OGH 3Ob228/08p

OGH3Ob228/08p19.11.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon.-Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Nathalie L*****, geboren am 16. Februar 1994, und Florian L*****, geboren am 21. Dezember 1995, infolge „außerordentlichen" Revisionsrekurses der Mutter Manuela P*****, vertreten durch Dr. Martin Leys, Rechtsanwalt in Imst als Verfahrenshelfer, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 15. Juli 2008, GZ 52 R 74/08a-801, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Reutte vom 14. Dezember 2007, GZ 1 P 37/02d-643, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der „außerordentliche" Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der Erstrichter, Vorsteher und einziger Richter eines Bezirksgerichts, verhängte im Pflegschaftsverfahren über die Mutter der Minderjährigen eine Ordnungsstrafe, weil diese die dem Gericht schuldige Achtung in einem Schriftsatz durch beleidigende Ausfälle verletzt habe.

Infolge Rekurses der Mutter bestätigte das Gericht zweiter Instanz diese Entscheidung und sprach unter Berufung auf die Entscheidung EvBl 1965/28 aus, der Revisionsrekurs sei jedenfalls unzulässig. In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs machte die Mutter als „Mangelhaftigkeit des Verfahrens" geltend, die an der angefochtenen Entscheidung mitwirkenden Richter seien wegen freundschaftlich-kollegialer Beziehungen zum Erstrichter befangen. Das Erstgericht legte - ohne dass eine Behandlung dieser Ablehnung aus der mitübersendeten Aktenkopie ersichtlich wäre - das Rechtsmittel dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor.

Rechtliche Beurteilung

Der „außerordentliche" Revisionsrekurs der Mutter ist jedenfalls unzulässig.

Nach § 22 AußStrG sind die Bestimmungen der Zivilprozessordnung (ZPO) ua über Beleidigung in Schriftsätzen und über Strafen im Verfahren außer Streitsachen sinngemäß anzuwenden. Das gilt demnach jedenfalls für die §§ 86 und 220 ZPO (ErläutRV, 224 BlgNR 22. GP, 37). Nicht eindeutig ist dieser Verweis, was das Rechtsmittelverfahren über nach diesen Normen ergangene Beschlüsse angeht. Das AußStrG als eigenständiges und „gleichberechtigtes" Verfahrensgesetz enthält (ebenso wenig wie dessen Vorgänger) bewusst keinen Generalverweis auf die ZPO (ErläutRV aaO 9). Ausgehend von dieser Grundsatzentscheidung werden daher nur einige Bereiche und Institute der ZPO durch Verweisung dort übernommen, wo ein Auseinanderklaffen der beiden großen Zivilverfahren weder notwendig noch nützlich ist. Dabei wurde folgende Verweisungstechnik gewählt:

Wird im Allgemeinen Teil des Außerstreitgesetzes auf verfahrensrechtliche Institute der ZPO (zB Wiedereinsetzung) verwiesen, so soll damit grundsätzlich nur auf das Rechtsinstitut und die dort - in Abweichung von den allgemeinen Regeln der ZPO - festgelegten Sondervorschriften (zB hinsichtlich Fristen, Kosten, Anfechtbarkeit usw) als lex specialis verwiesen werden, nicht jedoch auch auf die allgemeinen Regeln der ZPO in diesem Bereich. Für das Beispiel der Wiedereinsetzung bedeutet dies, dass zwar die Rechtsmittelbeschränkung des § 153 ZPO gilt, nicht jedoch die allgemeine Regel des § 528 Abs 2 Z 2 ZPO, wonach gegen bestätigende Entscheidungen der zweiten Instanz über die Verweigerung der Wiedereinsetzung ein Revisionsrekurs unzulässig ist. Selbstverständlich und daher nicht ausdrücklich festzuschreiben ist, dass sämtliche Verweise immer im Lichte der Grundsätze des Allgemeinen Teils des Außerstreitgesetzes zu sehen und entsprechend auszulegen sind.

Tatsächlich verweist das AußStrG in seinem Allgemeinen Teil an zehn Stellen auf die ZPO, wobei diese einerseits schlicht „anzuwenden" (§ 2 Abs 3, § 14, § 24 Abs 1), andererseits bloß „sinngemäß anzuwenden" (§ 6 Abs 4, § 7 Abs 1, §§ 21, 22, § 23 Abs 1, §§ 35, 41), ist. Wie aus den wiedergegebenen Materialien hervorgeht, sind nach dem Willen des Gesetzgebers diese Verweise (ohne Berücksichtigung der Qualität der nur „sinngemäßen" Anwendung) nicht als solche auf die allgemeinen Rechtsmittelbeschränkungen der ZPO zu verstehen, allerdings nur „grundsätzlich", was doch einen Auslegungsspielraum eröffnet. Nach dem neuen - wie schon den jüngeren Fassungen des alten Gesetzes - AußStrG fehlt eine § 528 Abs 2 Z 2 ZPO entsprechende Anfechtungsbeschränkung. Dass idR im Außerstreitverfahren auch voll bestätigende Beschlüsse zweiter Instanz - unter der Voraussetzung des Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG - anfechtbar sind, rechtfertigt sich vor allem daraus, dass anders als nach der ZPO (Urteilsform) auch die Sachentscheidungen nach dem AußStrG als Beschlüsse ergehen und auch das Revisionsverfahren nach der ZPO keine Rechtsmittelbeschränkung aus diesem Grund kennt. Sieht man vom Institut der Verfahrenshilfe ab, für welches eine Anrufung des Obersten Gerichtshofs nach beiden Verfahrensordnungen jedenfalls ausgeschlossen ist (§ 528 Abs 2 Z 4 ZPO, § 62 Abs 2 Z 3 AußStrG), betreffen die Regelungsbereiche der dargestellten Verweise fast durchwegs solche, die mit dem Fortgang des Verfahrens eng verbunden sind, nämlich (abgesehen von der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 21 AußStrG) Normen über Prozessfähigkeit, Bevollmächtigung, Anleitung und Belehrung, Fristen, Zustellung, auswärtige Beweisaufnahme sowie Ergänzung und Berichtigung von Entscheidungen. Damit ist eine - bei völlig gleicher Sachlage - gegenüber der restriktiveren Anfechtungsmöglichkeit nach der ZPO erleichterte Anrufbarkeit des Obersten Gerichtshofs im Verfahren außer Streitsachen sachlich wohl noch dadurch zu rechtfertigen, dass die Materien, über die in diesem Verfahren zu befinden ist, idR existentielle Bedürfnisse von Menschen betreffen. So nennen die Materialien ausdrücklich Ehe-, Familien-, Erb- und Miteigentumsrecht. Zumindest für einen Teil der vom Verweis des § 22 AußStrG erfassten Materien gilt das nicht. Darin wird die sinngemäße Anwendung der Bestimmungen der ZPO über Protokolle, Akten sowie die Sitzungspolizei, Beleidigungen in Schriftsätzen und über Strafen angeordnet. Die Verhängung von Ordnungsstrafen kommt zwar - anders als in Ausübung der Sitzungspolizei nach § 199 ZPO - bei der Ahndung von beleidigenden Äußerungen in Schriftsätzen nach dem Wortlaut des § 86 ZPO nur gegen die Parteien des Verfahrens in Betracht. Solche Strafen berühren jedoch, selbst wenn sie gegen Parteien des Hauptverfahrens verhängt werden, dieses und dessen Fortgang ebensowenig wie die Entscheidung in der Sache. Eine sachliche Rechtfertigung dafür, dass ein und dasselbe Verhalten bei inhaltlich identischen Entscheidungen der Vorinstanzen einmal der Kognition des Obersten Gerichtshofs entzogen sein soll (Streitverfahren) und das andere Mal nicht (Verfahren außer Streitsachen), ist nicht ersichtlich, vielmehr bedeutete dies einen Wertungswiderspruch (zutreffend Zechner in Fasching/Konecny² § 528 ZPO Rz 13 mwN, dass der äußere Rahmen des Verfahrens, in dem eine Bestrafung erfolgt, nicht maßgeblich sein könne). Auch eine besondere Wertigkeit der fraglichen Entscheidungen, die stets die Einschaltung des Obersten Gerichtshofs ermöglichen müsste (nach der Rsp ist ja bei der Bekämpfung solcher Strafen kein ausschließlich in einem Geldbetrag bestehender Entscheidungsgegenstand gegeben: RIS-Justiz RS0004785), ist nicht erkennbar.

Nach Auffassung des erkennenden Senats erfasst daher der Verweis in § 22 AußStrG in Ansehung der für Beleidigungen in Schriftsätzen verhängten Strafen auch § 528 Abs 2 Z 2 ZPO.

Die Anfechtung der voll bestätigenden Entscheidung der zweiten Instanz ist daher entsprechend deren sich als zutreffend erweisendem Ausspruch jedenfalls unzulässig, der „außerordentliche" Revisionsrekurs der Mutter somit zurückzuweisen.

Auf die behauptete Befangenheit der Mitglieder des Rekurssenats ist demnach nicht einzugehen, weil selbst eine allfällige Nichtigkeit durch die Rechtskraft seiner Entscheidung geheilt wäre (RIS-Justiz RS0041933 [T16]).

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