OGH 15Os107/08m

OGH15Os107/08m11.9.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. September 2008 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Metz als Schriftführer in der Strafsache gegen Michael O***** wegen des Verbrechens des schweren Betrugs nach den §§ 146, 147 Abs 3 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 9. Februar 2007, GZ 24 Hv 127/04x-96, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur Staatsanwältin Dr. Geymayer, des Angeklagten und seiner Verteidigerin Dr. Hochstaffl-Salcher zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinen freisprechenden Teilen zu Punkt I. und II. sowie im Strafausspruch aufgehoben und die Sache insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Michael O***** der Vergehen des Vorenthaltens von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung nach (dem durch BGBl I 2004/152 eingefügten, erst am 1. März 2005 in Kraft getretenen, aber gegenüber der Vorgängerbestimmung des § 114 ASVG günstigeren [§ 61 StGB]) § 153c Abs 1 und Abs 2 StGB und des Vorenthaltens von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung nach § 153c Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in Kufstein, Wörgl und an anderen Orten Beiträge von Dienstnehmern zur Sozialversicherung einbehalten und den berechtigten Versicherungsträgern, nämlich der Tiroler Gebietskrankenkasse sowie der Salzburger Gebietskrankenkasse vorenthalten, nämlich

1.) zwischen 16. Oktober 2001 und 19. März 2002 als Geschäftsführer der Firma L***** mbH in Kufstein, welche Dienstgeberin war (DG-Konto-Nr. *****), die fälligen Dienstnehmeranteile von September 2001 bis einschließlich Februar 2002 in Höhe von insgesamt 42.787,94 Euro;

2.) zwischen 16. März 2001 und 25. April 2002 als Geschäftsführer der Firma L***** mbH Bergheim/Salzburg, welche Dienstgeberin war (DG-Konto-Nr. *****), die fälligen Dienstnehmeranteile von März 2002 in Höhe von 4.482,62 Euro;

3.) seit 17. September 2001 3.178,52 Euro und seit 15. Oktober 2001 weitere 3.178,52 Euro als Dienstgeber, nämlich als Verantwortlicher des Einzelunternehmens Firma Michael O***** (DG-Konto-Nr. *****), die fälligen Dienstnehmeranteile vom August und September 2001. Von den darüber hinaus gehenden Vorwürfen, er habe in Wörgl, Kufstein und an anderen Orten

I. als Geschäftsführer der L***** mbH mit Sitz in Kufstein mit dem Vorsatz, das genannte Unternehmen durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, im Zeitraum von September 2001 bis 19. März 2002 zwölf im Urteilstenor namentlich bezeichnete Transportunternehmen zu den dort genannten Zeitpunkten durch Täuschung über Tatsachen, nämlich das Verschweigen seiner Zahlungsunfähigkeit, der wahren wirtschaftlichen und finanziellen Situation des Unternehmens sowie der in naher Zukunft beabsichtigten Konkursantragstellung zu Handlungen, nämlich der Übernahme von Aufträgen und Erbringung von Transport- und Frachtleistungen verleitet und durch seine Mitarbeiter (Disponenten) verleiten lassen, wodurch die im Urteilstenor genannten Transportunternehmen in einem 50.000 Euro übersteigenden Gesamtbetrag von 447.673,80 Euro am Vermögen geschädigt wurden;

II. als Geschäftsführer, sohin als leitender Angestellter (§ 309 StGB [aF, nunmehr § 306a StGB) der L***** mbH mit Sitz in Kufstein einen Bestandteil deren Vermögens beiseite geschafft und deren Vermögen wirklich verringert und dadurch die Befriedigung deren Gläubiger oder wenigstens eines von ihnen vereitelt oder geschmälert, wobei er durch die Tat einen 50.000 Euro übersteigenden Schaden herbeigeführt habe, indem er der Gesellschaft zwischen Anfang 2000 und dem 19. März 2002 (Datum der Konkurseröffnung) Gelder in Höhe von insgesamt 50.555 Euro über (Gesellschafter-)Verrechnungskonten rechtsgrundlos entzogen habe, sowie

III. weitere Vergehen nach § 153c Abs 1 und 2 StGB begangen, wurde er gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Die Staatsanwaltschaft bekämpft zum Nachteil des Angeklagten die freisprechenden Punkte I. und II. des Urteils aus Z 4 - das Formerfordernis des Vorbehalts der Nichtigkeitsbeschwerde (§ 281 Abs 3 zweiter Satz StPO) wurde erfüllt (S 147/VIII) - und Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO.

Bereits der Verfahrensrüge kommt Berechtigung zu.

Mit ihr kritisiert die Staatsanwaltschaft zu Recht die Abweisung des in der Hauptverhandlung vom 9. Februar 2007 (S 145/VIII) gestellten Antrags auf Wiederbestellung des Sachverständigen und Unternehmensberaters Rudolf K***** zum Zweck der Erörterung des von ihm bereits erstatteten Gutachtens, in eventu Bestellung eines anderen Sachverständigen aus dem Fachgebiet Rechnungswesen zur Einholung von Befunden und Erstattung eines Gutachtens zum Beweis dafür, dass die Firma L*****-TransportgesellschaftmbH mit Sitz in Kufstein zum 31. Dezember 1999, jedenfalls spätestens Anfang September 2001, zahlungsunfähig war und die eingetretene Zahlungsunfähigkeit subjektiv erkennbar war sowie weiters, dass der Geschäftsführer dieser GmbH zwischen Anfang 2000 und 19. März 2002 unter dem Titel Privatentnahmen zumindest 50.555 Euro über Verrechnungskonten entzogen hat.

Rudolf K***** war im Vorverfahren mit Beschluss vom 19. Juli 2002 (S 1 verso) zum Sachverständigen bestellt worden, Befund und schriftliches Gutachten erstattete er am 10. Dezember 2002 (ON 18/V). In der Hauptverhandlung vom 3. Dezember 2004 (ON 70/VII) bezweifelte die Verteidigerin des Angeklagten - unsubstantiiert - die Qualifikation des Sachverständigen und rügte dessen fehlende Eintragung in die Liste der Sachverständigen für den Bereich „Rechnungswesen" (S 121/VII). Das Erstgericht enthob Rudolf K***** von seiner Tätigkeit in diesem Verfahren und führte dazu begründend aus, der Sachverständige sei für den maßgeblichen Fachbereich nicht zertifiziert und es sei nicht Aufgabe des erkennenden Senats noch liege es in dessen Möglichkeit, die Qualifikation eines Sachverständigen zu überprüfen (S 123/VII - entgegen RIS-Justiz RS0117726; Fabrizy, StPO10 § 126 Rz 11). Das bereits erstattete Gutachten fand demgemäß auch keinen Eingang in das Beweisverfahren (S 147f/VIII).

In der fortgesetzten Hauptverhandlung vom 9. Februar 2007 stellte der Staatswalt erneut den obzitierten Beweisantrag (S 145/VIII), der mit der Begründung abgewiesen wurde, eine Wiederbestellung des enthobenen Sachverständigen käme „aus den damaligen Erwägungen des Senates nicht in Betracht" und die Einholung eines weiteren Gutachtens sei „zur Klärung der heute wesentlichen Fragen nicht notwendig" (S 147/VIII). Durch die Abweisung des Antrags wurde die Staatsanwaltschaft in ihren prozessualen Rechten verletzt. Denn dieser bezog sich - entgegen der im Rahmen der Prüfung des relevierten Nichtigkeitsgrunds ohnehin nicht maßgeblichen Begründung des Zwischenerkenntnisses (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 318) - auf erhebliche Tatsachen, nämlich auf solche Umstände, die nach den Denkgesetzen und der Lebenserfahrung geeignet waren, den Ausspruch über die Schuldfrage maßgeblich zu beeinflussen (WK-StPO § 281 Rz 341). Beweisthema war nämlich nicht nur der objektive Eintritt der Zahlungsunfähigkeit mit 31. Dezember 1999 bzw spätestens mit September 2001, sondern auch deren subjektive Erkennbarkeit. Die begehrte Beweisaufnahme zielte somit auf die Klärung der inneren Tatseite ab, zu welcher das Erstgericht bloß Negativfeststellungen traf (US 13 bis 15).

Indem das Erstgericht das Zwischenerkenntnis auf die Argumentation stützte, die Sachlage sei aufgrund der Vorgänge in den Monaten vor der Beantragung des Konkurses in Zusammenhang mit der Bank für Tirol und Vorarlberg und des zumindest über deren Vermittlung eingesetzten Unternehmensberaters Gottfried H***** bereits ausreichend geklärt (US 30), weil das Beweisverfahren massive Anhaltspunkte dafür ergeben habe, dass der Angeklagte im fraglichen Zeitraum an das wirtschaftliche Überleben der L*****-TransportgesellschaftmbH geglaubt und im Vertrauen auf die Möglichkeit der Bezahlung gehandelt habe (US 22), sodass die Einholung eines Gutachtens entbehrlich sei (US 30), entschied es auf Basis einer unzulässigen vorgreifenden Beweiswürdigung (RIS-Justiz RS0099523). Denn es konnte keineswegs von vornherein ausgeschlossen werden, dass durch die Einholung eines Gutachtens aus dem Fachgebiet Rechnungswesen der Sachverhalt sowohl für die wirtschaftliche Situation des Unternehmens als auch für die subjektive Erkennbarkeit derselben für den Angeklagten (weiter) hätte geklärt werden können. Überdies fand ein nicht unwesentlicher Teil der inkriminierten Auftragserteilungen (die notwendigerweise vor den festgestellten Leistungszeiträumen [US 12f] erfolgt sein müssen) und der Privatentnahmen vor jener Besprechung vom 21. Jänner 2002 statt, die von den Tatrichtern als in diesem Zusammenhang „von größter Bedeutung" erachtet wurde (US 23).

Zudem hatte der informierte Vertreter der finanzierenden Bank für Tirol und Vorarlberg als Zeuge ausgesagt, dass die wirtschaftliche Situation des Unternehmens für sein Institut „schwer zu durchblicken gewesen" wäre, der offene Kreditsaldo eingefordert und der Kreditrahmen eingefroren worden sei (S 17ff/VIII) und daher eine weitere Finanzierung durch Bereitstellung zusätzlicher Kreditmittel ausgeschlossen gewesen wäre. Eine solche wäre aber nach den Ergebnissen der genannten Besprechung im Ausmaß von 800.000 Euro notwendig gewesen (US 24). Die Frage der Erkennbarkeit der Zahlungsunfähigkeit und daher auch jene des Vorliegens eines Täuschungs-, Schädigungs- und Bereicherungsvorsatzes im Tatzeitraum bis zum Auftreten des Unternehmensberaters Gottfried H***** konnte demnach zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung nicht so sicher verneint werden, dass das Ergebnis des von der Staatsanwaltschaft begehrten Verfahrensschritts eine Änderung der Beweislage keinesfalls hätte herbeiführen können.

Der von der Staatsanwaltschaft zutreffend gerügte Verfahrensmangel macht eine Erneuerung des Verfahrens im Umfang der Anfechtung unumgänglich, weswegen es keines Eingehens auf das weitere Vorbringen (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) der Rechtsmittelwerberin bedarf, die weiters mit ihrer Berufung auf die Kassation zu verweisen ist. Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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