OGH 15Os134/08g

OGH15Os134/08g13.11.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. November 2008 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Eilenberger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Daniel Z***** wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15, 202 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht in Jugendstrafsachen vom 9. Juni 2008, GZ 14 Hv 65/08x-26, sowie über dessen Beschwerde gegen den zugleich ergangenen Beschluss über die Anordnung von Bewährungshilfe nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Daniel Z***** des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15, 202 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 8. März 2008 in O***** Kerstin M***** mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung zu nötigen versucht, indem er sie mehrmals an der Brust und einmal im Scheidenbereich betastete, sowie, indem er sie zu Boden stieß, sich auf die am Rücken Liegende kniete, ihre Beine mit seinen Knien fixierte, sie an den Oberarmen festhielt, ihren Kopf mehrmals gegen einen Stein stieß, die Gürtelschnalle bzw den Knopf ihrer Hose öffnete und die Hose herunterzog.

Gegen den Schuldspruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, sie schlägt fehlt.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurde der Beschwerdeführer durch die Abweisung seines in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf „Beischaffung der Pflegschaftsakten der Kerstin M***** zum Beweis dafür, dass die Genannte nicht ausschließlich wegen des Gesundheitszustands ihrer Mutter im Kriseninterventionszentrum Burg bei Fürstenfeld untergebracht war, sondern wegen anderweitiger sozialer Auffälligkeiten ..." (S 57/ON 25), in seinen Verteidigungsrechten nicht verletzt, weil aus der Antragstellung keinerlei Umstände hervorgehen, welche Anhaltspunkte für objektive Zweifel an der allgemeinen Aussagefähigkeit und Aussageehrlichkeit der Zeugin - in Richtung einer ihre Aussage im vorliegenden Strafverfahren erschütternden Falschbezichtigungstendenz - bieten und - wie das Erstgericht zutreffend in seinem Zwischenerkenntnis ausführte (S 59/ON 25) - daraus auch sonst kein bedeutsames Substrat für die Subsumtion oder die Wahl des Strafsatzes im gegenständlichen Verfahren abgeleitet werden kann. Solcherart zielte der Antrag auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung in Bezug auf die - ausschließlich dem Schöffengericht zukommende - Beurteilung der Glaubwürdigkeit der im Tatzeitpunkt 14-jährigen Kerstin M***** ab (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330 f). Da die Prüfung der Berechtigung eines Antrags stets nur auf den Antragszeitpunkt bezogen zu erfolgen hat (WK-StPO § 281 Rz 325), sind die im Rechtsmittel nachgetragenen Ausführungen zum allfälligen Inhalt des Pflegschaftsaktes unbeachtlich.

Rechtliche Beurteilung

Die Mängelrüge (Z 5) kritisiert, das Erstgericht habe sich nicht hinreichend mit den Tatumständen, etwa der Lage eines am Boden befindlichen Steines auseinandergesetzt. Es sei nicht möglich, dass die frontal vor der Sitzbank hockende Zeugin durch einen Stoß gegen ihre Schultern mit dem Kopf auf einen schräg rechts hinter der Bank liegenden Stein gefallen sei, weiters könne eine am Boden liegende Person nicht gleichzeitig an den Oberarmen erfasst und mit dem Kopf gegen einen Stein gestoßen werden und es sei schließlich „technisch nicht möglich", sich mit einer oder beiden Händen im Laufen die offene Hose zu halten und dabei jemanden von sich zu stoßen. Solcherart richtet sich die Beschwerde mit eigenen Beweiswerterwägungen zu den im Akt befindlichen Lichtbildern vom Tatort (S 81/ON 2) und zu isoliert herausgegriffenen Teilen der Aussage der Zeugin Kerstin M***** im Ermittlungsverfahren (ON 15), teilweise überhaupt ohne Bezugnahme auf vorliegende Verfahrensergebnisse, gegen die Gewichtung von Indizien und die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung. Die Erkenntnisrichter haben im vorliegenden Fall ihre Konstatierungen ohne Verstoß gegen die Kriterien logischen Denkens und grundlegende Erfahrungen auf die Erhebungsergebnisse der Polizeiinspektion Bruck an der Mur (ON 2) sowie die Zeugenaussagen der Kerstin M***** gestützt (US 11), welche in der Hauptverhandlung ihre Angaben im Ermittlungsverfahren (ON 15) im Wesentlichen gleichlautend wiederholte (ON 25). Die davon abweichende Verantwortung des Angeklagten, der den Tatvorwurf leugnete und eine für ihn vorteilhaftere Version des Geschehens bot (S 3ff/ON 25), wurde mitberücksichtigt, letztlich aber als nicht überzeugend befunden (US 8 ff). Der Beschwerde zuwider ist dem Protokoll über die kontradiktorische Vernehmung der Zeugin Kerstin M***** eine Schilderung über eine Hockstellung derselben, bei der „der Oberkörper frontal zum Sitzbereich der Bank gerichtet" gewesen sei, nicht zu entnehmen (ON 15, insbes S 7). Ein von der Vernehmung aufgenommenes Videoband wurde in der Hauptverhandlung nicht vorgeführt (ON 25) und war demgemäß auch nicht erörterungsbedürftig (§ 258 Abs 1 StPO). Der Beschwerdeführer übergeht zudem, dass die Zeugin - den Konstatierungen zufolge - nicht schon aufgrund des Wegstoßens von der Bank mit dem Kopf auf einem Stein aufgeschlagen ist, sondern erst beim anschließenden Versuch des Angeklagten, sie am Boden zu fixieren (US 6).

Im Hinblick auf das Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) war das Erstgericht auch nicht gehalten, den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen wie überhaupt alle Verfahrensergebnisse in extenso zu erörtern und darauf zu untersuchen, inwieweit sie für oder gegen diese oder jene Darstellung sprechen. Es genügt, wenn das Gericht im Urteil in gedrängter Form die entscheidenden Tatsachen bezeichnet sowie schlüssig und zureichend begründet, warum es von der Richtigkeit seiner Annahme überzeugt ist, ohne dagegensprechende wesentliche Umstände mit Stillschweigen zu übergehen (vgl Danek, WK-StPO § 270 Rz 24).

Soweit die Beschwerde - neben der unbeanstandet gebliebenen Verletzungsfolge eines muskulären Hartspannes über der gesamten Halswirbelsäule - die Feststellung weiterer Verletzungen der Kerstin M***** (nämlich einer kreisförmigen Abschürfung am Schädeldach sowie einer Schwellung im Hinterhauptsbereich) als mangelhaft begründet kritisiert, übersieht sie, dass die Tatrichter diese Verletzungen nicht nur aus den Angaben dieser Zeugin (S 7/ON 15, S 35/ON 25), sondern auch aus den von der Sachverständigen Dr. G***** (vgl S 47/ON 25) erörterten Krankenunterlagen ableiteten (US 8). Im Übrigen kann die in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck kommende sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung bloß einzelner von mehreren erheblichen Umständen (hier einzelner Verletzungsbilder), welche erst in der Gesamtschau mit anderen zum Ausspruch über entscheidende Tatsachen führen, aus Z 5 nicht bekämpft werden (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 410; 12 Os 38/04 uva), wenn darin - wie hier - in diesem Einzelumstand erkennbar nicht eine notwendige Bedingung für die Feststellungen hinsichtlich einer entscheidenden Tatsache zu erblicken ist.

Die weitere Beschwerdeargumentation, es sei aufgrund der akustischen Gegebenheiten vor Ort nicht möglich, Hundegebell zu vernehmen und es gebe keinerlei Anhaltspunkte für die Anwesenheit dritter Personen vor Ort, vor denen der Angeklagte in den Wald hätte flüchten müssen (US 7), richtet sich ausschließlich gegen aus Z 5 nicht anfechtbare - weil für das Vorliegen einer entscheidenden Tatsache nicht maßgebende - Ausführungen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 409), welche überdies nicht ohne Begründung geblieben sind (US 9 und 10).

Das - auf einen Widerspruch abzielende - Argument, es wäre dem Angeklagten ein Streicheln der Scheide der Zeugin Kerstin M***** oberhalb der Hose - ohne dass deren Hose (zumindest teilweise) heruntergezogen gewesen wäre - gar nicht möglich gewesen, entzieht sich einer inhaltlichen Erwiderung, da offenbar der Sinngehalt der erstgerichtlichen Konstatierung (US 6) vom Beschwerdeführer fehlgedeutet wird.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) wiederholt im Wesentlichen die Argumente der Mängelrüge, greift neuerlich lediglich einzelne Teile der Aussage der Kerstin M***** kontextentkleidet heraus und versucht - anhand allgemeiner Erfahrungssätze sowie unter Hinweis auf die Verantwortung des Angeklagten - die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin zu erschüttern und daraus für den Angeklagten erfolgversprechende Schlüsse abzuleiten.

Der Nichtigkeitsgrund der Z 5a greift seinem Wesen nach jedoch erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können und dürfen, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, mit anderen Worten intersubjektiv gemessen an Erfahrungs- und Vernunftssätzen eine unrichtige Lösung der Schuldfrage qualifiziert nahelegen (vgl 15 Os 91/07g). Die hier angestrebte, über diese Prüfung hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen - wie es die Berufung wegen Schuld im Einzelrichterverfahren einräumt - wird dadurch nicht ermöglicht (Ratz, WK-StPO Rz 490 f).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 1 und 2 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Graz zur Erledigung der Berufung und der implizierten Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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