OGH 1Ob211/08y

OGH1Ob211/08y25.11.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der Christine N*****, infolge Revisionsrekurses der Betroffenen vertreten durch den Sachwalter Dr. Christian Burghardt, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. Juni 2008, GZ 45 R 320/08d-58, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 3. März 2008, GZ 2 P 23/07x-51, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Das Erstgericht bestellte im März 2007 für die Antragstellerin einen Rechtsanwalt als Sachwalter für die Geschäftskreise der Einkommens- und Vermögensverwaltung, Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden und Gerichten sowie privaten Vertragspartnern. Nunmehr beantragte die Betroffene, vertreten durch den Sachwalter, die Genehmigung der Klagsführung gegen die Pensionsversicherungsanstalt, die den Antrag auf Erhöhung des Pflegegelds mit Bescheid vom 5. Februar 2008 abgelehnt habe.

Das Erstgericht wies den Antrag auf pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Klagsführung zurück. Eine Genehmigung sei nicht erforderlich, weil die Betroffene die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe erfülle und somit ein Entgeltanspruch des Sachwalters nicht in Betracht käme.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Antragstellerin ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Nach dem gemäß § 275 Abs 3 ABGB und § 229 Abs 2 ABGB idF des SWRÄG 2006 auch im Sachwalterschaftsverfahren anzuwendenden § 154 Abs 3 ABGB bedürfen Vertretungshandlungen in Vermögensangelegenheiten zu ihrer Rechtswirksamkeit der Genehmigung des Gerichts, sofern die Vermögensangelegenheit nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört. Das Gesetz erwähnt in diesem Zusammenhang auch die Erhebung einer Klage und alle verfahrensrechtlichen Verfügungen, die den Verfahrensgegenstand an sich betreffen. Auch diese Vertretungshandlungen bedürfen daher nur dann der pflegschaftsgerichlichen Genehmigung, wenn sie nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehören. Zu letzterem zählen alle Angelegenheiten, die im Rahmen der gewöhnlichen Vermögensverwaltung anfallen, also üblich und geläufig sind. Maßgebliche Kriterien bei der Beurteilung sind neben Art und Umfang der Verwaltung das wirtschaftliche Risiko, das damit verbunden ist, die Frage der Vorläufigkeit oder Endgültigkeit einer Maßnahme, sowie deren Dauer. Ob eine Maßnahme der gerichtlichen Genehmigung bedarf, ist - als Frage des Einzelfalls - vor dem Hintergrund des Schutzgedankens für den Pflegebefohlenen oder Betroffenen zu beurteilen (Nademleinsky in Schwimann3 § 154 ABGB, Rz 18; RIS-Justiz RS0048207).

Bedenkt man, dass in dem durch das SWRÄG 2006 neu geschaffenen § 284b ABGB neben der Vertretungsbefugnis der nächsten Angehörigen bei Geschäften des täglichen Lebens ausdrücklich auch eine Befugnis zur Erhebung von sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen, Ansprüchen auf Pflegegeld und Sozialhilfe sowie Gebührenbefreiungen und anderen Begünstigungen eingeführt wurde, ist (jedenfalls nunmehr) auch im Sachwalterschaftsbereich davon auszugehen, dass die Durchsetzung solcher Ansprüche samt der dazu erforderlichen Klagsführung, sofern sich nicht in Ausnahmefällen komplexere Rechtsfragen stellen, dem gewöhnlichen Geschäftsbetrieb einer besachwalteten Person zuzurechnen ist und sie daher schon aus diesem Grund einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung nicht bedarf.

Einer Bezugnahme auf die auf die Gefahr einer finanziellen Belastung der betroffenen Person - unter Berücksichtigung der Möglichkeit, Verfahrenshilfe zu erlangen - abstellende Judikatur (RIS-Justiz RS0107440, vgl auch 6 Ob 210/07m) bedarf es daher in der Regel in diesem Zusammenhang nicht (mehr), ebensowenig der Bedachtnahme auf die Rechtsprechung, wonach ein tarifmäßiger Entlohnungsanspruch des Rechtsanwalts als Sachwalter - unabhängig davon, ob ein Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe gestellt oder schon bewilligt wurde - nur dann besteht (EFSlg 104.532 = 6 Ob 237/03a), wenn ein anderer Sachwalter sich eines Rechtsanwalts hätte bedienen müssen (vgl auch EFSlg 104.528).

Die vom Rechtsmittel dargelegte, angebliche „Judikaturdivergenz" zwischen Arbeits- und Sozialgerichten einerseits und Pflegschaftsgerichten andererseits, die es einer unter Sachwalterschaft stehenden Person unmöglich mache, Bescheide eines Sozialversicherungsträgers zu bekämpfen, weil die vom Prozessgericht geforderte Klagegenehmigung vom Pflegschaftsgericht nicht erteilt werde, besteht nicht:

Die Entscheidung, ob eine in Aussicht genommene Klagsführung der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf, obliegt den Pflegschaftsgerichten und nicht den Prozessgerichten. Wie der Oberste Gerichtshof bereits zu 7 Ob 130/57 (RIS-Justiz RS0048044) ausgesprochen hat, ist das Prozessgericht an einen rechtskräftigen Beschluss des Pflegschaftsgerichts, das die Erteilung der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung einer Klageführung für nicht notwendig erachtet, gebunden. Das Prozessgericht hat gemäß § 7 Abs 1 ZPO lediglich bei einem nicht beseitigten Mangel der Prozessfähigkeit, der gesetzlichen Vertretung oder der Ermächtigung zur Prozessführung die Nichtigkeit des vom Mangel betroffenen Verfahrens durch Beschluss auszusprechen. Nach Abs 2 leg cit kann dieser Ausspruch jedoch nicht erfolgen, wenn ihm in Ansehung des Grundes der Nichtigkeit eine von einem inländischen Gericht gefällte, bindende Entscheidung entgegensteht. Eine dennoch erfolgte Klagszurückweisung durch die Arbeits- und Sozialgerichte stünde daher im Widerspruch zur geltenden Rechtslage (vgl OLG Wien, 10 Rs 118/06f und 10 Rs 55/06s).

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