OGH 9Ob43/08a

OGH9Ob43/08a25.11.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Hon.-Prof. Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U***** AG, *****, vertreten durch Dr. Peter Wasserbauer ua, Rechtsanwälte in Weiz, gegen die beklagte Partei Univ.-Prof. Dr. Peter K*****, vertreten durch Muhri & Werschitz Partnerschaft von Rechtsanwälten GmbH in Graz, wegen 7.842,19 EUR, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 10. Dezember 2007, GZ 17 R 141/07s-17, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 29. Juni 2007, GZ 41 C 1419/06v-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 971,04 EUR bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 161,84 EUR Umsatzsteuer) und die mit EUR 1.910,99 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 231,96 EUR Umsatzsteuer und 1.168 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin (bzw ihre Rechtsvorgängerin) hatte als Haftpflichtversicherer die Folgen eines von ihrem Versicherungsnehmer verschuldeten Verkehrsunfalls zu regulieren und dabei die Schmerzengeldansprüche des beim Unfall Verletzten zu begleichen. Sie beauftragte den Beklagten, der bereits ein Gutachten über die Folgen der unfallsbedingten Verletzungen erstattet hatte, eine Stellungnahme darüber abzugeben, „ob es angesichts der Fahrzeugbeschädigung bei angelegtem Gurt zu einer Minderung der Verletzungsfolgen und bei nicht verwendetem Gurt zu einer Vergrößerung kommen hätte können" (Beil ./6). Dem Auftrag waren Fotokopien von Fotos des beschädigten Fahrzeugs des Verletzten, die maßgebenden Krankengeschichten und eine Ambulanzkarte eines behandelnden Krankenhauses angeschlossen. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass von den intervenierenden Gendarmeriebeamten festgestellt worden sei, dass der Verletzte beim Unfall nicht angegurtet gewesen sei, und dass die erstversorgende Ärztin zu dieser Frage keine Angaben habe machen können. Der Verletzte behaupte jedoch, angegurtet gewesen zu sein.

Der Beklagte erstattete daraufhin ein Gutachten, in dem er - soweit hier von Interesse - Folgendes ausführte (die Hervorhebung einzelner Passagen durch Fettdruck folgt dem Original):

„...

Das Verletzungsmuster, speziell das der inneren Verletzungen, das sind ..., weist auf ein Verletzungsmuster durch Aufprall auf das Lenkrad hin. Aus dem Bericht geht jedoch nicht hervor, wie schnell die Dezellerationsgeschwindigkeit war. Aus dem Bild geht hervor, dass das Lenkrad deformiert, jedoch nicht gebrochen ist. Aus den Bildern Seite 69 geht hervor, dass auch der Fußraum des Wagens verkürzt war.

In Beantwortung des eingangs erstellten Fragenkataloges (Stellungnahme, ob es angesichts der Fahrzeugbeschädigung bei angelegtem Gurt zu einer Minderung der Verletzungsfolgen von Herrn ... bzw bei nicht verwendetem Gurt zu einer Ausweitung kommen hätte können) kommt der Gutachter zu folgender Annahme:

Dass, wie im Unfallbericht der intervenierenden Gendarmen bereits festgestellt worden ist, es sich bei diesem Verletzungsmuster nicht um eine Gurtverletzung, sondern um eine Verletzung durch den Aufprall auf das Lenkrad gehandelt haben könnte. Dafür spricht ... [Anm: hier werden eine Reihe von Verletzungen angeführt]. Es wurden auch keine Gurtmarken im Aufnahmebefund beschrieben.

Dieses Verletzungsmuster wäre bei angelegtem Gurt zu vermeiden gewesen, wobei der Gutachter mit an größter Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit einen Pneumothorax und eine Schlüsselbeinfraktur ausschließen kann. ... [Hier folgt eine Aufzählung der vom Gutachter (bedingt) ausgeschlossenen und nicht ausschließbaren Verletzungen.]

Zusammenfassend stellt der Gutachter fest, dass dieses Verletzungsmuster für die Nichtanlegung des Gurtes spricht.

Die Schwere der inneren Verletzungen hängt vom Aufpralldruck des Dezellerationsraums ab. Hier ist es nur sehr schwer abzuschätzen, ob eine Akrivierung der Verletzungen auch möglich gewesen wäre. Diese könnte bei größerem Aufpralldruck in Form einer Leberzerreißung und einer Brustbeinfraktur mit Gesichtsverletzungen bei Durchschlagen der Windschutzscheibe möglich sein. Ob die Windschutzscheibe intakt war, geht aus den Bildern nicht hervor.

Ob diese Hypothese eine Auswirkung auf den seinerzeit erstellten Schmerzkatalog hat, kann nur bedingt beantwortet werden.

In der Regel kommt es bei Gurtenanlegung zu weniger akrivierenden inneren Verletzungen. Dauerfolgen, welche nach einem Eröffnen der Bauchhöhle entstehen, wie ..., wären vermeidbar gewesen. Die Knochenverletzung im Bereich der linken Schulter ist ebenso bedingt bei Gurtenanlegung auszuschließen sowie die Rippenfraktur und der Pneumothorax.

Eine exakte Einschätzung einer Verminderung des Schmerzkataloges ist jedoch aufgrund einer retrospektiven hypothetischen Annahme derzeit nicht möglich."

Zwar nicht festgestellt, aber unstrittig ist folgender weiterer Sachverhalt:

Aufgrund des eben wiedergegebenen Gutachtens vom 26. 11. 2004 lehnte die Klägerin eine (weitere) Schmerzengeldforderung des Verletzten von 7.500 EUR mit der Begründung ab, den Verletzten treffe ein Mitverschulden wegen des Nichtanlegens des Gurtes. In der Folge wurde die Klägerin vom Verletzten beim Bezirksgericht Hartberg auf Zahlung von 7.500 EUR geklagt. Im über diese Klage durchgeführten Verfahren kam der vom Gericht beigezogene Sachverständige in seinem Gutachten zum Ergebnis, dass der Verletzte zum Unfallszeitpunkt angegurtet war (... mit allergrößter Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger ... angegurtet war).

Zu diesem Gutachten nahm der Beklagte in der Folge abermals schriftlich Stellung. Diese Stellungnahme erliegt als Beilage ./D im Akt. Da diese Beilage in ihrer Echtheit nicht bestritten wurde und ihrem Inhalt nach unbestritten blieb, kann sie der Entscheidung ohne weiteres zugrunde gelegt werden (1 Ob 128/07s; RIS-Justiz RS0121557). Der Beklagte wiederholt und vertieft darin seine eigenen Argumente, die gegen die Annahme sprechen, dass der Verletzte beim Unfall angegurtet war. Er setzt sich überdies mit den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen auseinander und kommt schließlich zu folgendem Ergebnis:

Der Gutachter kommt abschließend zum Schluss, dass die Schwere der inneren Verletzungen, wie sie zweifelsohne beim Unfallpatienten bestanden haben, auch [bei] Anlegen eines Sicherheitsgurtes möglich gewesen sind. Dies kann weder vom Vorgutachter noch vom derzeitigen Gutachter ausgeschlossen werden.

Für das Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes spricht das Aufnahmeprotokoll, das weder im Gendarmeriebericht noch im ärztlichen Bericht auf eine Sicherheitsgurtenanlegung hinweist, auch zeigt sich keine Gurtenmarke, was bei der Schwere des retrospektiv errechneten Dezellartionstraumas durchaus möglich wäre. Hier gibt der Gutachter zu bedenken, dass der Anpressdruck so groß war, dass es auch zu einer Schlüsselbeinfraktur gekommen ist, es sich um eine warme Jahreszeit gehandelt hat, sodass hinsichtlich einer Gurtenprellmarke auch keine dickere Kleidung von dieser schützte."

Das Bezirksgericht Hartberg folgte im Vorprozess dem Gutachten des von ihm beigezogenen Sachverständigen und gab der gegen die hier klagende Partei gerichteten Klage statt. Dieses Urteil blieb unbekämpft.

Die Klägerin begehrt nun vom Beklagten 7.842,19 EUR (Rückzahlung der Kosten der beiden Gutachten; Kosten des Verfahrens vor dem Bezirksgericht Hartberg; Ersatz des durch das Gutachten des Beklagten verursachten Zinsschaden). Der Beklagte habe in seinem Gutachten die Auffassung vertreten, dass der Verletzte nicht angegurtet war. Diese Meinung habe er in seinem zweiten Gutachten vollinhaltlich aufrechterhalten. In der Folge vom Gericht als Zeuge vernommen, habe er jedoch angegeben, dass sein Gutachten „lediglich Hypothesen darstelle". Wäre aus dem Gutachten des Beklagten hervorgegangen, dass der Verletzte angegurtet gewesen sei, hätte die Klägerin die der Höhe nach unstrittige Forderung des Verletzten beglichen. Der Beklagte hafte daher für die geltend gemachte Forderung nach § 1299 ABGB.

Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Er habe kein unrichtiges Gutachten erstellt. Zudem sei die Frage, ob der Verletzte angegurtet gewesen sei, nicht Gegenstand des Gutachtensauftrags gewesen. Dem Beklagten seien überdies zum Zeitpunkt der Erstattung seines Gutachtens nur unzureichende Grundlagen zur Verfügung gestanden. Hingegen habe der im Gerichtsverfahren beigezogene Sachverständige auf fünf vorab eingeholte technische Sachverständigengutachten zurückgreifen können, in denen ua die Dezellerationsgeschwindigkeit, die gesamte Unfallmechanik, die Drehung der Fahrzeuge, die Biomechanik und die Darstellung des gesamten Fahrgastraums des Unfallfahrzeugs genauestens dokumentiert worden sei. Schließlich habe der Beklagte in seinem Gutachten vom 26. 11. 2004 klargestellt, dass es sich bei seinen Schlussfolgerungen um hypothetische Annahmen und nicht um die einzig mögliche Wahrheit handle. Bei Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt hätte sich die Klägerin daher nicht auf ein Verfahren gegen den Verletzten einlassen dürfen. Unabhängig von der Frage, ob die vom Beklagten aufgestellte Hypothese vertretbar bzw richtig sei, treffe daher das Verschulden am Eintritt der eingeklagten Kosten die Klägerin. Eine Bindung an das Ergebnis des Verfahrens vor dem Bezirksgericht Hartberg bestehe nicht, zumal dem Beklagten nicht der Streit verkündet worden sei.

Dem Einwand des Beklagten, dass die Frage, ob der Verletzte im Unfallszeitpunkt angegurtet gewesen sei, gar nicht Gegenstand des Gutachtensauftrags gewesen sei, hielt die Klägerin entgegen, dass es sich dabei um eine zwingend zu beantwortende Vorfrage zu den im Auftrag formulierten Fragen handle. Tatsächlich sei diese Frage ja auch vom Beklagten beantwortet worden. Sollten die dem Beklagten übermittelten Unterlagen unzureichend gewesen sein, wäre es seine Sache gewesen, sich die notwendigen Unterlagen zu besorgen. Die Nichtbeischaffung fehlender Unterlagen begründe ein Verschulden iSd § 1290 ABGB.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Zusätzlich zum bereits wiedergegebenen Sachverhalt führte es im Rahmen seiner Tatsachenfeststellungen aus, dass eine dezidierte Aussage, ob der Verletzte angegurtet gewesen sei oder nicht, nicht getroffen habe werden können. Den Gutachten des Beklagten sei nicht zu entnehmen gewesen, dass der Beklagte dezidiert erklärt habe, der Verletzte sei angegurtet gewesen oder nicht. Die von der Klägerin aus dem Gutachten gezogenen Schlussfolgerungen habe der Beklagte nicht vorhersehen können. Die Einholung weiterer Unterlagen, insbesondere das Abfordern des Strafakts, sei dem Beklagten nicht zumutbar und auch nicht möglich gewesen.

In seinen Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung wies das Erstgericht darauf hin, dass der Beklagte seine Ausführungen nach bestem Wissen gemacht und „auf die hypothetischen Annahmen hingewiesen" habe. Seinem Gutachten sei auch keine klare Aussage, dass der Verletzte nicht angegurtet gewesen sei, zu entnehmen. Die Klägerin hätte diese Unsicherheit erkennen können und müssen.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil in ein Zwischenurteil ab, mit dem die Klageforderung als dem Grunde nach zu Recht bestehend festgestellt wurde.

Die Klägerin bekämpfte in ihrer Tatsachenrüge die Feststellung, wonach nicht festgestellt habe werden können, ob der Verletzte angegurtet gewesen sei und wonach eine solche Festlegung dem Gutachten des Beklagten auch nicht entnehmbar gewesen sei. Dazu folgte das Berufungsgericht dem Standpunkt der Klägerin, dass sich aus dem unstrittigen Text des Gutachtens vom 26. 11. 2004 unmissverständlich die Aussage ergebe, dass der Verletzte nicht angegurtet gewesen sei. Weitere bekämpfte „Feststellungen" über die Unvorhersehbarkeit der Schlussfolgerungen der Klägerin aus dem Gutachten und über die Zumutbarkeit der Beischaffung weiterer Unterlagen durch den Beklagten seien in Wahrheit rechtliche Wertungen. Ob der Verletzte tatsächlich angegurtet gewesen sei, habe das Erstgericht nicht festgestellt. Mangels Bestreitung des Vorbringens der Klägerin durch den Beklagten erachte das Berufungsgericht aber die Tatsache, dass der Verletzte angegurtet war, als zugestanden.

Der Vertrag über die Erstellung eines Gutachtens sei ein Werkvertrag. Der Sachverständige hafte nicht, wenn ein nach den Regeln der Wissenschaft erarbeitetes Gutachten in der Folge nicht standhalte. Er müsse aber den Auftraggeber auf allfällige Risken hinweisen. Dies habe er insbesondere dann zu tun, wenn er wisse, dass der Auftraggeber sein weiteres Verhalten vom Inhalt seines Gutachtens abhängig machen werde.

Hier habe der Beklagte die Bedeutung der Frage, ob der Verletzte im Unfallszeitpunkt angegurtet war, richtig erkannt und auch beantwortet. Dies ergebe sich insbesondere aus der durch Fettdruck hervorgehobenen Gutachtenspassage, wonach das Verletzungsmuster für die Nichtanlegung des Gurtes spreche. Hätte es sich dabei nur um eine hypothetische Annahme gehandelt, hätte dies zum Ausdruck gebracht werden müssen. Dies habe er nicht getan, sodass sein Gutachten im allein wesentlichen Punkt irreführend gewesen sei. Damit habe es einen haftungsbegründenden Kunstfehler enthalten. Da die Klägerin das Gutachten zur Grundlage ihrer weiteren Dispositionen gemacht habe - dies sei für den Beklagten vorhersehbar gewesen -, seien die durch den in der Folge geführten Prozess entstandenen Kosten durch den Kunstfehler des Beklagten kausal verursacht. Das Verhalten des Beklagten liege innerhalb des Adäquanz- und Rechtswidrigkeitszusammenhangs. Die Klägerin treffe kein Mitverschulden. Sie habe das Gutachten nicht unrichtig verstanden. Sie habe auch nicht gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen, weil der Beklagte sein erstes Gutachten in seinem zweiten Gutachten aufrecht erhalten habe. Das Klagebegehren bestehe daher dem Grunde nach zu Recht. Es fehlten allerdings noch Feststelllungen zur Höhe der Klageforderung.

Die Revision sei zuzulassen, weil die Überprüfung der Frage, ob ein Zugeständnis vorliege, im Rahmen der Verfahrensrüge möglich sei. Überdies habe das Berufungsgericht den haftungsbegründenden Kunstfehler des Beklagten in der Irreführung der Klägerin erblickt und nicht im Umstand, dass das Gutachten nicht nach den Regeln der Wissenschaft erarbeitet worden sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Rechtsauffassung der zweiten Instanz, der Beklagte habe zugestanden, dass der Verletzte im Unfallszeitpunkt angegurtet gewesen sei, durch das Vorbringen des Beklagten nicht gedeckt ist.

Die Revision ist auch berechtigt.

Gemäß § 267 Abs 1 ZPO hat das Gericht unter sorgfältiger Berücksichtigung des gesamten Inhalts des gegnerischen Vorbringens zu beurteilen, ob tatsächliche Behauptungen einer Partei mangels eines ausdrücklichen Geständnisses des Gegners als zugestanden anzusehen seien. Die Rechtsprechung hat daher immer nur dann die unterbliebene Bestreitung als Zugeständnis gewertet, wenn im Einzelfall gewichtige Indizien für ein derartiges Geständnis sprachen (1 Ob 14/93 = SZ 66/59; 10 ObS 151/04k = SZ 2005/7 uva). Ob dies der Fall ist, ist vom Obersten Gerichtshof überprüfbar (RIS-Justiz RS0040078; RS0040146; zuletzt etwa 4 Ob 151/07w).

Hier kann von einem Zugeständnis des Beklagten, der Verletzte sei im Unfallszeitpunkt angegurtet gewesen, nicht die Rede sein: Der Beklagte hat wiederholt vorgebracht, kein unrichtiges Gutachten erstattet zu haben. Zum Nachweis dieser seiner Behauptung, die ja dem von der zweiten Instanz angenommenen Zugeständnis diametral entgegensteht, hat er die Einholung eines (weiteren) medizinischen Sachverständigengutachtens beantragt. Überdies hat er vorgebracht, dass keine Bindung an die Feststellungen des Vorprozesses vor dem Bezirksgericht Hartberg bestehen könne - insofern können begrifflich nur die Feststellungen darüber gemeint sein, ob der Verletzte angegurtet war -, weil ihm in diesem Verfahren nicht der Streit verkündet worden sei. Damit kann aber von einem Zugeständnis der Tatsache, dass der Verletzte im Unfallszeitpunkt angegurtet war, überhaupt keine Rede sein.

Unklar ist in diesem Zusammenhang überdies die sprachlich wenig geglückte Feststellung des Erstgerichts, wonach aufgrund der Ausführungen des Beklagten festgestellt werden kann, „dass eine dezidierte Aussage, dass der Lenker ... angegurtet war oder nicht, nicht getroffen werden konnte". Diese Formulierung lässt einerseits die Deutung zu, dass dem Beklagten (damals) eine derartige Aussage nicht möglich war. Sie kann aber ebenso als negative Feststellung des Erstgerichts in dem Sinn verstanden werden, dass sich das Erstgericht aufgrund der Ausführungen des Beklagten nicht imstande sah, eine dezidierte Aussage über die Frage, ob der Verletzte angegurtet war, zu treffen. Diese somit mehrdeutige Feststellung wurde im Übrigen von der Klägerin bekämpft. Die dazu vom Berufungsgericht angestellten Überlegungen betreffen aber nur einen anderen Aspekt des in der Tatsachenrüge angesprochenen Komplexes von Feststellungen, nämlich die Frage, ob dem Gutachten des Sachverständigen eine klare Aussage zu entnehmen war.

Hinsichtlich der Frage, ob der Verletzte nun tatsächlich angegurtet war oder nicht, fehlt es daher an einer gesicherten Sachverhaltsgrundlage. Dies ist aber letztlich nicht entscheidend, weil selbst dann, wenn der Verletzte angegurtet gewesen sein sollte, das Klagebegehren nicht berechtigt ist.

Das Berufungsgericht hat richtig erkannt, dass die Klägerin nie behauptet hat, dass der Beklagte seine Gutachten nicht nach den Regeln der Wissenschaft erarbeitet hat bzw dass seine gutächtlichen Aussagen unvertretbar waren. Als haftungsbegründend hat es demgemäß nicht die Unvertretbarkeit des Gutachtens sondern die vom Kläger mit diesem Gutachten bewirkte Irreführung der Klägerin gewertet.

Das Berufungsgericht orientiert sich damit an der Entscheidung 1 Ob 605/84 = SZ 57/140. Nach dieser Entscheidung haftet ein Sachverständiger nicht, wenn ein nach den Regeln der Wissenschaft erarbeitetes Gutachten in der Folge nicht standhält. Er muss aber den Auftraggeber auf allfällige Risken hinweisen. Dies muss er insbesondere dann, wenn er weiß, dass der Auftraggeber sein weiteres Verhalten (insbesondere die Entscheidung über die Führung eines Rechtsstreits) vom Inhalt seines Gutachtens abhängig machen werde. In einem solchen Fall muss der Sachverständige seine Schlussfolgerungen genau abwägen und vorsichtig formulieren. Tut er dies in einem Fall, in dem Zweifel bestehen, nicht und erweckt er dadurch den Eindruck einer dem Auftraggeber Gewissheit verschaffenden Aussage, ist das Gutachten irreführend und enthält damit einen haftungsbegründenden Kunstfehler.

An dieser in der Entscheidung SZ 57/140 vertretenen Rechtsauffassung hält der Oberste Gerichtshof fest. Der damals beurteilte Sachverhalt ist aber mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Zu beurteilen war in der Vorentscheidung ein Gutachten, das Klarheit über die Urheberschaft anonymer Briefe bringen sollte. Der Sachverständige hatte in seinem Gutachten damals die Urheberschaft einer bestimmten Person „mit Sicherheit" festgestellt und damit dem damaligen Auftraggeber den Eindruck einer absolut gesicherten Aussage vermittelt. Davon kann hier nicht ausgegangen werden:

Eine definitive und klare Aussage, dass der Verletzte im Unfallszeitpunkt nicht angegurtet war, enthält das Gutachten des Beklagten vom 26. 11. 2004 nicht. Die vom Berufungsgericht hervorgehobene fettgedruckte Aussage des Sachverständigen („Zusammenfassend stellt der Gutachter fest, dass dieses Verletzungsmuster für die Nichtanlegung eines Gurtes spricht") lässt zwar die klare Präferenz des Beklagten für die als Gutachtensergebnis dargestellte Annahme erkennen, der Verletzte sei nicht angegurtet gewesen. Eine dem Fall der Entscheidung SZ 57/140 auch nur annähernd vergleichbare „sichere" Festlegung stellt diese Aussage aber nicht dar. Sie legt nämlich offen, dass und welche Anzeichen für das erzielte Ergebnis sprechen, vermeidet aber noch hinreichend deutlich den Eindruck einer sicheren Aussage. Dem Beklagten ist überdies beizupflichten, dass er auch offen legte, dass für das Gutachten wesentliche Parameter den ihm vorliegenden Unterlagen nicht zu entnehmen seien. Dass diese Unterlagen dürftig waren, war der Klägerin, die ihm diese Unterlagen übermittelt hatte, naturgemäß bekannt. Vor allem aber hat der Beklagte schon im Gutachten vom 26. 11. 2004 das von ihm erzielte Ergebnis ausdrücklich als „Hypothese" bezeichnet. Diese Formulierung findet sich zwar erst im Anschluss an die vom Berufungsgericht ins Treffen geführte fettgedruckte Passage im Rahmen jener Ausführungen, die sich mit der Möglichkeit einer „Verminderung des Schmerzkatalogs" auseinandersetzen. Sie ist aber - wie aus dem Zusammenhang deutlich wird - unmissverständlich auf die Annahme bezogen, dass der Verletzte nicht angegurtet war.

Unter diesen Umständen musste den mit der Angelegenheit befassten Mitarbeitern der Klägerin, die ja ständig mit der Regulierung von Schmerzengeldansprüchen befasst sind, klar sein, dass das Gutachten vom 26. 11. 2004 keine sichere Aussage über die hier entscheidende Frage traf, sondern lediglich eine als solche erkennbare Annahme präsentierte und die für diese Annahme sprechenden Umstände erläuterte. Von einer vorwerfbaren Irreführung der sachkundigen Mitarbeiter der Klägerin durch das Gutachten vom 26. 11. 2004 kann daher nicht ausgegangen werden.

Dass das Gutachten unvertretbar bzw nicht nach den Regeln der Wissenschaft erarbeitet wurde, ist nicht erwiesen und wurde von der Klägerin - wie schon ausgeführt - nicht einmal behauptet.

Ebenso wenig ist für die Klägerin aus dem Gutachten vom 13. 12. 2005 zu gewinnen. Dass der Beklagte darin sein ursprüngliches Gutachten aufrecht erhielt, trifft insofern zu, als er die Gründe für seine Annahme, der Verletzte sei nicht angegurtet gewesen, wiederholt und deren Darstellung vertieft. Den Eindruck einer sicheren Aussage erweckt er aber abermals nicht. Vielmehr führt er ausdrücklich aus, nicht ausschließen zu können, „dass die Schwere der inneren Verletzungen des Verletzten, auch [bei] Anlegung eines Sicherheitsgurtes möglich gewesen sind". Auch in diesem Gutachten hat der Sachverständige - wie in der Entscheidung SZ 57/140 gefordert - „vorsichtig formuliert" und nicht den unrichtigen Eindruck erweckt, dem Auftraggeber Gewissheit verschaffen zu können.

Von einer Irreführung der Klägerin durch den Beklagten kann daher nicht ausgegangen werden. Für die von der Klägerin angestrebte Haftung des Beklagten fehlt es daher an einer rechtfertigenden Grundlage. Auf den wenig glücklich formulierten Gutachtensauftrag der Klägerin braucht daher nicht mehr eingegangen zu werden.

Im Ergebnis erweist sich die Entscheidung des Erstgerichts als zutreffend. Sie war daher in Stattgebung der Revision wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. § 23a RATG idF BGBl I 90/2008, der den vom Beklagten angesprochenen ERV-Zuschlag normiert, ist nach § 26 RATG idF BGBl I 90/2008 erst auf Schriftsätze anzuwenden, die nach dem 30. 9. 2008 bei Gericht eingebracht wurden. Dies trifft auf die Revision des Beklagten nicht zu.

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