OGH 5Ob167/08g

OGH5Ob167/08g26.8.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden und durch die Hofrätinnen/Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Grohmann und Dr. Roch als weitere Richter in der außerstreitigen Wohnrechtssache der Antragsteller 1.) Ernst S*****, 2.) Hermine B*****, 3.) Gudrun I*****, gegen die Antragsgegner 1.) Martha K*****, 2.) Ursula G*****, 3.) Valentina C*****, 4.) Werner Otto G*****, 5.) Mag. Vera P*****, vertreten durch Dr. Christian Prader, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, 6.) Verlassenschaft nach Dr. Herbert Werner P*****, 7.) Heinz D*****, 8.) Dr. Emmy D*****, 9.) Michael V*****, 10.) Bruna S*****, 11.) Enrico L*****, 12.) Dr. Pietro G***** und 13.) Daniela S*****, wegen Neufestsetzung der Nutzwerte für die Liegenschaft EZ ***** GB ***** (§§ 9, 10, 52 Abs 1 Z 1 WEG) über den Revisionsrekurs der Fünftantragsgegnerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 16. April 2008, GZ 2 R 525/07f‑27, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 29. August 2007, GZ 12 Msch 9/04f‑19, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2008:0050OB00167.08G.0826.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens bleibt vorbehalten.

 

 

Begründung:

 

Mit Beschluss vom 24. 6. 1963 wurden die Jahresmietwerte für sämtliche 14 Wohnungen eines Apartmenthauses in Seefeld mit je 540 Kronen (gesamter Jahresmietwert 7.560 Kronen) bestimmt. Im 1963 geschlossenen Wohnungseigentumsvertrag wurde den jeweiligen Eigentümern der beiden im Dachgeschoss gelegenen Wohnungen Nr. 13 und 14 das Recht eingeräumt, den darüberliegenden Teil des Dachbodens auf eigene Kosten und Gefahr auszubauen. Dieser Ausbau sollte dann Zubehör des betreffenden Apartments sein.

Schon im Zuge der Errichtung des Hauses wurden diese Dachbodenräume ausgebaut. Die über der Wohnung Top 13 liegenden Dachbodenräume sind über einen eigenen abgetrennten Zugang direkt über das allgemeine Stiegenhaus erreichbar und sind eine selbstständige, abgeschlossene Wohneinheit bestehend aus Vorraum, zwei Zimmern, Kochnische und Dusche/WC. Der über der Wohnung Top 14 liegende ausgebaute Dachboden ist durch eine Innenstiege mit der Wohnung verbunden und besteht aus zwei Zimmern, Vorraum und Diele.

Das Erstgericht nahm hinsichtlich der Dachbodenräume eine Neuparifizierung vor, indem es den Jahresmietwert für Top 14 unter Einbeziehung der Dachbodenfläche von 540 auf 732 erhöhte und die Dachbodenräume über Top 13 als neues Wohnungseigentumsobjekt Top 15 parifizierte.

Das nur von der Fünftantragsgegnerin als Wohnungseigentümerin der Top 14 angerufene Rekursgericht hob diese Entscheidung zur Verfahrensergänzung im Zusammenhang mit der Festsetzung der Jahresmietwerte auf. Es sah - ebenso wie das Erstgericht - einen Verstoß gegen zwingende Parifizierungsgrundsätze darin, dass 1.) der über der Wohnung Top 13 gelegene ausgebaute Dachboden als abgeschlossene Wohnungseigentumseinheit nicht gesondert parifiziert worden war, 2.) die Dachbodenräume über der Wohnung Top 14 sich nicht als Zubehör im Sinne des § 1 Abs 2 WEG 1948 eigneten, weil sie nicht unmittelbar von Allgemeinflächen aus zugänglich und auch nicht von der Wohnung Top 14 deutlich abgegrenzt seien.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs wegen fehlender höchstgerichtlicher Judikatur zu der Frage zu, ob die vorliegende Wohnungseigentumsbegründung im Jahr 1963 zwingenden Parifizierungsgrundsätzen widersprochen hat.

In ihrem Revisionsrekurs beantragt die Fünftantragsgegnerin, „die Aufhebungsentscheidung mit der Maßgabe zu bestätigen, dass eine Neufestsetzung hinsichtlich der Wohnung Top 14 zu unterbleiben habe"; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Revisionsrekursbeantwortungen wurden nicht erstattet.

 

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

1. Es handelt sich hier um eine Neufestsetzung der Jahresmietwerte gemäß § 55 WEG 2002 iVm § 29 Abs 1 Z 1 WEG 1975 und § 2 WEG 1948, wie sie die Judikatur in sinngemäßer Anwendung des § 3 Abs 2 WEG 1975 (nunmehr § 9 Abs 2 iVm Abs 3 WEG 2002) seit jeher für zulässig hält (5 Ob 261/07d; 5 Ob 109/03w = SZ 2003/157; 5 Ob 24/93 = wobl 1993, 173/120 [Call]).

2. Der als Z 1 des § 9 Abs 2 WEG 2002 neu ins Gesetz aufgenommene Grund des Verstoßes gegen zwingende Grundsätze der Nutzwertberechnung wurde schon vor dem WEG 2002 von der Judikatur als Grund für eine gerichtliche Nutzwertneufestsetzung ohne zeitliche Begrenzung gesehen (5 Ob 16/06y mwN; 5 Ob 144/03t mwN; 5 Ob 213/98d; RIS‑Justiz RS0118637).

3. Die Revisionsrekurswerberin bezweifelt nicht die Rechtsauffassung des Rekursgerichts, dass die unterlassene Parifizierung eines wohnungseigentumstauglichen Objekts wie der selbstständigen Wohnungseinheit Top 15 einen zwingenden Verstoß gegen die Parifizierungsgrundsätze darstellte und demnach die Neuparifizierung rechtfertigt (5 Ob 156/98x = RIS‑Justiz RS0083159 [T5]). Er sieht aber keinen Grund für eine Neuparifizierung der Wohnung Top 14, weil die ausgebauten Dachbodenräume nach der damaligen Rechtslage zubehörstauglich gewesen seien. Es reiche aus, dass Zubehörräumlichkeiten auch von der Wohnung oder sonstigen Räumlichkeiten unmittelbar zugänglich und deutlich abgegrenzt seien. Nach dem WEG 1948 seien demnach auch Balkone als Zubehör möglich gewesen.

4. Richtig ist, dass aufgrund der Wohnungseigentumsbegründung vor dem 1. 9. 1975 die mit der beantragten Neuparifizierung zusammenhängenden Streitfragen noch nach den Vorschriften des WEG 1948 zu lösen sind (5 Ob 83/95 = RIS‑Justiz RS0048303). Für die Eignung der Dachbodenräume als Zubehör ist damit grundsätzlich die Rechtslage nach dem WEG 1948 maßgeblich.

5. Nach § 1 Abs 2 WEG 1948 konnten mit Wohnungen (Geschäftsräumen) auch Keller- und Bodenräume, Hausgärten, Garagen und andere Teile der Liegenschaft im Wohnungseigentum stehen, wenn sie unmittelbar zugänglich und deutlich abgegrenzt waren. Borotha, Das Wohnungseigentumsgesetz (1949), 13 verstand unter unmittelbarer Zugänglichkeit einen unmittelbaren Zutritt von den der allgemeinen Benutzung freistehenden Teilen der Liegenschaft, weil nur solche Objekte einer ausschließlichen und uneingeschränkten Nutzung fähig waren. Eine deutliche Abgrenzung sei zur Vermeidung sonst unausweichlicher Streitigkeiten erforderlich, weshalb ein nur von einer Wohnung aus zugänglicher Balkon nicht zusammen mit einer anderen Wohnung im Wohnungseigentum stehen und an einem nicht deutlich abgegrenzten Teil eines Dachbodens oder Gartens kein Wohnungseigentum begründet werden könnte. Diese Kommentierung wurde von Faistenberger/Barther/Call, WEG 1975, § 1 Rz 48 im Punkt Zugänglichkeit kritisiert: Eindeutig gemeint sei, dass die Zubehörsfläche ohne Vermittlung fremden Wohnungseigentums zugänglich sein müsste. Die Wertschätzung typischer Zubehörsflächen liege ja gerade darin, dass sie von allgemeinen Teilen der Liegenschaft aus nicht zugänglich seien (Hausgärten, Terrassen, Balkone). Diese Konkretisierung wurde in § 2 Abs 3 Satz 2 WEG 2002 gesetzlich verankert, indem seither gefordert wird, dass das Zubehörobjekt ohne Inanspruchnahme anderer Wohnungseigentums- oder Zubehörobjekte zugänglich sein muss. Eine Zugangsmöglichkeit ausschließlich über allgemeine Teile der Liegenschaft, wie sie das Rekursgericht fordert, müsste demnach nicht vorhanden sein (vgl T. Hausmann in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht, § 2 WEG Rz 26 f).

6. Zweites im Revisionsrekurs angesprochenes Thema ist die Abgrenzung der Dachbodenräume zu dem Wohnungseigentumsobjekt Top 14. Während § 2 Abs 3 WEG 2002 in seinem Satz 1 für die Qualifikation als Zubehör ausdrücklich fordert, dass es sich um mit dem Wohnungseigentumsobjekt baulich nicht verbundene Teile der Liegenschaft (Keller- oder Dachbodenräume, Hausgärten oder Lagerplätze) handelt, war diese Klarstellung in den Vorgängerbestimmungen des § 1 Abs 2 WEG 1975 bzw WEG 1948 nicht vorhanden. Die in den eben zitierten Bestimmungen enthaltene Forderung nach einer deutlichen Abgrenzung des Zubehörsobjekt bezog sich auf das Verhältnis zu anderen Wohnungseigentums- und/oder Zubehörsobjekten, um eben Streitigkeiten über die Nutzungsbefugnis zu vermeiden (Faistenberger/Barther/Call aaO; vgl 5 Ob 270/03x).

7. Entscheidend für die Zubehörstauglichkeit von Räumlichkeiten/Flächen ist die Verkehrsauffassung (5 Ob 270/03x), was genauso für die Eignung von selbstständigen Räumlichkeiten als wohnungseigentumstaugliche Objekte gilt (RIS‑Justiz RS0082876; RS0111284). Beide Fragen können jedenfalls nur nach der Lage des konkreten Einzelfalls beurteilt werden.

8. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die ausgebauten Räumlichkeiten nicht als Zubehör, sondern als Teil der gesamten Wohnung Top 14 zu werten, lässt keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung erkennen: Die ausgebauten Räume liegen im Obergeschoss der Wohnung und sind direkt (und nur) über eine Innenstiege zugänglich. Das Objekt präsentiert sich in Form einer „Maisonettenwohnung" als baulich abgeschlossener, nach der Verkehrsauffassung selbstständiger Teil des Gebäudes (siehe die in § 2 Abs 2 Satz 2 WEG 2002 enthaltene Legaldefinition des Begriffs „Wohnung"; RIS‑Justiz RS0079355THausmann aaO Rz 9 f).

9. Da die Qualifikation der Wohnung Top 14 als einheitliches und damit in seiner Gesamtheit (inklusive der ausgebauten Dachbodenräume) wohnungseigentumstaugliches Objekt vertretbar ist, war der Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

10. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf § 78 AußStrG iVm § 37 Abs 3 Z 17 MRG iVm § 52 Abs 2 WEG. Billigkeitserwägungen rechtfertigen einen Kostenvorbehalt, weil der endgültige Erfolg der Parteien erst mit der endgültigen Sachentscheidung feststeht (5 Ob 176/07d).

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