OGH 2Ob174/08i

OGH2Ob174/08i30.10.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Dominik T*****, geboren am 6. Juni 1994, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs des Minderjährigen, vertreten durch Johann Friedrich T*****, dieser vertreten durch Dr. Helmut Klement und Dr. Annemarie Stipanitz-Schreiner, Rechtsanwälte in Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 7. November 2007, GZ 2 R 234/07g-U-20, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 28. August 2007, GZ 20 P 201/02p-U-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

I. Die Revisionsrekursbeantwortung der Mutter Elisabeth Maria T***** wird zurückgewiesen.

II. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Pflegschaftssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Der mj Dominik ist der Sohn der Elisabeth Maria T*****, der während deren Ehe mit Johann Friedrich T***** am 6. 6. 1994 geboren wurde. Als die Mutter im Jänner 2006 aus der Ehewohnung auszog, blieb Dominik beim Ehemann der Mutter, der fortan für ihn sorgte. Mit Urteil des Bezirksgerichts Graz vom 21. 9. 2006 wurde die Ehe rechtskräftig geschieden.

Am 13. 11. 2006 beantragte Johann Friedrich T***** namens des Minderjährigen die Verpflichtung der Mutter zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 580 EUR ab 1. 2. 2006 sowie weiterer 1.126 EUR zur Abdeckung eines im Zeitraum vom 17. 1. bis 31. 10. 2006 angefallenen Sonderbedarfs. In der Antragsbegründung erwähnte er, dass er nicht der leibliche Vater Dominiks sei.

Die Mutter sprach sich gegen den Unterhaltsantrag aus. Die Unterhaltspflicht für Dominik treffe „in erster Linie" den leiblichen Vater Ing. Franz H*****. Das Bezirksgericht Graz-Ost habe auf Antrag ihres früheren Ehemanns bereits eine Widerstreitsachwalterin bestellt, die den Minderjährigen im Abstammungsverfahren vertreten werde. Johann Friedrich T***** sei zur Stellung eines Unterhaltsantrags daher nicht mehr aktiv legitimiert.

Mit Beschluss vom 12. 3. 2007, AZ 247 FAM 1/07a, stellte das Bezirksgericht Graz-Ost fest, dass der Minderjährige nicht von Johann Friedrich T***** abstamme und somit kein eheliches Kind aus dessen Ehe mit der Mutter sei. Mit Beschluss vom 2. 4. 2007 unterbrach das Erstgericht das Unterhaltsverfahren gemäß § 25 Abs 2 Z 1 AußStrG bis zur rechtskräftigen Erledigung des Abstammungsverfahrens.

Nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses vom 12. 3. 2007 wies das Erstgericht den Unterhaltsantrag zurück. Johann Friedrich T***** sei nicht gesetzlicher Vertreter des Kindes und im Unterhaltsverfahren daher nicht antragslegitimiert.

Das von Johann Friedrich T***** namens des Minderjährigen angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Aufgrund der Feststellung der Nichtabstammung Dominiks vom früheren Ehemann der Mutter gelte der Minderjährige als uneheliches Kind, weshalb die Mutter gemäß § 166 ABGB allein mit der Obsorge betraut sei. Johann Friedrich T***** sei daher zur Vertretung des Minderjährigen nicht berechtigt, auch wenn er diesen faktisch betreue und seine wichtigste Bezugsperson sein sollte. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Vertretungsbefugnis in einem vergleichbaren Fall existiere.

Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des durch Johann Friedrich T***** vertretenen Minderjährigen mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Antragsstattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Zu I.:

Die als „Äußerung" bezeichnete Revisionsrekursbeantwortung der Mutter ist verspätet. Die Rechtsmittelschrift des Minderjährigen wurde ihrem Vertreter am 21. 1. 2008 zugestellt. Ihre „Äußerung" wurde am 12. 2. 2008, somit aber erst nach Ablauf der 14-tägigen Frist des § 68 Abs 1 AußStrG beim Erstgericht überreicht. Sie ist daher zurückzuweisen.

Zu II.:

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht einen von Amts wegen wahrzunehmenden Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens unbeachtet ließ; er ist im Ergebnis im Sinne des Eventualantrags auch berechtigt.

Der Minderjährige macht geltend, die allein obsorgeberechtigte Mutter habe durch das Verlassen ihrer Familie zu erkennen gegeben, dass sie am Wohl ihres Kindes desinteressiert sei. Es entspräche am ehesten dem Kindeswohl, wenn in einer solchen Situation jener Person, welche die Obsorge tatsächlich ausübe, in Unterhaltsangelegenheiten Vertretungsbefugnis eingeräumt werde. Da das Kindeswohl ohne angemessene Unterhaltszahlungen gefährdet sei, hätte der Unterhaltsantrag als entsprechende Anregung im Sinne des § 176 Abs 1 Satz 1 ABGB verstanden werden müssen.

Hiezu wurde erwogen:

1.) Im Zwischenstreit um die Prozessvoraussetzung der gesetzlichen Vertretung ist von deren Vorliegen auszugehen (10 Ob 36/07b mwN). Dieser Grundsatz, den der Oberste Gerichtshof im streitigen Zivilverfahren in ständiger Rechtsprechung vertritt (vgl RIS-Justiz RS0035423), ist sinngemäß auch im Außerstreitverfahren anwendbar. Es schadet daher nicht, dass Johann Friedrich T***** im Rechtsmittelverfahren weiterhin namens des Minderjährigen einschreitet, selbst wenn, wie im Folgenden darzulegen sein wird, seine Vertretungsbefugnis tatsächlich nicht besteht.

2.) Gesetzliche Vertreter mj ehelicher Kinder sind die Eltern (§ 144 ABGB); uneheliche Kinder werden in der Regel durch die Mutter vertreten (§ 166 ABGB).

Die vor dem Inkrafttreten des Familien- und Erbrechts-Änderungsgesetzes (FamErbRÄG) 2004, BGBl I 2004/58, mit 1. 1. 2005 bestehenden Abstammungsverhältnisse blieben durch das bloße Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes unberührt (Art IV § 4 leg cit). Nach der im Zeitpunkt der Geburt des Minderjährigen maßgeblichen Rechtslage (vgl 9 Ob 31/07k) wird die Ehelichkeit eines Kindes vermutet, wenn es nach der Eheschließung und vor Ablauf des 302. Tages nach Auflösung oder Nichtigerklärung der Ehe seiner Mutter geboren wurde. Diese Vermutung kann nur durch eine gerichtliche Entscheidung widerlegt werden, mit der festgestellt wird, dass das Kind nicht vom Ehemann der Mutter abstammt (§ 138 Abs 1 ABGB idF BGBl 1977/403). Nach ständiger Rechtsprechung zu dieser Bestimmung konnte die Ehelichkeitsvermutung nur durch eine gerichtliche Entscheidung in einem Ehelichkeitsbestreitungsverfahren aufgrund einer Klage widerlegt werden (6 Ob 52/05y; 9 Ob 31/07k; RIS-Justiz RS0009648). Seit dem Inkrafttreten des neuen Außerstreitgesetzes, BGBl I 2003/111, mit 1. 1. 2005 entscheidet das Gericht über die Nichtabstammung vom Ehemann der Mutter im Außerstreitverfahren (§§ 82 ff AußStrG), wobei der Antrag gemäß § 156 Abs 2 ABGB idF FamErbRÄG 2004 entweder vom Kind oder vom Ehemann der Mutter gestellt werden kann. Die dem Antrag stattgebende rechtsgestaltende Entscheidung wirkt auf die Geburt zurück und beseitigt daher die Rechtsfolgen der Vermutung der ehelichen Vaterschaft ex tunc (RIS-Justiz RS0000797, RS0000847, RS0048229; Stabentheiner in Rummel, ABGB3 §§ 156-159 Rz 19; Hopf in KBB2 §§ 156-158 Rz 2).

3.) Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage galt für den Minderjährigen im Zeitpunkt der Einbringung des Unterhaltsantrags noch die Vermutung der Ehelichkeit. Der vermutete Vater war - ebenso wie die Mutter - trotz rechtskräftiger Scheidung der Ehe mit der Obsorge für den Minderjährigen betraut (§ 177 Abs 1 ABGB). Der Oberste Gerichtshof hat in vergleichbaren Fällen wiederholt die Ansicht vertreten, dass der Antrag des nicht allein obsorgeberechtigten, das Kind in seinem Haushalt betreuenden Elternteils eine durch den anderen Elternteil zu erbringende Geldunterhaltsleistung für das Kind festzusetzen, das Begehren auf Bestellung zum „besonderen Sachwalter" umfasst, und dass einem solchen Antrag durch eine in der Sache gefällte Unterhaltsentscheidung konkludent stattgegeben werden kann (6 Ob 2286/96m; 5 Ob 117/04y mwN; RIS-Justiz RS0034795).

Im Sinne dieser Rechtsprechung war auch der im Namen des Minderjährigen gestellte Unterhaltsantrag des vermuteten Vaters zu verstehen. Dieser war daher zunächst berechtigt, den Minderjährigen bei der Antragstellung zu vertreten (vgl 5 Ob 117/04y).

4.) Mit der Rechtskraft des die Nichtabstammung des Minderjährigen vom (geschiedenen) Ehemann der Mutter feststellenden Beschlusses nach § 156 ABGB wurde die Vermutung der Vaterschaft widerlegt. Ab diesem Zeitpunkt gilt der Minderjährige - rückwirkend ab der Geburt - als uneheliches Kind. Die Obsorge für den Minderjährigen kommt demnach allein der Mutter zu, sodass die Vertretungshandlungen, die ihr (geschiedener) Ehemann für den Minderjährigen setzte und die - wie der gegen sie gerichtete Unterhaltsantrag - nicht von ihr als genehmigt anzusehen sind, rückwirkend ihre Gültigkeit verlieren.

5.) Gemäß § 5 Abs 1 AußStrG ist (ua) der Mangel der gesetzlichen Vertretung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen. Zur Beseitigung des Mangels hat das Gericht das Erforderliche anzuordnen sowie Vorsorge zu treffen, dass der Partei hieraus keine Nachteile erwachsen.

Richtet sich der Antrag des Kindes auf Unterhaltsfestsetzung gegen den als Vertreter berufenen Elternteil, so liegt schon nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ein Fall des § 271 ABGB vor. Es muss für das Kind daher ein Kollisionskurator bestellt werden (6 Ob 97/05s; RIS-Justiz RS0079249), wobei die Bestellung auch von Amts wegen vorzunehmen ist (3 Ob 524/95; 3 Ob 540/95; RIS-Justiz RS0049039; Hopf in KBB2 §§ 271-272 Rz 2). Im Einklang mit dieser Rechtsprechung sieht nun § 5 Abs 2 Z 1 lit a AußStrG diese Vorgangsweise ausdrücklich vor. Danach hat das Gericht in einem anhängigen Verfahren von Amts wegen einen gesetzlichen Vertreter (Kurator) zu bestellen, wenn dem gesetzlichen Vertreter einer Partei (hier: der Mutter) die Vertretung wegen eines Interessenwiderspruchs untersagt ist. Schon das Erstgericht hätte daher vor der Zurückweisung des Unterhaltsantrags einen Kollisionskurator bestellen und diesem die Möglichkeit zur Genehmigung dieses Antrags eröffnen müssen. Die Unterlassung dieses Sanierungsversuchs begründet den Mangel der gesetzlichen Vertretung nach § 58 Abs 1 Z 2 AußStrG, den das Rekursgericht gemäß § 55 Abs 3 AußStrG von Amts wegen wahrnehmen hätte müssen.

6.) Zu den Revisionsrekursgründen zählt nach § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG auch der Mangel der gesetzlichen Vertretung nach § 58 Abs 1 Z 2 AußStrG, der in dritter Instanz gemäß § 55 Abs 3 AußStrG iVm § 71 Abs 4 AußStrG von Amts wegen aufzugreifen ist (vgl RIS-Justiz RS0119971). Dieser Anfechtungsgrund wirkt zwar nicht mehr - wie die Nichtigkeitsgründe nach der ZPO - absolut und muss nicht jedenfalls zu einer Aufhebung der mit einem solchen Mangel behafteten Sachentscheidung führen (vgl RIS-Justiz RS0120213). Er ist aber wahrzunehmen, wenn er zum Nachteil des Revisionsrekurswerbers ausschlagen könnte (2 Ob 77/08z mwN).

Letzteres trifft hier zu. Da eine Bestätigung des angefochtenen Beschlusses „selbst aufgrund der Angaben im (Revisions-)Rekursverfahren" oder eine Abänderung „ohne weitere Erhebungen" nicht möglich ist (§ 58 Abs 1 und 3 AußStrG), sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben; dem Erstgericht ist die Fortsetzung des Verfahrens über den Unterhaltsantrag des Minderjährigen unter Beiziehung der - mittlerweile auch im Unterhaltsverfahren rechtskräftig bestellten - „Widerstreitsachwalterin" aufzutragen. Erst nach deren Äußerung kann beurteilt werden, ob und in welchem Umfang über den Antrag des Minderjährigen meritorisch entschieden werden kann. Die Vertretung durch den ehelichen Scheinvater kommt im fortgesetzten Verfahren nicht mehr in Betracht.

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