung geleistet hat. Hat das schuldhafte Verhalten eines Teils jenes des anderen nach sich gezogen, so ist dem Beitrag des Ersten in der Regel größeres Gewicht beizumessen (RIS-Justiz RS0057223; RS0057361; RS0057367).

Zutreffend weist die Beklagte in ihrer Rechtsmittelschrift darauf hin, dass nach den Feststellungen der Kläger die Einleitung der Zerrüttung der Ehe dadurch verursacht hat, dass er die von der Beklagten geforderte Rückzahlung des Betrags von rund 22.000 EUR verzögerte und auch meinte, dass er das Geld nie zurückzahlen werde. Dies ergibt sich aus den Feststellungen (arg: „Vor diesem Hintergrund verschlechterte sich die Beziehung zwischen den Parteien zusehends weiter ...") im Zusammenhalt mit der Beweiswürdigung des Erstgerichts, wonach nach Ansicht des Klägers der „Stein des Anstoßes" für die Meinungsverschiedenheiten die Forderung der Beklagten auf Rückzahlung dieses Geldes war.

Eine schwere Eheverfehlung liegt gemäß § 49 EheG insbesondere vor, wenn ein Ehegatte dem anderen körperliche Gewalt zugefügt hat. Jede Gewalt in der Ehe und Familie ist prinzipiell verpönt, jede körperliche Misshandlung steht außerhalb des Rahmens, in dem Reaktionshandlungen auf vorangegangenes ehewidriges Verhalten des anderen Ehepartners im Zusammenleben eines Ehepaars noch verständlich und entschuldbar sein könnten (9 Ob 33/03y = SZ 2003/83; Stabentheiner in Rummel, ABGB³ § 49 EheG Rz 4).

Nach den Feststellungen würgte der Kläger die Beklagte, er bedrohte sie mit einem Messer, warf sie zu Boden und verletzte sie. Dieser schwere Angriff des Klägers hatte seine Wegweisung zur Folge und ist unzweifelhaft eine schwere Eheverfehlung, deren Gewicht nicht durch die der Beklagten vorzuwerfenden körperlichen Aggressionen gegen den Kläger aufgewogen werden kann. Auch bereits verziehene Eheverfehlungen können für die Beurteilung des beiderseitigen Verschuldens berücksichtigt werden, wenn dies wie im konkreten Fall der Billigkeit entspricht (RIS-Justiz RS0057247; RS0057358; RS0043434). Mag die Beklagte die Gewalttätigkeit des Klägers vom 8. 4. 2004 nach einem mehrstündigen Gespräch auch verziehen haben, so ändert dies aufgrund deren unverhältnismäßiger Intensität nichts an ihrer Berücksichtigung für die Beurteilung des Verschuldens des Klägers.

Schließlich ist der Kläger im Mai 2005 zwar aus der Wohnung ausgezogen, als für ihn die Ehe bereits unheilbar zerrüttet war. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass er noch einmal für immerhin zwei Wochen zurückkehrte und erst danach die Beklagte endgültig verließ. Dass zu diesem Zeitpunkt auch für die Beklagte die Ehe bereits unheilbar zerrüttet gewesen wäre, steht nicht fest. Die Verletzung der Pflicht zum gemeinsamen Wohnen, insbesondere durch nicht gerechtfertigtes Aufheben der ehelichen Gemeinschaft stellt jedoch eine schwere Eheverfehlung dar (2 Ob 170/98h). Mag der Kläger im Mai 2005 keinen Zutritt zur versperrten Wohnung gehabt haben, so steht nicht fest, warum der Kläger, der kurz nach seinem (ersten) Auszug noch einmal zwei Wochen bei der Beklagten wohnte, diese dann endgültig verließ. Insbesondere sind auch keine Eheverfehlungen der Beklagten für diesen Zeitraum festgestellt, die für den Kläger das Zusammenleben mit ihr unzumutbar hätten erscheinen lassen können. Eine unheilbare Ehezerrüttung iSd § 49 EheG ist dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat (RIS-Justiz RS0056832). Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer neuen Verfehlung und der Zerrüttung ist im Allgemeinen nicht vorhanden, wenn die Ehe so tief zerrüttet ist, dass eine weitere Zerrüttung nicht mehr eintreten konnte (RIS-Justiz RS0056939). Es gibt aber Fälle, in denen die Ehe zwar tiefgreifend, aber nicht unheilbar zerrüttet ist und in denen vor allem ein Teil die Zerrüttung noch nicht als unheilbar empfand, weshalb er weitere Eheverfehlungen noch als ehezerstörend ansehen musste (5 Ob 153/06w). Selbst nachdem die Ehe aus dem Verschulden eines Ehegatten zerrüttet wurde, sind Eheverfehlungen des anderen Teils dann noch von Belang und geeignet, Mitverschulden zu begründen, wenn eine Vertiefung der Zerrüttung nicht ausgeschlossen werden kann und der zunächst schuldtragende Teil das Verhalten seines Gatten bei verständiger Würdigung noch als ehezerrüttend empfinden darf. Die Frage, ob die Ehe objektiv unheilbar zerrüttet ist, ist eine aufgrund der Feststellungen zu entscheidende Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0043423).

Es wäre Sache des Klägers gewesen zu beweisen, ob für seinen Auszug aus der gemeinsamen Ehewohnung ein Rechtfertigungsgrund bestand (RIS-Justiz RS0109128). Es geht daher zu seinen Lasten, dass nicht festgestellt wurde, warum er nach seinem ersten Auszug aus der Ehewohnung zurückkehrte um, nach Verstreichen zweier Wochen ohne (weitere) Eheverfehlungen der Beklagten, neuerlich und endgültig auszuziehen. Derartig schwere Eheverfehlungen der Beklagten, die dem Kläger das Zusammenleben mit ihr zum Zeitpunkt seines endgültigen Auszugs unmöglich gemacht hätten, wurden nicht festgestellt. Es steht nicht fest, dass die Beklagte den endgültigen Auszug des Klägers aus der Ehewohnung nicht als Vertiefung der Zerrüttung empfand, sodass das Verlassen der Ehewohnung durch den Kläger im Rahmen der Beurteilung seines Verschuldens an der Zerrüttung der Ehe zu berücksichtigen ist.

Das Verschulden der Beklagten hat zwar insgesamt ein nicht zu vernachlässigendes Gewicht. Wesentliche ihr vorgeworfene Eheverfehlungen wie die Beschimpfungen des Klägers und ihre Streitsucht stehen aber gleichartigen Verfehlungen des Klägers gegenüber. Die ihr darüber hinaus vorzuwerfenden Eheverfehlungen auch nur annähernd mit dem Verschulden des Klägers gleichzusetzen, ist im Sinn der wiedergegebenen Rechtsprechung aber nicht zutreffend. Der Kläger hat nicht nur die Zerrüttung der Ehe begonnen (RIS-Justiz RS0057367), sondern auch einen entscheidenden Teil zu ihrer Vollendung beigetragen. Ihm ist schließlich eine nicht zu tolerierende massive Gewaltanwendung gegen die Beklagte und das endgültige Verlassen der Ehewohnung vorzuwerfen, sodass bei Berücksichtigung aller Umstände sein Verschulden erheblich schwerer wiegt als jenes der Beklagten (RIS-Justiz RS0057303). Der Scheidungsausschließungsgrund des § 49 Satz 3 EheG ist hier nicht verwirklicht. Insbesondere ergibt sich aus den Feststellungen nicht, dass ein Zusammenhang zwischen den von beiden Teilen gesetzten Verfehlungen besteht, der das Scheidungsbegehren sittlich nicht gerechtfertigt erscheinen ließe.

In teilweiser Stattgebung der Revision waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne des Ausspruchs des überwiegenden Verschuldens des Klägers abzuändern.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten beruht auf den §§ 43 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Bei überwiegendem Verschulden eines der Ehegatten ist die Ausmessung des Kostenersatzes dem begründeten Ermessen des Gerichts zu überlassen, dass hiebei auf die besonderen Umstände des Falls, insbesondere auf den Grad des Verschuldens, Bedacht zu nehmen hat (RIS-Justiz RS0035945). Danach entspricht es der Billigkeit, den Prozesserfolg der Beklagten mit drei Viertel zu bewerten und dementsprechend dem Kläger den Ersatz der Hälfte der Kosten der Beklagten - mit Ausnahme der Gerichtsgebühren - aufzuerlegen. Die jeweils von den Parteien getragenen Gerichtsgebühren waren gemäß § 43 Abs 1 letzter Satz ZPO im Verhältnis des Obsiegens zuzusprechen. Im Rechtsmittelverfahren sind die Kosten wechselseitig aufzuheben, weil infolge der Abweisung des Antrags auf Klageabweisung von einem gleichteiligen Obsiegen auszugehen ist.

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