OGH 6Ob162/08d

OGH6Ob162/08d7.8.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ.-Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ludwig M*****, vertreten durch Mag. Peter Freiberger, Rechtsanwalt in Mürzzuschlag, gegen die beklagte Partei Viktoria M*****, vertreten durch Mag. Christian Schweinzer, Rechtsanwalt in St. Pölten als Verfahrenshelfer, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 23. April 2008, GZ 23 R 108/08t, 23 R 109/08i, 23 R 110/08m, 23 R 111/08h-45, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Der Mann macht in seiner außerordentlichen Revision geltend, das Berufungsgericht habe sich bei Abweisung seiner Ehescheidungsklage zu Unrecht auf § 56 EheG gestützt; die Frau habe nämlich im Verfahren erster Instanz weder eingewendet, der Mann habe ihr die Eheverfehlungen verziehen, noch vorgebracht, er habe sie nicht als ehezerstörend empfunden.

1.1. Der Oberste Gerichtshof vertrat in diesem Zusammenhang zunächst die Auffassung, Verzeihung im Sinne des § 56 EheG dürfe nicht von Amts wegen aufgegriffen werden, wenn sie nicht geltend gemacht wurde (5 Ob 110/64 = EFSlg 2435; 8 Ob 157/68 = EFSlg 10.337). Ebenso wie Zweitinstanzgerichte (vgl etwa OLG Wien EFSlg 8625; LGZ Wien EFSlg 78.666) sprach er jedoch in weiterer Folge unter Berufung auf Schwind (in Klang I/1² [1964] 826) aus, die Frage, ob ein Ehegatte das dem anderen zur Last gelegte Verhalten nicht als ehezerstörend empfunden oder es verziehen hat, sei im Scheidungsverfahren nicht nur aufgrund einer dahingehenden Einwendung, sondern auch von Amts wegen festzustellen, wenn eine solche Feststellung aufgrund des in Erscheinung getretenen Verhaltens des anderen Ehegatten getroffen werden kann (5 Ob 211/72 = EFSlg 18.250); die gegenteilige Auffassung sei mit dem Wortlaut des § 56 EheG nicht vereinbar (6 Ob 782/78 = RZ 1980/29 = EFSlg 34.033). Auf eine Verzeihung sei daher immer dann von Amts wegen Bedacht zu nehmen, wenn sich aufgrund des in Erscheinung getretenen Verhaltens des betreffenden Ehegatten Anhaltspunkte dafür ergeben (7 Ob 608/88 = EFSlg 57.195; 7 Ob 658/88).

In den Entscheidungen 1 Ob 685/88 (= EFSlg 57.194) und 7 Ob 519/90 (= EFSlg 63.429) vertrat der Oberste Gerichtshof zwar die Meinung, das Gericht habe ohne entsprechendes Vorbringen nicht von Amts wegen zu prüfen, ob Eheverfehlungen in der Folge verziehen wurden, weil durch das PersEheKindÄndG BGBl 1983/566 die Untersuchungsmaxime im Scheidungsverfahren beseitigt worden sei; bereits in der letztgenannten Entscheidung schränkte er diesen Grundsatz jedoch dahin ein, dass etwa Feststellungen über eine Versöhnung der Ehegatten bei der rechtlichen Beurteilung, der deren Verhalten während der gesamten Ehe und insbesondere in der letzten Zeit zugrunde zu legen ist, nicht unberücksichtigt bleiben könnten.

Zuletzt sprach der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 3 Ob 149/01k (= EFSlg 97.199) zwar aus, die Frage, ob ein Verhalten als ehezerstörend empfunden wurde, sei ohne entsprechendes Vorbringen nicht von Amts wegen zu prüfen; gleichzeitig berücksichtigte er jedoch Vorbringen, wonach der betroffene Ehegatte in den Verhaltensweisen des anderen Ehegatten niemals auch nur den Ansatz einer Zerrüttung der Ehe gesehen habe.

1.2. Die jüngere Lehre hält insbesondere unter Hinweis auf die letztgenannte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs und ohne weiterführende eigene Stellungnahme eine entsprechende Einwendung des betroffenen Ehegatten für notwendig und spricht sich gegen eine amtswegige Prüfung aus (Stabentheiner in Rummel, ABGB³ [2002] § 56 EheG Rz 8; Hopf/Kathrein, Eherecht² [2005] § 56 EheG Anm 6; Gruber in Schwimann, ABGB³ [2005] § 56 EheG Rz 10; Koch in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB² [2007] § 56 EheG Rz 1; Aichhorn in Gitschthaler/Höllwerth, EheG [2008] § 56 Rz 3).

1.3. Im vorliegenden Verfahren brachte die Frau im Verfahren erster Instanz unter anderem vor, sie könne keine unheilbare Zerrüttung der Ehe erkennen; der Kläger habe ihr mitgeteilt, ihm sei von seinen Kindern das Ultimatum gestellt worden, sie dürfe nicht mehr auf den Bauernhof zurückkommen, ansonsten sie ihre Tätigkeiten auf diesem einstellen würden; nichtsdestotrotz habe die Frau den Mann - gewissermaßen heimlich - regelmäßig auf dem Bauernhof aufgesucht, um ihm bei der Arbeit zur Hand zu gehen und von abends bis morgens bei ihm zu sein; der Mann sei nur ein Getriebener seiner Familie gewesen.

Damit hat die Frau aber - insofern vergleichbar der Entscheidung 3 Ob 149/01k - Vorbringen dahin erstattet, einerseits habe ihr Verhalten nicht zur Zerrüttung der Ehe geführt, andererseits hätten sich die Ehegatten „nichtsdestotrotz" weiterhin regelmäßig getroffen und die Nächte miteinander verbracht. Dass das Berufungsgericht darin ein (wohl gerade noch) ausreichendes Vorbringen der Frau in Richtung Verzeihung bzw fehlendes Empfinden als Ehezerstörung durch den Mann im Sinne des § 56 EheG gesehen hat, ist somit auch vor dem Hintergrund der unter 1.1. dargestellten jüngeren Rechtsprechung durchaus vertretbar.

2. Der Mann meint weiters, die Ehe sei ab dem Zeitpunkt des Wegzugs der Frau von seinem Bauernhof unheilbar zerrüttet gewesen; die Tatsache des später durchgeführten Geschlechtsverkehrs habe daran nichts mehr ändern können.

2.1. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war für den Mann die Ehe mit dem Auszug der Frau unheilbar zerrüttet; er gab den Willen auf, die Ehe fortzusetzen. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass ihm von seiner Familie ein Ultimatum in der Form gestellt worden war, dass ihm die Mutter der Lebensgefährtin seines ältesten Sohnes - mit Einverständnis des Sohnes und dessen Lebensgefährtin - gesagt hatte, die Frau müsse vom Bauernhof weg, andernfalls die beiden den Bauernhof verlassen und der Sohn dort auch nicht mehr mitarbeiten würde. Damit waren aber die vom Erstgericht als Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG dargestellten Verhaltensweisen der Frau - Verstoß gegen ihre Pflicht zur anständigen Begegnung sowie gegen ihre Beistandspflicht und ihre einseitige Verringerung der Mitarbeit auf dem Bauernhof - gar nicht kausal für die subjektive Zerrüttung der Ehe auf Seiten des Mannes.

2.2. Nach § 56 EheG besteht das Recht auf Scheidung nicht, wenn sich aus dem Verhalten des verletzten Ehegatten ergibt, dass er die Verfehlung des anderen nicht als ehezerstörend empfunden hat. Die Vorinstanzen haben dazu festgestellt, die Frau habe auch nach ihrem Wegzug am 19. 5. 2007, der im Übrigen auf Anraten der einschreitenden Polizeibeamten erfolgt war, den Mann bis Anfang September 2007 etwa einmal wöchentlich besucht und bei ihm übernachtet, wobei es regelmäßig auch zu sexuellen Kontakten gekommen sei; sie habe vom Telefonanschluss des Mannes aus nach Russland telefonieren dürfen, der Mann habe sie im Zusammenhang mit dem Bezug ihrer Wohnung unterstützt und versucht, für sie eine Arbeitsstelle zu finden, ihr zweimal wöchentlich Milch gebracht, ihr eine Reise nach Russland mit 1.500 EUR finanziert und sie bei der Finanzierung der Miete ihrer Wohnung mit 150 EUR unterstützt.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, aufgrund dieses Verhaltens könne eine Aufgabe des Ehewillens auf Seiten des Mannes nicht gesehen werden, sein Verhalten sei vielmehr lediglich ein „Resignieren vor dem Druck, den seine Familie auf ihn ausübte", gewesen, weshalb ihm gemäß § 56 EheG kein Recht auf Scheidung zukomme, ist durchaus vertretbar; dies jedenfalls im Zusammenhang mit den zu 2.1. dargestellten Überlegungen zur mangelnden Kausalität des Verhaltens der Frau.

2.3. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist eine Verzeihung im Sinne des § 56 EheG nur anzunehmen, wenn der gekränkte Ehegatte durch sein Gesamtverhalten zum Ausdruck bringt, dass er das als Eheverfehlung empfundene Fehlverhalten seines Ehepartners nicht mehr als solches betrachtet und daher vorbehaltlos bereit ist, mit ihm die Ehe fortzusetzen (RIS-Justiz RS0057075). In der Tatsache des Geschlechtsverkehrs allein kann daher noch keine Verzeihung erblickt werden, wenn nicht aus dem gesamten Verhalten des gekränkten Ehegatten hervorgeht, dass er dadurch unzweideutig zum Ausdruck bringen wollte, die Eheverfehlungen des anderen, wodurch er sich zuerst gekränkt erachtet hatte, nun als solche nicht mehr zu empfinden (RIS-Justiz RS0057022). Nach der Entscheidung 8 Ob 597/92 rechtfertigt bloßer Geschlechtsverkehr zwar nicht die Annahme einer Verzeihung, doch kann bei regelmäßigen sexuellen Kontakten nicht gesagt werden, dass die seelisch-körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten zu bestehen aufgehört hat.

Im vorliegenden Fall kam es nach dem Wegzug der Frau vom Bauernhof nicht nur zu einem einmaligen Geschlechtsverkehr zwischen den Ehegatten, sondern über mehrere Monate hinweg zu regelmäßigen Kontakten zumindest einmal wöchentlich. Entgegen der in der außerordentlichen Revision des Mannes vertretenen Auffassung, „dass Geschlechtsverkehr - gerade in der heutigen Zeit - mehr denn je eine gewisse Selbstständigkeit entwickelt hat und seiner selbst Willen betreiben wird", weshalb die Ehegatten „lediglich der Befriedigung ihrer Bedürfnisse nachgekommen sind", der Mann der Frau aber nicht verzeihen wollte, kann hier außerdem nicht das übrige Verhalten des Mannes außer Acht gelassen werden, der die Frau ja sowohl finanziell unterstützte als ihr auch sonst - bei Arbeitsplatzsuche und Wohnungsbeschaffung - behilflich war (vgl dazu etwa 1 Ob 4/98i). Die Ehegatten führten daher auch nach dem Wegzug der Frau ihre Ehe in gewisser Weise weiter, achteten jedoch darauf, dass dies von der Familie des Mannes nicht bemerkt wird.

Damit ist schließlich auch die Annahme einer Verzeihung des Mannes im Sinne des § 56 EheG durch das Berufungsgericht durchaus vertretbar.

3. Auf die weitwändigen Ausführungen der außerordentlichen Revision zur Verschuldensteilung braucht mangels relevanten Verhaltens der Frau nicht mehr eingegangen zu werden; das Berufungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

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