OGH 7Ob206/08g

OGH7Ob206/08g22.10.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach dem am ***** verstorbenen Severin H*****, vertreten durch die Verlassenschaftskuratorin Dr. Elisabeth Zimmermann, Rechtsanwältin in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1.) Univ.-Prof. Dr. Gesine M*****, vertreten durch Dr. Harald Burmann, Rechtsanwalt in Innsbruck, 2.) ao Univ.-Prof. Dr. Josef H*****, vertreten durch Dr. Arne Markl, Rechtsanwalt in Innsbruck, und 3.) T***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Gerhard Mitteregger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 71.441,95 EUR (sA), über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 44.000 EUR) gegen das Teil- und Teilzwischenurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 30. Mai 2008, GZ 4 R 23/08a-118, womit das Teil- und Zwischenurteil (richtig: Teil- und Teilzwischenurteil) des Landesgerichts Innsbruck vom 11. April 2007, GZ 11 Cg 52/03z-105, infolge Berufung der drittbeklagten Partei teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die im Übrigen in Rechtskraft erwachsen sind, werden im Umfang des gegen die Drittbeklagte erhobenen Begehrens auf Zahlung von 44.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 5. 2. 2002 aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die klagende Verlassenschaft erhob Schadenersatzansprüche wegen eines ärztlichen Kunstfehlers, der den Tod des minderjährigen Erblassers zur Folge hatte. Hinsichtlich der erst- und zweitbeklagten Ärzte wurde das Klagebegehren rechtskräftig abgewiesen. Die Haftung der Drittbeklagten, die das Krankenhaus, in dem das verstorbene Kind behandelt wurde, betreibt, steht hinsichtlich einer Forderung von 12.907,39 EUR dem Grunde nach rechtskräftig fest.

Strittig ist im Revisionsverfahren die der Klägerin zum Inkasso abgetretene Forderung der Eltern des verstorbenen Kindes, die als Ersatz für ihren „Trauerschaden" je 22.000 EUR verlangen.

Gegen die Ausdehnung des Klagebegehrens um diese Beträge (insgesamt 44.000 EUR) hat die Beklagte eingewendet, dies stelle eine unzulässige Klagsänderung dar. Vom Erstgericht wurde die Klagsausdehnung dadurch zugelassen, dass es entschied, dass (auch) dieser Anspruch dem Grunde nach zu Recht bestehe.

Das Berufungsgericht verneinte eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, die von der Drittbeklagten in der Berufung (auch) dahin geltend gemacht wurde, dass das Erstgericht über ihren Antrag, die Klagsausdehnung nicht zuzulassen, nicht abgesprochen habe. Es änderte die erstinstanzliche Entscheidung teilweise dahin ab, dass es die aus dem Titel des Trauerschadens erhobene Forderung von 44.000 EUR abwies. Die (nach den erstgerichtlichen Feststellungen vom Verlassenschaftsgericht genehmigte) Abtretung dieser Ansprüche der Eltern an die Klägerin sei, wie die Beklagte zu Recht eingewendet habe, sittenwidrig. Die Klägerin sei praktisch vermögenslos und daher nicht in der Lage, Prozesskostenverpflichtungen zu erfüllen. Die Forderungsabtretung der Eltern könne - trotz gegenteiliger Beteuerungen - nur den Zweck haben, sich dem Prozesskostenrisiko zu entziehen. Nur wenn die Eltern etwa im Nachlassverfahren eine unbedingte Erbserklärung abgegeben hätten oder entsprechende Vermögenswerte zur Sicherung allfälliger Kostenersatzansprüche der Beklagten zur Verfügung stünden, wäre dem Einwand der Sittenwidrigkeit der Boden entzogen. Dem Argument, durch die Abtretung werde weiterer Prozessaufwand vermieden, sei entgegenzuhalten, dass die Eltern mit der Klägerin als Streitgenossen gemeinsam klagen hätten können oder bei einer nachträglichen gesonderten Klagsführung die beiden Verfahren verbunden hätten werden können.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision im Hinblick auf von ihm zitierten, seiner Meinung nach widersprüchlichen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob die unterlassene ausdrückliche Entscheidung über eine Klagsänderung als Verfahrensmangel in der Berufung geltend zu machen oder die Entscheidung über das geänderte Begehren als implizite-Zulassung der Klagsänderung mit einem mit der Berufung verbundenen Rekurs zu bekämpfen sei, zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Abgesehen davon, dass die vom Berufungsgericht zitierten Entscheidungen (in denen die im RIS-Justiz veröffentlichten Rechtssätze RS0039450 einerseits und RS0039438 andererseits wiedergegeben werden) einander nicht widersprechen, stellt sich die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage, wie sowohl die Revisionswerberin als auch die Revisionsgegnerin erkennen, nicht mehr. Von der Revisionswerberin wird auch noch zutreffend ausgeführt, dass die Frage, ob die unterlassene ausdrückliche Entscheidung über eine Klagsänderung als Verfahrensmangel in der Berufung geltend zu machen oder die Entscheidung über das geänderte Begehren als implizite-Zulassung der Klagsänderung mit einem mit der Berufung verbundenen Rekurs zu bekämpfen sei, jedenfalls seit der Neufassung des § 84 Abs 2 ZPO keine Relevanz mehr besitzt, weil die unrichtige Benennung eines Rechtsmittels unerheblich ist.

Dessen ungeachtet ist die Revision, in der (allein) unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht und ein Abänderungsantrag gestellt wird, aus den im Folgenden dargelegten Gründen zulässig und im Sinn des im Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrags berechtigt.

Nach herrschender Meinung ist es sittenwidrig (rechtsmissbräuchlich), eine Forderung nur deshalb von einem Vermögenslosen einklagen zu lassen, um sich damit dem Kostenersatzrisiko zu entziehen (SZ 29/46 = EvBl 1957/38 = JBl 1957, 215; SZ 38/4; VersR 1988, 1088; Heidinger in Schwimann, ABGB3 VI § 1392 Rz 57; Ertl in Rummel3 § 1392 ABGB Rz 5). Rechtsmissbrauch liegt nach ständiger Rechtsprechung (schon) dann vor, wenn das unlautere Motiv einer Rechtsausübung das lautere Motiv eindeutig überwiegt. Der Schädigungszweck muss so augenscheinlich im Vordergrund stehen, dass andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten (7 Ob 106/07z; JBl 2008, 178). Die Beweislast trifft denjenigen, der sich auf Rechtsmissbrauch beruft, wobei selbst relativ geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch zugunsten des Rechtsausübenden den Ausschlag geben, weil demjenigen, der an sich ein Recht hat, grundsätzlich zugestanden werden soll, dass er innerhalb der Schranken dieses Rechts handelt (4 Ob 233/02x; 1 Ob 152/03i ua).

Die sich über Einwand der (daher beweispflichtigen) Drittbeklagten, den Eltern des verstorbenen Kindes gehe es bei der Abtretung nur um das Kostenrisiko, stellende Frage, ob die Zession tatsächlich - ausschließlich oder zumindest im eben erläuterten Sinn eindeutig überwiegend - in der Absicht einer bloßen Überwälzung des Prozesskostenrisikos an die praktisch vermögenslose klagende Verlassenschaft erfolgt ist (und damit rechtsmissbräuchlich wäre), wurde vom Erstgericht verneint, vom Berufungsgericht hingegen bejaht. Beide Vorinstanzen haben dazu allerdings keinen der angebotenen Beweise aufgenommen. Die von der Drittbeklagten in der Berufung erhobene Mängelrüge bezog sich auch auf das Unterbleiben einer diesbezüglichen Beweisaufnahme. Insoweit ist das Berufungsgericht auf die Mängelrüge aber nicht eingegangen. Die Vorinstanzen haben über die mit der Abtretung verbundenen Absichten auch keine Feststellung getroffen. Ihre einander widersprechenden Ansichten über das Motiv der Zession beruhen lediglich auf jeweils im Rahmen der rechtlichen Überlegungen angestellten Schlussfolgerungen, die (zum Teil) aus prozessualen Vorgängen gezogen wurden. Offenbar sind beide Vorinstanzen rechtsirrig davon ausgegangen, dass es sich dabei um eine Rechtsfrage handle. Da die Frage, was mit einer Zession bezweckt wurde, aber dem Tatsachenbereich zuzuordnen ist (7 Ob 56/86; REDOK 10.815), leiden die vorinstanzlichen Entscheidungen an einem sekundären Feststellungsmangel.

In Stattgebung der Revision sind die Entscheidungen der Vorinstanzen daher aufzuheben. Das Erstgericht wird eine entsprechende Verfahrensergänzung vorzunehmen und sodann neuerlich zu entscheiden haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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